Suse Schumacher: Die Psychologie des Waldes
Rezensiert von Prof.in Dr.in Daniela Cornelia Stix, 26.07.2024

Suse Schumacher: Die Psychologie des Waldes. Selbsterkenntnis, Neuausrichtung und innerer Frieden durch Waldcoaching. Kailash (München) 2024. 253 Seiten. ISBN 978-3-424-63258-3. D: 24,00 EUR, A: 24,70 EUR, CH: 32,10 sFr.
Thema
Der Untertitel des Buches lautet „Selbsterkenntnis, Neuorientierung und innerer Frieden durch Waldcoaching“ und beschreibt damit sehr gut, was die Lesenden erwartet. Die Autorin selbst beschreibt das Ziel des Buches als Wegweiser dafür, „die Natur als Heilungsraum zu verstehen und zu nutzen – auf wissenschaftlicher, emotionaler und intuitiver Ebene“ (S. 15). Hierzu verknüpft sie didaktisch bewusst Fallgeschichten aus ihrer Praxis mit empirischen Erkenntnissen der Psychologie und weiterer Disziplinen. Ihren Ansatz des Waldcoachings definiert Suse Schumacher wie folgt: „Ganz gleich, um welches Problem es sich dreht, es geht stets um die übergeordnete Frage, wie ein Mensch in eine fließende Bewegung kommt, in eine Verbindung mit sich, seinem Leben und seiner Mitwelt. Waldcoaching betrachtet den Wald als Bühne und Fundus, als Spiegel und Resonanzraum, als sicheren Raum und offenes Experimentierfeld“ (S. 18). Insofern ist das zweite erklärte Ziel der Autorin, mit dem Buch bei den Lesenden ein Bewusstsein für die Natur und ihren Schutz zu wecken.
Autorin und Entstehungshintergrund
In einer Lebenskrise fand die Journalistin Suse Schumacher im Wald einen Raum, um (wieder) zu sich zu finden, woraufhin sie ihr Leben neu ausrichtete. Die Autorin hat daraufhin Psychologie und Gartenbau studiert sowie Weiterbildungen unter anderem in systemischer Naturtherapie, Hypnose-Coaching und Psychodrama absolviert. Für sie sind die Natur im Allgemeinen und der Wald im Besonderen Teil des Selbst. Zentral ist eine „Verbundenheit mit allem Lebendigen“ (S. 13). Ihren Ansatz des Waldcoachings versteht sie als ganzheitlich und lösungsorientiert. Der Wald sei ihr „Co-Therapeut und Coachingraum“ (S. 14).
Aufbau und Inhalt
Das Buch umfasst neben einer Einführung drei Kapitel. In der Einführung legt die Autorin ihre Motivation und den Entstehungshintergrund des Buches dar.
Die fünf Prinzipien des Waldcoachings
Suse Schumacher stellt zunächst die Prinzipien vor, an denen sie ihr Waldcoaching ausrichtet. Die Prinzipien lauten „Stärken stärken“, „Die positive Wirkung des Waldes“, „Mehr Achtsamkeit wagen“, „Naturbeobachtung“ sowie „Öffnung durch Verbundenheit“.
In der Erörterung des ersten Prinzips erläutert die Autorin die Grundlagen der Positiven Psychologie. Beim zweiten Prinzip bezieht sie sich vornehmlich auf wissenschaftliche Erkenntnisse zu den positiven Wirkungen von Naturaufenthalten. Im Fokus des dritten Prinzips stehen drei Formen der Achtsamkeit. Wovon die äußere Achtsamkeit im vierten Prinzip implizit nochmals aufgegriffen wird, wenn es darum geht, die Natur wahrzunehmen und Prozesse metaphorisch zu betrachten. Mit der Bedeutung von einer Verbundenheit mit sich selbst und der Natur beschäftigt sich das fünfte Prinzip der Autorin.
