Fabian Cremer, Swantje Dogunke et al. (Hrsg.): Projektmanagement und Digital Humanities
Rezensiert von Prof. Dr. Ludger Kolhoff, 05.02.2025

Fabian Cremer, Swantje Dogunke, Anna Maria Neubert, Thorsten Wübbena (Hrsg.): Projektmanagement und Digital Humanities. Zur klugen Gestaltung der Zusammenarbeit.
Bielefeld University Press
(Bielefeld) 2024.
314 Seiten.
ISBN 978-3-8376-6967-1.
D: 70,00 EUR,
A: 72,00 EUR,
CH: 85,40 sFr.
Reihe: Digital Humanities Research - 9.
Thema der Publikation
Digital Humanities (DH) ist ein interdisziplinäres Forschungsfeld, das digitale Werkzeuge und computergestützte Methoden nutzt, um geisteswissenschaftliche Fragestellungen zu untersuchen. Die Publikation soll die Bedeutung des Projektmanagements in den Digital Humanities beleuchten.
Autor:innen und Herausgeber:innen
Die Herausgeber:innen Fabian Cremer, Swantje Dogunke, Anna Maria Neubert und Thorsten Wübbena vereinen praktische und wissenschaftliche Erfahrungen in den Digital Humanities:
- Fabian Cremer ist Forschungsdatenmanager am Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG) in Mainz.
- Swantje Dogunke ist Fachreferentin an der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena.
- Anna Maria Neubert promoviert an der Universität Bielefeld und ist Wissenschaftsmanagerin.
- Thorsten Wübbena leitet den Bereich „Digitale Historische Forschung | DH Lab“ am Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG), Mainz.
Entstehungshintergrund
Das Buch ist Band 9 der Reihe „Digital Humanities Research“. Diese Publikationsreihe unterstützt Beiträge aus verschiedenen Disziplinen, die sich mit den methodischen und theoretischen Herausforderungen der Anwendung digitaler Forschungsmethoden in den Geisteswissenschaften auseinandersetzen. Herausgegeben wird die Reihe von Silke Schwandt, Anne Baillot, Andreas Fickers, Tobias Hodel und Peter Stadler.
Aufbau des Buches
Der Sammelband besteht aus zehn thematisch fokussierten Kapiteln, die sowohl Fallstudien als auch methodologische und ethische Überlegungen abdecken. Die Kapitel sind durch einen roten Faden miteinander verbunden: die Rolle des Projektmanagements in digital gestützen Forschungsprojekten in den Geisteswissenschaften.
Inhalte
Einleitung: Zusammenarbeit klug gestalten. Projektmanagement und Digital Humanities von Fabian Cremer, Swantje Dogunke, Anna Maria Neubert, Thorsten Wübbena
Die Herausgeber:innen betonen in der Einleitung, dass die Technologisierung und Digitalisierung nicht nur die Wissensproduktion insgesamt, sondern auch die Geistes- und Kulturwissenschaften grundlegend verändert haben. Im Mittelpunkt ihrer Überlegungen steht die zentrale Bedeutung des Projektmanagements, das heute als unverzichtbarer Bestandteil der modernen Wissensproduktion gilt. Sie fragen, wie die Forschung dieses Thema wissenschaftlich fundiert, reflektiert, kritisch und zugleich selbstbestimmt bearbeiten kann und welche Ansätze es ermöglichen, sich sowohl praktisch als auch theoretisch auf Metaebene mit Planung, Steuerung und Qualitätsmanagement auseinanderzusetzen? Der Sammelband zielt darauf ab, fundierte Antworten auf diese Fragen zu liefern und die Organisation der Zusammenarbeit in den Digital Humanities zu beleuchten.
Normdaten am laufenden Band. Von den Herausforderungen des Projektmanagements in ›GND für Kulturdaten‹ (GND4C) von Patrick Leiske, Jens Lill, Michael Markert, Hanna-Lena Meiners, Martha Rosenkötter
Das Kapitel behandelt die Herausforderungen des Projektmanagements im Rahmen des GND für Kulturdaten (GND4C)-Projekts, das seit 2018 an der Modernisierung und Öffnung der Gemeinsamen Normdatei (GND) arbeitet. (Die Gemeinsame Normdatei (GND) dient der Katalogisierung von Bibliotheksbeständen, als Recherche-Instrument und zur Vernetzung unterschiedlicher Informationsressourcen.) Ziel ist es, die Gemeinsamen Normdatei (GND) als Linked-Open-Data-Tool für Kulturdaten nutzbarer zu machen, indem technische, organisatorische und redaktionelle Prozesse verbessert werden. Der Beitrag beleuchtet die Komplexität interdisziplinärer Zusammenarbeit und technischer Entwicklungen in diesem doch recht spezifischen Feld.
