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Seongcheol Kim: Populismus? Frag doch einfach!

Rezensiert von Dr. Antje Flade, 20.09.2024

Cover Seongcheol Kim: Populismus? Frag doch einfach! ISBN 978-3-8252-6104-7

Seongcheol Kim: Populismus? Frag doch einfach! Klare Antworten aus erster Hand. UVK Verlagsgesellschaft mbH (Konstanz) 2024. 140 Seiten. ISBN 978-3-8252-6104-7. D: 17,90 EUR, A: 18,40 EUR, CH: 24,50 sFr.
Reihe: Frag doch einfach!

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Thema

Das Phänomen des Populismus wird umfassend analysiert. Nach der Erläuterung des Begriffs werden Theorien vorgestellt, die Geschichte beleuchtet, Varianten des Populismus beschrieben und Vergleiche zwischen verschiedenen Ländern und Regionen angestellt.

Autor

Der Autor ist Privatdozent und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Interkulturelle und Internationale Studien der Universität Bremen.

Aufbau und Inhalt

Das Buch enthält sieben thematische Kapitel:

  • Begriff des Populismus,
  • Theorien,
  • Forschungsmethoden,
  • Geschichte,
  • Varianten,
  • Ländervergleiche und 
  • Antipopulismus.

Begriff

Man beruft sich auf das Volk als Bezeichnung einer breiten klassenübergreifenden Mehrheit der Bevölkerung. Der Begriff wird ingesamt inflationär verwendet. Häufig dient er als Synonym für Rechtsradikalismus. Populismus entsteht, wie der Autor ausführt, aus der wahrgenommenen Kluft zwischen dem Ist- und dem Soll-Zustand der Demokratie, dem nicht eingelösten Versprechen der Volkssouveränität. Ein typisches Merkmal ist die Grenzziehung zwischen dem Volk und einer Elite bzw. den unterprivilegierten Massen und einer mächtigen politischen Klasse. Die antagonistische Gegenüberstellung eines moralisch intakten Volkes und einer korrupten Elite ist ein Kernelement. Im Alltagsverständnis ist Populismus eine von Opportunismus geprägte, oft demagogische Politik, die darauf abzielt, durch Dramatisierung der Lage die Bevölkerung für sich zu gewinnen.

Theorien

Der Autor schildert vier Theorien: den diskursiven, den ideellen, den stilistischen und den strategischen Ansatz, wobei er stets auf die Ausführungen etlicher ‚Denker‘ (so seine Bezeichnung) verweist. Der diskursive Ansatz geht von der Konstruktion einer Gesellschaft aus, die aus dem Volk und einem Machtblock besteht. Der ideelle Ansatz fasst Populismus als Ideologie im Sinne einer Reaktivierung des demokratischen Versprechens der Volkssouveränität auf. Dabei werden die Kategorien Volk und Elite ideologisch gefüllt, z.B. ‚werktätiges Volk‘ und ‚korrupte Elite‘. Typisch für den stilistischen Ansatz ist das Konzept einer kulturellen Niedrig-Hoch-Achse, wobei Populismus die Inszenierung kulturell niedriger Verhaltensnormen ist. Der strategische Ansatz sieht im Populismus eine Mobilisierungspraxis: Eine Führungsfigur tritt auf, der es gelingt, eine zahlreiche Anhängerschaft zu mobilisieren. Insgesamt gesehen ist Populismus nicht zwingend an eine Führungsfigur gebunden. Populismus wird unterschiedlich beurteilt. Einerseits wird argumentiert, dass die Demokratie abhandenkommt, wenn eine offene Anfechtung von Herrschaft im Rahmen eines souveränen Volkes nicht mehr möglich ist, andererseits wird befürchtet, dass Populismus zu einer Kraft werden kann, die der Demokratie ein Ende setzt. Wie der Autor meint, ist die Frage nach dem Verhältnis von Nationalismus und Populismus noch nicht beantwortet, was auch insofern schwierig ist, weil die Antwort von der Theorieperspektive abhängen dürfte. Verschwörungsdenken spielt nach Kim für die Analyse von Populismus eine eher geringe Rolle, zumal schwer auszumachen ist, wo das Verschwörungsdenken endet und die legitime Herrschaftskritik beginnt.

