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Markus Brodthage, Dieter Krimphove (Hrsg.): Zugänge zu Recht und Religionen

Rezensiert von Prof. Dr. Hartmut Kreß, 02.12.2024

Cover Markus Brodthage, Dieter Krimphove (Hrsg.): Zugänge zu Recht und Religionen ISBN 978-3-7560-1357-9

Markus Brodthage, Dieter Krimphove (Hrsg.): Zugänge zu Recht und Religionen. Interdisziplinäre Sondierung eines weiten Forschungsfeldes. Nomos Verlagsgesellschaft (Baden-Baden) 2024. 316 Seiten. ISBN 978-3-7560-1357-9. 89,00 EUR.
Reihe: Recht und Religionen - 2.

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Thema

Das Buch bildet den zweiten Band der Reihe „Recht und Religionen“, die laut Klappentext „multidisziplinär dem Spannungsverhältnis dieser beiden Grundbedingungen gesellschaftlichen Zusammenlebens“ nachgeht. Er behandelt ganz unterschiedliche Themen, die mit dem Zusammenhang zwischen Gesichtspunkten des Rechts und Religionen zu tun haben sollen.

Herausgeber:innen

In dem Buch finden sich Beiträge von 14 AutorInnen aus verschiedenen Fachdisziplinen und Professionen. Der Herausgeber Markus Brodthage ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Katholische Theologie an der Universität Halle-Wittenberg; der Herausgeber Dieter Krimphove lehrt Wirtschaftsrecht in der Universität Paderborn.

Entstehungshintergrund und Aufbau

Der erste Band der Buchreihe war im Jahr 2023 unter dem Titel „Recht und Religionen im Weimarer Dreieck“ erschienen. Er hatte sich mit Aspekten der religionsbezogenen Rechtsordnung in Frankreich, Deutschland und Polen befasst. Der jetzige Band untergliedert sich in fünf Teile, die disparaten Fragestellungen gewidmet sind.

Inhalt

Der erste Buchteil mit drei Aufsätzen trägt die Überschrift „Religionswissenschaft, Rechtswissenschaft und Theologie“.

  • Ein erster Aufsatz erörtert unter dem Titel „Montagen von Recht und Religion“ generell das Beziehungsgeflecht dieser beiden Phänomene. Der Autor David Atwood gelangt zu der These, letztlich seien sie „ununterscheidbar“ (S. 31). Daher spielt er auf das vielzitierte Diktum des Juristen Ernst-Wolfgang Böckenförde aus dem Jahr 1967 an – „Der freiheitliche, säkulare Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann“ – und wandelt es ab: „Wir leben von Voraussetzungen, die wir verdrängt haben, etwa der Referenz des Präambelgottes oder des Volkskörpers als Referenzen der Souveränität“ (S. 30).
  • Die beiden Herausgeber des Buches haben gemeinsam einen Aufsatz verfasst, den sie unter die Überschrift „Auslegungssache“ gestellt haben. Im Schwerpunkt vergleichen sie die heute gebräuchliche juristische Methodenlehre, die sich auf Friedrich Carl von Savigny zurückführen lässt, mit den Methoden, die die akademische Theologie in der Moderne zur Auslegung alt- und neutestamentlicher Texte entwickelt hat (S. 35–58).
  • Der nachfolgende Aufsatz verhandelt ein Spezialthema. Jan-Luca Helbig und Jonas Maria Hoff vergleichen die Verwendung des Losverfahrens in der Religionsgeschichte mit der Nutzung des Loses im weltlichen Recht, von der der heutige weltliche Gesetzgeber in Deutschland jetzt aber Abstand genommen habe (S. 77). Beim Losverfahren zeige sich die Grenze menschlicher Begründungsfähigkeit (S. 79).

Der zweite Buchteil soll soziologische, ethnologische und kulturwissenschaftliche Zugänge zu Recht und Religion zeigen.

