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Silke Rogl, Claudia Resch et al. (Hrsg.): Begabung verändert - förderliche Lernwelten erforschen, gestalten, implementieren

Rezensiert von Joschka Sichelschmidt, 09.12.2024

Cover Silke Rogl, Claudia Resch et al. (Hrsg.): Begabung verändert - förderliche Lernwelten erforschen, gestalten, implementieren ISBN 978-3-8309-4669-4

Silke Rogl, Claudia Resch, Elisabeth Bögl, Barbara Gürtler, Sara Hinterplattner u.a. (Hrsg.): Begabung verändert - förderliche Lernwelten erforschen, gestalten, implementieren. Waxmann Verlag (Münster, New York) 2024. 678 Seiten. ISBN 978-3-8309-4669-4. 69,90 EUR.
Reihe: Begabungsförderung: Individuelle Förderung und Inklusive Bildung - 17.

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Thema

Auf dem ÖZBF (Österreichisches Zentrum für Begabtenförderung und Begabtenforschung) Kongress in Salzburg vom 10.11. bis 12.11.2022 stand Begabung als intrapersonelle Komponente und im Hinblick auf Begabtenförderung und -forschung im Fokus. Begabung verstanden als innovative Kraft von Personen, die Veränderungen und Innovationen einerseits bei sich und auch in der sozialen Umwelt bewirkt, wurde in den letzten Jahren Forschungsinteresse.

Im vorliegenden Band sind die einzelnen Diskussionsvor- und beiträge der Tagung aufgearbeitet und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden.

Aufbau

Das Buch wird mit einem Vorwort von Silke Rogl (S. 9–10) und einem in die Thematik einführenden Kapitel von Claudia Resch und Silke Rogl (S. 11–34) eingeleitet. Anschließend kommen die drei Hauptvortragenden Personen der Tagung mit je einem Beitrag zu Wort (Christian Fischer S. 35–58, Daniela Martinek S. 59–71 und Gabriele Weigand S. 72–91).

Ab Seite 92 bis Seite 660 folgen dann insgesamt 40 Artikel, welche die forschungsleitende Thematik differenziert beleuchten und entweder von Einzelpersonen oder von mehreren Autor:innen verfasst wurden. Diese Beiträge werden fortlaufend in Textform im Kapitel Inhalt zusammengefasst. Die verwendete Literatur ist als Literaturverzeichnis den jeweiligen Beiträgen angefügt.

Von Seite 661 bis Seite 662 werden die Herausgeberinnen des Bandes mit ihren akademischen Graden, Fotos, sowie den Lehr- und Forschungsgebieten vorgestellt. Auf den Seiten 663 bis 677 werden die Beitragsautor:innen ohne Foto kurz vorgestellt.

Da das gesamte Werk als open access zur Verfügung steht und sich somit kostenfrei über die Herausgeber:innen und die Autor:innen informiert werden kann, wird an dieser Stelle auf eine intensive Vorstellung der beteiligten Personen verzichtet.

Inhalt

Einführung in die Thematik

Claudia Resch und Silke Rogl beleuchten in ihrem Kapitel (S. 11–34) zuerst die historischen Entwicklungen der Begabtenförderung und -forschung in Österreich von der Zeit vor 1974 in welcher das differenzierte Schulsystem als mögliche Lösung in der Begabtenfrage gesehen wurde, über den Beginn von zusätzlichen Angeboten in den 198er Jahren bis hin zu einer wissenschaftlichen und institutionellen Zuwendung an die Thematik in den 1990er Jahren. Den größten Teil des Beitrags nimmt aber die Begabungs- und Begabtenförderung im 21. Jahrhundert ein. U.a. werden hier die Bereiche Elementarpädagogik, Wirtschaft, Gemeinde und Religion, Hochschule, Forschung, Schule und Lehrkräftebildung und auch die reformierte Bildungspolitik beleuchtet, sodass der aktuelle Status einer dynamischen Begabungs- und Begabtenförderung attestiert wird.