Im Kapitel Methoden der Populismusforschung knüpft der Autor an die vier theoretischen Ansätze an. Vom diskursiven Theorieansatz ausgehend wird untersucht, wie die Bündelung von Differenzen zu eine Ganzheit wie dem Volk zustande kommt, sodass eine antagonistische Unterteilung in Volk und Machtblock stattfinden kann. Der ideelle Theorieansatz geht davon aus, dass jede Ideologie aus einem Beziehungsgeflecht zwischen Kernbegriffen besteht, denen durch die jeweiligen Beziehungen Bedeutung verliehen wird. Deshalb geht es darum, die Beziehungen zwischen Volk, Elite, Souveränität, Nation, soziale Gerechtigkeit, freie Märkte usw. ausfindig zu machen. Vom stilistischen Ansatz ausgehend wird die Zurschaustellung des kulturell Niedrigen analysiert. Politiker und Politikerinnen stellen sich z.B. als einfache Menschen an alltäglichen Orten dar. Der strategische Ansatz analysiert Regierungspraktiken. Beispiele sind Volksabstimmungen, die Aushebelung der Gewaltenteilung, die Verabschiedung neuer Gesetze.

Geschichte des Populismus

Die Antwort auf die Frage nach den Anfängen des Populismus hängt auch davon ab, wie Demokratie verstanden wird. In einer absoluten Monarchie ist in der Person des Königs die gesamte Macht gebündelt, in einer Demokratie sind die Konturen von Macht, Herrschaft und gesellschaftlichem Zusammenleben unscharf. Eine Annahme ist, dass Populismus diese Ungewissheit beseitigen will. Populismus gäbe es demnach, seit es Demokratien gibt. Populismus würde, wie es Kim ausdrückt, die Demokratie wie ein Schatten begleiten. Er schildert beispielhaft populistische Bewegungen vom 19. bis hinein ins 21. Jahrhundert aus verschiedenen Ländern der Welt. Bei der Beantwortung der Frage, warum Populismus in modernen Gesellschaften entsteht, geht er von dem Kernelement: der Gegenüberstellung Volk und Elite, aus. Plausibel ist, dass Populismus in Reaktion auf die unerfüllten Versprechen der Demokratie, nämlich der Volkssouveränität, entsteht. Der wichtigste Unterschied zwischen damals und heute ist die Pluralisierung populistischer Phänomene, zu der die neuen Medien mitsamt deren Elitenkritik beigetragen haben.

Im Kapitel über Varianten des Populismus werden verschiedene Typen von Populismen betrachtet. Beim Links-Populismus wird das Volk als kulturell offen gesehen, das einer ökonomisch und politisch ausgerichteten Elite gegenübersteht. Beim Rechts-Populismus fehlt diese Offenheit. Der Populismus der Mitte zeichnet sich durch einen inhaltlichen Eklektizismus aus. Der transaktionale Populismus versteht unter dem Volk ein national grenzüberschreitendes Gebilde. Der Regierungspopulismus zeichnet sich dadurch aus, dass höhere Mächte jenseits der Regierung als Hindernis zum Regieren hingestellt werden. An dieser Stelle fragt sich der Autor, wozu man eigentlich den Begriff des Populismus braucht, wenn man über etablierte spezifischere Begriffe wie Klientelismus, expansive Fiskalpolitik usw. verfügt.

