Beate Priewasser, Karl Heinz Brisch (Hrsg.): Aufwachsen in unsicheren Zeiten
Rezensiert von Wolfgang Schneider, 14.02.2025

Beate Priewasser, Karl Heinz Brisch (Hrsg.): Aufwachsen in unsicheren Zeiten. Eltern und Kinder in Veränderungen und Krisen professionell begleiten. Klett-Cotta Verlag (Stuttgart) 2024. 300 Seiten. ISBN 978-3-608-98777-5. D: 40,00 EUR, A: 41,20 EUR.
Thema
Unsere Zeit ist von globalen Krisen, gesellschaftlichen Veränderungen und Umbrüchen geprägt, die auch den Lebensbeginn beeinflussen. Junge Familien und die sie begleitenden Fachkräfte stehen vor zahlreichen Fragen, Möglichkeiten und Herausforderungen. Wie wandeln sich Elternrollen und Medienkonsum und welche neuen Situationen entstehen dadurch? Wie beeinflusst die Klimakrise die Gesundheitsversorgung rund um die Geburt? Gibt es Chancen in den sich ändernden Lebensbedingungen? Neben gesellschaftlichen Veränderungen werden außerdem individuelle Krisen thematisiert, z.B. der Umgang mit lebenslimitierenden Pränataldiagnosen oder Behinderungen. Das Buch bietet einen reichhaltigen Schatz an Hilfestellungen und konkreten Lösungsansätzen für die Begleitung von Eltern durch Krisen und Unsicherheiten.
Herausgeberin
Beate Priewasser, Dr.in, Leiterin des Forschungsinstituts für Early Life Care an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität in Salzburg, Klinische und Gesundheitspsychologin, Psychotherapeutin; beschäftigt sich mit Themen der sozio-kognitiven und sozio-emotionalen Entwicklung von Kindern im Alter zwischen 0 und 4 Jahren. Die Herausgeberin hat Unterstützung von 15 Expert:innen aus den jeweiligen Fachrichtungen.
Aufbau und Inhalt
Zu Beginn werden komplexe Situationen beleuchtet, in denen Eltern zum Beispiel aufgrund der Fortschritte in der medizinischen Technologie und Pränataldiagnostik vor schwierigen Entscheidungen stehen. Dazu schreibt Esther Ingerle über die Begleitung von Eltern, die sich trotz lebenslimitierender Pränataldiagnose dafür entscheiden, die Schwangerschaft fortzuführen. Die traumatisierenden Folgen, die überlebensnotwendige medizinische Interventionen in den ersten Lebenswochen haben können, hat Karin Lebersorger in ihrem Beitrag beschrieben.
Maria Becker greift schließlich die existenzielle Krise auf, die die Geburt eines Kindes mit Beeinträchtigung in einer Familie auslösen kann. Begleitung und Beratung vor, während und nach solchen ethisch höchst komplexen Erfahrungen und Entscheidungen können Eltern bei der emotionalen Bewältigung und Verarbeitung dieser Situationen unterstützen und dazu beitragen, dass sie für ihre Säuglinge von Beginn an emotional besser verfügbar sein können und sich so eine stabile Bindung aufbauen kann. Neben medizinischen Fortschritten sind wir mit einer Reihe weiterer gesellschaftlicher Veränderungen konfrontiert, die neue Reflexionen im Hinblick auf Familienleben und eine gute kindliche Entwicklung brauchen.
Johannes Huber beleuchtet dazu die sich weiter verändernde Rolle von Vätern in der Familie sowohl theoretisch als auch in ihren Konsequenzen für die praktische Zusammenarbeit.
Elisabeth Denzl und Charlotte Laule beschäftigen sich mit dem in der frühpädagogischen Praxis immer relevanter werdenden Umgang von Fachkräften mit (belastenden) Medienerlebnissen von Kindern im Kindergartenalter. Ihr Beitrag bietet eine Problemskizzierung sowie Handlungsmodelle für den professionellen Umgang mit diesem Thema. Hochaktuell ist ebenso das Thema der Fremdbetreuung von Kindern und der Sicherstellung einer hohen Qualität dieser Betreuung.
Julia Berkič und Daniela Mayer schreiben über die Bedeutung des Mentalisierens als Voraussetzung für feinfühliges Verhalten von pädagogischen Fachkräften. Ihr Beitrag präsentiert empirische Forschungsergebnisse sowie Arbeitsmaterialien zur Selbstreflexion der eigenen Feinfühligkeit im Kontext der Fremdbetreuung von Kindern.