Hauptbeiträge

Der erste Hauptbeitrag von Christian Fischer unter der Thematik einer anpassungsfähigen Professionalisierung für Lehrer:innen für eine individuelle Begabtenförderung und vor allem einer nachhaltigen Potenzialentwicklung (S. 35–58) beleuchtet, wie dies in der Praxis umgesetzt werden kann. Zentrale Fragestellung sind dabei, was genau adaptive Lernumwelten leisten müssen und was demgegenüber auch die Lehrpersonen an Fachexpertise in die Gestaltung einbringen müssen.

Daniela Martinek stellt in ihrem Beitrag motivationale Aspekte der Begabtenförderung vor (S. 59–71). Motivation wird als ein zentraler intrapsychischer Aspekt beschrieben und daher muss eine förderliche Lernumwelt auch für die Schüler:innen attraktiv sein und die Lehrer:innen müssen sich zentrale Fragen hinsichtlich ihrer Rolle in der Ausgestaltung des Unterrichts und der Lernumwelt stellen.

Wie bereits formuliert, befindet sich das (in diesem Fall das österreichische, aber auch auf das System der BRD übertragbar) Bildungssystem in einem transformativen Prozess. Gabriele Weigand formuliert in ihrem dritten Hauptbeitrag (S. 72–91), dass „Begabungsförderung […] ein Weg [ist], […] um Kindern und Jugendlichen eine ihrer Potenzialentfaltung und Leistungserbringung angemessene Anregung, Förderung und Unterstützung zukommen zu lassen“ (S. 72). Um dies ermöglichen zu können wird es notwendig sein, dass Politik, Wissenschaft und Praxis im konstruktiven Dialog verankert bleiben, damit ein wirklich bildungsgerechtes und zukunftsorientiertes Schulsystem wachsen kann.

Weitere Beiträge

Elisabeth Bögl, Bettina Bussmann, Alexander Strahl und Andreas Weber stellen in ihrem Beitrag dar (S. 92–114), in wie weit ein individuelles Mentoring im schulischen und auch im universitären Bereich zu eine Exzellenzförderung werden kann und sehen neben dem Etablierung eines Mentoringprogramms auch eine qualitativ hochwertige Ausbildung der jeweiligen Mentoren als notwendig an.

Das Wiener Begabungssiegel für Volksschulen (Volksschule kann als Grundschule in der BRD gefasst werden) wurde durch Wolfgang Ellmauer und Tamara Katschnig evaluiert (S. 115–121). Dieses Siegel kann als „ganzheitlicher Zugang einer systemischen Begabungs- und Begabtenförderung verstanden werden […] [und durch] ein Bündel an Maßnahmen soll die Schulqualität nachhaltig verbessert und gesichert werden“ (S. 115).

Katarina Farkas stellt in einem Beitrag das Modell des literarischen Lernens (am Beispiel von literarischen Figuren) als Begabungs- und Begabtenförderung und auch in integrativen Settings des Unterrichts vor (S. 122–132) und beschäftigt sich in einem anderen Beitrag damit, wie sich Kreativität in Sprache abbildet und wie dieser komplexe Prozess in der Unterrichtsgestaltung produktiv genutzt werden kann (S. 133–147).

Den Fokus auf die Gruppe von Kindern, welche vor dem Schriftspracherwerb bereits das lesen beherrschen legt Julia Festmann (S. 148–158). Angesprochen wird ein Defizit in der Förderkultur solcher Kinder, damit diese auch von Beginn an einen interessanten Schulbesuch angeboten bekommen können.

Philipp Girard (S. 159–168) untersucht in seinem Beitrag die Ebene der Lehrer:innen und welche Kompetenzen diese im Bereich Mathematik im Übergang von Grundschule zur weiterführenden Schule benötigen, um bedürfnisgerecht auf die einzelnen Begabungen der Kinder in der Unterrichtsgestaltung eingehen zu können.

Die „Digitale Drehtür“ (S. 171) wurde im Jahr 2020 während der Corona Pandemie entwickelt. Silvia Greiten und Michaela Rastede stellen das Projekt vor, denn es bietet „nicht nur für Schüler*innen ein praxisorientiertes Angebot“ (S. 179), um eigenen Interessen forschungsleitend nachgehen zu können, sondern auch „Wissenschaftler:innen […] [können] von diesem didaktischen Konzept digitalisierter Lernsituationen profitieren“ (S. 179).

