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Marius Mader: Eltern und kommerzielle Kindertagesbetreuung

Rezensiert von Lucia Kliem, 27.08.2024

Cover Marius Mader: Eltern und kommerzielle Kindertagesbetreuung ISBN 978-3-7799-7436-9

Marius Mader: Eltern und kommerzielle Kindertagesbetreuung. Zur Bedeutung der Positionierung von Eltern als Kund*innen. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2024. 373 Seiten. ISBN 978-3-7799-7436-9. D: 58,00 EUR, A: 59,70 EUR.
Reihe: Neue politische Ökonomie der Bildung.

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Thema

In einer sich aus gesellschaftlichen Veränderungen heraus wandelnden Kitalandschaft in Deutschland wird die Auswahl an unterschiedlichen Trägerformen von Kindertageseinrichtungen immer größer. Im vorliegenden Werk wird die Position der Eltern als MitgestalterInnen von kommerziellen und gemeinnützigen Kindertageseinrichtungen analysiert. Aus vier Interviews in zwei verschiedenen Settings (einer kommerziellen und einer gemeinnützigen Organisation) werden Bezüge zur Positionierung von Eltern als KundInnen und NutzerInnen und die damit einhergehende Dienstleitungskultur gezogen.

Autor:in

Der Autor Marius Mader ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Erziehungswissenschaft der Bergischen Universität Wuppertal und an der Internationalen Akademie Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind Kindheits- und Bildungsforschung im Hinblick auf Differenz und Ungleichheit, die sozialpädagogische Dienstleitungsforschung und -theorie sowie Organisationskultur. Das Werk entstand 2021 als seine Dissertation.

Entstehungshintergrund

In seiner Dissertation untersucht Mader die vielfältige und sich verändernde Kitalandschaft Deutschlands und die elterliche Positionierung darin. Davon ausgehend, dass Kindheit in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten einen Bedeutungszuwachs als Phase der Zuwendung, Fürsorge, Betreuung, Bildung, Förderung und Erziehung und als Phase von wirtschaftlicher Relevanz erfahren hat, stellt Mader die Perspektive der Eltern in Bezug auf ihre Handlungsmöglichkeiten und die Rolle als aktiv handelnde (Mit-)GestalterInnen in den Mittelpunkt seiner Forschung. Die Verknüpfung der Organisationen früher Bildung, Betreuung und Erziehung mit den Interessen, Anliegen und Zielen wirtschaftlicher Art hat Einfluss auf das Verhältnis von Eltern als Nachfragende auf der einen Seite und Kindertageseinrichtungen als Anbietende früher pädagogischer Leistungen auf der anderen Seite.

Die Dissertation wird als Beitrag zu einer aktuellen differenz- (und ungleichheits-)bezogenen frühen Bildungsforschung sowie für eine (reflexive) frühpädagogische Praxis eruiert.

Aufbau

Das Werk umfasst neben der Beschreibung und Analyse von vier Interviews auch eine tiefgehende theoretische Fundierung des Themas.

In den ersten Kapiteln diskutiert der Autor zunächst intensiv Eltern als AdressatInnen und aktive AkteurInnen im Kontext von Kindertageseinrichtungen und beschreibt die Veränderungen in der Kitalandschaft in Deutschland. Elterliches Handeln beim Zugang zu Kindertagesstätten und Eltern in ihrer Rolle als NutzerInnen von Kindertagesbetreuung werden in interdisziplinären Kontexten der Forschung, z.B. aus arbeitssoziologischer Sicht und der Perspektive der Organisations- und Dienstleistungskultur, besprochen. Außerdem wird in diesem Zusammenhang auch der Begriff der personenbezogenen Dienstleistungen vom Autor skizziert.

