Suche nach Titel, AutorIn, RezensentIn, Verlag, ISBN/EAN, Schlagwort
socialnet Logo

Stephen Campbell: Supporting Disabled Students in Higher Education

Rezensiert von Prof. Dr. Carl Heese, 02.04.2025

Cover Stephen Campbell: Supporting Disabled Students in Higher Education ISBN 978-1-032-12292-2

Stephen Campbell: Supporting Disabled Students in Higher Education. The Reasonable Adjustments Handbook. Routledge (New York) 2023. 138 Seiten. ISBN 978-1-032-12292-2. 32,49 EUR.

Weitere Informationen bei LOC.

Kaufen beim socialnet Buchversand

Autor

Stephen Campbell ist der Leiter der Servicestelle für Menschen mit Behinderung an der Leeds Trinity University in Großbritannien.

Entstehungshintergrund

Ziel des Buches ist eine praktische Anleitung zur Umsetzung der Inklusion für Studierende mit einer Behinderung. Für die verschiedenen Beeinträchtigungen werden „Reasonable Adjustments“, also „angemessene Vorkehrungen“ vorgestellt, mit denen die Hochschulen gewährleisten können, dass Menschen mit Behinderung (MmB) keine Nachteile im Studium erfahren. Der Begriff „reasonable adjustment“ ist in Großbritannien mit dem „Autism Act“ 2009 und dem „Equality Act“ 2010 eingeführt worden.

Aufbau und Inhalt

In der Einleitung entwickelt der Autor Konzepte der Behinderung und stellt dazu das medizinische Modell einer individuellen Beeinträchtigung dem Modell der sozialen Exklusion gegenüber. Er gibt einen kurzen historischen Überblick über die Stellung von MmB in Großbritannien und geht auch auf die rechtliche Situation der Universitäten ein. Durch den Equality Act werden alle britischen Institutionen verpflichtet, angemessenen Vorkehrungen zu treffen, damit MmB keine Nachteile durch die Einrichtungen erfahren.

Die folgenden Kapitel thematisieren dann diese Problembereiche:

  • Spezifische Lernbehinderungen
  • Psychische Erkrankungen
  • Sehbeeinträchtigungen
  • Hörbeeinträchtigungen
  • Physische Beeinträchtigungen
  • Chronische Erkrankungen
  • Kulturelle Diversität von Erkrankungen

Der Abschluss „Conclusion: Be an Ally“ ist dann noch ein Plädoyer dafür, die Verantwortung für inklusive Vorkehrungen nicht allein den zuständigen Spezialdiensten zu überlassen.

Von den spezifische Lernstörungen werden die Dyslexie, die Dyspraxie, das ADHS und der Autismus behandelt, bei psychischen Erkrankungen die Depression, die Angst- und Zwangsstörung sowie die bipolare Störung.

Campbell beginnt jedes Kapitel mit einer Fallvignette, in der er beispielsweise von Barry, einem Studenten der Betriebswirtschaftslehre erzählt. Barry bekam bald, nachdem er das Studium aufgenommen hatte, zunehmend Probleme, im Studium mitzuhalten, bis sich bei ihm eine Dyslexie bestätigen ließ. Er selbst hatte seine Probleme beim Lesen immer für normal gehalten und war überrascht über die Diagnose. Als Hilfestellungen für ihn wurden dann längere Bearbeitungszeiten bei Prüfungen, längere Ausleihfristen für Bücher, eine Erlaubnis, Vorlesungen aufzuzeichnen, um sie besser nachvollziehen zu können, und ein individuelles Training der Lern- und Arbeitstechnik für geeignet gefunden und umgesetzt.

Nach der Fallvignette wird jeweils die zugrundeliegende Beeinträchtigung durch verschiedene Erkrankungen und chronischen Bedingungen zusammen mit den geläufigen Behandlungsoptionen knapp dargestellt. Im Weiteren wird dann analysiert, welche konkreten sozialen und Lernprobleme sich daraus im Studium ergeben und welche Hindernisse eine Hochschule für die Betroffenen eventuell bereithält. Dabei wird auf die Gestaltung des Campus, die Wohnsituation der Studierenden, die Bedingungen in Vorlesungen und Seminaren, die besondere Situation der Studierenden bei Referaten und Prüfungen sowie bei Exkursionen eingegangen. In diesen Feldern werden häufige Probleme aufgelistet, durchweg betont Campbell aber auch, dass im Einzelfall die Betroffenen hier als Experten einbezogen werden müssen, damit ihre individuellen Problemkonstellationen eruiert werden können. Das gilt auch für den nächsten Schritt, wenn es darum geht, Maßnahmen zu planen, mit denen die Hochschule Vorkehrungen trifft, um den Betroffenen ein vollwertiges Studium zu ermöglichen. Die Maßnahmen, die im Buch einzeln aufgeführt werden, werden aus der Perspektive der jeweils Betroffenen ausgewählt und in einen Hilfeplan integriert, den Campbell auch „inclusion plan“ nennt. Dieser Plan soll flexibel gehandhabt werden. Er ist als revisionsbedürftige Arbeitsgrundlage zu verstehen, die z.B. Raum für mögliche Verschlechterungen der gesundheitlichen Situation bei einer fortschreitenden Erkrankung wie einer MS oder für neu auftretende Probleme lassen soll.

