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B. Johanna Funck: Migration und Recht auf Bildung

Rezensiert von Dr. Ulrike Brizay, 01.04.2025

Cover B. Johanna Funck: Migration und Recht auf Bildung ISBN 978-3-8376-7302-9

B. Johanna Funck: Migration und Recht auf Bildung. Die Rolle des Aufenthaltsstatus beim Zugang zum Schulsystem. transcript (Bielefeld) 2024. 354 Seiten. ISBN 978-3-8376-7302-9. D: 49,00 EUR, A: 49,00 EUR, CH: 59,80 sFr.
Reihe: Bildungsforschung - 26.

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Thema

Die Publikation widmet sich dem Zugang zum Schulsystem für migrierte Heranwachsende und ist das Ergebnis einer komplexen Studie, die von folgender Forschungsfrage geleitet wurde: „Wie wird der menschenrechtlich gebotene Anspruch auf Bildung für Kinder und Jugendliche im Kontext von Migration umgesetzt?“ (S. 16) Die Untersuchung rekonstruiert unterschiedliche Bildungspfade von Heranwachsenden und richtet ihr Augenmerk dabei in besonderer Weise auf den Einfluss der aufenthaltsrechtlichen Positionierung der Eltern sowie weiterer migrationsspezifischer Aspekte.

Autorin

Die Autorin Dr. phil. B. Johanna Funck forscht und lehrt an der Universität Bremen im Themenbereich der erziehungswissenschaftlichen Migrationsforschung. Sie fokussiert dabei die Umsetzung von Menschen- und Bildungsrechten in der Migrationsgesellschaft. Diesbezüglich nimmt sie die Bedeutung der aufenthaltsrechtlichen Positionierung, Diskriminierungsmechanismen sowie Ungleichverhältnisse in den Blick.

Dr. phil. B. Johanna Funck schloss ihren Bachelor of Arts in Sozialwissenschaften 2011 an der Philipps-Universität Marburg ab und erwarb 2015 ihren Master of Arts in Sozialpolitik an der Universität Bremen, wo sie für ihre herausragende Abschlussarbeit ausgezeichnet wurde. Sie ist seit 2015 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Arbeitsbereich Bildung in der Migrationsgesellschaft/​Interkulturelle Bildung der Universität Bremen tätig. Von 2015 bis 2017 arbeitete sie in zwei Forschungsprojekten zur migrationssensiblen Lehramtsausbildung und zur Schulanmeldung von Kindern im Kontext von Migration. Von 2017 bis 2023 untersuchte sie die Umsetzung des kinderrechtlichen Anspruchs auf Bildung im Kontext von Migration und lehrte zum Umgang mit Heterogenität in der Schule. Seit Oktober 2023 arbeitet sie als Post-Doc in Forschung und Lehre. Derzeit forscht sie zur Bildung für geflüchtete Kinder und Jugendliche in Erstaufnahmeeinrichtungen.

Entstehungshintergrund

Die vorliegende Publikation ist eine leicht überarbeitete Fassung der Dissertation der Autorin. Diese wurde im April 2023 an der Universität Bremen eingereicht. Die erfolgreiche Verteidigung fand im September 2023 statt.

Aufbau

Die Publikation gliedert sich in vier umfassende Kapitel, die von einer Einleitung und einer Schlussbetrachtung gerahmt werden. Darüber hinaus gibt es einen Anhang, der über einen QR-Code abgerufen werden kann. Im Anhang sind vielfältige Informationen zu den erhobenen und genutzten Daten zusammengefasst. Vervollständigt wird die Veröffentlichung durch Inhalts-, Abkürzungs-, Tabellen- und Quellenverzeichnisse sowie eine Danksagung.

Inhalt

Die Autorin betrachtet Bildungsprozesse in Bremen und konzentriert sich dabei auf Mitte bis Ende der 2010er Jahre. Die zugrundeliegende Fragestellung lautet: „Wie wird der menschenrechtlich gebotene Anspruch auf Bildung für Kinder und Jugendliche im Kontext von Migration umgesetzt?“ (S. 16) Zur Beantwortung der Forschungsfrage nutzt die Autorin ein multiperspektivisches „Follow-the-people“-Design, welches biografische und institutionelle Aspekte kombiniert. Ausgangspunkt ist die Elternperspektive, die im Rahmen von biografischen Befragungen erhoben wird. Basierend auf den gewonnenen Informationen werden in einem Follow-up weitere Daten erhoben, um vielfältige Perspektiven auf den Bildungsverlauf zu ermöglichen. So führt die Autorin Interviews mit relevanten Akteur*innen in Behörden, Schulen, Beratungsstellen und Unterkünften und recherchiert ergänzende Quellen. Die gesammelten Daten wurden in einem mehrstufigen Auswertungsverfahren analysiert, welches die Anfertigung von Fallskizzen, eine inhaltsanalytische Codierung des Datenmaterials und die Interpretation der Ergebnisse umfasst.

