Klaus Günther, Daniel Thym et al. (Hrsg.): Zusammenhalt durch Recht?
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 17.06.2025

Klaus Günther, Daniel Thym, Uwe Volkmann (Hrsg.): Zusammenhalt durch Recht?
Campus Verlag
(Frankfurt) 2024.
184 Seiten.
ISBN 978-3-593-51812-1.
D: 30,00 EUR,
A: 30,90 EUR.
Reihe: Gesellschaftlicher Zusammenhalt - Band 1.
Thema
Wer über das, was eine Gesellschaft zusammenhält, reden will, darf vom Recht nicht schweigen. Recht als Ordnungs-, Organisations-, Befriedigungs- und Integrationsmacht ist Grundlage für die globale Ethik, wie sie in der Menschenrechtsdeklaration von 1948 zum Ausdruck kommt, als Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt. Rechtssicherheit ist Lebenssicherheit! Es sind die demokratischen Werte, die es zu leben gilt.
Entstehungshintergrund und Herausgeberteam
Das Forschungsinstitut „Gesellschaftlicher Zusammenhalt“ ist ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) 2020 gegründeter und geförderter Forschungsverbund von Hochschulen (TU Berlin, Bielefeld, Bremen, Frankfurt/M., Halle-Wittenberg, Hannover Konstanz, Leipzig). Bei der Tagung „Theorien, Politik und Kulturen des Zusammenhalts“ vom 11. – 12. 11. 2021 wurden die (kontroversen) gesellschafts-politischen Fragen zum Recht und Zustand einer politischen Gemeinschaft diskutiert. Der demokratische Rechtsstaat steht immer in der Gefahr, von ego-, ethnozentristischen, rassistischen, faschistischen, rechtsradikalen und populistischen Mächten unterwandert und ausgehebelt zu werden. Der Würzburger Rechtstheoretiker und Strafrechtler Klaus Günther, der Konstanzer Europa- und Völkerrechtler Daniel Thym und der Frankfurter 00Rechtsphilosoph Uwe Volkmann geben den Tagungsband heraus.
Inhalt
Neben der Einführung in die Thematik durch das Herausgeberteam, in der die historischen Zusammenhänge, die Entwicklungen, Dissonanzen und Krisen thematisiert werden, setzt sich Klaus Günther mit dem Beitrag „Kein gesellschaftlicher Zusammenhalt ohne Recht – kein Recht ohne gesellschaftlichen Zusammenhalt?“ damit auseinander, wie Re-Konstruktionen zwischen Menschenrechten und nationalstaatlicher Verfassung zustande kommen können. Bei der unterschiedlichen Sichtweise der Bedeutung des Rechts – Ohne Zusammenhalt gibt es kein Recht. Recht ist gesellschaftlich – wird im Diskurs auf die unverbrüchlichen, nicht relativierbaren, allgemeingültigen Menschenrechte verwiesen. Es ist das klassische (Hegelsche) Wissen, dass es das höchste Recht des Individuums sei, nur das anzuerkennen, was vernünftig ist. Er formuliert die These, „dass nicht primär das Recht konstitutiv für den Zusammenhalt, sondern umgekehrt dieser konstitutiv für das Recht“ ist. “Die Assoziation zu einer nationalen Rechtsgemeinschaft ist … das Ergebnis des Entschlusses, die universelle Assoziation der Menschenrechtssubjekte … zu verwirklichen“.
Uwe Volkmann formuliert mit dem Beitrag „Sozialer Zusammenhalt und allgemeine Rechtsidee“ Ziele und Aufgaben eines humanen Rechtsempfindens als liberales und ordnungsbewusstes Denken und Handeln. Es sind die Werte und Normen, wie sie im kategorischen Imperativ (Kant) zum Ausdruck kommt, und als verbindende Kraft wirkt.
Die Rechtsphilosophin Laura Münkler von der Würzburger Julius-Maximilians -Universität in Würzburg fragt „Zusammenhalt qua Verfassungspatriotismus?“ und setzt sich mit der „rechtlichen Konstruktion gesellschaftlichen Zusammenhalts und dem Zauber der Symbolik“ auseinander. Es ist der Spagat zwischen patriotischem und normativem Denken und Handeln, dem es zu bewältigen gilt.
