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Antonio Scaglia: Max Weber - Der revolutionäre Wandel zur Moderne

Rezensiert von Marian Pradella, 26.08.2024

Cover Antonio Scaglia: Max Weber - Der revolutionäre Wandel zur Moderne ISBN 978-3-428-19120-8

Antonio Scaglia: Max Weber - Der revolutionäre Wandel zur Moderne. Nichtlegitime Herrschaft und Demokratisches Charisma. Duncker & Humblot GmbH (Berlin) 2024. 175 Seiten. ISBN 978-3-428-19120-8. D: 69,90 EUR, A: 71,90 EUR.

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Thema

Max Webers Oeuvre gilt unbestreitbar als fundamentaler Pfeiler in der Entwicklung des soziologischen Denkens, sowohl im deutschen Sprachraum als auch international. Das Interesse des vorliegenden Buches von Scaglia betrifft Webers „Universalgeschichte“, die die Genese der Moderne im Okzident ergründet und sich durch die Priorisierung von Rationalität und bürgerlichen Freiheiten auszeichnet, die letztlich zur Etablierung demokratischer Strukturen führten. Ein besonderes Augenmerk wird auf die Untersuchung der Stadt als potenzielle Form einer nicht-legitimen Herrschaft gelegt. Hierbei wird die These verfolgt, dass städtische Machtstrukturen sich von traditionellen, kaiserlich sanktionierten Legitimationsmustern abhoben und somit eine neuartige Herrschaftsform hervorbrachten.

Autor

Antonio Scaglia ist emeritierter Professor. Er lehrte und arbeitete an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften und Soziologie an der Università degli Studi di Trento, Italien.

Entstehungshintergrund

Das Buch würdigt – mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung – den hundertsten Todestag von Max Weber, der im Jahr 2020 starb. Es markiert zugleich den Abschluss der seit 1985 bestehenden italienisch-deutschen Schriftenreihe „Annali di Sociologia – Soziologisches Jahrbuch“ und wurde zeitglich in italienischer und deutscher Fassung veröffentlicht. Als Ausgangspunkt seiner erneuten Weber-Exegese dient dem Autor seine eigene, im Jahr 2001 publizierte, Studie „Max Webers Idealtypus der nichtlegitimen Herrschaft“.

Aufbau und Inhalt

Das Buch ist in vier Hauptteile gegliedert. Im ersten Teil werden die Forschungsziele und die methodologische Herangehensweise elaboriert. Zentral rekurriert Scaglia hierbei auf eine kritische Rezension von Wilfried Nippel zu seiner eigenen früheren Publikation „Max Webers Idealtypus der nichtlegitimen Herrschaft“ (2001). In diesem Zuge unternimmt er den Versuch, den Begriff der „nichtlegitimen Herrschaft“ als zentrales Konzept zu konturieren. Dieses werde, bspw. im Gegensatz zu den gemeinhin bekannten Weberschen Idealtypen legitimer Herrschaft (legale, traditionale und charismatische Herrschaft), von vielen Autor*innen (nach Scaglias Auffassung unberechtigterweise) nicht als zentrales Konzept bzw. als zusätzlicher Idealtypus des Weberschen Werkes berücksichtigt. Durchgängig gilt dabei dem Text „Die Stadt“ von Weber, der posthum veröffentlicht wurde und als unvollständig gilt, zentrale Aufmerksamkeit, wobei insbesondere die komplexe Text- und Editionsgeschichte einbezogen wird.

Diese Diskussion findet im zweiten Teil eine Fortführung, wobei nun zusätzlich unter anderem der staatssoziologische Vortrag Webers in Wien (1917) erörtert wird. Dabei steht Webers Perspektive zur Genesis und Evolution der okzidentalen Stadt im Fokus der Reflexionen Scaglias. Denn Weber argumentiert, dass erst im Okzident eine einzigartige Entwicklung stattfand: Die Abkehr von verwandtschafts- und stammesbasierten Gesellschaftsformen führte zur Entstehung individueller Zusammenschlüsse, aus denen sich ein selbstverwaltendes Bürgertum entwickelte. Scaglia diskutiert hierbei unter anderem sozialhistorische Aspekte urbaner Strukturen, Fragen der städtischen Jurisdiktion und die Interdependenz zwischen Stadtgemeinde und Feudalismus.