Einleitung: In der Einleitung führt die Autorin mit zwei prägnanten Zitaten von migrierten Eltern in das Thema der Forschung ein. Durch die Benennung und Begründung der wissenschaftlichen Fragestellung wird der rote Faden aufgezeigt, der sich durch die gesamte Publikation zieht. Darauf aufbauend gibt die Autorin einen Einblick in die Konstruktion der Untersuchungsgruppe und begründet die gewählte Terminologie. Ein kurzer Einblick in den Forschungsstand sowie in das gewählte Forschungsdesign rundet die Einführung in die Arbeit ab. Abschließend gibt ein Ausblick auf den Aufbau der Publikation den Lesenden Orientierung.

Kapitel I: Im ersten Kapitel gibt die Autorin einen umfassenden Einblick in den fachlichen Kontext und den aktuellen Forschungsstand. Dazu erläutert sie einführend die Forschungsperspektive, das heißt das Spannungsverhältnis zwischen dem universalen Recht auf Bildung und den nationalstaatlichen Beschränkungen der Umsetzung dieses Rechtsanspruchs. Darauf aufbauend befassen sich die Ausführungen mit der historischen Entwicklung der Beschulung von Heranwachsenden im Kontext Migration sowie der aufenthaltsrechtlichen Rahmung des Schulzugangs. Abschließend gibt das erste Kapitel einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand, indem empirische Erkenntnisse zum Zugang zur schulischen Bildung und zur Platzierung im Bildungssystem von migrierten Kindern und Jugendlichen in den 2010er Jahren vorgestellt werden. 

Kapitel II: Im zweiten Kapitel erfolgt die theoretische, methodologische und methodische Einordnung der vorliegenden Studie. Diese umfasst nicht nur die rechtssoziologische Betrachtung des Schulzugangs, sondern auch ausführliche Informationen zum Forschungsdesign. Die Autorin geht auf Bremen als Forschungsort ein, äußert sich zur eigenen Haltung und Position als Forscherin im Feld und begründet die Nutzung eines multiperspektivischen „Follow-the-people“-Designs. Durch die ausführlichen Informationen zur Datenerhebung und -auswertung wird jeder Schritt im Forschungsprozess für die Lesenden nachvollziehbar.

Kapitel III: Im dritten Kapitel geht die Autorin nochmal detailliert auf die lokalen Bedingungen der schulischen Bildung in Bremen ein. Sie beschreibt das Bremer Schulsystem und fokussiert hier insbesondere Aspekte, die im Kontext von Migration eine besondere Relevanz haben. Darauf aufbauend beschreibt sie schulorganisatorische und bildungsadministrative Veränderungsprozesse, die im Rahmen eines steigenden Zuzugs von geflüchteten Menschen in Bremen umgesetzt wurden. Diese umfassen beispielsweise die Einführung von Vorkursen an Bremer Gymnasien für migrierte Heranwachsende mit begrenzten Deutschkenntnissen und den Wandel von der dezentralen Schulaufnahme zur zentralisierten Zuweisung. Das Kapitel schließt mit der Vorstellung des Interviewsamples und der Begründung der Auswahl der vier untersuchten Fälle ab.

Kapitel IV: Das vierte Kapitel ist das Herzstück der Publikation und widmet sich den Erkenntnissen der Forschung. Anhand von vier Familien werden unterschiedliche Aspekte des Zugangs zum sowie der Platzierung innerhalb des schulischen Bildungssystems dargestellt und analysiert. In den Analysen wird deutlich, mit welchen Barrieren migrierte Familien beim Zugang zu einer angemessenen Beschulung konfrontiert werden. Entscheidende Faktoren sind nicht nur prekäre Wohnsituationen bzw. fehlende Meldebescheinigungen, sondern auch die aufenthaltsrechtliche Situation der Heranwachsenden, die Abhängigkeit von individuellen Einschätzungen der Entscheidungsträger*innen in den Schulen, der Zugang zu Informationen sowie die Unterstützung durch nicht-migrantisch gelesene Personen. Die Autorin richtet ihren Fokus in der Untersuchung nicht allein auf den Zugang zur schulischen Bildung, sondern betrachtet auch die Platzierung innerhalb des Bildungssystems. Mithilfe der erhobenen Daten kann sie zeigen, dass die Chancen auf eine gymnasiale Bildungsbeteiligung ungleich verteilt sind und weniger vom Leistungspotenzial der betroffenen Kinder abhängen als von Aspekten wie der bildungsinstitutionellen Ausstattung des Wohnumfeldes der Familien, dem individuellen Engagement der Eltern bzw. unterstützender Personen und dem Wissen über das deutsche Bildungssystem. Darüber hinaus verweist die Autorin auf die Gefahr der sogenannten Hausbeschulung in Erstaufnahmeeinrichtungen, die einen frühzeitigen Zugang zum regulären Bildungssystem verhindert. Die unterschiedlichen Einflussfaktoren auf die Bildungschancen der Heranwachsenden werden in den einzelnen Unterkapiteln basierend auf Zitaten aus den Interviews, Analysen der Autorin und Kontextualisierungen mithilfe von Fachliteratur ausführlich diskutiert. Das Kapitel schließt mit einem Fazit, in dem die wichtigsten Erkenntnisse nochmal zusammengefasst werden.