  • Zunächst gibt Stefan May, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Soziologie in der Universität München, die von dem Soziologen Hans Joas vertretene Ansicht wieder, die heutige Idee der Menschenrechte beruhe darauf, dass in der Moderne eine Sakralisierung der menschlichen Person stattgefunden habe (S. 87–112).
  • Sodann erörtert der Soziologe Thorsten Benkel eine ganz andere Thematik: Empirisch gesehen schlage sich die menschliche Sehnsucht nach Transzendenz, die in den Religionen seit alters zum Ausdruck gebracht werde, heute abgewandelt im Heilpraktikerwesen nieder (S. 120 ff.).
  • Nochmals völlig anders gelagert: Die Ethnologin Anna-Lena Wolf interessiert sich für „sozial- und kulturanthropologische Zugänge zu Religionen und Recht“. Im Schwerpunkt konzentriert sie sich auf das katholische Kirchenrecht, das von der Kirche selbst als göttliches Recht (ius divinum) begriffen wird. Dieses lasse sich in unterschiedlicher Perspektive interpretieren, z.B. theistisch, agnostizistisch oder atheistisch (S. 144 f.).
  • Ein vierter Aufsatz des Buchteils, geschrieben von Jan Christoph Suntrup, betrachtet die religiöse und die rechtliche Dimension der Eidesleistung (S. 153–174).

Im dritten Buchteil geht es um die Sicht von Religion und Recht in Wirtschafts- und Politikwissenschaft.

  • Unter der Überschrift „Die Ökonomik des Glaubens und der Religion“ erwähnt Dieter Krimphove, die Disziplin der Religionsökonomie habe sich erst in den 1980er Jahren ausgebildet (S. 180). Sie gehe u.a. dem Stellenwert nach, den Religion als Wirtschaftsfaktor oder als ökonomisch relevanter Kulturfaktor besitze. Im Ergebnis meint der Autor, das Bemühen, Glaube oder Religion wirtschaftswissenschaftlich zu deuten, sei „zum Scheitern“ verurteilt (S. 194, S. 198).
  • Sodann setzt sich der Publizist Andreas Püttmann mit dem zivilen Ungehorsam auseinander, also mit der Verweigerung von Gesetzesgehorsam und mit formal rechtswidrigen Aktionen, die z.B. AnhängerInnen des Christentums um politischer Ziele willen praktizieren. Ihnen könne es beispielsweise um den Klimaschutz gehen (S. 207). Der Autor gelangt zu einer äußerst skeptischen Einschätzung. Ziviler Ungehorsam sei prinzipiell nicht geeignet, nicht erforderlich sowie unverhältnismäßig, um die von ihm proklamierten Ziele zu erreichen (S. 219 ff.). Er sei gesinnungsintensiv und könne „durchaus zur Vorstufe von Terrorismus werden“ (S. 227). Aus der christlichen Idee der Nächstenliebe resultiere vielmehr das Leitbild des Rechtsgehorsams (S. 236).

Der vierte Buchteil steht unter der Überschrift „Architektur“. Die beiden Architekten Ansgar Schulz und Benedikt Schulz schildern am Beispiel der Propsteikirche in Leipzig und der Kirche St. Rochus in Düsseldorf, unter welchen gedanklichen und ästhetischen Gesichtspunkten sie die beiden katholischen Sakralbauten konzipiert haben (S. 245–264).

Im fünften Buchteil lassen sich Aufsätze unter dem Vorzeichen „Literaturwissenschaft und Journalismus“ nachlesen.

  • Der Literaturwissenschaftler Wolfgang Braungart beschäftigt sich mit der von Friedrich Schiller verfassten Tragödie Maria Stuart. Er erwähnt einen Brief, den Goethe im Juni 1800 aufgrund der Aufforderung des Herzogs Carl August an Schiller schrieb. In dem Brief bat er ihn darum, die Szene aus dem Stück herauszunehmen, die ein Abendmahl, eine Kommunion der Königin darstellte. Hierzu vermerkt der Autor, damals sei man noch nicht in der Lage gewesen, ein religiöses Ritual, die Kommunion, verfremdet in einem Kunstwerk zu akzeptieren (S. 277 ff.). Auf der Grundsatzebene betont er, Literatur leite zur Selbstreflexion und zur Kommunikation an (S. 293), wodurch auch das Rechtswesen entlastet werde könne (S. 292).
  • Den abschließenden Aufsatz verfasste die Journalistin Magdalena Thiele: „An welchem Tag schuf Gott die Medien? Eine journalistische Perspektive zu einem komplexen Beziehungsgefüge“ (S. 297). Ihr zufolge können Religion und Jounalismus „nur schwerlich zusammenfinden“, obwohl für beide die Prinzipien „Mehr Mut, mehr Offenheit, mehr Sinnsuche“ leitend seien (S. 311).

