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Stefan Thesing: Leitideen und Konzepte bedeutender Pädagog:innen

Rezensiert von Prof. Dr. Arnold Köpcke-Duttler, 15.01.2025

Cover Stefan Thesing: Leitideen und Konzepte bedeutender Pädagog:innen ISBN 978-3-7841-3535-9

Stefan Thesing: Leitideen und Konzepte bedeutender Pädagog:innen. Ein Arbeitsbuch für den Pädagogikunterricht. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb (Freiburg) 2024. 5. Auflage. 229 Seiten. ISBN 978-3-7841-3535-9. D: 28,00 EUR, A: 28,80 EUR.
Reihe: Pädagogik.

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Autor

Der Autor ist Diplom-Pädagoge und Professor für Soziale Arbeit am Standort Hamburg der IU Internationale Hochschule.

Thema

Prof. Dr. Thesing befasst sich in diesem Arbeitsbuch mit bedeutenden Gestalten der Erziehungsgeschichte. Er geht davon aus, dass pädagogische Leitideen und Konzepte sich exemplarisch am besten an dem Lebenswerk konkreter Personen darstellen, weitertragen und interpretieren lassen. Ausdrücklich spricht der Autor von einer ideengeschichtlichen Auseinandersetzung als sinnvoller Ergänzung zu der Befassung mit empirisch-sozial-wissenschaftlichen Theorien und Erkenntnissen. Sein Werk erscheint bereits in der 5. Auflage, was für seine weite Verbreitung spricht: ein Arbeitsbuch als Einführung in Grundgedanken. Es richtet sich an Studierende der Pädagogik und der Sozialen Arbeit, Fachschüler:innen, Erzieher:innen, Ergotherapeut:innen und Heilpädagog:innen. Die ausgewählten Pädagog:innen (dazu zählt der Autor auch Philosoph:innen, Theololg:innen und engagierte Praktiker) werden keineswegs als fehlerfreie und vollkommende Menschen dargestellt, sondern in ihrer Lebensgeschichte und ihrem Lebenswerk, das beileibe nicht immer gelungen sei, zuweilen gescheitert.

Aufbau

Der Autor wählt Repräsentant:innen für die Einführung in sechs zentrale Fragestellungen der Pädagogik oder Erziehungswissenschaft (der wissenschaftliche Streit um die Bezeichnung der wissenschaftlichen Disziplin gehört nicht in dieses einführende Arbeitsbuch) aus:

  • Die Bildungs- und Erziehungsbedürftigkeit des Menschen
  • Die Erwachsenen-Kind-Beziehung
  • Reformpädagogische Ansätze
  • Christliche Erziehung
  • Bildung
  • Menschsein mit Behinderung.

Dabei werden die einzelnen Porträts entlang der folgenden Kriterien geordnet: Biografie; Zeittafel; Pädagogische Leitideen und Konzept (Kernaussagen, Begriffserklärungen, Schaubilder); Lesetext; Impulse für die heutige Erziehungspraxis; Übungsfragen; Literatur (Quellentexte, Auswahlbiografie, aktuelle Literatur, Taschenbuchausgaben); Medien (Videos, Film, Internetinformationen).

Inhalt

Das Kapitel „Die Bildungs- und Erziehungsbedürftigkeit des Menschen“ (S. 12 – 54) wirft mit dem Blick auf Jean-Jacques Rousseau und Johann Heinrich Pestalozzi die Frage nach der Bildbarkeit des Menschen und die große Bedeutung von Kindheit und Jugend als eigene Existenz- und Lebensweisen auf, betont demnach als zentrales Thema die Bildung des Menschen und der Menschheit. Für Pestalozzi sei die Verbesserung der Lebensbedingungen der Armen ein unaufgebbares Lebensthema gewesen. Noch heute (der Autor findet Ähnliches bei Janusz Korczak) besitze das Gleichgewicht der Bildung von Herz, Kopf und Hand große Bedeutung. Mit dem Blick auf Jean Marc Gaspard Itard verweist der Autor auf die geschichtliche Grundlage der Heil- und Sonderpädagogik. Seit Itard werde der geistig behinderte Mensch (die diskriminierende Tönung dieser Bezeichnung eines anderen Mensch-Seins diskutiert der Autor nicht) als erziehbar gesehen, nach der Verbindung von Medizin und Pädagogik gesucht.

