Pascal Goeke, Evelyn Moser et al.: Stiftungen der Gesellschaft
Rezensiert von Prof. Dr. Jutta Schröten, 18.12.2024
Pascal Goeke, Evelyn Moser, Ramin Bahrami, Julia Burgold, Marc Mölders u.a.: Stiftungen der Gesellschaft. Zur organisierten Philanthropie der Gegenwart.
transcript
(Bielefeld) 2024.
322 Seiten.
ISBN 978-3-8376-6911-4.
D: 45,00 EUR,
A: 45,00 EUR,
CH: 54,90 sFr.
Reihe: Global Studies & Theory of Society - 7.
Entstehungshintergrund
Der vorliegende Band dokumentiert größtenteils, aber nicht ausschließlich den Prozess und die Ergebnisse des BMBF-finanzierten Forschungsprojekts „Wohlmeinende Autokratinnen in Demokratien. Im Schwerpunkt „Teilhabe und Gemeinwohl: Die Rolle der Zivilgesellschaft“ forschten die AutorInnen von 2019 bis 2023. Die Beiträge spiegeln nicht nur Forschungsergebnisse und Beobachtungen wider, sondern formulieren wissenschaftstheoretische Positionierungen, mit denen Reflexion von und für Stiftungen und Gesellschaft angeregt werden.
Aufbau
- Pascal Goeke, Evelyn Moser, Marc Mölders: Stiftungen der Gesellschaft. Einleitende Beobachtungen und Orientierungen
- Pascal Goeke, Evelyn Moser: Die Organisation der Stiftung. Eine organisationstheoretische Skizze.
- Julia Burgold: Zur Vermittlung von Privatinteresse und Gemeinwohl in Leitbildern des Stiftungsmanagements.
- Marc Mölders: Entrepreneure der Evolution? Wie philanthropische Organisationen die funktionale Differenzierung der Weltgesellschaft reparieren.
- Pascal Goeke und Galina Selivanova: ‚100 Resilient Cities‘ auf dem Weg zu einer resilienten Welt. Eine Studie zur philanthropischen Politik und organisationalen Programmatik der Rockefeller Foundation.
- Evelyn Moser: Philanthropische Inklusionen. Stiftungen in den Funktionssystemen der modernen Gesellschaft: Gesundheit, Erziehung, Kunst.
- Ramin Bahrami, Stiftungen als Wissenschaftsgestalterinnen
- Galina Selivanova und Tim Weber: Umweltstiftungen in Deutschland und weltweit. Selbstbeschreibungen zwischen Anthropozän und Biosphäre.
Inhalt
Die Autorinnen und Autoren erarbeiten ihre Erkenntnisse mit unterschiedlichen Methoden, deskriptiv, literaturbasiert, webbasiert, mit Interviews. Der Vielfalt ihrer Methoden entsprechend generieren sie zahlreiche sozialwissenschaftliche Erkenntnisse, deren Zusammenfassung allein schon den Rahmen sprengen würde. Alle Kapitel seien dennoch vorgestellt in gebotener Kürze.
Pascal Goeke, Evelyn Moser und Marc Mölders beschreiben in den einleitenden Beobachtungen einen Überblick über den Forschungsstand und Publikationen zum Stiftungswesen und der Verpflichtung zum Gemeinwohl. Dabei geben sie die Begriffe des „Schillerns“ von Stiftungen und deren „Vermögen“ als ersten Orientierungsrahmen vor. Es folgt ein knapper Überblick über die Geschichte des Stiftens mit den Etappen „Seelenheilstiftung“, „Gemeinwohl“, „Transformative Philanthropie“. In einem weiteren Abschnitt diskutieren die Autorinnen Komplexität und Widersprüchlichkeit der Rechtsform der Stiftung und deren Gestaltung in der Sphäre der Gemeinnützigkeit, Ihre These, dass insbesondere die moderne transformative Philanthropie die Gestaltung von Gesellschaft, Umwelt und Politik als Anspruch und strategisches Ziel erhebt, wird in den folgenden Beiträgen weiter formuliert und belegt. Allerdings – so die Autoren – formulieren Stiftungen und Philanthropinnen diesen Anspruch nicht, sondern arbeiten mit Begriffen wie „Impact“ und „Outcome“. Programme der Stiftungen kategorisieren die Autorinnen in „substitutive“, „kompetitive“ und „komplementäre“. Die die ersteren substituieren einen politisch- gesellschaftlichen ausbleibenden Bedarf, die zweite Kategorie tritt in einen Wettbewerb um die bessere Idee und das wirksamere Konzept für eine Problemlösung/eine Gesellschaftliche Herausforderung. Die letzte Kategorie formuliert eine neue Idee/Gestaltung, die gesetzt wird und die Implementierung den Kräften der Entwicklung überlässt. Diese transformative Philanthropie kann nicht ohne Widersprüche und Kritik bleiben. Die Autorinnen kategorisieren die kritischen Stimmen in die Insiderkritik, die sie als eher moderat charakterisieren. Die akademische oder Demokratiekritik trifft auf einen zentralen Punkt des Stiftungswesens: wer gibt und viel gibt, entscheidet, was mit den Mitteln geschieht, und nimmt folglich Einfluss auf die Gestaltung von Gesellschaft und Politik. Drittens wird die populistische Kritik identifiziert, Diese unterscheidet weniger zwischen Stiftungen und Stifterinnen und bringt massenmedial am Beispiel einzelner die Kritik in die Gesellschaft. Die Autorinnen formulieren drei „blinde Flecken“ in der Stiftungsforschung, die das gesamte Team im Forschungsprojekt bearbeitet hat. Erstens sind die zahlreichen Fallstudien zu einzelnen Stiftungen/​StifterInnen wenig theoretisch gerahmt. Zweitens sind die theoretischen Arbeiten zum Stiftungswesen reichhaltig und viele, beruhen jedoch auf demselben „normativen“ Duktus wie die Stiftungen selbst. Drittens führt die Analyse von Stiftungen als demokratisch bzw. undemokratisch in ein unauflösbares Paradoxon, je nach politischen Rahmenbedingungen einer Gesellschaft.