Im weiteren Verlauf der Dissertation leitet Mader über zum Analyseverfahren der von ihm gewählten dokumentarischen Methode und die Umsetzung und Analyse der Studie, die sich auf Interviews bezieht, die im Rahmen des DFG-Projekts „Elementare Bildung und Distinktion“ erhoben wurden. Die Studie umfasst dabei die dienstleistungskulturelle Analyse einer kommerziellen Kindertageseinrichtung (Haus Sonnenschein) und einer gemeinnützigen Einrichtung (Kita Wunderland). Abschließend vergleicht er die Dienstleistungskulturen und die Rolle der Eltern als NutzerInnen in den beiden strukturell differenten Organisationen und diskutiert die Bedeutung der Positionierung von Eltern als KundInnen bzw. NutzerInnen im Kontext von Kindertagesbetreuung.

Inhalt

Inhaltlich beschäftigt sich der Autor in den ersten (theoretischen) Kapiteln seiner Dissertation mit der Herleitung der KundInnen-Rolle der Eltern in Kindertageseinrichtungen. Ausgangspunkt für den entwickelten interdisziplinären Zugang bildet der sozialpädagogische dienstleistungstheoretische Ansatz von Andreas Schaarschuch (Schaarschuch 1998, o.S.). Der Schaarschusche Ansatz wurde mit einem dienstleistungstheoretischen Zugang der arbeitssoziologischen Forschung zur Dienstleistungsarbeit als interaktiver Arbeit erweitert (Weihrich und Dunkel 2012, o.S.).

Mader diskutiert die Phase der frühen Kindheit als eine Phase mit wachsender Bedeutung, in der Eltern zu (Mit-)GestalterInnen werden und durch die Auswahl professioneller außer familiärer pädagogischer Angebote Einfluss auf die Ausgestaltung dieser Phase nehmen. Er bespricht die Bedeutung von Kindheit außerdem als Beitrag zur Reproduktion von Humankapital in Form von Kindern als zukünftigen ArbeitnehmerInnen und verdeutlicht die strukturellen Veränderungen im System, die das Recht auf einen Kitaplatz ab dem vollendeten ersten Lebensjahr mit sich bringen. Mit einem wachsenden Angebot in der Kitalandschaft haben Eltern als Mitgestaltende die Auswahl auf dem Markt, auf dem verschiedene Anbietende miteinander konkurrieren (sowohl kommerzielle als auch gemeinnützige Organisationen). Eltern obliegt in diesem Kontext das einrichtungsbezogene Wunsch- und Wahlrecht und sie sind nicht dazu verpflichtet das günstigste Angebot in Anspruch zu nehmen. Die Auswahl im Bereich der Kindertageseinrichtungen ist zunehmend divers. Marius Mader differenziert vorbereitend auf die Analyse der Studie zwischen öffentlichen und freien Trägern und skizziert die sich stark unterscheidenden Finanzierungs- und Rechtswege der unterschiedlichen Träger.

Die dienstleistungskulturelle Analyse führt Mader im Bezug auf eine kommerzielle und eine gemeinnützige Einrichtung durch. Dazu zieht er jeweils Interviews mit zwei Elternteilen heran, die im Rahmen des DFG-Projekts „Elementare Bildung und Distinktion“ erhoben wurden. Vor der Analyse der Interviews gibt er jeweils allgemeine Informationen zu den Kindertageseinrichtungen und den befragten Familien.

Die Interviews sind jeweils in fünf sinnhafte Abschnitte unterteilt:

  1. Anlass und Ausgangspunkt der Suche
  2. Zugang
  3. Die Dimension der Leistung
  4. Zur Ausgestaltung der Dienstleistungsbeziehung
  5. Position(-ierung)en

Zusammenfassend überschreibt Mader die Inhalte der Interviews sinntragend. Während er die Inhalte der Interviews mit den Elternteilen der kommerziellen Kindertageseinrichtung mit „die selbstbewusst-informierte Kundin“ betitelt, fasst er die Inhalte der Interviews mit den Elternteilen der gemeinnützigen Kindertageseinrichtung mit „die pragmatisch und aktiv-involvierte Nutzerin“ zusammen. Nachfolgend adressiert er die bewusste Unterscheidung der Begriffe NutzerIn im Kontext der gemeinnützigen Kindertagesbetreuung und KundIn im Kontext der kommerziellen Kindertagesbetreuung. Er diskutiert den KundInnenbegriff neu und stellt vier wesentliche Charakteristika und Differenzen zwischen den rekonstruierten Dienstleistungsbeziehungen und typischen Praktiken der beiden untersuchten Kindertagesstätten heraus. Außerdem geht er auch auf den Zusammenhang von (Vor-)Wissen und sozialer Zugehörigkeit der Eltern und der Positionierung als NutzerIn bzw. KundIn ein.