Durch dieses erste Kapitel zieht sich die episodenhafte Schilderung eines Waldcoachingprozesses, von Suse Schumacher mit einer Gruppe, in dessen Fokus vornehmlich die Auseinandersetzung mit eigenen Stärken der Teilnehmenden steht. Jedes Prinzip wird mit einem Zitat eingeleitet und insgesamt wird der Text durch verschiedene Bilder mit Naturmotiven visuell aufgelockert. Das Kapitel schließt mit einer Packliste für den Waldbesuch.
Schritt für Schritt ins Abenteuer – der Waldcoaching-Prozess
Die Lesenden erwarten hier 12 Prozessschritte, wovon „Erden und Ankommen“ den ersten darstellt und in dem unter anderem dargelegt wird, warum es im Coaching wichtig ist, bei sich selbst anzukommen. „Die Sinne schulen“ ist der zweite Prozessschritt und die Autorin legt ausführlich dar, warum es bedeutsam ist, sich den Wald mit allen fünf Sinnen zu erschließen. Im dritten Schritt folgt „Der Schwellengang“. Die Autorin beschreibt hier Initiation/​-sriten und Vision Quests und deren Phasen als Techniken. Außerdem sind Intentionen/​Zielsetzungen und Affirmationen und ihre Einbindung in den Alltag ein Thema. Um „Verkörperung“ geht es im vierten Prozessschritt. Hierbei, auch als Embodiment bezeichnet, geht es um die Verbindung von Körper und Kopf sowie physischen und emotionalen Prozessen. Der fünfte Prozessschritt lautet „Herzresonanz“ und behandelt die Verbindung von Herz und Umwelt. Die Themen Intuition, Authentizität und Sinn behandelt Suse Schumacher im Kapitel „Orte der Kraft“. Im siebten Prozessschritt „Tiere als Spiegel“ stehen eine persönliche Erfahrungsgeschichte und Übungen im Vordergrund, aber auch Tiere als Politikum sind Thema. An die Tiere anknüpfend folgt im nächsten Prozessschritt die „Kommunikation mit Pflanzen“. In diesem beschreibt die Autorin die historische Symbolik von Bäumen und fasst aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse über Bäume (Empfindsamkeit, Kommunikationsfähigkeit mittels chemischer Prozesse etc.) zusammen. Der neunte Prozessschritt lautet „Den Blick weiten“. Suse Schumacher beschreibt, wie sie ihren Klient:innen mittels Naturmetaphern und Symboliken Zugang zu den eigenen Emotionen erleichtert bzw. ermöglicht. In „Der Lösung ist das Problem egal“ werden Glaubenssätze behandelt und wie diese gezielt aufgebrochen und Veränderungen initiiert werden können. Der vorletzte elfte Prozessschritt lautet „Die Kraft der Rituale“. Rituale und Spiritualität stehen hierbei im Fokus des Kapitels. Der Hauptteil des Buches schließt mit dem zwölfte Pozessschritt „Im Fluss des Lebens“. Thematisiert werden hierzu von Suse Schumacher u.a. Akzeptanz, Resilienz und Bewertungen.
Die zwölf Kapitel setzen sich – in jeweils unterschiedlicher Gewichtung – in der Regel zusammen aus Fallbeispielen der Coachingpraxis, privaten Beispielen, Übungen, Definitionen des Kapitelgegenstands und Erklärungen von psychologischen Prozessen und Abläufen, die teils empirisch belegt sind und teils auf Erfahrungswerten beruhen. Außerdem werden geflügelte Worte oder Weisheiten zitiert und Tipps formuliert. Die von der Autorin als Prozessschritte bezeichneten Kapitel stellen insgesamt eine Sammlung von Elementen und Techniken dar, welche die Autorin im Rahmen ihrer Coachings nutzt. Sie bauen nicht zwangsläufig schrittweise aufeinander auf, weshalb sie auch weitgehend in flexibler Reihenfolge lesbar sind.
