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Noreen Naranjos Velazquez: Die Rolle freiberuflicher Hebammen in Netzwerken Frühe Hilfen

Rezensiert von Sonja Haberer, 26.07.2024

Cover Noreen Naranjos Velazquez: Die Rolle freiberuflicher Hebammen in Netzwerken Frühe Hilfen ISBN 978-3-658-40952-4

Noreen Naranjos Velazquez: Die Rolle freiberuflicher Hebammen in Netzwerken Frühe Hilfen. Eine quantitative, egozentrierte Netzwerkanalyse. Springer VS (Wiesbaden) 2023. 254 Seiten. ISBN 978-3-658-40952-4. D: 56,07 EUR, A: 61,67 EUR, CH: 66,50 sFr.
Reihe: Research.

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Thema

Bei diesem Buch handelt es sich um eine Promotionsschrift, die sich mit der Rolle der freiberuflich tätigen Hebamme im Kontext der Netzwerke Frühe Hilfen befasst und die Auswirkungen von intersektoraler Kooperation auf u.a. die Familien untersucht. Der Hebamme kommt aufgrund ihres frühzeitigen Zugangs zur Familie (im Weiteren auch „KlientInnen“) bereits vor der Geburt eine wichtige Rolle im Bereich des präventiven Kinderschutzes zu. Die Zusatzqualifizierung zur Familienhebamme im Rahmen der Frühen Hilfen erweitert die originäre Hebammentätigkeit und erlaubt bei entsprechendem Bedarf und Wunsch eine längere Begleitung der Familie über das Wochenbett hinaus.

Autorin

Die Autorin gibt an, zum Zeitpunkt der Datenerhebung in 2015 eine Projektstelle inne gehabt zu haben, die über die damalige Bundesinitiative Frühe Hilfen (2012-2015) finanziert wurde.

Aufbau und Inhalt

Das vorliegende Werk gliedert sich nach Zusammenfassung und Einleitung in neun Kapitel auf.

Kapitel 1 führt mit der Darstellung der „Theoretischen und konzeptionellen Grundlagen“ in die Thematik ein. Es schließend sich Ausführungen zu Risiko- und Schutzfaktoren für Säuglinge und Familie rund um die Geburt sowie entwicklungswirksame Einflüsse aus der Umwelt in kritischen Lebensphasen (u.a. der frühen Kindheit aber auch dem Übergang von Partnerschaft zu Elternschaft) an, welche max. Auswirkungen haben können. Mit Blick auf das Feld der Netzwerke Frühe Hilfen werden unterschiedliche Systemebenen (u.a. KlientInnen, Hebammen und Familienhebammen, Gesetzgeber) skizziert, sodass das sozialökologische Konzept nach Bonfenbrenner herangezogen wird. Mit der sozialen Homogenität werden die Zusammenhänge deutlich, aus denen heraus die Einbettung in den sozialen Kontext und Interaktion und damit die Rolle eines Akteurs in einem System beschrieben werden kann. Eine weitere theoretische Überlegung wird mit der therapeutischen Allianz dargestellt, in der die Arbeitsbeziehung zwischen Fachkraft und Klientin sowie die Zufriedenheit mit dem Angebot als wichtiger Indikator benannt werden, die eine Bedeutung für das Entgegenwirken der Entwicklung dysfunktionaler Verhaltensweisen und die Relevanz eines gelingenden Kennenlernens betont.

Das Kapitel 2 gibt einen kurzen Einblick zur „Prävention und Kindeswohlgefährdung“ mit dem Fokus auf Kinder von 0–3 Jahren und vermeidbaren Vernachlässigungsformen, wie z.B. Fehleinschätzungen der Eltern über den kindlichen Entwicklungsstand. Der gesetzlich verankerte Vorrang der Prävention bildet die Überleitung zur Einordnung der Hebamme in den präventiven Hilfebereich und bringt sie zur Kinder- und Jugendhilfe in den Kontext.

Die Entstehung der „Netzwerke Frühe Hilfen“ und deren Auftrag (z.B. mit der Vernetzungsarbeit zwischen unterschiedlichen Sozialleistungssystemen) sowie Zielsetzung der Arbeit wird in Kapitel 3 dargestellt. Der Erweiterung des Berufsbildes der originären Hebamme i.V. zur Tätigkeit einer Familienhebamme, welche von einer längeren Dauer in der Begleitung sowie oft auch komplexeren psychosozialen Fragestellungen und geprägt ist, folgt eine veränderte Arbeitsbeziehung zwischen Familienhebamme und Familie. Formulierte Qualitätsanforderungen des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen (NZFH) an die Arbeit im Rahmen der Frühen Hilfen werden kurz dargestellt.