Das hexagonal angeordnete RIASEC Modell („handwerklich (realistic), forschend-intellektuell (investigative/​intellectual), künstlerisch (artistic), sozial (social), unternehmerisch (enterprising) und konventionell (conventional)“ (S. 183)) wurde von Tillmann Grüneberg auf Eignung der Erfassung von Multipotentialität im schulischen Kontext (Förderung von Begabungen) hin untersucht (S. 181–199).

Barbara Gürtler und Julia Schwaiger (S. 200–210) beschreiben in ihrem Beitrag, wie Montessori Pädagogik und Begabungsförderung als Konzepte in der Schule ineinandergreifen können. Dazu werden notwendige Maßnahme auf Schul-, Klassen- und Individualebene beschrieben.

Hochbegabte Menschen können von verschiedensten Einschränkungen betroffen sein, die eine gerichtete Förderung oder ein Erkennen der Hochbegabung erschweren. Den Fokus auf ADHS und Hochbegabung richtet dabei Christina Gut (S. 211–223).

Schüler:innen müssen im 21. Jahrhundert auf multioptionale Komplexe in der sozialen Umwelt vorbereitet werden. Vor dieser schwierigen und komplexen Herausforderung steht die Schule als Lernort und auch die außerschulischen Systeme. Kathrin Claudia Hamader betrachtet in ihrem Beitrag dazu das Lernprogramm „Jugend stärken“ (S. 224–233), welches diesen Bildungsauftrag erfüllen möchte.

Christina Hansen und Denise Hofer (S. 234–247) setzen den Fokus auf inklusive Begabungsförderung. Inklusion wird hier aber zweiseitig verstanden – nämlich einerseits gezielte Förderung von Defiziten, aber gleichzeitig auch ein Anknüpfen an Begabungen aller Schüler:innen.

Schulische Transformationsprozesse und „Anwendung von prozessorientierter Steuerung im dauerhaften und skalierten Einsatz“ (S. 258) sind für ein Transformationsmanagement essentiell. Neben der Institution Schule und den politischen Vorgaben benötigen aber auch die Lehrpersonen in diesen Prozessen Unterstützung und benötigen eine personalisierte Entwicklungsplanung, um sich den neuen Vor- und Aufgaben gut anpassen zu können. Christian Herbig, Felix Blumenstein, Sarah Doberitz und Heinz-Werner Wollersheim betrachten dies in ihrem Beitrag (S. 248–261).

Katja Higatzberger führte 2022 zuerst als Pilotversuch, dann aber durch gute Rückmeldung weitergeführt „Mathe-Plus-Webinare“ (S. 262) zur Förderung mathematisch begabter Kinder durch. Sie stellt in ihrem Beitrag (S. 262–278) die positiv zu wertenden Evalutationsergebnisse der durchgeführten Webinare dar.

Begabte „[junge] Lernende können vom mathematisch-informatisch-naturwissenschaftlichen Unterricht profitieren, da die forschungsorientierten Eigenschaften und Bedürfnisse“ (S. 279) mit denen der jeweiligen Disziplin passend sind. Allerdings findet Begabtenförderung in der Elementarpädagogik wenig statt. Sara Hinterplattner, Maritta Schalk, Sandra Leitner und Michaela Schwinghammer (S. 279–291) führten dazu eine Analyse durch, welche auch die Chancen des Potenzials in der Elementarpädagogik aufzeigt.

Interdisziplinäres, fächerübergreifendes Lernen und ein „Ansatz auf deklaratives und prozedurales Wissen“ (S. 301) werden für die kommenden Reformen des schulischen Settings wichtig. Angela Hof, Fabio Nagele, Verena Auer, Silvia Alexandra Havlena, Carola Helletsgruber, Marc Gimenez-Maranges, Arne Bathke, Josef Krieseisen und Alexander Strahl untersuchen am Beispiel der Scientific Literacy (S. 292–304), wie Begabungsförderung und interdisziplinäre Angebote im Unterricht produktiv eingesetzt werden können.

