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Jochen Spielmann, Antje Röckemann (Hrsg.): Handbuch Themenzentrierte Interaktion (TZI)

Rezensiert von Dr. theol. Kristina Kieslinger, 22.04.2025

Cover Jochen Spielmann, Antje Röckemann (Hrsg.): Handbuch Themenzentrierte Interaktion (TZI) ISBN 978-3-525-46277-5

Jochen Spielmann, Antje Röckemann (Hrsg.): Handbuch Themenzentrierte Interaktion (TZI). Vandenhoeck & Ruprecht (Göttingen) 2024. 4., vollst. überarbeitete Auflage. 400 Seiten. ISBN 978-3-525-46277-5. D: 40,00 EUR, A: 42,00 EUR.

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Thema

Die Psychoanalytikerin und Vertreterin der humanistischen Psychologie Ruth C. Cohn legte in den 1960er Jahren die wesentlichen Grundsteine dafür, was heute als Themenzentrierte Interkation (TZI) und beliebte Arbeitsweise mit Gruppen bekannt ist. Ihre grundlegenden Gedanken zum Menschen und dem menschlichen Zusammenleben entwickelte sie – auf Basis eines Wertefundamentes – zu einer ganz konkreten Methode, um mit Gruppen Anliegen zu bearbeiten. In den verschiedensten Bereichen – Schule, Jugendarbeit, Führungskräftefortbildungen – ist die TZI heute ein ‚Klassiker‘, um strukturiert Situationen zu analysieren und – über die Herstellung der Arbeitsfähigkeit der Gruppe – Themen zu bearbeiten.

Die praktische Arbeit mit TZI war, nicht zuletzt durch den akademischen Hintergrund Cohns, schon immer durch wissenschaftliche Reflexion begleitet. Dass die Arbeit am Theoriegebäude der TZI jedoch keineswegs abgeschlossen ist, zeigt die vorgelegte vierte vollständige überarbeitet Auflage des „Handbuch Themenzentrierte Interaktion“.

Autor:in oder Herausgeber:in

Antje Röckemann ist feministische Theologin und leitet als Pfarrerin das Referat für Gesellschaftliche Verantwortung im Evangelischen Kirchenkreis Gelsenkirchen und Wattenscheid. Sie hat das TZI-Diplom.

Dr. Jochen Spielmann ist Kunstwissenschaftler, Diplom-Pädagoge und Lehrbeauftragter für TZI des Ruth Cohn Institute für TCI-international. Er arbeitet als Hochschulentwickler, Supervisor und Coach DGSv.

Entstehungshintergrund

Nachdem 2009 das „Handbuch Themenzentrierte Interaktion“ erschien, wird nun die vierte vollständige Auflage von Antje Röckemann und Jochen Spielmann vorgelegt. Neben dem Herausgeber:innen-Team haben 33 Autor:innen am Handbuch mitgewirkt.

Die vorgelegte Überarbeitung geht nach Angaben der Herausgeber:innen „über den ‚State of the Art‘ hinaus“ (10). Die geschieht zum einen aus dem Anliegen, die TZI „stärker in der wissenschaftlichen Diskussion zu verankern“ (10), aber ebenso „die TZI hinsichtlich der Anwendbarkeit zur Stärkung der Demokratie und der Handlungsfähigkeit angesichts herausfordernder ‚Globes‘ in den Blick zu nehmen.“ (10).

Aufbau

Die 51 Beiträge sind nach dem Vorwort durch die Herausgeber:innen in sieben Teile untergliedert.

Kapitel I unter der Überschrift „Absichten, Intentionen und Ziele“ der TZI und fokussiert auf die Themen Leitung, Partizipation, Verantwortung und Lebenskunst.

Kapitel II beschreibt das „System der TZI“ mit den Grundlagen zu „Werte- und Handlungsorientierung“ anhand der Axiome und Postulate.

Kapitel III widmet sich dem Vier-Faktoren-Modell sowie dem Modell Struktur – Prozess – Vertrauen.

Kapitel IV ist der „Praxis“ gewidmet, die von der Beschreibung von Interaktion im Sinne der TZI über konkrete Arbeits- und Sozialformen bis hin zum Umgang mit den Hilfsregeln reicht.

Kapitel V beschäftigt sich unter der Überschrift „Grundlegende Einflüsse“ mit den vielfältigen Hintergründen, welche zur Entstehung der TZI beigetragen haben.

Kapitel VI, welches aus ausschließlich neu verfassten Beiträgen besteht, stellt die TZI in den interdisziplinären Dialog und wählt dabei vor allem Disziplinen, die bis jetzt wenig(er) im Fokus standen.

Kapitel VII beschäftigt sich aus syn- wie diachroner Perspektive mit der „Theorieentwicklung der TZI“ und wirft weitere Forschungsfragen auf.

Inhalt

Aus der Fülle der Beiträge sollen drei exemplarisch herausgegriffen werden. Die Auswahl wird aufgrund der Neuheit gegenüber der vorherigen Auflagen und ihrer Passung zum Anliegen der Herausgeber:innen, den gesellschaftlichen Kontext verstärkt zu berücksichtigen, getroffen.

