Gerlinde Kosits: Ehrenamtliche Patient:innenbetreuung
Rezensiert von Dr. phil. Hubert Kolling, 09.04.2025

Gerlinde Kosits: Ehrenamtliche Patient:innenbetreuung im Akutkrankenhaus. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb (Freiburg) 2024. 200 Seiten. ISBN 978-3-7841-3717-9. D: 28,00 EUR, A: 28,80 EUR.
Thema
Davon ausgehend, dass ein stationärer Aufenthalt in einem Krankenhaus oder Klinikum für viele Patient:innen psychisch belastend ist, versucht ehrenamtliche Patient:innenbetreuung den Aufenthalt in entsprechenden Einrichtungen über persönliche Zuwendung, einfache Assistenzleistungen und Handreichungen angenehmer zu gestalten. Das vorliegende Buch stellt hierzu eine Studie vor, die erstmals wissenschaftlich fundiert die Bandbreite und Wirkung der ehrenamtlichen Patient:innenbetreuung in einem Akutkrankenhaus in Österreich untersucht hat.
Autorin
Gerlinde Kosits arbeitete als ausgebildete Sozialpädagogin/​Sozialarbeiterin über zwei Jahrzehnte in verschiedenen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe, bevor sie ein berufsbegleitendes Studium der Erziehungswissenschaften und Sozialen Verwaltungswissenschaften an der FernUniversität Hagen absolvierte. Anschließend wechselte sie in den Gesundheitsbereich, wo sie sich seither mit ehrenamtlicher Patient:innenbetreuung befasst.
Entstehungshintergrund
Bei der vorliegenden Publikation, die als Band 10 der von Prof. Dr. theol. Michael Fischer herausgegebenen Reihe „Identität und Auftrag“ erscheint, handelt es sich um die Dissertation der Autorin, mit der sie 2023 an der Tiroler Privatuniversität UMIT Tirol (Hall in Tirol) promovierte.
Aufbau
Das Buch gliedert sich in die vier Teile
- „Projektbeschreibung“ (S. 15–50),
- „Ergebnisse Forschungsfrage 1“ (S. 51–122),
- „Ergebnisse Forschungsfrage 2“ (S. 123–164) sowie
- „Ausblick und Schluss“ (S. 165–207).
Die einzelnen Teile sind ihrerseits in zahlreiche Kapitel und Unterkapitel unterteilt und werden durch ein Literatur- und Tabellenverzeichnis (S. 208–224) ergänzt.
Inhalt
In der Praxis besteht wohl kein Zweifel darüber, dass Ehrenamtliche in Krankenhäusern und Kliniken einen wichtigen Dienst leisten. Unterdessen sind die Fragen, was Ehrenamtliche bewirken und welche Leistungen sie erbringen, weder im internationalen noch im deutschsprachigen Raum ausreichend erforscht. Vor diesem Hintergrund hat Gerlinde Kosits die Bandbreite und Wirkung erhaltener sozialer Unterstützung durch Fremde im akutstationären Bereich in Bezug auf Stresserleben und -bewältigung der Patient:innen unabhängig von deren Alter und Diagnose untersucht, wobei sie auch die Sichtweise des Gesundheitspersonals und die Auswirkungen auf deren Berufstätigkeit mit einbezieht. Zudem erarbeitet sie ein eigenständiges Rollenprofil ehrenamtlicher Patient:innenbetreuung und weist ihr eine einzigartige Funktion im Klinikbetrieb zu.
Im Rahmen ihrer Untersuchung hat die Autorin mit Hilfe von Leitfadeninterviews 26 Patient:innen und 42 Mitarbeitende in einem Krankenhaus in Wien befragt, das Datenmaterial auf der Grundlage einer strukturierten Inhaltsanalyse sowie einer Metapheranalyse ausgewertet und zusätzlich einer Expertenvalidierung unterzogen. Zudem konzipierte sie auf der Grundlage ihrer Ergebnisse einen Fragebogen für eine standardisierte Erhebung und statistische Auswertung.
In ihrer Projektbeschreibung macht Gerlinde Kosits darauf aufmerksam, „dass der psychosoziale und -emotionale Aspekt ehrenamtlicher Patient:innenbetreuung als zentrales Forschungsinteresse für eine systematische Erhebung bzw. Messung auf Basis dargestellter Literaturlage bislang nicht in den Blick genommen wurde“ (S. 29). Demzufolge sei ihre Studie bisher die Einzige, die die Frage der psychosozialen Unterstützung durch ehrenamtliche Patient:innenbetreuung unabhängig von Alter und Diagnose zum Thema habe.
