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Philipp Gräfe, Liz Marla Wehmeier et al.: Digitalisierung der Verwaltung in Deutschland

Rezensiert von Prof. Dr. Paul Brandl, 25.06.2024

Cover Philipp Gräfe, Liz Marla Wehmeier et al.: Digitalisierung der Verwaltung in Deutschland ISBN 978-3-7560-1704-1

Philipp Gräfe, Liz Marla Wehmeier, Jörg Bogumil, Sabine Kuhlmann: Digitalisierung der Verwaltung in Deutschland. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Nomos Verlagsgesellschaft (Baden-Baden) 2024. 196 Seiten. ISBN 978-3-7560-1704-1. 49,00 EUR.
Modernisierung des öffentlichen Sektors ("Gelbe Reihe") - SB 53.

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Die Autor:innen

Jörg Bogumil ist Professor und Inhaber des Lehrstuhls für öffentliche Verwaltung, Stadt- und Regionalpolitik für Ruhr-Universität Bochum, an der Fakultät für Sozialwissenschaft

Philipp Gräfe ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für öffentliche Verwaltung, Stadt- und Regionalpolitik für Ruhr-Universität Bochum mit den Forschungsfeldern Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung, Datenökonomie und Politik der Datenökonomie, Politische Ökonomie der Europäischen Union, European Economic Governance

Sabine Kuhlmann hat eine Professur Politikwissenschaft, Verwaltung und Organisation an der Universität Potsdam mit folgenden Schwerpunkten: Vergleichende Verwaltungswissenschaft, Verwaltungsmodernisierung/​Public-Sector-Reforms, Better Regulation/Bürokratieabbau, Digitalisierung der Verwaltung, Verwaltung und Krisen(-management), vergleichende Kommunalforschung, Dezentralisierung/​Mehrebenensysteme, vergleichende Verwaltungswissenschaft

Liz Marla Wehmeier ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur Politikwissenschaft, Verwaltung und Organisation an der Universität Potsdam. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Digitalisierung im öffentlichen Sektor, e-Administration, e-Government, Public Policy, Kritische Theorie, Gender Studies

Thema und Zielsetzung

Digitalisierung kommt in der Verwaltung in Deutschand recht langsam voran. In dieser Publikation wird daher die Digitalisierung in fortgeschrittenen Bereichen betrachtet. Es werden die Organisation, die Arbeitsprozesse und -bedingungen analysiert sowie die Erfolgsfaktoren und Digitalisierungshemmnische herausgearbeitet. Die zugrunde liegende Studie arbeitet an drei Kernbereichen:

  1. Welche Digitale Reife wurde erreicht und wie ist der Umsetzungsprozess ausgestaltet?
  2. Welche digitalisierungsbedingten Personal-, Organisations- und Leistungsveränderungen gibt es in den Untersuchungsbereichen?
  3. Wie können bestehende Problemlagen überwunden und negative Digitalisierungseffekte vermieden werden?

Zur Beantwortung dieser Forschungsfragen wurden bewusst fortgeschrittene Digitalisierungsprozesse im öffentlichen Sektor ausgewählt. Diese Leistungsbereiche bilden auch den Kern der empirischen Analyse:

  1. KfZ-Zulassung
  2. Untere Bauaufsicht (Baugenehmigung)
  3. Steuerverwaltung (Einkommensteuererklärung)
  4. Elternleistungen rund um die Geburt eines Kindes

Methodisch stützt sich diese Untersuchung auf eine Kombination von quantitativen und qualitativen Erhebungsschritten. Es wurden 4 Fallstudien durchgeführt, die auf 70 Interviews mit Führungskräften, Sachbearbeitern, Regierungsvertretern sowie weiteren Stakeholdern basieren. Des weiteren wurde eine quantitative, deutschlandweite Verwaltungsbefragung durchgeführt. Dazu wurden Personalräte und Beschäftigte in allen Baugenehmigungs- und KfZ-Zulassungsbehörden sowie Beschäftigte aus den Finanzämtern befragt. Die Elternleistungen wurden ausgenommen, da es deutschlandweit wenig Kombiangebot gibt. Eine Flächendeckung wäre hier nicht gegeben. Inhaltlich wird zunächst der theoretische Rahmen sowie die Hauptkategorien der Untersuchung vorgestellt – inclusive der Barrieren der Digitalisierung. Sodann wird das methodische Vorgehen und die Auswahl der Leistungsbereiche erläutert. Anschließend werden die Ergebnisse der vier Leistungsbereiche dargestellt: institutionelle Rahmenbedingungen, Implementationsprozesse und Akteure sowie die organisatorischen, personellen und leistungsbezogenen Auswirkungen der Digitalisierung betrachtet – gefolgt von einer Zusammenfassung im nachfolgenden Kapitel. Zum inhaltlichen Überblick