Das Waldgefühl in den Alltag integrieren
Im ersten Teil findet sich ein Interview mit einer Indigenen, mit welchem die Autorin zeigen möchte, wie bedeutsam Blickwechsel sein können und warum wir der Wald sind. Weitere Botschaften, die den Lesenden von Suse Schumacher abschließend mitgegeben werden, sind, sich der Reziprozität allen bewusst zu sein, sich mehr vom Herz leiten zu lassen und sich solidarisch zu verhalten. Es folgt eine Liste mit Tipps, um sich ein „Waldgefühl“ im Alltag zu erschaffen und zu bewahren. Für die letzten Worte des Buches lässt die Autorin den Wald selbst 'sprechen'.
Das Buch schließt mit Dank und einem als 'Anmerkungen' bezeichneten Quellverzeichnis.
Diskussion
Das Buch ist nicht als wissenschaftliches Werk angelegt, sondern stellt eher Erfahrungswerte als Grundlage des Buches ins Zentrum und entspricht daher eher einer Ratgeberfunktion/​-literatur. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden scheinbar willkürlich belegt (Yūgen S. 40, Inter-Brain-Synchrony S. 46 f. etc.) oder nicht belegt (Einsamkeit als gesundheitliches Problem S. 46, MBSR S. 37, Empowerment S. 23, Reframing S. 40 etc.). Viele Argumente sind nicht stringent aufgebaut und inhaltlich sind in den Kapiteln viele Gedankensprünge zu verzeichnen, von denen nicht alle immer nachvollziehbar waren. Am Beispiel des ersten Waldcoaching-Prinzips lässt sich dies gut verdeutlichen. Hier springt die Autorin auf wenigen Seiten von Punkt zu Punkt: Stärken entdecken – Lebenskrise – biologische Prozesse – dann mischt sich darunter ein Ausblick auf ein späteres Kapitel, Gedanken zur Sicherheit werden nicht ausgeführt, sondern stattdessen Seele und Verbindung bearbeitet und am Ende des Abschnitts bleibt das Gefühl, dass man nicht erfahren hat, wie man die eigenen Stärken nun entdecken kann. Auch anhand des ersten Kapitels im Hauptteil des Buches kann aufgezeigt werden, aus welch einem Potpourri es aufgebaut ist. Ohne theoretische oder empirische Fundierung und teils ohne das Benutzen der konkreten Terminologien werden die Trauerarbeit (S. 58 f.), der symbolische Interaktionismus und Konstruktivismus (S. 59 f.), Emotionsarbeit (S. 61 f.), Atemtherapie (S. 63 f.), Meditation (S. 66 f.) und Neugierde (S. 69 f.) von Suse Schumacher unter dem Abschnitt „Erden und Ankommen“ behandelt. Auch eine kleine Käferkunde enthält dieses Kapitel (S. 70). Die Lesenden dürften den roten Faden in diesem Potpourri etwas verlieren.
Fazit
Sieht man das Buch als Ratgeberliteratur, ist es insgesamt ein faszinierendes Buch, in dem die Autorin ihre wertvollen Lebens- und Coachingerfahrungen sowie empirische Erkenntnisse mit den Lesenden teilt. Dann kann man auch darüber hinweggehen, dass an vielen Stellen nicht wissenschaftlich sauber belegt und stringent strukturiert wurde.
Rezension von
Prof.in Dr.in Daniela Cornelia Stix
ist Dipl.-Sozialpädagogin/-arbeiterin (FH) und Medienwissenschaftlerin (M.A.) und als Professorin für Soziale Arbeit an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg tätig. Ihre Arbeitsschwerpunkte umfassen die Themen Digitalität und Digitalisierung der Sozialen Arbeit, Natur- und Erlebnispädagogik sowie die Kinder- und Jugendarbeit.
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ORCID: https://orcid.org/0000-0001-9211-7748
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