Diskussion

Die Dissertation stellt insgesamt eine neue Sichtweise auf den Forschungsgegenstand dar. Das Forschungsdesiderat umfasst einen wichtigen Perspektivwechsel. Die Perspektive der Eltern zum Hauptforschungsgegenstand zu machen, erscheint in multipler Weise als wegweisend und eine bislang vernachlässigte Sichtweise. Kommerzielle Kindertagesbetreuung, die im deutschsprachigen Raum ohnehin bislang noch kaum ein Untersuchungsgegenstand der Forschung war, auf elterliche Handlungsspielräume zu beziehen, ist auch im internationalen Vergleich eine neue Herangehensweise, wodurch eine Sensibilisierung von Fachkräften für die Leistungen der Eltern, die diese bereits im Vorfeld sowie zur Aufrechterhaltung und Ausgestaltung eines Betreuungsverhältnisses erbringen müssen, erfolgen kann. Die klar strukturierte Analyse der Interviews kann als Beitrag zu einem neuen Verständnis für Eltern als praxisrelevante MitgestalterInnen von Kindertagesbetreuung verstanden werden. Insbesondere die immense Relevanz von direktem Kontakt zwischen Eltern und pädagogischen Fachkräften im Alltag, der Aufbau und die Etablierung von kooperativen Beziehungen kommt deutlich aus Maders Analyse und Schlussfolgerung hervor. Es wurde eine Heuristik entwickelt, die von der Sicht der Eltern als NutzerInnen ausgehend, elterliches Handeln und Interaktionen als wesentliche Elemente sozialer personenbezogener Dienstleitung hervorhebt.

Das Buch eignet sich hervorragend, um einen besseren Überblick über die verschieden gearteten Angebote von Kindertageseinrichtungen zu erlangen und aus Sicht der Eltern in die Entscheidungsprozesse und (Selbst-)Positionierungen zu blicken. 

Gleichzeitig setzt die theoretische Herleitung durch interdisziplinäre Bezüge aus der Forschung beispielsweise zu personenbezogenen Dienstleistungen und Organisationskultur Vorwissen oder zumindest ein starkes Interesse an Dienstleistungsforschung und -theorie sowie Organisationskultur voraus, da die theoretischen Bezüge teilweise tiefgehend und langatmig sind. Während die Analyse und Diskussion der Interviews eher einen sozialpädagogischen und praxisnahen Bezug haben und gerade für einen Perspektivwechsel von pädagogischen Fachkräften und Leitungskräften einen Mehrwert bieten, stellt die intensive Einarbeitung in die interdisziplinären Bezüge eine Herausforderung dar.

Fazit

Marius Maders Dissertation stellt einen Beitrag zum Untersuchungsgegenstand kommerzieller Kindertagesbetreuungen im deutschsprachigen Raum dar. Er behandelt dabei die Perspektive der Eltern als NutzerInnen und KundInnen von Kindertageseinrichtungen im Zentrum des Forschungsgegenstandes und eröffnet neue Sichtweisen auf die Positionierung der Eltern und deren Auswirkungen auf die praktische Zusammenarbeit von Kindertageseinrichtungen und Eltern.

Rezension von
Lucia Kliem
Masterstudentin MAKS, Hochschule Koblenz, Fachbereichsleitung Kita InSL e.V.
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Es gibt 1 Rezension von Lucia Kliem.

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Zitiervorschlag
Lucia Kliem. Rezension vom 27.08.2024 zu: Marius Mader: Eltern und kommerzielle Kindertagesbetreuung. Zur Bedeutung der Positionierung von Eltern als Kund*innen. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2024. ISBN 978-3-7799-7436-9. Reihe: Neue politische Ökonomie der Bildung. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32282.php, Datum des Zugriffs 15.09.2024.


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