Projektmanagement in DH-Curricula: Bedarf, Inhalt, Verankerung von Markus Frank
Das Kapitel thematisiert die mangelnde Berücksichtigung professionellen Projektmanagements in den Digital Humanities (DH). Frank schlägt vor, Projektmanagement-Inhalte curricular zu verankern. Die universitäre Ausbildung sollte traditionelle und agile Methoden der Projektplanung und -steuerung vermitteln und durch praktische Projektelemente ergänzen, da reines theoretisches Wissen ohne praktische Anwendung nur begrenzten Nutzen hat.
Mäanderndes Projekt- und Community-Management – was bewirken, mit echten Menschen im Wikiversum von Juliane Flade und Jens Bemme
Das Kapitel analysiert die spezifischen Herausforderungen und Chancen digitaler Projekte im „Wikiversum“, insbesondere durch das Konzept des „mäandernden Projektmanagements“. Dieses beschreibt eine flexible, nicht-lineare Arbeitsweise. Dabei stehen Selbstorganisation und informelle Strukturen im Mittelpunkt. Die Zusammenarbeit basiert weniger auf strikter Formalisierung, sondern auf gemeinsamen Werten, Resonanz und Motivation. Citizen-Science-Initiativen wie „Die Datenlaube“ oder das „Moravian Knowledge Network“ dienen als Beispiele.
Die Rolle des Wissens und Wissensmanagement in Digital-Humanities-Projekten von Jonathan D. Geiger, Anja Gerber und Jessica Matloch
Das Kapitel beschreibt die Bedeutung von Wissen und Wissensmanagement (WM) in Digital-Humanities-Projekten. Dabei wird WM als integraler Bestandteil des Projektmanagements betrachtet, der hilft, Effizienz und Zielerreichung zu steigern. Die Autoren stellen Methoden wie Expert:innenverzeichnisse, Glossare, ConceptMaps etc. vor, die in den Projektphasen sinnvoll eingesetzt werden können. Anhand zweier Fallstudien – dem Corpus Vitrearum Medii Aevi Deutschland (Interakademisches Forschungsvorhaben zur wissenschaftlichen Erfassung und Erforschung mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Glasmalereibestände in Deutschland) und dem NFDI4Culture-Konsortium (Nationale Forschungsdateninfrastruktur für die wissenschaftlichen Communities der Architektur, Kunstgeschichte, Musikwissenschaft, Darstellenden Künste, Medienwissenschaft und den Digital Humanities) – wird verdeutlicht, wie Wissensmanagementmethoden eingesetzt werden.
Effiziente Zusammenarbeit in den Digital Humanities. Ein Erfahrungsbericht aus drei Jahren Anwendung von Scrum in Forschungskontexten von Dominik Kremer, Sabine Pfeiffer, Blake Byron Walker
Die Autoren zeigen, dass Scrum durch die Förderung von Selbstorganisation, kurzen Planungsintervallen (Sprints) und flexibler Zielanpassung für interdisziplinäre Projekte geeignet ist, bei denen unterschiedliche Fachtraditionen und methodische Ansätze aufeinandertreffen. U.a. durch die klare Rollenverteilung (Product Owner, Scrum Master, Team) und regelmäßige Meetings wie Reviews und Retrospektiven unterstützt Scrum die transparente Zusammenarbeit. Basierend auf drei Praxisbeispielen – einem gesundheitsgeographischen Forschungsprojekt (Resilienz durch Kulturlandschaft im Klimawandel (REKKE)), einer Softwareentwicklung (Geoexplorer) und der Durchführung einer zweisemestrigen Lehrveranstaltung zur Planung einer Sommerschule- wird gezeigt, wie Scrum eingesetzt werden kann.
Die Geschichte von Basel ins Netz stellen. Beteiligung relevanter Anspruchsgruppen an der Entwicklung eines nachhaltigen und offenen Public-History-Portals von Moritz Mähr
Moritz Mähr behandelt die Entwicklung eines Public-History-Portals zur Baseler Geschichte im Rahmen des Projekts „Stadt.Geschichte.Basel“. Dabei stehen die Einbindung und der Austausch mit unterschiedlichen Anspruchsgruppen im Fokus, um deren Bedürfnisse durch nutzerzentrierte Methoden (User-Centered Design, UCD) zu integrieren. Herausforderungen entstehen durch die Heterogenität der Gruppen und asymmetrische Machtstrukturen, die durch das Konzept der „Trading Zones“ überwunden werden sollen. Das Projekt nutzt agile Managementmethoden, iterativen Entwicklungsansatz und partizipative Verfahren wie Workshops und Umfragen. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Zusammenarbeit mit Vermittlungspartnerinnen aus GLAM-Institutionen (Galerien, Bibliotheken, Archive, Museen), um die Inhalte zielgruppenspezifisch zu gestalten.