Im Kapitel zur kulturellen Diversität wird auf die unterschiedliche Bewertung von Krankheiten und Behinderungen, aber auch auf kulturell divergierende Vorstellungen von Unterstützung eingegangen.

Diskussion

Campbell verweist zurecht auf die Unzahl individueller Problemlagen, die Studierende mit einer Behinderung betreffen können. Für sein Buch trifft er eine kluge Auswahl, indem er die häufigsten Erkrankungen und Beeinträchtigungen berücksichtigt. So wird ein breites Spektrum von Sinnesbehinderungen, psychiatrischen und neuropsychiatrischen Störungen, motorischen Beeinträchtigungen und chronischen Erkrankungen abgedeckt. Bei der Beschreibung der Erkrankungen ist er bei der nötigen Knappheit dennoch sehr gründlich. Für die Entwicklung eines support plans schlägt er ein Verfahren vor, das dem partizipationsorientierten Hilfeplanverfahren analog ist. Dennoch wüsste man gerne noch Genaueres dazu, wie die Entwicklung des Planes konkret gehandhabt wird. Wird für jeden Betroffenen ein Plan erstellt? Wie werden die Pläne fortgeschrieben, deren flexible Anpassung unverzichtbar sein soll? Wieviel Aufwand wird für eine Planentwicklung getrieben?

Bei den Problemfeldern, die ausgeführt werden, ist auch die Wohnsituation durchgehend berücksichtigt. Das entspricht der Tradition der Campusuniversität, die man so in Deutschland nicht kennt. Zumindest können aber Verantwortliche von Wohnheimen, die von Studentenwerken betrieben werden, von den Überlegungen in dem Buch profitieren.

Eine besondere Stärke des Buches sind der differenzierte Aufweis von Problemsituationen in den Lehrveranstaltungen und die Empfehlungen für deren Gestaltung. Hier wird gezeigt, dass sich auch in Seminar und Vorlesung einiges tun lässt, um für die circa 20 Prozent der Studierenden mit einer Beeinträchtigung Hürden abzubauen.

Eine kleine Schwäche des Buches liegt in dem Mangel an ICF-Terminologie. Der Autor operiert mit der traditionellen Entgegensetzung von medizinischem und soziologischem Modell der Behinderung. Er nutzt diese Opposition rhetorisch, bleibt damit aber theoretisch etwas hinter der Entwicklung zurück. In der ICF sind der medizinische und der soziale Aspekt von Behinderung integriert, und zumindest theoretisch ist deren Opposition überwunden. Und natürlich ist die WHO-Terminologie der ICF auch in Großbritannien schon längst eingeführt worden.

Fazit

Campbells Buch bietet viele Vorschläge zu einer inklusiven Anpassung der Hochschulumwelt und zeigt besonders auch, wie sich die Lehre so gestalten lässt, dass sie den Studierenden mit verschiedenen Einschränkungen bessere Chancen bietet. Das Buch richtet sich nicht nur an Studienberater, sondern auch an alle Hochschullehrer, die an einem universellen Design für ihren Unterricht interessiert sind.

Rezension von
Prof. Dr. Carl Heese
Professur für Rehabilitation an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg
Website
Mailformular

Es gibt 37 Rezensionen von Carl Heese.

Zitiervorschlag anzeigen Besprochenes Werk kaufen

Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt. Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns. Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.


socialnet Rezensionen durch Spenden unterstützen
Sie finden diese und andere Rezensionen für Ihre Arbeit hilfreich? Dann helfen Sie uns bitte mit einer Spende, die socialnet Rezensionen weiter auszubauen: Spenden Sie steuerlich absetzbar an unseren Partner Förderverein Fachinformation Sozialwesen e.V. mit dem Stichwort Rezensionen!

Zur Rezensionsübersicht

Sponsoren

Wir danken unseren Sponsoren. Sie ermöglichen dieses umfassende Angebot.

Über die socialnet Rezensionen
Hinweise für Rezensent:innen | Verlage | Autor:innen | Leser:innen sowie zur Verlinkung

Bitte lesen Sie die Hinweise, bevor Sie Kontakt zur Redaktion aufnehmen.
rezensionen@socialnet.de

ISSN 2190-9245