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Christine Bauriedl-Schmidt, Markus Fellner et al. (Hrsg.): Politische Psychoanalyse

Rezensiert von Dr. Hans-Adolf Hildebrandt, 17.12.2024

Cover Christine Bauriedl-Schmidt, Markus Fellner et al. (Hrsg.): Politische Psychoanalyse ISBN 978-3-95558-357-6

Christine Bauriedl-Schmidt, Markus Fellner, Gregor Luks (Hrsg.): Politische Psychoanalyse. Zur Wiederkehr des Verdrängten in krisenhaften Zeiten. Brandes & Apsel (Frankfurt) 2024. 300 Seiten. ISBN 978-3-95558-357-6. D: 39,90 EUR, A: 41,10 EUR.
Reihe: Jahrbuch für klinische und interdisziplinäre Psychoanalyse - 2.

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Thema

Als Motto des vorliegenden Buches eignet sich Freuds Feststellung, dass die Psychoanalyse als eine Therapie begann, als Therapie sei sie jedoch eine unter vielen, freilich eine prima inter pares. Daher empfehle er sie wegen ihres Wahrheitsgehaltes, wegen der Aufschlüsse, die sie uns gibt über das, was dem Menschen am nächsten geht, sein eigenes Wesen, und wegen der Zusammenhänge, die sie zwischen den verschiedenen seiner Betätigungen aufdeckt. In diesem Sinne wollen die Autor:innen das gesellschaftskritische Potenzial der Psychoanalyse auf aktuelle gesellschaftliche Krisen und zeitgenössische politische Erscheinungen anwenden.

Autor:innen

Die Autor:innen des vorliegenden Buches sind selbst als Psychoanalytiker und Dozenten an verschiedenen Ausbildungsinstituten tätig. Bekannt ist mir allerdings lediglich Hans-Jürgen Wirth, Gründer des Psychosozial-Verlags und Herausgeber der Zeitschrift Psychosozial.

Entstehungshintergrund

In ihrer Einleitung beziehen sich die Herausgeber auf die weltpolitische Lage, geprägt von Finanzkrisen, den Terroranschlägen des 11. September 2001 und dem Ukrainekrieg und leiten aus der Globalen Krise die Notwendigkeit ab, eine demokratische Mitverantwortung zu festigen. Hierzu könne die Psychoanalyse wichtige Erkenntnisse liefern.

Aufbau und Inhalt

Das Buch ist in vier thematisch unterschiedliche Abschnitte gegliedert.

Psychoanalyse, Politische Theorie und Geschichtswissenschaft

Besonders angesprochen hat mich hier die Arbeit von Gregor Luks: „Eros, Thanatos und Logos – Historisches und Gegenwärtiges zur Poltischen Psychoanalyse“. In einem Rückblick widmet er sich verschiedenen psychoanalytischen Konzepten in, denen gesellschaftliche und kulturelle Themen behandelt werden. Er rückt die Beiträge weithin bekannter, aber vermutlich nicht immer gegenwärtiger Psychoanalytiker in den Fokus. Seinen Beitrag schließt er ab mit einer kurzen Darstellung des Konzeptes des „emotional-transzendenten Logos“. Berührend ist sein Bekenntnis, er schreibe gegen eine aus dem Ruder gelaufene Welt.

Psychoanalytische Sozialpsychologie und Zeitdiagnostik

Ursula Mayr behandelt in ihrem Beitrag „Metamorphosen des Aliens“ die Fremdenangst und den Fremdenhass. Dabei spannt sie einen Bogen von der Fremdenangst in Amerika zurzeit des Frühkapitalismus bis zu den persönlichen Auswirkungen des Anschlags auf das World Trade Centers. In ihren Ausführungen vermischen sich reale Konflikte mit Erzählungen aus Science-Fiction-Filmen.

Psychoanalyse als Ideologiekritik und emanzipatorische Wissenschaft

Zu den heutzutage wenig beachteten Psychoanalytikern gehört Paul Parin vielleicht gerade wegen seines gesellschaftskritischen Selbstverständnisses. Seiner Biografie und seinen Stellungnahmen zu brennenden Zeitproblemen widmet sich Christine Korischek in ihrem Text „Wir sind nicht allein, wir rufen zur Trompete geworden den Anderen, die Mitmenschen zum Kampf“. Mit ihren Ausführungen ruft die Autorin die verdrängten und verleugneten Themen der Psychoanalyse wach, markant formuliert mit dem Begriff des Medicozentrismus, die Unterordnung des psychoanalytischen Fachwissens unter das Verdikt der Medizin.