Anhand der erhobenen Datenlage konnte die Autorin bei Patient:innen drei Ebenen des Stresserlebens feststellen:
- die krankheitsbedingte,
- die strukturelle sowie
- die soziale.
Diese Ebenen werden in jeweils zwei Dimensionen weiter untergliedert.
So unterscheidet sie auf der krankheitsbedingten Ebene zwischen „Krankheitssymptomen und behandlungsbedingten Stressoren“, auf struktureller Ebene zwischen „existenziellen Lebensgrundlagen und institutionellen Gegebenheiten und Abläufen“ und auf sozialer Ebene zwischen „Angehörigen des eigenen sozialen Umfelds und Sozialkontakten mit Mitpatient:innen und Personal“. Zusammenfassend hält sie hierzu wörtlich fest: „Das daraus resultierende Stresserleben konnte in jeweils mannigfacher Ausformung auf krankheitsbezogener Ebene als physiologische Befindlichkeitseinschränkungen und Defiziterfahrungen, negative emotionale Stimmungen sowie kognitive Informationsdefizite gefasst werden. Auf struktureller Ebene zeichneten sich Langeweile, Fremdbestimmtheit in unterschiedlichsten Schattierungen sowie diverse negative emotionale Befindlichkeiten als zentrale Themen ab. Auf sozialer Ebene fanden sich fast ausschließlich negative emotionale Stimmungen“ (S. 81).
Analog dazu stellte Gerlinde Kosits bei der Erfassung des Stresserlebens des Personals zwei Ebenen fest: „die Strukturelle und die soziale“, die sie gleichfalls in zwei Dimensionen untergliedert. Die Ebene der strukturellen Stressoren umfasst dabei ausschließlich organisatorische Vorgaben der Institution, während die personenverortete Dimension keine Befüllung fand. Wörtlich hält sie hierzu fest: „Das Stresserleben des Gesundheitspersonals stellte sich insgesamt weniger emotional gefärbt denn operativ überlastend dar. Sowohl auf struktureller als auch sozialer Ebene nimmt das Erleben von Funktionsdruck in unterschiedlicher Ausprägung großen Raum ein. Auf struktureller Ebene wurden darüber hinaus Be- und Überlastung und Entfremdungserleben deutlich, während auf sozialer Ebene auch emotionale Verstrickung und negative Auswirkungen au das Arbeitsklima benannt werden konnten“ (S. 83).
Aufgrund der Analyse ihrer Interviews konnte die Autorin hinsichtlich der Rollenabgrenzung zeigen, dass sich die ehrenamtliche Patient:innenbetreuung bezüglich ihrer Aufgaben und Tätigkeiten von ähnlichen Service- und Leistungsangeboten, wie Seelsorge, Psychologischem Dienst, medizinischem und pflegerischem Personal, abhebt. Dabei werde ehrenamtliche Patient:innenbetreuung grundsätzlich sowohl vom Personal wie auch Patient:innen als „eigenständiges Angebot“ wahrgenommen. Eine Bezahlung der ehrenamtlichen Patient:innenbetreuung würde sich nach Einschätzung der Interviewpartner:innen „am wahrscheinlichsten hinsichtlich der erhöhten Verbindlichkeit des Laienamts bemerkbar machen“ (S. 156).
Diskussion
In ihrer Studie, die sie allen ehrenamtlichen Patient:innenbetreuer:innen in Akutspitälern – gewesene, gegenwärtige und künftige in Anerkennung ihres unentgeltlichen Engagements, mit dem sie Zeit und Zuwendung schenken – widmet, hat Gerlinde Kosits die Fragen untersucht, wie ehrenamtliche Patient:innenbetreuung in ihrem Angebot sozialer Unterstützung hinsichtlich ihrer Auswirkungen von stationär aufgenommenen Patient:innen eines Akutkrankenhauses wie auch des dort tätigen Gesundheitspersonals wahrgenommen wird und worin die Spezifika der Rolle ehrenamtlicher Patient:innenbetreuung von diesen Zielgruppen gesehen werden.