Systematisch und theoriegeleitet – so analysieren die Autorinnen in der Folge. Sie arbeiten zum einen mit organisationstheoretischen Theoriemodellen, um deskriptive und normative Literatur zugänglich zu machen. Zum anderen wird eine differenzierungstheoretische Perspektive eigenommen, die den jeweiligen individuellen Ausgestaltungen der Stiftungen so gerecht wie eben möglich werden will.
Pascal Goeke und Evelyn Moser erstellen im Kapitel „Die Organisation der Stiftung“ „eine organisationstheoretische Skizze“. Hauptthese ist, dass Stiftungen im Gegensatz zu anderen Organisationen relativ unabhängig von Ressourcen sind. Sie sind dem Gemeinwohl verpflichtet und die Zweckerfüllung ist permanente Praxis. Jedoch steigt die Komplexität dieser so scheinbar privilegierten Organisationen, wenn die Ziele, sprich, das Erreichen und Umsetzen der Satzungszwecke, ambitionierter werden. Insbesondere der Anspruch einer transformativen Philanthropie kann zu einem erhöhten Druck mit Blick auf die eigene Legitimation führen. Das Finden und Mobilisieren von Ressourcen für die sog. Transformation unterscheiden sich in der Konsequenz eben nicht mehr von Organisationen, die Ressourcen für ihr Überleben generieren müssen.
Anschließend fragt Julia Burgold nach der „Vermittlung von Privatinteresse und Gemeinwohl in Leitbildern des Stiftungsmanagements“. Sie beschreibt die auf der Ebene des Managements von Stiftungen auftretenden Konflikte zwischen den Interessen der Städterinnen und Stifter, hier „autokratisch“ genannt, sowie der Norm des Gemeinwohls, dem die Stiftung als selbstständige juristische Person verpflichtet ist und den Prinzipien einer betriebswirtschaftlichen Effizienz. Stiftungen haben die Möglichkeit, über ihre Satzungen, Ihre Leitbilder und ein durchdachtes strategisches Management, die identifizierten Konfliktfelder zu bearbeiten und weitgehend zu vermeiden.
Marc Mölders analysiert in seinem Beitrag „Entrepreneure der Evolution? Wie philanthropische Organisationen die funktionale Differenzierung der Weltgesellschaft reparieren“ mit dem Ergebnis, dass Stiftungen sich eher den aktuellen gesellschaftlichen Ungleichheiten widmen. Diese mit den eigenen Ressourcen zu bearbeiten, braucht aber eine Übersetzung in die Strukturen von Macht und Einfluss (Lobbyismus?), um wirken zu können.
Pascal Goeke und Galina Selivanova fassen ihre Forschungsergebnisse zu den „100 Resilient Cities‘ auf dem Weg zu einer resilienten Welt“ zusammen. Mit organisatorischen Kapazitäten, globalen Ansprüchen und Ressourcenausstattung wollte die Rockefeller Foundation 100 Städte weltweit resilient machen. Wesentlich Erkenntnis ist, dass nicht allein die finanzielle Ausstattung von Projekten zur Zweckerfüllung und auch nicht der gute Wille bzw. die Absicht entscheiden. Über Erfolge von „philanthropischer Politik und organisationalen Programmatik“ entscheiden vielfältige und diverse Umstände in der Durchführung und Umsetzung.
Evelyn Moser untersucht, inwieweit Stiftungen mit dem Geben von Ressourcen an der Gestaltung von Inklusion mitwirken. Sie unterscheidet dabei die Inklusiven Konzepte mit Leistungs- und Publikumsrollen, die sie in Erziehung und Gesundheit identifiziert und medienbasierte (Kunst). Die wesentliche Erkenntnis ist dabei, dass auch Stiftungen in den unterschiedlichen Kontexten der Inklusion auf Reibungsflächen und Asymmetrien in Umsetzung und Förderung stoßen.
