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Simone Seitz, Catalina Hamacher et al.: Qualitätsoffensive Ganztag

Rezensiert von Prof. Dr. rer.soc. Ulrich Deinet, 30.01.2025

Cover Simone Seitz, Catalina Hamacher et al.: Qualitätsoffensive Ganztag ISBN 978-3-95414-205-7

Simone Seitz, Catalina Hamacher, Leonie Schieffer, Charline Bunte: Qualitätsoffensive Ganztag. Praktische Methoden für den Weg zur guten Ganztagsbildung. Wochenschau Verlag (Frankfurt am Main) 2024. 103 Seiten. ISBN 978-3-95414-205-7. D: 19,90 EUR, A: 20,50 EUR.
Reihe: Debus Pädagogik.

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Thema und Hintergründe

Das 100 Seiten lange Buch versucht, vor dem Hintergrund der Notwendigkeit eines weiteren Ausbaus des Ganztags und der Entwicklung ganztägiger Bildungs- und Lebensorte, Anregungen für eine Qualitätsentwicklung im Ganztag zu geben und bezieht sich dabei auf die Zielgruppe von Fachberater:innen, Fortbildner:innen und Leitungspersonen im Bereich von Schule und Ganztag, Trägern und Ämtern.

Autorinnen

Die Autorinnen kommen aus der wissenschaftlichen Begleitung der „Montag Stiftung Urbane Räume“ oder deren Umfeld: Die Montag Stiftung und ihr Bereich „Jugend und Gesellschaft“ sind seit vielen Jahren an verschiedenen Orten mit der Entwicklung des Ganztags beschäftigt und arbeiten auch mit der wissenschaftlichen Begleitung. Alle vier Autorinnen sind Wissenschaftlerinnen und Hochschullehrerinnen an verschiedenen Universitäten und Hochschulen im Bereich der Bildungsforschung, der Erziehungswissenschaften etc.

Aufbau und Inhalt

Das Buch besteht zum großen Teil aus einer Sammlung von Methoden und Übungen für die Arbeit mit Teams, also Fachkräften, sowie an einigen Stellen auch auf die Arbeit mit Kindern und deren Einbeziehung in die sogenannte Qualitätsoffensive.

Das Buch besteht aus zwei Teilen: Einer Einführung und einem zweiten Teil mit fünf Themen-Schwerpunkten, zu denen jeweils verschiedene Methoden und Übungen vorgestellt werden. Das Ganze ist sehr praxisorientiert bis hin zu ausformulierten Anleitungen und sogar in Kopie nutzbaren Formularen oder Abbildungen für die einzelnen Methoden.

Im Vorwort, der sog. Verortung, beschreibt Meike Kricke von der Montag Stiftung Hintergründe und die einzelnen Elemente der von der Montag Stiftung initiierten und begleiteten Projekte, die „Prozess-Begleitung, kommunale Steuerung, Vernetzung und multiperspektivischer Austausch sowie OGS Entwicklung aus der Perspektive der Kinder“. Diese vier Elemente sind auch die Leitlinien für die weitere Entwicklung des Buches und finden sich auch in den Methoden und Übungen wieder.

Der erste Teil „Einführung“ beginnt mit einer Einführung in das Material von Simone Seitz und anderen, die auch kurz aktuelle Literatur – insbesondere auch zur Sicht der Kinder auf die Ganztagsschule vorstellt. Qualitätsentwicklung wird vor allen Dingen als „Verständigungsarbeit“ zwischen den unterschiedlichen Professionen verstanden. Dabei werden die unterschiedlichen Institutions-Logiken und -Strukturen zwischen Jugendhilfe und Schule nicht verschwiegen, sondern immer wieder aufgenommen. Eingeführt wird dann die Metapher einer OGS-Entwicklung als „Abenteuerreise in Form einer Weltraum-Erkundung innerhalb eines Universums von Planeten und der sie umgebenden Atmosphäre“ (Seite 16). Im Folgenden wird die Metapher weiter erklärt und die einzelnen Bausteine auf der Reise vorgestellt, sowie die Themenschwerpunkte. Zu den einzelnen Themenschwerpunkten gibt es jeweils Bausteine, in denen auch Material aus der wissenschaftlichen Begleitung, z.B. in Form von Interview-Ausschnitten, verarbeitet wird.

Prozessbegleitung, Fortbildung und Beratungssituation sind elementare Inhalte dieses Buches, dass sich auch auf die Zielgruppe bezieht, die solche Prozesse begleitet, anleitet oder steuert. Haltungen, Werte, Befindlichkeiten und Selbstreflexion sind im ganzen Buch immer wiederkehrende Begriffe, die auch den Schreibstil aus einer Moderations-Perspektive heraus kennzeichnen. Die Einführung endet mit einem Überblick über die Methodensammlung und die manchmal schwer zu unterscheidenden Begriffe, Themen-Schwerpunkte, Bausteine sowie Inhalte und Methoden.