Theoretischer Rahmen

Der theoretische Rahmen umfasst vier Kapitel beginnend mit der Digitalisierung – begriffen als Verwaltungsreformprozess. Darauffolgend werden die Entwicklungsstufen der Digitalisierung in drei Phasen gegliedert, lehnen sich aber an kein Reifekonzept des Qualitätsmanagements an. Beginnend bei Digitalization, Digitalisierung und digitaler Transformation wird auf das Konzept der „digital maturity“ zurückgegriffen, das sich als Instrument zur Erhebung von Digitalisierungsforschritt versteht. Dazu greift man auf folgende Entwicklungsstufen zurück:

  • Information
  • Kommunikation
  • Transaktion
  • Integration
  • Automatisierung

Von jeder Entwicklungsstufe gibt es zwei Ausprägungen: Die Interaktion von Bürger und Verwaltung sowie die inter- und Intrabehördliche Interaktion. Dem stellen die Autoren die Digitalisierungsbarrieren (rechtlich, personell, technologisch und eigentlich auch finanziell) zur Seite gefolgt vom Analysekonzept, den Ausgangsthesen und den Untersuchungsdimensionen.

Methodisches Vorgehen

Empirisch stellen die Autoren auf den Einzelfall ab, um eine saubere Abgrenzung vornehmen zu können. Dieses fallstudienbasierte Vorgehen soll so die Aussagekraft erhöhen und die Variablen besser darstellbar zu machen. Die gemeinsame Aussagekraft lässt sich laut Autoren damit schlechter generalisieren.

Die vier Fälle sind jeweils in einem fortgeschrittenen Digitalisierungsstadium in unterschiedlichen Bereichen der Verwaltung, sodass auch ein Ranking hinsichtlich des Reifegrades wenig aussagekräftig ist. Die Vielzahl der geführten Interviews lässt sich nur auf den jeweiligen Fall zuordnen, womit bewusst auf Repräsentativität verzichtet wird.

Digitalisierung der KfZ-Zulassung

Nach der Beschreibung der Bedeutung und der Aufgaben der KfZ-Zulassung wird speziell auf die Digitalisierbarkeit des KfZ-Zulassungsverfahrens eingegangen und die Informationswege der KfZ-Zulassung dargestellt. Anschließend werden die rechtlichen Rahmenbedingungen dargestellt, wobei bei der i-Zulassung an den bestehenden Strukturen festgehalten wird. Diesem Kapitel folgen Aussagen zu den Promotoren der Digitalisierung sowie den Barrieren der Digitalisierung. Auch auf „Prozessveränderungen“ wird eingegangen. Das Kapitel startet bei der Ausgangslage und Implementierung, um dann auf die organisationalen, personalbezogenen und leistungsbezogenen Veränderungen einzugehen. Daraus werden Schlußfolgerungen gezogen.

Digitalisierung der Bauaufsicht

Auch dieser Bereich wird entsprechend der obigen Kriterien dargestellt. Es wird wieder bei der Ausgangslage und dem Implementierungsprozess begonnen sowie der aktuelle Stand vorgestellt. Anschließend wird wieder auf die organisationalen, personalbezogenen und leistungsbezogenen Veränderungen eingegangen. Es wird wieder auf die beiden Dimensionen „Interaktion von Bürger und Verwaltung“ sowie die „Inter- und Intrabehördliche Interaktion“ eingegangen.