Das Kapitel „Die Erwachsenen-Kind-Beziehung“ (S. 55 – 76) konzentriert sich auf die Ich-Du-Beziehung Martin Bubers, des jüdischen Religions- und Sozialphilosophen, in dessen Gesamtwerk des dialogischen Philosophierens und der jüdischen Überlieferung (zumal des Chassidismus) die pädagogischen Schriften freilich nur einen kleinen Bereich ausmachen. Bubers Einfluss auf Herman Nohls „pädagogisches Verhältnis“ wird herausgearbeitet, ohne den historischen Wandel der Leitgedanken zu übersehen. Pädagogischer Takt, Einfühlungsvermögen, Beobachtungsgabe, „Mitschwingungsfähigkeit“ und zwangloses Vertrauen werden in dem pädagogischen Bezug hervorgehoben: das Recht auf eine eigensinnige gute Zukunft. Hinsichtlich der großen Bedeutung des Sich-Einlassens auf das Leben der Kinder schlägt der Autor erneut eine Brücke zu Janusz Korczak, wie ihm auch an anderen Stellen daran gelegen ist, verbindende Linien anzudeuten. Es folgt ein „Exkurs Reformpädagogik“ im Wissen um den nicht klar umrissenen Begriff und die Diversität pädagogischer Ansätze. Dabei scheut der Autor nicht eine kritische Auseinandersetzung mit der Waldorfpädagogik (S. 79 – 81), auch wenn nicht klar wird, warum er gerade hier den Stachel seiner Kritik so zuspitzt.

In dem bei weitem längsten Kapitel „Reformpädagogische Ansätze“ (S. 83 – 156) bleiben Ellen Key und Célestin Freinet ausdrücklich unerwähnt. Das Kapitel beginnt mit Friedrich Fröbels „Elementarerziehung im Kindergarten“. Sein Ansatz könne (wie bei Pestalozzi und Comenius) als „Reformpädagogik vor der Reformpädagogik“) angegeben werden. Den Mittelpunkt des Kapitels bilden das „Grundrecht auf Bildung und Entfaltung von Kindern“ (S. 83) und der Schutz ihrer Lebensrechte. Fröbel habe sich für das Recht auf Kindsein, freies Spiel und ästhetische Erziehung eingesetzt. S. 91 stellt Fröbels Spielgaben zusammen. Janusz Korczak habe „Grundrechte für Kinder“ (genauer: Menschenrechte des Kindes) gefordert und mit den Kindern und Jugendlichen bis zu ihrer Tötung zusammengelebt. Alexander Neill habe die Internatsschule Summerhill als Ort für ein repressionsfreies Zusammenleben gegründet. Bei Maria Montessori wird hinsichtlich der Formen des Lernens zu stark die Bedeutung der Materialien hervorgehoben. Loris Malaguzzi, der Begründer der Reggio-Pädagogik, habe sich auf die speziell gestalteten Erlebnis- und Erfahrungsräume konzentriert, auf die Piazza als zentralen Kommunikationsplatz. John Dewey wird als Begründer der Demokratie-Pädagogik vorgestellt. Insgesamt geht es dem Autor in diesem Kapitel um die Herausarbeitung eines gemeinsamen Kerns der Reformpädagogik.

Das Kapitel „Christliche Erziehung“ (S. 157 – 182) nimmt ihren Ausgang von der Industrialisierung im Europa des 18. und 19. Jahrhundert und dem damit verbundenen radikalen Wandel der bislang überwiegend bäuerlichen und ständischen Gesellschaftsstruktur. Zu der wirtschaftlichen und sozialen Not des Proletariats gehörten die Wohnungsnot und die Verwahrlosung der Jugend. Auf der Suche nach der Abwendung der Not zieht der Autor allein aus christlicher Verantwortung handelnde Männer heran. Father Edward J. Flanagan sei zu den bedeutendsten Pädagogen des 20.Jahrhunderts zu zählen mit seiner „Boys Town“ für obdachlose und gefährdete Jugendliche, unterstützt von Ordensfrauen. Die Sicherstellung der materiellen Grundbedürfnisse der jungen Menschen habe stets am Beginn der pädagogischen Bemühungen gestanden. Diesem katholischen Pädagogen wird Johann Hinrich Wichern mit der Familienerziehung im Rauhen Haus („Rettunghaus“) beigesellt als großer evangelischer Sozialreformer des 19.Jahrhunderts.