Die eingangs herangezogenen theoretischen Gedanken werden in Kapitel 4 mit der konzeptionellen Ausrichtung der Netzwerke Früher Hilfen verbunden, wobei der Fokus auf dem sozialökologischen Konzept nach Bonfenbrenner liegt. Durch veränderte Rahmenbedingungen im Makrosystem (z.B. Bundesebene, Gesetzgebung) wird die Auswirkung bis zum Chronosystem (z.B. Übernahme neuer Rolle als Hebamme bzw. Familienhebamme) skizziert und die Anforderungen an gelingende und verbindliche Kooperationen dargestellt. Familien tatsächlich in Beziehung zu erreichen, wird als wesentliche Voraussetzung für die Erfüllung der Lotsenfunktion benannt.

Kapitel 5 gibt einen umfangreichen Überblick zum „Stand der Forschung“ in den Frühen Hilfen im internationalen, europäischen und deutschsprachigen Raum. Der Fokus wird dabei auf die regionale Vernetzungstätigkeit von Hebammen als zentrale Berufsgruppe und damit auf relevante Ergebnisse i. B. auf die der vorliegenden Arbeit zugrundeliegenden Forschungsfrage gelegt (u.a. die Kooperation von Hebammen mit anderen Professionen, die therapeutische Allianz zwischen Hebamme und Klientin oder weiter positiver Effekt der Hebammentätigkeit auf die Gesundheit der Familie). Des Weiteren wird die Perspektive der Hebammen bzw. Familienhebammen auf die Vernetzung und Kooperation mit den Netzwerken Frühe Hilfen sowie den Steuerungsbehörden im Gesundheits- und den Jugendämtern beleuchtet.

In Kapitel 6 werden die bisherigen Ergebnisse zusammengefasst. Überlegungen zu bspw. der häufig nicht oder nur vereinzelt erfassten Perspektive der freiberuflichen Hebammen in der intersektoralen Kooperation oder ein grundsätzliches Entwicklungspotenzial in den Vernetzungsaktivitäten finden Einzug in die Ausarbeitung, womit die Überleitung zu forschungsleitenden Fragestellungen sowie den Hypothesen hergestellt wird.

Das Forschungsdesign sowie die wissenschaftlichen Methoden zur Datenerhebung und -analyse werden in Kapitel 7 erläutert. In Bezug auf die Netzwerkaktivitäten im Rahmen der Frühen Hilfen liegt der Fokus auf die intersektorale Vernetzung von Hebammen bzw. Familienhebamme, die mit Hilfe der quantitativen egozentrierten Netzwerkanalyse untersucht werden. Bei der Datenanalyse und -aufbereitung wird die Mehrebenenanalyse angewandt sowie u.a. die statistische Methode der multiplen linearen Regression herangezogen. Die Darstellung der Auswertung offener Antwortfelder für die Stichprobe der Hebammen erfolgt in Anlehnung an die Systeme im sozioökonomischen Konzept nach Bonfenbrenner. Das Vorgehen zur Stichprobe der KlientInnen, zur Datenbereinigung sowie zu den Gütekriterien runden das Kapitel 7 ab. Auf die Ausführung der (statistischen) „Ergebnisse“ in Kapitel 8 wird zu Gunsten einer besseren Lesbarkeit an dieser Stelle verzichtet.

Abschließend können in Kapitel 9 „Diskussion, Interpretation und kritische Würdigung“ u.a. Aussagen für einen verbesserten Zugang zu den Familien durch intersektorale Vernetzungsaktivitäten getroffen werden. Trotz geringer Stichprobengröße bei den Fachkräften (n= 18) können vermehrte Kontakte der NetzwerkpartnerInnen die intersektorale Vernetzungsaktivität – wenn auch nur gering – erhöhen, was insgesamt zu einer verbesserten regionalen Vernetzung und damit auch bedarfsgerechteren Unterstützung der Familien führen kann. Einzelne Systeme stehen demnach in einer gegenseitigen Abhängigkeit. Gefordert wird gleichzeitig eine stärkere Betrachtung individueller Merkmale der einzelnen Systeme. Zur Reduzierung von z.B. individuellen Vorbehalten von Akteursgruppen zur stärkeren regionalen Vernetzung werden bspw. zugeschnitten Qualifizierungs-/​Weiterbildungsangebote als erste Schritte hin zu einer kooperativen Praxis beschrieben (S. 217). Für die Weitergabe von Informationen (u.a. aufgrund der Angebotsvielfalt) spielt die Hebamme eine zentrale Rolle. Keine Auswirkungen hingegen haben sich in Bezug auf den Wohnort der Klientin (Stadt/Land) ergeben oder auch den Übergang von Partnerschaft zur Elternschaft. Die Zufriedenheit mit den Angeboten kann aus Sicht der KlientInnen Einfluss auf die weitere Inanspruchnahme von Angeboten der Frühen Hilfen haben, Verbesserungsbedarfe lassen sich jedoch auch auf weiteren Systemebenen finden.