Entstehen digitale Ressourcen anders als gedruckte Bücher? Projektmanagement zwischen digitalen und traditionellen Geisteswissenschaften am Beispiel der Edition von Lisa Eggert, Carolin Giere
Der Beitrag beleuchtet die spezifischen Unterschiede und Herausforderungen bei der Erstellung digitaler Ressourcen im Vergleich zu gedruckten Büchern. Während Printeditionen auf einen abgeschlossenen, zitierfähigen Text abzielen, bieten digitale Editionen durch ihre dynamische und interaktive Natur neue Möglichkeiten. (Digitale Projekte gehen über ein lineares Ergebnis hinaus, indem sie Prozesse und Daten dokumentieren, die auch für zukünftige Forschung genutzt werden können.) Der Fokus des Beitrags liegt auf den unterschiedlichen Ansätzen in der Projektarbeit zur Erstellung von Print- und Digitaleditionen.
Projektmanagement in den Digital Humanities? Eine Spurensuche in Handbüchern und Curricula von Fabian Cremer, Swantje Dogunke, Thorsten Wübbena
Das Kapitel beleuchtet, wie Projektmanagement in den Digital Humanities (DH) als Schlüsselkompetenz verstanden und vermittelt wird. Die Autoren analysieren Handbücher und Studienpläne, um den Stellenwert und die Ansätze der Vermittlung zu erfassen. Die Ergebnisse zeigen, dass Projektmanagement oft als praktische Fähigkeit verstanden wird, die durch Erfahrung oder projektbasiertes Arbeiten erlernt wird. Eine Herausforderung besteht darin, Projektmanagement als fachspezifische wissenschaftliche Methode zu etablieren, die sowohl theoretische Grundlagen als auch praktische Anwendungen integriert.
Verantwortungsvolles Projektmanagement – schönes Beiwerk oder nötige Erweiterung? Ein Kommentar von Anna Maria Neubert
Ausgehend von den Fragen, wie Wissenschaftler:innen in den Digital Humanities mehr Verantwortung für Umwelt, Gesellschaft und Mitmenschen übernehmen können, wie das Bewusstsein für den Einfluss von Technologie geschärft wird und welche Ansprüche an die wissenschaftliche Praxis gestellt werden können, reflektiert Anna Maria Neubert die Potenziale projektbasierter Arbeit und des Projektmanagements in den Digital Humanities. Sie betont, dass Werkzeuge wie Projekt-Chartas Möglichkeiten bieten, ein gemeinsames Engagement zu fördern und ein gemeinsames Verständnis von individueller und kollektiver Verantwortung zu schaffen.
Diskussion
Das Buch „Projektmanagement und Digital Humanities“ zeichnet sich durch die Verbindung von theoretischen Reflexionen, methodischen Ansätzen und praxisnahen Fallstudien aus. Hervorzuheben ist die Einbindung von Praxisbeispielen. Ein einleitendes Kapitel, das das Thema Projektmanagement in den Digital Humanities umfassend behandelt, fehlt hingegen. Zwar werden in den einzelnen Kapiteln oft Definitionen von Projekten und Ansätze des Projektmanagements vorgestellt, doch unterscheiden sich die Verständnisse von Projektmanagement zwischen den Beiträgen deutlich.
Darüber hinaus fällt eine gewisse Unausgewogenheit in der analytischen Tiefe der Beiträge auf. Während viele Kapitel detailliert ausgearbeitet sind, bleiben einige Kapitel allgemeiner. Auch wäre es wünschenswert, wenn der rote Faden zwischen den einzelnen Kapiteln stärker herausgearbeitet worden wäre. Es fehlt eine klar erkennbare Verknüpfung, die die Kapitel zu einem kohärenten Gesamtbild verbindet.
Fazit
Das Buch bietet eine thematische Breite und eine Verknüpfung von Theorie und Praxis. Die praxisnahen Fallstudien und die theoretischen Reflexionen machen den Band zu einer Ressource für Wissenschaftler:Innen, die im Bereich der Digital Humanities tätig sind.
Rezension von
Prof. Dr. Ludger Kolhoff
Professor für Soziales Management an der Fakultät Soziale Arbeit der Ostfalia (Hochschule Braunschweig/Wolfenbüttel). Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft Sozialmanagement/Sozialwirtschaft an Hochschulen e. V.
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