Linda Huber (S. 305–316) stellt ein Modell der strukturellen Begabungsförderung am Beispiel des Abendgymnasiums Salzburg vor. Diese Schule bietet ein flexibles Modulsystem an, sodass die Schüler:innen hinsichtlich ihrer individuellen Fähigkeiten gefördert werden können. „So wird einerseits die Akzekleration des Lernwegs bei hohem Lernpotenzial und Wissen ermöglicht“ (S. 315), es stehen aber auch Angebote zur Verfügung, um die „Potenziale in Enrichment-Angeboten“ (S. 315) zu entfalten.

Besonders in Fremdsprachen begabte Kinder und Jugendliche benötigen motivierende Lernmaterialien, um ihre Potenziale entfalten zu können. Beate Janny und Margit Severa (S. 317–329) stellen das Forschungsprojekt FLAME (Foreign Language Aptitude and Motivation in English at Primary Schools) vor. In diesem werden motivationale Bedingungen erforscht, um gezielte Förderung anbieten zu können.

Das Bundesgymnasium/​Bundesrealgymnasium Keimgasse hat den expliziten Fokus auf Begabungs- und Begabtenförderung im schulischen Setting gesetzt und hat besondere Modellklassen entwickelt. Gregor Jöstl (S. 330–346) stellt die ersten Evaluationsergebnisse über die Wirksamkeit solch intensiver schulischer Förderung in seinem Beitrag dar.

Julia Kaiser (S. 347–357) betrachtet in ihrem Beitrag die Thematik, in wie weit Naturphänomene in mathematischen Größen abgebildet werden können. Diese ästhetischen Wahrnehmungen und Erfahrungen sollen explizit nicht auf nur einen Bildungsbereich begrenzt werden und „sollte in allen Bildungsbereichen Aufmerksamkeit erfahren, da u.a. sinnliche Wahrnehmungen, Emotionen, Ausdrucksfähigkeit und Körperwahrnehmungen“ (S. 355) immer erkannt und gezielt gefördert werden können.

Flexibilität und das Anpassen an sich verändernde Umweltbedingungen und damit die Förderung von komplexen und kollaborativen Problemlösekompetenzen sind als konkrete Bildungsziele in den Programmen abgebildet. Ulrike Kipmann (S. 358–368) analysiert dies ausgehend auf PISA 2012 (Schwerpunkt Mathematik) und PISA 2015 (Schwerpunkt Naturwissenschaften).

Julia Klug und Andrea Magnus (S. 369–379) gehen der Fragestellung nach, wie Lehramtsstudent:innen unterschiedlicher Fachsemester ihre professionellen Kompetenzen einschätzen. Als Grundlage des Kompetenzbegriffes wurde das Salzburger Kompetenzmodell für das Primarstufenlehramt genutzt.

Kann gezieltes Mentoring (studentische Mentor:innen begleitzen Schüler:innen als Vorbild und Begleiter) die Bildungschancen, gerade von strukturell benachteiligten Schüler:innen verändern und können diese so einerseits besser erreicht werden und andererseits hinsichtlich ihrer Begabungen gezielter gefördert werden? Barbara Mackinger, Eline Leen-Thomele, Silke Rogl, Julia Klug und Maria Tulis (S. 380–393) gehen genau dieser Fragestellung nach.

Sprachliche und rhetorische Kompetenzen können in der Schule gezielt gefördert werden. Die Lehrer:innen müssen dazu die Kompetenz besitzen „Kenntnisse darüber [zu] haben, wie wir wirklich sprechen, zuhören, kommunizieren und wie das Zusammenspiel von Sprache, Stimme und Körpersprache funktioniert“ (S. 415). Johannes Mayer, Beate Laufenberg, Caterina Mempel, Jenny Winterscheid und Jasmin Zuber (S. 394–419) untersuchen, wie Lehrer:innen und Klassengruppen in einen positiven Rapport kommen können.

Martina Astrid Müller (S. 420–434) beschäftigt sich mit mathematischer Begabung und in welcher Art und Weise der Mathematikunterricht mittels offener Aufgaben- und Angebotsstrukturen differenziert werden kann, um so Potenziale und Begabungen effektiv fördern zu können.