Diskussion

Der Aufbau des Werkes ist schlüssig und die ersten Kapitel bilden eine gute Grundlage für die sich anschließende wissenschaftliche Erhebung. Der ausführliche Überblick der Autorin zum Stand der Forschung in Kapitel 5 unterstützt die Einordnung des Werkes.

Inhaltlich gibt die Autorin einen guten Einblick in die Tätigkeit und Rolle der Hebammen/​Familienhebammen. Durch die Begleitung der Familie steht diese in einer besonders vertrauensvollen Arbeitsbeziehung, in der sie Bedarfe, Wünsche und Sorgen frühzeitig wahrnehmen kann. Die Gegenüberstellung dieser Tätigkeit zu den verschiedenen relevanten Sektoren und (Sozialleistungs-)Systemen rund um die Geburt eines Kindes, ist gut verständlich herausgearbeitet, sodass damit die Komplexität in der Zusammenarbeit deutlich wird. Der hier genutzte theoretische Zugang über Bonfenbrenner und dem sozioökologischen Modell eignet sich besonders, um die verschiedenen Perspektiven und Ebenen (u.a. Fachkraft, Schwangere bzw. Familie, Angebote Frühe Hilfen, NZFH) verständlich zu machen.

Die Ergebnisse der Erhebung sind im Kontext vom Ort (Mecklenburg-Vorpommern mit Hansestadt und Landkreis Rostock) und Zeit (2015) der Datenerhebung zu betrachten. Denn mit Einführung des KKG (Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz) in 2012 hat der Gesetzgeber in § 3 KKG erstmals die Voraussetzungen für den Auf- und Ausbau der Netzwerke Frühe Hilfen geschaffen. Die im vorliegenden Werk dargestellte Tätigkeit der Hebammen/​Familienhebammen u.a. auch hier eine stetige (Weiter-)Entwicklung erfahren – v.a. aber auch in Bezug auf die intersektoralen Vernetzungsaktivitäten zwischen den Sektoren/​Systemen und deren Chancen und Möglichkeiten für die Begleitung der Familien. Gleichzeitig geben die Ergebnisse mit ihrer aktuellen Bedeutung wichtige Impulse und Hinweise für den gegenwärtigen Diskurs, wie bspw. die mit der Akademisierung des Hebammenberufs einhergehenden (Weiter-)Entwicklungen der Tätigkeit oder in Bezug auf die Qualifizierung zur Familienhebamme.

Fazit

Das vorliegende Werk konzentriert sich auf die Sicht der Hebamme/​Familienhebamme und ihre Rolle in den Netzwerken Frühe Hilfen, öffnet dabei jedoch v.a. den Blick auf die Chancen, die die intersektoralen Vernetzungsaktivitäten aller Fachkräfte rund um die Phase der Geburt für die Familien bieten, während die Netzwerke Frühe Hilfen hierfür einen passenden Rahmen herstellen. Durch die Vernetzung und den regelmäßigen Austausch der Fachkräfte, z.B. auf Ebene der Netzwerke Frühe Hilfen, schaffen sie sich einen guten Überblick über die spezifischen und niedrigschwelligen (regionalen) Angebote und können den Familien damit den Zugang ermöglichen und erleichtern. Mit ihrer jeweiligen Expertise können die Fachkräfte Familien bedarfsgerecht vermitteln (Lotsenfunktion) und ihnen damit in einer oftmals unüberschaubaren Angebotslandschaft eine große Hilfe sein, womit sie eine zentrale Rolle im präventiven Kinderschutz einnehmen.

Rezension von
Sonja Haberer
Sozialarbeiterin/ Sozialpädagogin (B.A.), Kinderschutzfachkraft, Fachkraft für Traumapädagogik; Master-Studentin an der HS Koblenz, Fachrichtung Kindheits- und Sozialwissenschaften mit dem Schwerpunkt Management und Beratung
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ISSN 2190-9245