Günter Rieger: Lobbying in der Sozialwirtschaft
Rezensiert von Prof. Dr. Cornelia Enger, 03.01.2025
Günter Rieger: Lobbying in der Sozialwirtschaft. Eine Einführung.
Springer
(Berlin) 2024.
190 Seiten.
ISBN 978-3-658-34260-9.
D: 26,16 EUR,
A: 28,77 EUR,
CH: 31,00 sFr.
Reihe: Basiswissen Sozialwirtschaft und Sozialmanagement.
Autor
Prof. Dr. Günter Rieger vertritt an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Stuttgart die Professur für Sozialwissenschaften sowie Theorien und Methoden Sozialer Arbeit. Seine Lehr- und Forschungsschwerpunkte liegen u.a. in den Bereichen Soziale Dienste in der Justiz, Sozialarbeitspolitik, Governance Soziale Arbeit/​Sozialplanung, Gesellschaftstheorie, Sozialpolitik, Politikanalyse und Methoden des Policy-Making.
Entstehungshintergrund
Seit vielen Jahren bzw. in gewisser Weise seit den Anfängen ihrer Berufsgeschichte wird kontrovers über die unterschiedlichen Positionen zur Professionalisierung und Professionalität Sozialer Arbeit diskutiert. Die Diskussion beinhaltet maßgebend eine politische Dimension, im Sinne eines politischen Handelns Sozialer Arbeit und einer (professionellen) politischen Einmischung. Soziale Arbeit unterliegt in hohem Maße politischen Einflüssen. Sie ist von der Politik abhängig, die durch ihre Entscheidungen wesentlich Einfluss auf die verfügbaren Ressourcen und damit auf die Handlungsspielräume der Sozialen Arbeit nimmt. Politische Einmischungen durch in der Sozialen Arbeit tätige und engagierte Akteure basieren in der Regel auf Erfahrungen und nur selten auf evidenzbasierten Erkenntnissen, so Günter Rieger. Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Ein möglicher Aspekt könnte darin liegen, dass der Politikbereich und mögliche Einflussnahmen auf politische Prozesse im Studium und auch in Weiterbildungsangeboten noch nicht ausreichend berücksichtigt werden. Das Buch „Lobbing in der Sozialwirtschaft“ ermöglicht im Sinne einer Einführung in die Thematik einen Zugang zu den für eine professionelle Praxis des Soziallobbyings relevanten Wissensgebieten.
Aufbau
Die Monografie untergliedert sich in drei Teile. Im ersten Teil, der den Titel „Soziallobbying im Kontext“ trägt, werden die Grundlagen von Lobbying im Allgemeinen sowie das Lobbying von Organisationen der Sozialen Arbeit im Besonderen, wie der Sozialarbeits- und Gesundheitspolitik, erörtert.
Soziallobbying kann auf verschiedenen Ebenen des politischen Systems verortet sein, wie des Staates (des Bundes), auf kommunaler Ebene und auf der Ebene der Europäischen Union. Diese unterschiedlichen Ebenen des politischen Systems und u.a. mögliche Lobbyaktivitäten, Einflusschancen, Interessenvertretungen bzw. sozialpolitische Lobbyakteure werden im zweiten Teil näher betrachtet.
Der dritte und abschließende Teil betrachtet „Soziallobbying in der Praxis“, wobei der Fokus auf der Politikberatung sowie dem professionellen Soziallobbying liegt. Letzteres zeichnet sich insbesondere durch organisationale Fähigkeiten, Lobbykompetenzen der Akteure und methodisches Politikmachen aus.
Inhalt
„Lobbying in der Sozialwirtschaft“ beinhaltet eine vielschichtige und zugleich kritische Auseinandersetzung mit der Thematik des Soziallobbying, einem Lobbying, welches eine spezielle Form des politischen Handelns beschreibt. Vorgestellt werden unterschiedliche Lobbyingformen und diese in ihrem historischen Kontext betrachtet. Gleichzeitig wird auf problematische Aspekte hingewiesen und verdeutlicht, dass es klare Regeln und Einschränkungen braucht, um demokratieverträglich und idealerweise demokratiefördernd zu agieren. Am Beispiel der Gesundheitspolitik und der Sozialarbeitspolitik wird aufgezeigt, wie heterogen die Bedingungen für Lobbying sind. Diese Unterschiede ergeben sich aus den jeweiligen divergierenden politischen Inhalten, die Gegenstand der Verhandlungen sind. Die Art und Weise der Durchführung von Lobbying, die Akteure, die sich engagieren, sowie die Erwartungen der Akteure hängen maßgeblich von den zu verhandelnden Themen ab. Im Bereich der Sozialarbeitspolitik, die sich von anderen Feldern der Sozialpolitik abhebt, zeigen sich spezifische Chancen, Einschränkungen und Dilemmata des Lobbyings. Im Vergleich dazu wird die Gesundheitspolitik betrachtet, in der ebenfalls Wohlfahrtsverbände eine signifikante Rolle spielen. Hierbei treten die Unterschiede in den Handlungsbedingungen besonders deutlich zutage. Für ein erfolgreiches Lobbying sind die institutionellen Rahmenbedingungen des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland relevant. Um politische Entscheidungen zu beeinflussen, ist es entscheidend, die relevanten Ansprechpersonen zum richtigen Zeitpunkt zu kontaktieren. Dies erfordert ein umfassendes Verständnis des politischen Systems, seiner Institutionen und deren Zusammenwirken sowie der spezifischen Strukturen, Verfahren und Prozesse. Durch diese Kenntnisse werden sowohl formale als auch informelle Zugänge zum politischen Entscheidungsprozess erkennbar und eine Lobbyarbeit auf kommunaler und Bundesebene möglich.