Das Kapitel „Bildung“ (S. 183 – 206) verweist auf Johann Amos Comenius (1592 – 1670) mit seiner „Didactica Magna“, auf Wilhelm von Humboldts „Humanistische Bildung als Selbsterfüllung“, der eine Unterscheidung von Erziehung und Bildung in die Diskussion des 18.Jahrhunderts eingeführt habe und auf die Bildungstheoretische Didaktik Wolfgang Klafkis. Die Überschrift dieses Kapitels ist insofern missverständlich, als von unterschiedlichen Bildungswegen und -prozessen schon in allen vorhergehenden Kapiteln gesprochen wurde. In der Begründung für die getroffene Auswahl heißt es nur, eine weitgehende Übertragung des (emphatischen) Bildungsbegriffs in die pädagogische Fachsprache sei erst im Zeitalter der Aufklärung erfolgt. In der Einleitung zu diesem Kapitel drängt der Autor in sehr schnellen (zu schnellen) Zügen zu der gegenwärtigen Diskussion über Bildung (als Qualifikationen für den Arbeitsmarkt; Employability; Schlüsselqualifikationen in einer global agierenden Welt) vor. Er verweist auf die nicht abzuschließende Vielzahl von Diskursen.

Das Kapitel „Menschsein mit Behinderung“ (S. 207 – 229) wendet sich mit überzeugender Begründung gegen ausgrenzende und diskriminierende Bezeichnungen. Es ist zu begrüßen, dass der Autor überholten Abgrenzungen der wissenschaftlichen Disziplinen nicht folgt und in sein Arbeitsbuch die Entwicklung der Heil- und Sonderpädagogik hineinnimmt. In dem Kontext der Hilfen für Menschen mit Behinderung werden Helen Keller und Anne Sullivan Macy mit ihren faszinierenden Wegen aus dem Dunkel hervorgehoben. Konsequent folgen in einem Exkurs das Taubblinden-Alphabet (Lormen), das Internationale Einhand-Fingeralphabet und die Blindenschrift (Braille). Die systematische Entwicklung der Heilpädagogik wird mit dem „Aufbau des inneren Halts“ als Kern des pädagogischen Gesamtkonzepts Paul Moors angesprochen, der in der Denkweise des Dialogischen bei Martin Buber stehe (S. 225). Nicht allein an dieser Stelle schlägt der Autor erste Brücken zwischen bedeutenden Pädagog:innen. Ausdrücklich wird hier ein Blick geworfen auf die Ausbildung von Heilpädagoginnen und Heilpädagogen.

Diskussion

Einige Diskussionspunkte sind bereits angedeutet worden. Bein allen Schwierigkeiten der Auswahl ist kritisch anzumerken, dass bedeutende atheistische und sozialistische Repräsentanten (z.B. Siegfried Bernfeld) der Pädagogik nicht übergangen werden sollten. Es erscheint problematisch, den Beginn der Bildungs-Diskussion erst mit Comenius zu eröffnen, griechische (z.B. die Mäeutik des Sokrates, die bis heute bedeutungsvoll ist) und römische Bildungswege außer Acht zu lassen. Zudem sollten über die Didaktik Klafkis hinaus aktuelle Spuren interkultureller und ökologischer Bildung, die über das Zeitalter der europäischen Aufklärung hinausweisen, wenigstens angedeutet werden in einer erweiterten Neuauflage. Auch wird der Horizont eines Eurozentrismus nicht überschritten. An nicht wenigen Stellen sollte neuere Literatur eingearbeitet und angegeben werden in dem Verzeichnis. Beispielsweise bedarf eine Darstellung der Pädagogik Maria Montessoris der Lektüre der neuen Gesammelten Werke.

Diese Anmerkungen sollen die Anregungskraft des Arbeitsbuchs, die gelingenden Zusammenfassungen, die gedanklichen Anstöße und Herausforderungen des Autors nicht schmälern.

Fazit

Nicht ohne Grund liegt dieses als Einführung fungierende Buch in der 5. Auflage vor, ein Buch, das sich an große Zielgruppen wendet und sich einengenden Abgrenzungen wissenschaftlicher Disziplinen mit Recht verweigert. Es kommt hinzu, dass das Arbeitsbuch in der Tat an jeder Stelle die Mitarbeit der Lesenden herausfordert und verlangt, mit seiner einfachen (d.h. nicht-simplifizierenden) Sprache auch ermöglicht. Seine Lektüre bedarf (der Autor weiß um die Schwierigkeiten einer Auswahl von „Klassikern“) der intensiven Vertiefung.

Rezension von
Prof. Dr. Arnold Köpcke-Duttler
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Es gibt 3 Rezensionen von Arnold Köpcke-Duttler.

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ISSN 2190-9245