Diskussion

Einzelne Beiträge des Buches sind, für sich genommen, lesenswert. Dies gilt etwa für den im vierten Buchteil aufzufindenden Artikel über Sakralbauten. Darüber hinaus enthält das Buch manche interessanten Einzelhinweise. Insgesamt fehlt ihm jedoch eine nachvollziehbare Konzeption, da er Aufsätze, die mit „Recht und Religionen“ zu tun haben sollen, zusammenhanglos nebeneinanderstellt. Eine Leitfrage, die dem Buch prägnant zugrunde läge, ist für den Rezensenten nicht ersichtlich geworden. Manche Aufsätze berühren das Rahmenthema, den Zusammenhang von Recht und Religionen, wenig, fast gar nicht oder nur locker.

Inhaltlich enttäuschend ist aus Sicht des Rezensenten der Aufsatz von Krimphove ausgefallen, der Glaube und Religionen wirtschaftswissenschaftlich analysiert. Dies gilt schon deshalb, weil er die enorme Wirtschaftsmacht der Kirchen abblendet, die in der Bundesrepublik Deutschland nach dem staatlichen öffentlichen Dienst der größte Arbeitgeber sind. Über einzelne Beiträge müsste man genauer diskutieren. Im zweiten Buchteil ist ein Aufsatz abgedruckt, der die Menschenrechte betrifft. Er klammert aus, dass noch heute zwischen Kirchen und Religionen einerseits, der neuzeitlich-modernen Idee der Menschenrechte andererseits ein z.T. beklemmendes Spannungsverhältnis besteht. Vielmehr konzentriert er sich auf eine Spezialfrage, die Herleitung der Menschenrechtsidee durch Hans Joas, ohne aber auf Schwachpunkte der von ihm dargestellten Position einzugehen. Kritischer Diskussion bedürfen z.B. die Überlegungen Andreas Püttmanns im dritten Buchteil zum zivilen Ungehorsam. Dem Autor ist zuzustimmen, dass konkrete Projekte des zivilen Ungehorsams an den Kriterien geeignet – erforderlich – verhältnismäßig zu bemessen sind. Das Nein, das er zu jeder Form eines ethisch oder auch religiös motivierten zivilen Ungehorsams ausspricht, fällt aber zu pauschal aus und kann so nicht überzeugen.

Fazit

In dem Buch sollen aus der Perspektive unterschiedlicher Fachdisziplinen Korrelationen zwischen Recht und Religionen erschlossen werden. Indessen fehlen ein präzis formulierter Leitgedanke und ein roter Faden, der die Beiträge miteinander verknüpft hätte. Das Buch präsentiert eine Materialsammlung mit Aufsätzen, die zu „Recht und Religionen“ einige, ggf. auch relevante Teilaspekte auflisten; manche Aufsätze betreffen „Recht und Religionen“ freilich allenfalls randständig oder indirekt.

Rezension von
Prof. Dr. Hartmut Kreß
Professor für Sozialethik an der Universität Bonn
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Es gibt 20 Rezensionen von Hartmut Kreß.

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Zitiervorschlag
Hartmut Kreß. Rezension vom 02.12.2024 zu: Markus Brodthage, Dieter Krimphove (Hrsg.): Zugänge zu Recht und Religionen. Interdisziplinäre Sondierung eines weiten Forschungsfeldes. Nomos Verlagsgesellschaft (Baden-Baden) 2024. ISBN 978-3-7560-1357-9. Reihe: Recht und Religionen - 2. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32248.php, Datum des Zugriffs 24.01.2025.


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