Der – im Verhältnis zu den anderen Teilen äußerst kurze – dritte Teil nimmt erneut den Wiener Vortrag als Referenzpunkt. Hier steht die Konzeptualisierung der nichtlegitimen Herrschaft in Relation zum antiautoritären Charisma im Zentrum, insbesondere mit Fokus auf die mittelalterlichen Städte Italiens.

Der abschließende vierte Teil widmet sich der Interrelation zwischen nichtlegitimer Herrschaft und demokratischem Charisma. In diesem Kontext werden kritisch perzipierte Fehlinterpretationen des Konzepts der nichtlegitimen Herrschaft einer analytischen Betrachtung unterzogen.

In allen Kapiteln wird durchgängig die akademische Kontroverse reflektiert, inwieweit ein mögliches Konzept der „nichtlegitimen Herrschaft“ als zentraler Bestandteil in Webers Stadtsoziologie zu verorten ist und dadurch auch die Gesamtdeutung des wissenschaftlichen Oeuvres von Weber verändern könnte. Während Scaglia aufzeigt, dass Wissenschaftler*innen unterschiedlicher Disziplinen der „nichtlegitimen Herrschaft“ in letzter Instanz gemeinhin wenig Bedeutung für Webers Werk beimessen, so versucht seine Analyse zu demonstrieren, dass die Reflexion darüber durchaus neue Perspektiven auf Weber eröffnen kann.

Diskussion

Scaglias Werk zeichnet sich durch ein tiefgehendes Verständnis des Weberschen Oeuvres aus und es demonstriert, dass trotz der Fülle existierender Weber-Interpretationen noch immer neue Facetten des Werks beleuchtet und diskutiert werden können. Der Autor führt dabei eine umfassende Auseinandersetzung mit anderen Weber-Forscher*innen, wobei er auch eine Vielzahl kritischer Stimmen zu seiner eigenen Position bzgl. der „nichtlegitimen Herrschaft“ zu Wort kommen lässt.

Allerdings erweist sich das Buch als äußerst voraussetzungsreich. Für Laien oder nur am Rande an Weber Interessierte dürfte der Zugang äußerst schwierig sein, nicht zuletzt aufgrund sprachlicher Komplexität und teilweise fehlender Stringenz. Einerseits hätte das Werk von einem sorgfältigeren Lektorat profitieren können, um Wortwiederholungen sowie grammatikalisch fehlerhafte oder gar unsinnig erscheinende Formulierungen zu eliminieren. Andererseits wirken manche Argumente und Formulierungen – was teilweise der Übersetzung geschuldet sein mag – unnötig kompliziert und verschachtelt, was die Klarheit der Argumentation beeinträchtigt. Als nur ein exemplarisches Beispiel sei folgender kurzer Abschnitt zitiert: „Webers Überlegungen zur herrschaftsfremden Umdeutung des Charisma (zu fremder Herrschaft) werfen ähnliche oder identische Fragen auf wie die nichtlegitime Herrschaft. Vielleicht sind es weder ähnliche noch identische Fragen, und darauf möchten wir auf jeden Fall eine Antworten geben. Als Antwort stellen wir in Wahrheit andere Fragen. […]“ (S. 124).

Fazit

Während Weber-Expert*innen in diesem Werk mit einiger Wahrscheinlichkeit durchaus neue Erkenntnisse finden werden, ist es für ein interessiertes Laienpublikum kaum zu empfehlen.

Rezension von
Marian Pradella
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Soziologie - Vergleichende Kultursoziologie und politische Soziologie Europas, Universität Siegen
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Es gibt 23 Rezensionen von Marian Pradella.

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Zitiervorschlag
Marian Pradella. Rezension vom 26.08.2024 zu: Antonio Scaglia: Max Weber - Der revolutionäre Wandel zur Moderne. Nichtlegitime Herrschaft und Demokratisches Charisma. Duncker & Humblot GmbH (Berlin) 2024. ISBN 978-3-428-19120-8. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32217.php, Datum des Zugriffs 12.09.2024.


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