Ramin Bahrami erforscht explorativ, inwieweit Stiftungen sich als Wissenschaftsgestalterinnen betätigen. Auch hier sind die Stiftungen an vielfältigen gesellschaftlichen und organisatorischen Schnittstellen tätig und unterschiedlichen, sich wiedersprechenden Logiken, Erwartungen und Leitbildern umgehen.
Galina Selivanova und Tim Weber erforschen anhand von Daten, Zahlen und Webauftritten von Umweltstiftungen in Deutschland und weltweit, wie sich die ausgewählten Stiftungen für ökologische Themen engagieren und ihre Mittel adressieren. Zwei Stränge der Förderung lassen sich identifizieren: zum einen für Stiftungen, die den Erhalt der Biosphäre unterstützen, also direkt Projekte für die Natur fördern. Der weitere Strang ist in der Denkschule des Anthropozäns verankert und fördert Veränderungen in Produktion und Konsum, also der neuen Ökonomie(n).
Diskussion
Das Autorenteam hat den Anspruch, Stiftungen in der Gesellschaft theoriebasiert zu untersuchen, eingelöst. Im vorliegenden Band stecken zahlreiche Erkenntnisse, Impulse zum Weiterdenken, Kategorisierung von Erkenntnissen. Dankenswerterweise haben sie den Titel der Forschungsmittel „Wohlmeinende Autokratinnen in Demokratien. Gemeinwohlvorstellungen von Stiftungen und der Faktor Partizipation« ersetzt, denn eine solche Kategorisierung der „wohlmeinenden Autokratien“ dürfte in einer Gesamtschau den Stiftungen, zumindest national, kaum gerecht werden. Die soziologische Perspektive und Theoriebasierung, die die Autorinnen im vorliegenden Band der Öffentlichkeit zugänglich machen, kann ein Auftakt für weitere Forschung sein. Diese könnte noch stärker interdisziplinär ausgerichtet sein. Die „unendlich vielen Forschungsansätze“, die das Autorenteam ausgemacht hat, sind eher noch zu wenige. Die Basis der vorgelegten organisationstheoretischen und differenzierungstheoretischen Ansätze sind ein erster Schritt der Systematisierung. Weitere systematische Forschung und Übergang in z.B. ein Lehrbuch werden nur noch auf dieser Basis arbeiten können. Interdisziplinäre Gespräche mit den Deutungskategorien Recht und Gemeinnützigkeit sind hier an erster Stelle zu nennen. Denn für die (Selbst)-Verpflichtungen, die Stiftungen über ihre Satzungen und die Pflicht zur Zweckerfüllung eingehen, sind diese Kategorien tägliche Realität. Insbesondere die sozialwissenschaftliche Analyse des Gemeinnützigkeitsrechts dürfte für Stiftungen (und andere Rechtsformen) eine dringliche Angelegenheit sein.
Des Weiteren sind Perspektiven der sozial- und politikwissenschaftlichen, anthropologischen und wirtschaftswissenschaftlichen Forschung lohnend. Der Ansatz, weniger normativ, sondern deskriptiv und analytisch zu arbeiten, weist in diese Richtung. Eine wesentliche Erkenntnis ist dem Forschungsprojekt und der Forschungsgruppe zu verdanken: die anthropologisch-sozialwissenschaftliche Analyse der Gabe und Reziprozität wird um einige Denkfiguren, der Transformation, aber auch der politischen Einflussnahme und Gestaltung der Welt erweitert. Hier wäre weiter zu denken, ob Menschen sich zusammentun und durch die Gründung von Stiftungen (und ggf. anderen Rechtsformen) dem Argument der kumulativen Vermögen zumindest ein wenig die Basis entziehen. Sind doch die Mehrzahl der Stiftungen eher mit einem kleinen Vermögensstock ausgestattet worden. Doch ist den Autorinnen zuzustimmen, dass die „Großen“ die Wahrnehmung in Öffentlichkeit und Gesellschaft bestimmen. Auch hier wäre differenzierte Forschung und Wahrnehmung eine Basis, um künftige Diskussionen zu gestalten.
Fazit
Nicht nur zur Weihnachtszeit und am Ende des (Steuer)- Jahres sind das Geben und die ewige Frage nach der (Mit)-Gestaltung von Gesellschaft und dem Weg in eine (bessere) Zukunft ein zentrales Thema. Dank des Autorenteams gibt es dafür nun einige Theoriepfade mehr.
Rezension von
Prof. Dr. Jutta Schröten
Sozialpolitik und Soziale Ökonomie; Studiengangleitung Bachelor Soziale Arbeit Präsenz VZ/TZ; Studiengangleitung Master Sozialmanagement
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Es gibt 3 Rezensionen von Jutta Schröten.
Zitiervorschlag
Jutta Schröten. Rezension vom 18.12.2024 zu:
Pascal Goeke, Evelyn Moser, Ramin Bahrami, Julia Burgold, Marc Mölders u.a.: Stiftungen der Gesellschaft. Zur organisierten Philanthropie der Gegenwart. transcript
(Bielefeld) 2024.
ISBN 978-3-8376-6911-4.
Reihe: Global Studies & Theory of Society - 7.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32235.php, Datum des Zugriffs 24.01.2025.
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