Eine eher kreative Herangehensweise an das Fach Mathematik und effektive und motivierende Förderung aller Schüler:innen beschreiben Monika Musilek und Andrea Varelija-Gerber (S. 435–446). Das vorgestellte Projekt „Mathematik aus der Kiste“ (S. 444) soll „mathematische Lerngelegenheiten“ (S. 444) ermöglichen, sodass sich die Schüler:innen „spielerisch, offen und ungehemmt mit mathematischen Inhalten“ (S. 444) auseinandersetzen können.

Technik und vor allem technische Entwicklungen sind fester Bestandteil der heutigen Lebenswelt geworden. Daher müssen auch im schulischen Setting technische Bildung und ein Beschäftigen mit der Digitalisierung stattfinden. Herbert Neureiter (S. 447–462) geht der Frage nach, was junge Menschen überhaupt über Technik denken und auch, welche Ängste sie im Bezug auf technische Entwicklungen haben.

Claudia Resch, Thomas Wagner, Martina Müller und Edith Kreutner (S. 463–497) beschäftigen sich mit der Heterogenität des Fremdspracherwerbs (Englisch in der Primarstufe). Erkannt wurde dies, die Lehrer:innen wünschen sich aber „Ideen, Möglichkeiten und Beispiele, wie Begabungen im Englischunterricht“ (S. 463) gezielt gefördert werden können. Dazu wurde eine Pilotstudie mit der Intention durchgeführt, weitere Studien zu dieser Thematik zu führen.

Begabungsüberzeugungen (oft subjektiv) von Lehrer:innen sind in der Bewertung schulischer Leistungen und in der Förderung von Schüler:innen relevant und eine Sensibilisierung muss in der Ausbildung von Lehrer:innen stattfinden. „Begabungsüberzeugungen filtern implizit Wahrnehmungen, Informationen und Erfahrungen, […] sie rahmen oder gestalten Situationen und Aufgaben […] und leiten die jeweilige Handlung“ (S. 503). Silke Rogl (S. 498–510) untersucht dieses Theorem und operationalisierte dazu ein 5 Faktoren Modell der Begabungsüberzeugungen am Beispiel des Fach Mathematik.

Die Fragen nach einer nachhaltigen Zukunftsgestaltung, einem Leben im „Wechselspiel zwischen Gesellschaft und Individuum“ (S. 511), persönlicher Entwicklungs- und Entfaltungsperspektiven nehmen bei jungen Menschen immer mehr zu. Gerade die Schule als pädagogischer Ort und Institution bietet die Chance, Lernräume gestalten und zu öffnen. David Rott und Marcus Kohnen (S. 511–523) versuchen diese Thematik aus der Perspektive der Schüler:innen und der Lehrer:innen zu erfassen.

Das Phänomen Underachievement kann bei begabten Kindern und Jugendlichen auftreten und ursächlich ist immer ein Komplex aus verschiedensten Einflussfaktoren (z.B. Unterforderung, fehlende Leistungs- oder Lernmotivation, Desinteresse zu bestimmten Themen, Teilleistungsstörungen). Gerade wenn der Anspruch einer generalisierten Förderung aller Schüler:innen hinsichtlich ihrer Potenziale ist, muss dies beachtet werden. Barbara Saring (S. 534–534) beleuchtet die Thematik Prävention von Underachievement hinsichtlich der Motivationsförderung von Schüler:innen und wie KI gezielt dabei eingesetzt werden kann.

Aus den Neurowissenschaften ist schon länger bekannt, dass ein nachhaltiges Lernen (=Bildung von Langzeiterinnerungen) abhängig vom sozialen Kontext und Anerkennung, Bindungen und Beziehungen und aktiver Mitgestaltung ist. In der Schule findet allerdings ein vernetzter und fächerübergreifender Unterricht wenig statt und es wird sich am Lehrplan, nicht aber an aktuellen geopolitischen Lagen orientiert. Beate Sauereisen (S. 535–546) stellt das Konzept von Intensivzeiten im Unterricht vor, welches genau diese Brücke zu schlagen versucht.