Befunde der psychoanalytischen Sozialforschung

Unter dem Thema „Die Wunde des sexuell und geschlechtlich Möglichen blutet noch“ stellen Valerie Schneider und Charlotte B. Busch zwei tiefenhermeneutisch ausgewertete Interviews zur Sexualität im Spannungsfeld sozialer und politischer Aushandlungsprozesse dar.

Diskussion

Der Titel des vorliegenden Sammelbandes bringt den Anspruch der Texte zum Ausdruck, die zum Umdenken angesichts einer Welt im Zerfall anregen wollen. Bedenken habe ich gegenüber der Feststellung, es solle anerkannt werden, „wie sehr unsere Demokratien und Vorstellungen von Humanität durch Machtmissbrauch und politische Verkennung real bedroht sind.“ (S. 13). Zum einen besteht die Welt, wie wir sie kennen erst seit der Aufklärung, sprechen wir von der Aufklärung, dann ist damit vor allem das Abendland gemeint und schließlich hat bereits Sigmund Freud von der dünnen Schicht der Zivilisation gesprochen, die beständig vom Todestrieb des Menschen bedroht wird. Wir erleben also nichts Neues, zu vermuten ist eher, dass wir uns heutzutage der aktuellen Entwicklung hilfloser gegenübergestellt erleben, weil wir zuvor von Wohlstand und vermeintlichen technischen Fortschritten verwöhnt waren. Die Herausgeber sprechen von der politischen Psychoanalyse, einem Widerspruch zum herkömmlichen Selbstverständnis der Psychoanalyse, denn diese will keine Stellung beziehen, sondern Aufklärung fördern durch Gesellschaftskritik. So brisant das Thema ist und einzelne Beiträge mein Interesse geweckt haben, bleibt der Eindruck, nichts Neues gelesen zu haben, bzw. dass wesentliches schlicht ausgelassen wurde. Ein kurzes Beispiel: Ursula Mayr erwähnt in ihrem Beitrag die Angst vor und den Hass auf Fremde und verweist ohne weitere Ausführungen auf Arno Gruen. Doch gerade dieser Psychoanalytiker hat sich sehr ausführlich und differenziert mit der Thematik auseinandergesetzt. Nicht nur hier wurde meiner Ansicht die Chance verpasst, die Aufmerksamkeit des Lesers auf altbekanntes Wissen zu lenken, das gerade in der aktuellen Krise zum Verständnis und damit auch für Lösungswege hilfreich sein kann.

Fazit

Ein umfangreiches Buch, das den schalen Beigeschmack hinterlässt, nichts Neues erfahren zu haben. Gewünscht hätte ich mir Beiträge, die nicht nur vorhandenes Wissen aufnehmen und prägnant in einen aktuellen Kontext stellen, sondern auch das dargestellte Wissen mit Emotionen und Handlungenverbinden.

Rezension von
Dr. Hans-Adolf Hildebrandt
Diplom-Pädagoge, M.A., Kinder- und Jugendpsychotherapeut ­(bkj, DFT), Gruppenanalytischer Organisationsberater, und Diplom-Supervisor (D3G, DGSv), Gruppenpsychotherapeut (D3G), Forensischer Sachverständiger Familienrecht (IQfSV)
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Es gibt 12 Rezensionen von Hans-Adolf Hildebrandt.

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Zitiervorschlag
Hans-Adolf Hildebrandt. Rezension vom 17.12.2024 zu: Christine Bauriedl-Schmidt, Markus Fellner, Gregor Luks (Hrsg.): Politische Psychoanalyse. Zur Wiederkehr des Verdrängten in krisenhaften Zeiten. Brandes & Apsel (Frankfurt) 2024. ISBN 978-3-95558-357-6. Reihe: Jahrbuch für klinische und interdisziplinäre Psychoanalyse - 2. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32215.php, Datum des Zugriffs 24.01.2025.


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