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Maria Borcsa, Ivy Daure (Hrsg.): Genogramme

Rezensiert von Dipl. Soz.-Päd. Gerd Schweers, 16.04.2025

Cover Maria Borcsa, Ivy Daure (Hrsg.): Genogramme ISBN 978-3-525-40046-3

Maria Borcsa, Ivy Daure (Hrsg.): Genogramme. Ein Handbuch für die systemische Praxis und Forschung. Vandenhoeck & Ruprecht (Göttingen) 2024. 264 Seiten. ISBN 978-3-525-40046-3. D: 40,00 EUR, A: 42,00 EUR.

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Thema

Wissenschaftlich ausgewiesene und praxiserfahrene Autorinnen und Autoren aus Deutschland, Europa und den USA beschreiben den Stand der Arbeit mit Genogrammen in unterschiedlichen Settings und Arbeitsfeldern. Neben Therapie und Beratung sind Supervision, Weiterbildung und Forschung Kontexte, in denen Genogramme auch Verwendung finden. Neben „klassischen“ Genogrammen werden kreative Weiterentwicklungen vorgestellt.

Herausgeberinnen

Die Herausgeberin Maria Borcsa ist psychologische Psychotherapeutin und Professorin für klinische Psychologie an der Hochschule Nordhausen. Umfangreiche Veröffentlichungen und unter anderem jahrelange Aktivität im Vorstand der Systemischen Gesellschaft und einer europäischen Fachgesellschaft. Ausgezeichnet für Exzellenz im Bereich der Familientherapieforschung und der systemischen Praxis.

Die Herausgeberin Ivy Daure leitet eine psychotherapeutische Praxis in Bordeaux, ist Trainerin, Supervisorin und Lehrbeauftragte an der Universität Bordeaux. Sie ist Autorin von zahlreichen Veröffentlichungen.

Entstehungshintergrund

Genogramme sind seit Jahrzehnten ein bekanntes Instrument der systemischen Beratung. Sie haben darüber hinaus in anderen Kontexten Bedeutung gewonnen. Bei den Informationen zu den Herausgeberinnen und AutorInnen fällt in vielen Fällen eine Verzahnung von Praxiserfahrung und wissenschaftlicher Qualifikation auf, die einen keineswegs selbstverständlichen Hintergrund für die Veröffentlichung bildet.

Aufbau

Nach einem Brief von Monika MacGoldrick (statt eines Vorworts) skizzieren die Herausgeberinnen die sieben „A“ (Begriffe) die das Genogramm als systemisches Instrument kennzeichnen. Darauf folgt das umfangreichste Kapitel „Systemische Beratung und Therapie“ mit zehn Beiträgen, gefolgt von dem Kapitel „Supervision, Ausbildung und Training“ mit fünf Beiträgen. Das Buch endet mit dem Kapitel „Forschung“ und vier Beiträgen, sowie einer kurzen Darstellung aller Autorinnen und dem Index.

Inhalt

Der Brief von Monika MacGoldrick enthält nicht nur eine kurze Information über Schwerpunkte ihrer Arbeit am Multicultural Family Institute, New Jersey sondern auch eine Auflistung von Standardsymbolen, eine Darstellung ihrer Arbeit mit Einzelpersonen (Familientherapie mit einer Person) und eine kreative Weiterentwicklung des Genogramms durch eine analoge Technik. Die Vorstellung sieben zentraler Begriffe durch die Herausgeberinnen skizziert Grundannahmen und Bedingungen der Nutzung von Genogrammen.

Die Beiträge im ersten Kapitel sind zum Teil auf Settingfragen (Arbeit mit einzelnen, Arbeit mit Paaren) konzentriert, zum Teil geht es um Darstellungen konkreter Arbeit in verschiedenen Arbeitsfeldern (Soziale Arbeit, Pädiatrische Palliativversorgung, Stationäre Suchtbehandlung, Arbeit mit Inzestopfern). Ein weiterer wichtiger Aspekt ist dabei immer die kreative Weiterentwicklung der Methodik des Genogramms (VIP-Karte als Weiterentwicklung der Netzwerkkarte, Finanzgenogramme als Thematisierung von Geld und Kapital in Paar -und Familienbeziehungen, Nutzung von klassischen soziologischen Begriffen wie „Habitus“ beim Habitogramm u.a.) Zur ausdrücklichen Würdigung des Kontextes wird bei dem Beitrag über Inzest ausdrücklich auf die unterschiedlichen Geschwindigkeiten in den Bearbeitungssystemen Justiz und Therapie eingegangen. Der letzte Beitrag schließlich zum Erikson'schen Zukunftsgramm stellt interessante Verbindungen zu hypnotherapeutischen Ansätzen in der Beratung her.