Der Teil zwei „Themenschwerpunkte“ beginnt mit dem Unterthema: „Gemeinsames Bildungsverständnis“ (Seite 27 ff.) und einem kurzen Interview-Ausschnitt, der danach interpretiert wird. Dazu gibt es auf Seite 29 einen sogenannten „Informations-Text“ zum Thema Bildungsverständnis, sowie zu den Begriffen „formale, non-formale und informelle Bildung“ auf Seite 30. Sehr gelungen ist hier, dass noch einmal wichtige Begriffe zusammengefasst und in den Text eingestreut werden.

  • Baustein 2 „Aufsteigendes Verfahren“ beschreibt eine Methode, die z.B. im Rahmen eines pädagogischen Tages eingesetzt werden kann und welche die gemeinsame Leitbild-Entwicklung im Ganztag zur Zielsetzung hat. Die methodischen Schritte werden auf Seite 32 ff. sehr konkret beschrieben.
  • Es folgt Baustein 3 „Die Placemat-Methode“. Auch hierbei handelt es sich um eine kreative Methode zur Entwicklung eines Bildungsverständnisses, zu dem auf Seite 36 auch ein Pfad mit einzelnen Schritten formuliert wird.
  • Baustein 4a, „Das Seerosen-Modell“, bezieht sich auf die Unterscheidung von impliziten und expliziten Werten und Normen der Fachkräfte aus den unterschiedlichen Bereichen.
  • Baustein 4b thematisiert nun zum ersten Mal auf die Einbeziehung von Kindern, die auch beim „Seerosen-Modell“ mitarbeiten können und dazu Tier-Karten verwenden, die auf Seite 43 dargestellt werden. Ziemlich anspruchsvoll scheint es mir für Kinder zu sein, die Abstraktion des Seerosen-Beispiels zu verstehen. Hier würde man sicher eher ältere Kinder, z.B. Kinder der dritten oder vierten Klasse, einbeziehen als jüngere Kinder.
  • Baustein 5 bezieht sich auf die Reflexion der Sprache im Alltag und gibt dazu einige Reflexions-Anfragen für die Arbeit im Team mit.

Wir kommen zum Themenschwerpunkt „Teamverständnis“, allerdings verliert man hier etwas die Übersicht über die Nummerierungen und Zahlen. Es geht weiter mit

  • Baustein 1 „Anker-Beispiel und Hintergrund“ und der Methode „World-Café“ auf Seite 46;
  • Baustein 3 mit einer weiteren Übung zur Reflexion und Konkretisierung eigener Ziele und Motivationen sowie
  • Baustein 4 zur Entwicklung der Qualität unserer Ganztagsschule (Seite 50). Hier wird die Arbeit mit einem vorhandenen Index für Inklusion (Seite 51) vorgeschlagen.
  • Sehr konkret und praxisbezogen ist auch Baustein 5 auf Seite 53 zur abschließenden Frage zum „Team-Raum“, der aber auch sehr kurz gehalten ist.

Es geht weiter mit dem Punkt 2.3 „Rollenverständnis“, der wieder ein Anker-Beispiel und einen Baustein zu den Rollenbildern innerhalb der OGS enthält und auf Seite 56 auch mit unterschiedlichen Abbildungen, die verschiedene Rollenverständnisse ausdrücken sollen. Baustein 3 fragt „Wer ist wofür zuständig?“ und beschreibt eine sehr interessante Stufenleiter (Seite 59), in dem unterschiedlichen Typen der Kooperation verglichen werden.

Das Thema „Kooperation“ wird auf Seite 60 im Baustein 4 „Kooperation im Team-Raum“ fortgeführt und mit dem sogenannten PAULA-Problemlösungs-Schema (Seite 63) konkretisiert. Ab Seite 65 geht es im Teil 2.4 um Ressourcen im Team, wieder mit Anker-Beispiel und Hintergrund und einer völlig unaussprechbaren Methode auf Seite 66, die man als „wertschätzende Erkundung“ beschreiben kann. Sehr interessant ist auch das Ressourcen-Puzzle mit Bingo (Seite 69) und die Anleitung zur Erstellung eines Ressourcen-Katasters für das gesamte Team, das nicht so leicht verständlich ist.

Im Baustein 3 geht es ab Seite 72 um die Frage der Nutzung von Ressourcen, zunächst mit dem Baustein „Ressourcen-Managerin: Was wissen die anderen nicht über Dich?“.