Diskussion
Der Diskurs von Günter Rieger zum Lobbying in der Sozialwirtschaft basiert auf einer forschungstheoretischen wie auch handlungspraktischen, multidimensionalen sowie zeitgeschichtlichen Betrachtung. Ausgehend von spezifischen Herausforderungen werden u.a. Handlungsdilemmata sowie Möglichkeiten der politischen Gestaltung herausgearbeitet. So zeigt sich, dass eine „Argumentationsfähigkeit“ in zweifacher Hinsicht ressourcenabhängig ist. Einerseits erfordert es infrastrukturelle und personelle Voraussetzungen für die Entwicklung von Argumentationen. Andererseits bedarf es eines verfügbaren Potenzials an guten Gründen, normativen Theorien und Evidenzen. Um eine argumentative Position zu entwickeln, ist es für Akteure essenziell, über Daten, Fakten und Erklärungswissen zu verfügen. Zudem sind Analyse- und Strategiefähigkeiten von entscheidender Bedeutung. Dies impliziert, dass sie fachlich wie auch praxisorientiert und ethisch kommunizieren, systematisch und strategisch ausgerichtet politisch handeln und auf ein politisches Netzwerk zurückgreifen können. Professionelles Lobbying bedarf dabei grundlegend einer Politikanalyse, d.h. einer Analyse des politischen Problemkontextes. Für eine erfolgreiche Einflussnahme auf politische Entscheidungsprozesse ist es daher in der Konsequenz entscheidend, das zu bearbeitende politische Problem zu verstehen und zu wissen, welche Lösungen bereits existieren oder in Erwägung gezogen werden.
Eingebettet in vielschichtige Anforderungen, Gestaltungsformen und Handlungsmethoden stellt Günter Rieger eine Systematik von Lobbykompetenzen vor, die für ein sozialpolitisches Verständnis und eine Einflussnahme notwendig sind und die eine überzeugende und fundierte Grundlage für eine stärker kompetenzorientierte Ausbildung im Bereich der Sozialen Arbeit, der Steuerung (Governance) Sozialer Arbeit/​Sozialplanung oder des Sozialmanagements darstellen.
Darüber hinaus zeichnet sich die Publikation als eine „Einführung“ in das Lobbying in der Sozialwirtschaft durch eine sehr klare Gliederung, Hervorhebung zentraler Begriffe und Grundlagen sowie kapitelabschließende Kontrollfragen aus und ermöglicht es sehr gut, sich grundlegendes, aber auch vertiefendes Wissen, wie zum Beispiel für das Politikfeld der Pflegepolitik, anzueignen. Um aktuell zu bleiben, wird anteilig bei Zahlen und Fakten auf Internetseiten verwiesen, die aktuelle sozialpolitische Entwicklungen thematisieren. Des Weiteren werden Empfehlungen zur individuellen Vertiefung (Webseiten) gegeben.
Fazit
In „Lobbying in der Sozialwirtschaft – Eine Einführung“ widmet sich Günter Rieger der Fortführung eines Themas, mit dem er sich bereits seit vielen Jahren befasst: der Verbindung von Politikwissenschaft und Sozialer Arbeit. Die Publikation bietet eine fundierte und grundlegende Einführung in das Verständnis, die Verortung und die handlungsbezogenen Kompetenzen für ein Soziallobbying, das für Einrichtungen und Dienste der Sozialen Arbeit, für Fachkräfte der Sozialen Arbeit, der Sozialwirtschaft und des Sozialmanagements von grundlegender Bedeutung ist.
Rezension von
Prof. Dr. Cornelia Enger
Professur für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Sozialmanagement.
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Es gibt 3 Rezensionen von Cornelia Enger.
Zitiervorschlag
Cornelia Enger. Rezension vom 03.01.2025 zu:
Günter Rieger: Lobbying in der Sozialwirtschaft. Eine Einführung. Springer
(Berlin) 2024.
ISBN 978-3-658-34260-9.
Reihe: Basiswissen Sozialwirtschaft und Sozialmanagement.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32212.php, Datum des Zugriffs 19.01.2025.
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