Der(em.) Rechtswissenschaftler Günter Frankenberg von der Frankfurter Goethe-Universität diskutiert mit „Tocquville vertrauen?“ die Bereitschaft, Risiken einzugehen. Es sind die historischen und aktuellen Diskurse, wie Vertrauen entsteht [1]. Die Nachfrage bei Alexis de Tocqueville (1805 – 1859) und anderen ergibt, dass die Einstellungen und Verhaltensweisen, Vertrauen durch Konfliktbewusstsein zu gewinnen, ein Ausweg aus dem Dilemma der ego-, ethnozentristischen, rassistischen, nationalistischen, antidemokratischen und populistischen Entwicklungen sein könnte.
Daniel Thym setzt sich mit der Frage „Integration durch Recht?“ damit auseinander, wie die rechtliche Gemeinschaftsbildung in der Europäischen Union geregelt ist und wirkt. Die EU als „Schöpfung des Rechts“ (Walter Hallstein) und „Rechtsgemeinschaft“ ist darauf angewiesen, die verfassten Rechte auch anwenden und leben zu können. Das Supranationalitätskonzept bedarf der insitutionalisierten, politischen und weitsichtigen Unterstützung. Es sind Erfolge und Pannen, wie z.B. das Scheitern der zwischen 2002 und 2004 initiierten Europäischen Verfassung, die Aufmerksamkeit erfordern, weil das Recht allein den Zusammenhalt und die Weiterentwicklung der europäischen Einigung nicht garantieren kann.
Die Frankfurter Wissenschaftlerin für Öffentliches und Vergleichendes Recht Ute Sacksofsky plädiert in ihrem Beitrag „Integration durch Verfassungsrechtsprechung“ für juristiable Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, was die demokratische Insitutionalisierung und Etablierung der Verfassungsrechtbarkeit, wie z.B. die Ernennung und Unabhängigkeit der VerfassungsrichterInnen, erfordert.
Der Soziologe von der Göttinger Georg-August-Universität Bertold Vogel beantwortet die Frage – „Leisten Justizjuristinnen und -juristen einen Beitrag zum Zusammenhalt?“ – mit den Ergebnissen einer justizsoziologischen Studie (2017 – 2020), die „neues Licht auf die soziale Lage, die Haltungen und Orientierungen, die Biografien und die Arbeitswirklichkeiten von Richterinnen und Richtern sowie von Staatsanwältinnen und Staatsanwälten werfen“. Im Vergleich mit Forschungsergebnissen der 1970er Jahre wird deutlich, dass wir die personelle, repräsentative und legitimatorische Stabilität der Justiz über- und gleichzeitig deren Wirken auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt unterschätzen.
Diskussion
Die Frage, ob und inwiefern das Recht sozialen, zivilisatorischen Zusammenhalt bilden und stärken kann, gründet zum einen auf traditionellen Vorstellungen einer demokratisch verfassten, politischen Gesellschaftsordnung, andererseits ermöglicht das Recht die Verwirklichung von Rechtspositionen durch Rechtspersonen. Unumstritten ist, dass das Recht die Gesellschaft organisiert. Welche Wege und Aktivitäten sind erforderlich, die Rechtsgesetze als Grundlage und Voraussetzung für Conditio Humana anzuerkennen? Es gilt, „die Menschenrechte durch die Herrschaft des Rechts zu schützen“ (Menschenrechtsdeklaration von 1948).
Fazit
„Das Streben nach einem (guten, JS) Leben in (friedlicher, gerechter, humaner, JS) Gemeinschaft ist nicht allein durch die Natur, sondern durch Gründe bestimmt“, also konstitutionell. Zu lernen, zu erfahren, zu leben und „nichts anzuerkennen, was Ich nicht als vernünftig einsehe“ (Hegel) – das ist Ziel und Zustand eines demokratischen Daseins.
[1] Markus Weingardt, Hrsg., Vertrauen in der Krise, Zugänge verschiedener Wissenschaften, 2011, www.socialnet.de/rezensionen/​14664.php
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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