Carmen Hoppe beschäftigt sich mit den Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit von schwangeren Frauen, Säuglingen und Kleinkindern, die als besonders gefährdete Gruppe gelten. Der Beitrag zeigt auf, wie Hebammen und andere Gesundheitsfachkräfte im Bereich Schwangerschaft, Geburt und frühe Kindheit auf die Folgen des Klimawandels reagieren und klimafreundliches Verhalten fördern können. Damit all diese vielfältigen Veränderungen und Herausforderungen bewältigt werden können, ist es entscheidend, Eltern mit geeigneten Methoden zu begleiten und zu unterstützen. Die folgenden Beiträge befassen sich deshalb damit, wie Eltern in der ersten Lebensphase ihrer Kinder sowohl auf individueller Ebene – in Form von Beratung und Therapie – als auch auf gesellschaftlicher Ebene – in Form von politischen Handlungskonzepten – unterstützt werden können.
Katharina Hager stellt in ihrem Beitrag eine Initiative auf kommunaler Ebene vor und skizziert, wie eine planvolle Unterstützung von Familien mit Kleinkindern seitens der Städte und Gemeinden aussehen kann. Eine psychotherapeutische Form der Unterstützung auf individueller Ebene beschreiben Gabriele Koch und Diana Drude. Sie stellen die aufsuchende fokusbasierte psychodynamische Eltern-Säugling-Kleinkind-Psychotherapie (ESKP-f) vor und geben Einblick in ihre Erfahrungen in der praktischen Umsetzung dieser Therapiemethode.
Zwei Methoden der Beratung zur Förderung der Eltern-Kind-Interaktion stellen Nina Gawehn, Nadine Hong, Tanja Besier und Anne Katrin Künster in ihrem Beitrag vor. Sie diskutieren die Anwendung, Evaluation und Forschung der Methoden Entwicklungspsychologische Beratung für Familien mit Säuglingen und Entwicklungspsychologische Beratung und Therapie für Familien mit Kindern von 4 bis 10 Jahren.
Maria Teresa Diez Grieser thematisiert in ihrem Beitrag die Arbeit mit psychisch erkrankten Eltern und beschreibt den Ansatz der mentalisierungsorientierten Elternarbeit. Schließlich bietet Ina Schmidt uns eine philosophische Betrachtungsweise von Wandlungsprozessen und Krisen an, aus der konkrete Anregungen und Denkanstöße für die praktische Begleitung von Familien in der frühen Lebensphase sowie neue Perspektiven für den eigenen Umgang mit diesen Herausforderungen entstehen. Sie stellt dar, warum sie die tiefere Reflexion über Werte und Bedeutung als eine zentrale Kompetenz für die Orientierung inmitten des Wandels betrachtet
Diskussion
Krisen und Veränderungen dürften zu den häufigsten Themen gehören, mit denen die Soziale Arbeit zu tun hat. Mal sind es die Krisen im Familienkreis, die ein Leben völlig auf den Kopf stellen, mal die großen (welt)-politischen Veränderungen, die die Soziale Arbeit vor Herausforderungen stellen. Dieses Buch bietet eine breite Mischung an möglichen Krisen, auf die Sozialarbeiter:innen in der Arbeit mit Kindern und Eltern treffen können. Die Mischung zwischen den Fallbeispielen und den Ansätzen, wie in der individuellen Situation mit den Klient:innen gearbeitet werden kann, welche „Erfolge“ möglich sind, macht dabei den Reiz aus. Es wird deutlich, dass hier Praktiker:innen mit einem großen Erfahrungsschatz schreiben, was am Ende dazu führt, dass die Leser:innen im besten Fall die eine oder andere gute Idee in ihren beruflichen Alltag mit einbinden können. Und wenn das gelingt, dann ist ein Fachbuch eine gute Investition.
Fazit
Das Buch bietet rund um das Thema Veränderungen und Krisen nützliches Wissen für Kinderärzt:innen, Kinderkrankenpfleger:innen, Hebammen, Psycholog:innen sowie Psychotherapeut:innen, Frühförderungsfachkräfte, Mitarbeiter:innen der Frühen Hilfen, Elementarpädagog:innen, Erzieher:innen sowie Sozialarbeiter:innen.
Rezension von
Wolfgang Schneider
Sozialarbeiter
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