In Teil 2.5 ab Seite 75 geht es endlich auch um Kinder-Partizipation, wieder mit einem Anker-Beispiel sowie der Beschreibung von Hintergründen und dann methodisch ab Seite 77 zunächst um das Vorhaben eines Rollenspiels für Erwachsene, die ein Kinderparlament nachspielen und sich so in den Rollen und Situationen von Kindern einüben können. Eine sehr konkrete Beschreibung der Rollen gibt es dazu auf Seite 78. Eine weitere Methode beschreibt die Befragung von Kindern durch Kinder ab Seite 79, sowie die Frage nach der Arbeit am Partizipations-Verständnis auf Seite 81, die sich nun wieder an Fachkräfte und Erwachsene richtet und sich im Wesentlichen auf die in der Partizipationsliteratur immer wieder auftauchende Stufenleiter unterschiedlicher Partizipations-Niveaus bezieht, die hier vereinfacht wiedergegeben werden und auch für die Kinderperspektive nutzbar gemacht wird (Seite 85 oben: Eine sehr anregende Form, wie Kinder ihre Möglichkeiten der Mitgestaltung selbst einschätzen können). In Baustein 5 „Kinder oder Schüler:innen“ ab Seite 85 wird der Unterschied zwischen Schülerrolle und Kinderrolle sehr kurz angerissen und nicht wirklich weiter ausgeführt. Es folgt ein sehr kurzer Abschluss auf Seite 88.

Diskussion

Ein großer Pluspunkt des kleinen Buches ist die gute Lesbarkeit und auch die in der praktischen Arbeit mit Teams, aber auch mit Kindern umsetzbaren Methoden. An etlichen Stellen kommt der Text aber auch etwas normativ daher, und es gibt anscheinend unhintergehbare Setzungen für das gesamte Buch. Meine Kritik besteht darin, dass die Überschrift „Qualitätsoffensive Ganztag“ doch etwas mehr verspricht als eine Beschreibung von Methoden, die man vor allen Dingen mit Fachkräften und Kindern in der Entwicklung eines Verständnisses/​Konzeptes nutzen kann.

Es geht hier immer nur um Schule, aber die Öffnung von Schule spielt so gut wie keine Rolle. Auch sozialräumliche Aspekte werden kaum aufgenommen und auch Kooperationspartner der offenen Ganztagsschule, die in der Realität eine große Rolle spielen und auch für die Entwicklung der Qualität des Ganztags mitentscheidend sind, kommen so gut wie nicht vor.

Positiv ist auf jeden Fall die Einbeziehung von Kindern. An einigen Stellen erscheint mir allerdings die „Flughöhe“ etwas zu hoch zu sein und auch die Tatsache, dass Kinder nicht nur immer verbal mitgestalten, sondern vor allen Dingen auch über Medien agieren, wird nicht wirklich ausgeführt (was allerdings vermutlich auch den Rahmen des Buches gesprengt hätte). Sehr positiv ist der übersichtliche Anhang, der auch kopierbare Vorlagen enthält, die man sofort umsetzen kann.

Fazit

So wichtig ein gemeinsames Bildungsverständnis ist, werden allerdings die Voraussetzungen dafür – insbesondere die unterschiedlichen Qualifizierungen, Bezahlungen und gesellschaftlichen Anerkennungen der am Ganztag arbeitenden Fachkräfte – nicht weiter thematisiert. Kann es nicht in einem so komplizierten System wie einer Ganztagsschule auch funktionierende Sub-Teams geben, die zum Beispiel im Rahmen der sozialpädagogischen Arbeit mit Kindern auch etwas andere Ziele verfolgen als zum Beispiel Lehrerinnen und Lehrer im Rahmen des Unterrichts, obwohl beide Gruppen natürlich zum Gesamtsystem einer Ganztagsschule gehören? Es fehlt für mich eine sozialpädagogische Seite, die auch die Jugendhilfe stärker in die Qualitätsentwicklung des Ganztags einbringt, die ja immerhin sehr verbreitet auch der Träger des Ganztags ist. Dann müsste man allerdings auch diskutieren, ob „Ganztagsbildung“ wirklich der „Alles“ umfassende Begriff ist, sondern z.B. auch der etwas in Vergessenheit geratenen Begriff der Betreuung eine Rolle spielt besonders aus Sicht von Kindern und Familien.

Rezension von
Prof. Dr. rer.soc. Ulrich Deinet
Dipl.-Pädagoge, bis 2021 Professur für Didaktik/Methodik der Sozialpädagogik an der Hochschule Düsseldorf, Co-Leiter der Forschungsstelle für sozialraumorientierte Praxisforschung und –Entwicklung FSPE; Mitherausgeber des Online-Journals sozialraum.de. Freiberuflicher Kindheits- und Jugendforscher, Seminarleiter, Berater und Referent, Themen: Kooperation von Jugendhilfe und Schule, Schulsozialarbeit, Ganztagsbildung, Offene Kinder- und Jugendarbeit, Sozialraumorientierung, Konzept- und Qualitätsentwicklung.
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Es gibt 14 Rezensionen von Ulrich Deinet.

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ISSN 2190-9245