Im Kapitel Populismus im Länderkontext liefert Kim einen Überblick über den Populismus in verschiedenen Regionen der Welt. Er beginnt mit der Betrachtung der populistischen Parteien in Deutschland, vergleicht dann Nord- mit Südeuropa, West- mit Osteuropa, Europa mit Lateinamerika und schließlich den globalen Norden mit dem globalen Süden. Wegen der Vielfalt populistischer Phänomene ist es jedoch schwierig, Unterschiede auszumachen. Das Spektrum reicht vom hinduistischen Nationalismus über den harten Antikriminalitätskurs in den Philippinen bis hin zu Enteignungsforderungen gegenüber Weißen in Südafrika.

Das abschließende Kapitel ist dem Antipopulismus gewidmet. Unter Antipopulismus wird eine Politik verstanden, die sich gegen Populismus als einer vermeintlichen Bedrohung der gesellschaftlichen Ordnung richtet. Die Ziehung einer Frontlinie ähnelt der Struktur des Populismus insofern, als sie zu einer antagonistischen Zweiteilung zwischen Populisten und den Gegnern der Populisten führt. Der Autor sieht in der negativen Aufladung des Begriffs Populismus eine Strategie, um die politischen Gegner in Schach zu halten. Ein weiterer Aspekt ist, dass sich bestimmte Politiken und Maßnahmen im Namen der Bekämpfung von Populismus rechtfertigen lassen. Eine große Rolle spielen die Medien, in denen Populismus oftmals mit Rechtsradikalität gleichgesetzt wird. Es wird dadurch eine verengte Sichtweise von Politik präsentiert nämlich als ein Ringen zwischen Populisten und deren Kontrahenten und die Darstellung der etablierten Kräfte als Bollwerk gegen Rechtspopulismus.

Diskussion

Das Phänomen des Populismus wird ausführlich beleuchtet und mit zahlreichen Beispielen des politischen Geschehens in europäischen Ländern und anderen Ländern und Regionen der Welt, darunter insbesondere Lateinamerika, veranschaulicht. Als Kernelement wird die antagonistische Gegenüberstellung von Volk und Elite herausgestellt. Ersichtlich ist, dass der Autor über ein profundes Wissen verfügt, was sowohl den Stand des Fachwissens zum Phänomen Populismus als auch die politische Situation in vielen Ländern betrifft. Nach jedem Abschnitt gibt er Literaturtipps, die es den Lesern und Leserinnen ermöglichen, noch tiefer in das Thema einzusteigen. Der Untertitel „Klare Antworten aus erster Hand“ ist vielversprechend; es zeigt sich indessen, dass Populismus und Antipopulismus komplexe Phänomene sind, die es erschweren, klare Antworten zu geben. Dies zeigen allein schon die vier theoretischen Ansätze, die der Autor so stehen lässt, ohne den Versuch zu machen, sie zu einer übergreifenden Theorie zu integrieren. Nach dem letzten Kapitel ‚Antipopulismus‘ vermisst man ein abschließendes Resümee, in dem auf die grundsätzliche Frage eingegangen wird, ob der inflationär verwendete Begriff des Populismus entbehrlich ist, zumal es präziere Begriffe gibt, um Sachverhalte zu beschreiben.

Fazit

Das Buch liefert einen Überblick über das Phänomen des Populismus und dessen Varianten in verschiedenen Ländern und Regionen. Es ist eine gründliche, theorieorientierte Aufarbeitung, die zu lesen lohnt, und ein erfolgreicher Versuch, durch Beantwortung zahlreicher Fragen das Phänomen des Populismus zu erhellen.

Rezension von
Dr. Antje Flade
Autorin und Psychologin
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Es gibt 54 Rezensionen von Antje Flade.

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Zitiervorschlag
Antje Flade. Rezension vom 20.09.2024 zu: Seongcheol Kim: Populismus? Frag doch einfach! Klare Antworten aus erster Hand. UVK Verlagsgesellschaft mbH (Konstanz) 2024. ISBN 978-3-8252-6104-7. Reihe: Frag doch einfach!. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32278.php, Datum des Zugriffs 06.10.2024.


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