Florian Schmid, Julia Klug, David Rott und Christiane Fischer-Ontrup (S. 547–562) stellen das multidimensionale Begabungs-Entwicklungs-Tool (mBET) von Stahl et al. (2022) vor. Gerade die bildungspolitische Aufgabe, ein ganzheitliches Erkennen von Begabungen und dann auch gezieltes Fördern dieser, stellt Lehrer:innen im schulischen Kontext vor große Herausforderungen und soll mit Hilfe des mBET deutlich vereinfacht werden.

Lehrer:innen benötigen, um Potenziale erkennen und fördern zu können, diagnostische Kompetenzen. In einer Begleitstudie zum Projekt LemaS (Leistung macht Schule) untersuchten Luzie Semmler, Kerstin Höner und Bianka Nikolaus (S. 563–577) Zusammenhänge zwischen „leistungsförderlichen Merkmalen und (kognitiven) Leistungspotenzialen von Schülerinnen und Schülern und die Untersuchung der Diagnosefertigkeiten von Lehrkräften“ (S. 572).

Im Gegensatz zum Phänomen des Underachievements muss in der Begabungs- und Begabtenforschung und -förderung auch das Imposter-Phänomen betrachtet werden. Dieses Phänomen stellt ein integratives Konzept dar und beinhaltet mehrere Faktoren (z.B. Angst als Hochstapler:in entdeckt zu werden, zu hohe eigene Standards, Furcht vor Misserfolg (vgl. S. 579)). Anne-Kathrin Stille und Wiebke Evers (S. 578–592) nähern sich diesem Konstrukt und attestieren, dass einerseits strukturierende Foschungen notwendig sind und dass es nahe liegen könne, „dass aus anfänglichen Imposter-Tendenzen aufgrund der massiven Selbstzweifel, dem hohen empfundenen Druck und dem ggf. daraus entstehenden Vermeidungsverhalten Underachievement erwachsen könnte“ (S. 586).

Franziska Strübbe und Nina Berlinger (S. 593–606) beschreiben, wie bereits im Kindergarten und in der Grundschule altersgerechte strukturierte Förderung von mathematisch begabten Kindern stattfinden kann.

Diversität, Vielfalt von Begabungen, Förderung und Erhöhen von Chancengerechtigkeit sollen essentieller Bestandteil der Institution Schule sein. Mit der Etablierung der „Inklusiven Schule sollte die Entwicklung der individuellen Leistungsmöglichkeiten der Lernenden bestmöglich unterstützt werden“ (S. 607). Kornelia Tischler (S. 607–619) betrachtet in ihrem Beitrag die Ausbildungsstrukturen von Lehrer:innen für inkludierendes Lernen im System Schule.

Sabine Vietz und Tobias Huhmann (S. 620–630) präsentieren ein in Projektform erprobtes Lehrkonzept. Die Zielgruppe sind Lehramtsstudent:innen und deren Kompetenzentwicklung, um im komplexen Arbeitsbereich in der Schule hinsichtlich der Begabungs- und Begabtenförderung gut aufgestellt zu sein (Was sind gute Impulse? Wie beobachte ich und wie nehme ich wahr? Wie analysiere und diagnostiziere ich Förder- und Forderhandlungen).

Eine große Forderung u.a. aus den PISA Studien war, dass eine Durchlässigkeit des Schulsystems hinsichtlich Chancengerechtigkeit und -gleichheit geschaffen werden muss. Das führt gleichzeitig aber auch dazu, dass Begabungsgerechtigkeit (gerade für Schüler:innen aus benachteiligten sozialen Herkünften) in der Schule stattfinden muss. Gundula Wagner (S. 631–642) beschreibt dazu aktuelle Befunde der Schulentwicklungsforschung.

Anja Wardemann und Christian Fischer (S. 643–660) beschreiben, wie nachhaltige und zukunftsfähige Bildung aussehen kann. Dazu gehört, dass in der Schule als Lern- und Sozialisationsort neben fachlichen Schlüsselkompetenzen auch „grundlegende zukunftsorientierte Kompetenzen, Haltungen und Werte“ (S. 643) gelehrt werden müssen, damit Schüler:innen „in ihrer Lern- und Persönlichkeitsentwicklung unterstützt werden und Handlungs-, Gestaltungs-, und Transformationskompetenzen“ (S. 643) aufbauen können. Damit dies gelingen kann, müssen diese Themen auch in der Ausbildung, wie in der Fort- und Weiterbildung von Lehrer:innen qualifiziert gelehrt werden.