Digitalisierung der Steuerverwaltung

Dieser Bereich unterscheidet sich schon allein durch die Art der Aufgabenstellung. Start ist wieder die Ausgangslage und der Implementierungsprozess sowie der aktuelle Stand der Digitalisierung. Anschließend wird wieder auf die organisationalen, personalbezogenen und leistungsbezogenen Veränderungen eingegangen, wobei erstmals in der Publikation auf die Qualität der Verwaltungsverfahren explizit eingegangen wird. Die vergleichsweise langjährige Digitalisierungserfahrung in diesem Bereich wird besonders hervorgehoben.

Digitalisierung von Elternleistungen

Dieser Bereich zeichnet sich durch große Heterogenität aus, weshalb auch auf einzelne Fallbeispiele in Städten zurückgegriffen wird. Es wird auch auf zwei Teilprojekte “ELFE“ und wie „Einfach zum Kindergeld“ eingegangen. Eine sehr kasuistische Vorgangsweise. Spürbar hat dieser Bereich noch am wenigsten Erfahrung im Bereich der Digitalisierung.

Digitalisierung der Verwaltung im sektoralen Vergleich

Der Vergleich wird an folgenden Kriterien festgemacht:

  • Stand der Digitalisierung
  • Steuerung der Digitalisierungsprozesse
  • Belastungslagen im Vergleich
  • Auswirkung der Digitalisierung auf die Leistungserbringung, Einflussfaktoren und Zufriedenheit
  • Mitbestimmung und Partizipation

Fazit der Publikation

Der förderale Vollzug der Verwaltung hemmt die Geschwindigkeit und es gibt ein nebeneinander von analogen, gemischten und digitalen Arbeitsweisen. Auf die Digitalisierungsgewinne wird noch gewartet, ebenso auf die Leistungsverbesserungen. Der Arbeitsdruck steigt auf Grund von fehlender Struktur- und Prozessverbesserung.

Diskussion

Ausgangspunkt ist der theoretische Rahmen, in dem die Vorgangsweise nach dem Motto „Weiter wie bisher“ dargestellt wird. Damit werden die erzielten Teilerfolge aus dieser Sicht erklärbar. Eine fehlende Strukturänderung zusammen mit einer konsequenten Prozessorganisation als Grundlage fehlt, womit die Hauptarbeit erst getan werden muss. Die Ergebnisse sind sehr aufwendig empirisch erarbeitet und es bedarf „mehr Mut“ zu großen Veränderungen, auch wenn es vorübergehend zu mehr Belastung der Mitarbeiter:innen kommt – eine normale Erscheinung in Veränderungsprojekten. Selbst diese komplizierte Herangehensweise bringt den oben beschriebenen Befund, womit viel Energie in die detaillierte Beschreibung des IST-Zustandes und wenig Energie in die Weiterarbeit im Sinne der Lösungsorientierung gesteckt wird.

Die Publikation zeigt die Grenzen der funktionalen Organisation gut auf. Alle gut gemeinten Bemühungen haben mit den beschriebenen Schwierigkeiten zu kämpfen und schaffen/ermöglichen nicht den eigentlich erwarteten Output, der nur durch die konsequente Anwendung der Theorie der Prozessorganisation möglich würde. Gleichzeitig werden mögliche Konflikte durch notwendige, strukturelle Veränderungen, die erfahrungsgemäß mit der Prozessorganisation einhergehen, vermieden – eine Erscheinung nicht nur in der BRD. Vorbilder aus der Produktion weisen auf das Wertschöpfungspotenzial der Prozessorganisation bei Produktion und Dienstleistungen hin. Zahlreiche Beispiele der Gestaltung der Prozesse mittlerweile auch aus Kund:innensicht belegen dies.

Fazit

Insgesamt eine recht gute Arbeit, die beispielhaft die Grenzen der funktionalen Organisation in Veränderungsprozessen aufzeigt. Die Weiterarbeit in Richtung einer Lösungsorientierung bleibt den Leser:innen.

Rezension von
Prof. Dr. Paul Brandl
war Professor für Organisationsentwicklung und Prozessmanagement an der FH Oberösterreich, Department für Sozial- und Verwaltungsmanagement und ist Berater insbesondere für die prozessbasierte Optimierung und Neugestaltung von sozialen Dienstleistern
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Es gibt 127 Rezensionen von Paul Brandl.

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ISSN 2190-9245