David Keel unternimmt in seinem Beitrag „Entscheiden“ die Verbindung zwischen dem „Entscheidungsbegriff der Politikwissenschaftlerin Tanja Pritzlaff (2006)“ (40) zum Begriff der Interaktion in der TZI. Er unterscheidet dafür „[i]ndividuelles Entscheiden“ (40), das er mit dem Chairperson-Postulat in Verbindung setzt, und „[g]emeinsames Entscheiden“ (42), bei dem er auf die Problematisierung verschiedener Abstimmungsmethoden durch Ruth Cohn eingeht. Die Spannung zwischen dem Gewicht des Individuums und dessen der Mehrheit wird in diesem Beitrag – umsichtiger Weise – nicht aufgelöst, jedoch werden über Leitfragen (vgl. 45) und einem Plädoyer für mehr „Resonanz“ (46) in Interaktionen Spuren zur Vermittlung gelegt.

Jan-Hendrik Herbst und Christoph Holbein-Munske diskutieren in ihrem Beitrag die Notwendigkeit eines dritten Postulats, um die „politische Dimension der TZI auch adäquat in der Theoriearchitektur abzubilden“ (89). Dafür stellen sie diachron vier Positionen in der Debatte vor, die von der Befürwortung und konkreten Formulierung eines solchen bis hin zur expliziten Ablehnung reichen. Anhand verschiedener Argumente (Stringenz, Einfachheit und Konsistenz) wird die Sinnhaftigkeit eines „politische[n]“ (88) Postulats diskutiert. Besonders überzeugend ist die Überlegung, dass „im gegenwärtigen gesellschaftlichen Kontext weder das Chairperson-Postulat noch der Globe-Faktor inhärent politisch verstanden werden“ (90). Um ein „lebendiges Lernen“ (92) zu ermöglichen, sei auch eine „lebendige Theoriebildung“ (92) notwendig. Ein wirklich lesenswerter Beitrag!

Marc Casper und Franz Kaiser setzen in ihrem Beitrag die Kritische Theorie und die in der humanistischen Psychologie wurzelnde TZI miteinander ins Verhältnis. Die größte Gemeinsamkeit der Kritischen Theorie sehen die Autoren in der „mit der TZI geteilten ethischen Basis“ (308). Während die TZI zur Weltveränderung durch ein „verändertes Miteinander“ (308) anregt, hat die Kritische Theorie „den Weg der kognitiven Analyse der gesellschaftlichen Bedingungen gewählt“ (308). Die Autoren resümieren: „So unterscheiden sich die beiden Zugänge methodisch, doch es verbindet sie ganz wesentlich die Sehnsucht nach einem herrschaftsfeien Raum“ (309). Es kann nur gehofft werden, dass an diesem Brückenschlag weitergearbeitet wird.

Diskussion

In der Hinführung schreiben die Herausgeber:innen: „Das Handbuch will ein praktisches, gut verständliches Theoriebuch sein.“ (11) Dies ist ihnen und den Autor:innen mit der Überarbeitung vieler Beiträge und der Aufnahme zahlreicher neuer gelungen. Das Handbuch eignet sich sowohl für Menschen, die zum ersten Mal mit TZI in Berührung kommen als auch für jene, die damit schon seit Jahren vertraut sind. Die prägnanten Artikel sind, trotz unterschiedlicher Hoch-/​Niedrigschwelligkeit für Einsteiger:innen, alle einladend verfasst. Für jene, die ein wissenschaftliches Interesse an der TZI haben, dürfte das Handbuch neue Wege eröffnen.

Hervorzuheben sind die „multimedialen Ergänzungen“ (12) und das über einen QR-Code zur Verfügung stehende Download-Material. Für gezielt suchende Leser:innen ist das neu hinzugekommen Personen- und Stichwortregister eine große Erleichterung. Hilfreich sind weiter die gut gekennzeichneten Querverweise zwischen den Beiträgen, sodass das Handbuch einen dynamischen Gesamteindruck vermittelt. Dies unterstreicht noch einmal das Anliegen der Herausgeber:innen, den Leser:innen zu „vermitteln, dass die TZI in Bewegung ist“. Das Handbuch dürfte sicher dazu beitragen, dass sie auch weiterhin in Schwung bleibt.

Fazit

Das Handbuch „Themenzentrierte Interaktion“ stellt die Grundlagen der TZI verständlich dar und geht mit der Erhellung ihrer Hintergründe sowie diversen interdisziplinären Brückenschlägen weit darüber hinaus. Es ist allen an TZI praktisch oder wissenschaftlich Interessierten wie auch langjährigen Vertrauten zu empfehlen.

Rezension von
Dr. theol. Kristina Kieslinger
Inhaberin der Guardini-Professur für Ethik an der Katholischen Hochschule Mainz, TZI-Zertifikat
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Es gibt 2 Rezensionen von Kristina Kieslinger.

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ISSN 2190-9245