Diskussion

Wie eingangs bereits beschrieben handelt es sich bei dem rezensierten Werk um einen Beitragsband von Haupt- und Nebenrednern des ÖZBF Kongresses von 2022. Inhaltlich wird ein breites Spektrum verschiedenster hochqualitativer Forschungsdesigns geboten. Es wird zwar in den Artikeln effektiv auf den aktuellen Forschungsstand eingegangen, trotzdem muss eine gewisse Vorbildung zu den vielfältigen Thematiken aus Pädagogik, Psychologie, Soziologie oder Bildungspolitik vorhanden sein, um die Beiträge umfassend einordnen zu können.

In grundlegenden Punkten sind sich alle Autor:innen einig: Das System und die Institution Schule ist reformbedürftig und insbesondere müssen auch die Lehrpersonen und die Ausbildung von Lehrer:innen in diesem umfassenden Transformationsprozess ‚mitgenommen‘ werden, denn diese stehen in stark heterogenen Klassenverbänden vor der Aufgabe, die programmatischen Forderungen und hochkomplexen Aufgaben durchführen zu müssen.

Was mir persönlich etwas fehlt, ist ein gewisser roter Faden, der durch das umfassende Werk führt. Differenziert ist das Buch in ‚Vorwort‘, ‚Einleitung‘, ‚Hauptvorträge‘ und ‚Weitere Beiträge‘. Ich hätte mir insbesondere für den Bereich ‚Weitere Beiträge‘ (insgesamt sind es 40) eine sinnvollere Strukturierung oder Unterteilung in sinnlogische Kapitel gewünscht. Oftmals folgen z.B. Beiträge zur Organisation des Systems Schule auf Beiträge, welche die mathematischen Kompetenzen im Fokus haben und darauf folgt dann ein Beitrag über Kritisches Denken und die inkludierende Schule.

Meiner Meinung nach erschwert dies das durchgehende Lesevergnügen, denn um die komplexe Materie verstehen und einordnen zu schaffen müssen die Leser:innen so eine hohe kognitive Flexibilität mitbringen. Abschwächend muss aber auch gesagt werden, dass die Zielgruppe des Buches dieses nicht konsekutiv wie in meinem Fall von vorne bis hinten durcharbeiten wird, sondern sich eher nur auf relevante Artikel beschränken wird.

Fazit

Wer sich umfassend über den aktuellen Forschungs- und Wissensstand über Begabung und Begabtenförderung informieren will, findet mit dem hier vorliegenden Buch eine fachlich sehr hochwertige und monetär (open access) sehr preisgünstige Zusammenführung unterschiedlicher Forschungsdesigns, -projekte, Literaturrecherchen oder Ergebnisberichte von durchgeführten Designs.

Literaturverzeichnis

Stahl, J.; Rogl, S.; Schmid, F. (2022).Das multidimensionale Begabungs-Entwicklungs-Tool (mBET): Manual. ÖZBF (Salzburg).

Rezension von
Joschka Sichelschmidt
M.A. Erziehungswissenschaften, M.A. Klinische Sozialarbeit, B.A. Sozialpädagogik/Psychologie, klinisch arbeitender Pädagoge in einem intensivpädagogischen Setting
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Zitiervorschlag
Joschka Sichelschmidt. Rezension vom 09.12.2024 zu: Silke Rogl, Claudia Resch, Elisabeth Bögl, Barbara Gürtler, Sara Hinterplattner u.a. (Hrsg.): Begabung verändert - förderliche Lernwelten erforschen, gestalten, implementieren. Waxmann Verlag (Münster, New York) 2024. ISBN 978-3-8309-4669-4. Reihe: Begabungsförderung: Individuelle Förderung und Inklusive Bildung - 17. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32269.php, Datum des Zugriffs 24.01.2025.


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