Schlussbetrachtung: Zum Abschluss der Publikation reflektiert die Autorin ihre Untersuchung und zieht ein Resümee. Darüber hinaus benennt sie Bedarfe und Konsequenzen für die (Bildungsungleichheits-)Forschung und setzt sich in einem Plädoyer für die Nutzung multiperspektivischer Forschungsdesigns zur Untersuchung der Einlösung von Rechtsansprüchen ein. Die Erkenntnisse der Untersuchung fasst die Autorin in der Schlussbetrachtung folgendermaßen zusammen: „Die vorgelegte Untersuchung konnte zeigen, dass das ab Mitte des 20. Jahrhunderts qua menschenrechtlicher Abkommen zunehmend kodifizierte, universale und voraussetzungslose Recht auf Bildung zwar als ›law in the books‹ Bestand hat. Im Kontext von Migration, nichtdeutscher Staatsangehörigkeit und stratifizierten Aufenthaltspositionen hat sich dieser jedoch noch nicht als ein handlungsleitendes und entscheidungsrelevantes Deutungsmuster durchgesetzt, auf welches regelmäßig und innerhalb von konkreten Situationen und Interaktionen zurückgegriffen wird, um einen Schulbesuch durchzusetzen (Eltern) oder zu ermöglichen (Entscheidungsträger*innen).“ (S. 306)

Diskussion

Die Publikation untersucht umfassend und mit inhaltlicher Tiefe die Einflussfaktoren auf den Zugang zur schulischen Bildung sowie die Platzierung innerhalb des Bildungssystems und verdeutlicht damit die Benachteiligung von migrierten Heranwachsenden im Bildungskontext. Der Autorin gelingt es, mithilfe konkreter Fallbeispiele die Vielschichtigkeit und Verknüpfung der unterschiedlichen Einflussfaktoren für die Lesenden zu veranschaulichen und somit nachvollziehbar zu machen. Die Frage der Bildungsgerechtigkeit ist von erheblicher fachlicher Relevanz, da Bildungschancen einen erheblichen Einfluss auf die gesellschaftlichen Integrationsmöglichkeiten sowie die spätere Lebensqualität haben.

Das umfassende Datenmaterial, auf dem die Publikation beruht, ist eine wichtige Quelle neuer Erkenntnisse in dem Forschungsfeld, ermöglicht die Ausrichtung zukünftiger Forschungsaktivitäten und kann Entscheidungsträger*innen Orientierung bei der Umsetzung des Rechts auf Bildung bieten. Besonders das multiperspektivische „Follow-the-people“-Design der Untersuchung verdient einer besonderen Würdigung und ermöglicht durch die forschungstheoretische Einbettung und Reflexion wichtige Erkenntnisse für zukünftige Forschungsaktivitäten.

Fazit

Das Buch ist für Studierende, Fachkräfte aus dem Bildungs- und Sozialbereich und Entscheidungsträger*innen zu empfehlen. Es bietet einen umfassenden und differenzierten Einblick in Zugangsbarrieren zu einer angemessenen Bildung für migrierte Heranwachsende und ermöglicht das Ableiten von Interventionen und Unterstützungsmöglichkeiten. Das multiperspektivische Forschungsdesign verbindet institutionelle und biografische Aspekte und rückt migrierte Familien in den Fokus der Untersuchung.

Rezension von
Dr. Ulrike Brizay
Professorin für Theorien und Methoden der Sozialen Arbeit in der Migrationsgesellschaft, Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin
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Es gibt 2 Rezensionen von Ulrike Brizay.

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ISSN 2190-9245