Im nächsten Kapitel, konzentriert auf Supervision, Ausbildung und Training, geht es um Arbeitsfelder (Psychiatrie, Asylsuchendenberatung, Therapeutenausbildung, Coaching), aber auch um die Reflexion professioneller Aspekte wie Interventionsplanung, Strukturgewinnung und Machtfragen. Ausdrücklich thematisiert wird hier auch ein Thema wie Selbsterfahrung als Grundlage von Ausbildung und Weiterbildung. Angesichts der höchst unterschiedlichen Strategien, die in den verschiedenen therapeutischen Ansätzen zur Nutzung von Selbsterfahrung und Selbstreflexion bestehen, wird hier auf dem Wert dieser Erfahrungen ausdrücklich beharrt, ihr Nutzen anhand verschiedenster Erfahrungen in unterschiedlichen Feldern ausdrücklich betont.

Im letzten Kapitel schließlich geht es um Ansprüche an Genogramme in der qualitativen Sozialforschung im Allgemeinen sowie in der fallrekonstruktiven Forschung und im Fallvergleich. Hier wird aus Forschungssicht durchaus grundsätzlich auch Kritik am praktischen Nutzungsmodus von Genogrammen geäußert. Das Kapitel endet mit einem Beitrag über die Erstellung einer App (InGeno) als Hilfe bei der Erstellung von Genogrammen. Diese App ist nach meinem Wissen auch immer noch verfügbar.

Diskussion

Das Buch stellt mit einer Länge von 344 Seiten durchaus noch ein kompaktes Exemplar der Gattung Handbuch dar. Einem Handbuch entspricht die große Zahl von genutzten und beschriebenen Praxisfeldern, Interventionsformen und Aspekten der wissenschaftlichen Arbeit. Wie schon kurz beschrieben, ergänzen sich in den biografischen Informationen praxisrelevante Erfahrungen und wissenschaftliche Qualifikation.

Neben den erfahrungsorientierten und häufig von Engagement gekennzeichneten Beiträgen gibt es auch durchaus grundsätzliche Kritik am Instrument des Genogramms, vor allem aus systemtheoretisch fundierter oder klinisch-soziologischer Perspektive (Seite 270–282, Hildenbrand). Die hier durchaus bissig vorgetragenen Kritikpunkte scheinen mir keinesfalls unrealistisch, spiegeln aber die unterschiedlichen Treiber und ihre Dynamik in den Bereichen Anwendung und wissenschaftliche Reflexion wider. Anwender:innen müssen im Regelfall Aufgaben erfüllen. Genogramme sind Mittel der Arbeit. Dennoch sollten Sie hinsichtlich der beobachteten Muster nicht nur zum einfachen zählen bei der Identifikation von Mustern verführen. (S. 270)

Wissenschaft kann sich zeitintensives, detailliertes erforschen der Situation erlauben. Wenn als Fazit für die Forschungspraxis dann unter anderem benannt wird: „Milieus sind unterschiedlich narrationsaffin, darauf muss man vorbereitet sein.“, wird diese Erkenntnis aber auch für Anwender:innen mit weniger ausgeprägter soziologischer Kompetenz nicht überraschend sein.

Die arbeitsfeldbezogenen Darstellungen und kreativen Weiterentwicklungen verschiedener Techniken sind eine wertvolle Hilfe auch für erfahrene Anwender:innen, um das eigene Interventionsrepertoire flexibel zu gestalten. Die Nichtbeachtung blinder Flecken in der systemischen Beratung wie Macht und Organisation wird ebenfalls angemessen thematisiert und bildet einen guten Reflexionshintergrund für die eigene Praxis.

Fazit

Ein Handbuch, das in seiner überaus erfreulichen thematischen Breite und inhaltlichen Tiefe eher bereits erfahrene und mit den Themen vertraute Personen anspricht. Eine Nutzung in der Ausbildung von Personen und Berufsgruppen in verschiedenen Arbeitsfeldern wäre aber mit entsprechender inhaltlicher Flankierung im Ausbildungskontext durchaus denkbar. Der Nutzen ist – durchaus handbuchtypisch – sowohl bei der Gesamtlektüre wie auch in der gezielten Nutzung einzelner Abschnitte gegeben.

Rezension von
Dipl. Soz.-Päd. Gerd Schweers
Systemischer Familientherapeut, Ausbilder der GwG (GF, SV), Supervisor DGSv
Lehrer für besondere Aufgaben (Theorien und Methoden der Sozialarbeit) i.R.
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Es gibt 21 Rezensionen von Gerd Schweers.

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ISSN 2190-9245