Gemäß ihren Befunden „verfügt ehrenamtliche Patient:innenbetreuung über hohes Potenzial, auf Stresserleben von Patient:innen wie Gesundheitsbediensteten auf mehreren Ebenen so einwirken zu können, dass sie als hilfreich empfunden wird.“ Ehrenamtliche Patient:innenbetreuung agiert demnach nicht im luftleeren Raum ohne entsprechende Notwendigkeit, sondern trifft auf spezifische Bedürfnisse, die für Patient:innen und Gesundheitspersonal zum Teil unterschiedlich, zum Teil auch ähnlich sind. In Summe (Beantwortung der Forschungsfrage 1: „Wie erleben Patient:innen und Gesundheitsbedienstete im akutstationären Kliniksetting das ehrenamtliche Betreuungsangebot der sozialen Unterstützung hinsichtlich seiner Wirkung auf das subjektive Wohlbefinden?“) zeige sich auf Basis der Erhebungen, „dass ehrenamtliche Patient:innenbetreuung stationsübergreifend auf emotionaler, sozialer, kognitiver und verhaltensbezogener/​operativer sowie physiologischer Ebene trotz anderer vorhandener Stressbewältigungsmechanismen Wirkungen zeigen kann, die von Patient:innen wie Gesundheitspersonal als wohltuend und den Klinikalltag erleichternd bzw. als Gegengewicht zu den damit verbundenen Einschränkungen und Anforderungen wahrgenommen werden“ (S. 186). Negative Auswirkungen, die als vereinzelt vorkommend oder der Vergangenheit angehörend beschrieben wurden, seien demgegenüber wenig ins Gewicht gefallen.
Im Vergleich zum Gesundheitspersonal der Medizin und Pflege zeige sich für ehrenamtliche Patient:innenbetreuung, so die Autorin, ein „insgesamt gelockertes Verhältnis sowohl zu den Patient:innen wie auch zur Institution“ – ausgestattet mit Zeitsouveränität und in einer als gleichrangig wahrgenommen Beziehung agierend. In der gegebenen Form (Beantwortung der Forschungsfrage 2: Worin werden die Rollenspezifika ehrenamtlicher Patient:innenbetreuung gesehen?) seien Ehrenamtliche für Patient:innen weder Autorität noch Angehörige, sondern Ansprechpartner:innen; für das Personal weder Vorgesetzte noch Untergebene, sondern Kooperationspartner:innen. „Als gemeinsamer Nenner der Abgrenzung der ehrenamtlichen Patient:innenbetreuung von allen anderen Leistungen erweist sich die Art der Alltagsorientierung und Normalitätsrepräsentation“ S. 187).
Das Ehrenamt im Akutkrankenhaus wurde im deutschsprachigen Raum bislang kaum erforscht. Insofern hat Gerlinde Kosits mit der vorliegenden Studie Neuland betreten, indem sie erstmals eine systematische theoriegeleitete und evidenzbasierte Erhebung zu subjektiv erlebtem Wirkpotenzial ehrenamtlicher Patient:innenbetreuung durchführte. Wenngleich ihr Patient:innenensample lediglich eine geringe Anzahl an Interviewpartner:innen aufweist, auf diesen limitierenden Aspekt sei hier hingewiesen, besteht für die Autorin kein Zweifel daran, dass ehrenamtliche Patient:innenbetreuung „ein Beitrag dazu sein kann, Stresserleben abzumildern, Patient:innenversorgung in Hinblick auf eine Ganzheitlichkeitsorientierung zu optimieren und die Gegebenheiten für alle leichter erträglich zu machen“ (S. 205). Da auch Gesundheitsbedienstete vom Einsatz ehrenamtlicher Patient:innenbetreuung profitieren, kommt der ehrenamtlichen Patient:innenbetreuung auch vor dem Hintergrund des seit Jahrzehnten bestehenden Mangel an qualifiziertem Gesundheitspersonal, insbesondere Pflegekräften, eine große Bedeutung zu.
Fazit
Abgesehen vom Wissenschaftssektor, in dem die vorliegende Studie über „Ehrenamtliche Patient:innenbetreuung im Akutkrankenhaus“ künftig hin einen festen Platz hat, ist das Buch von Gerlinde Kosits für alle lesenswert, die sich über das Thema beziehungsweise diese Form der sozialen Unterstützung durch Fremde informieren möchten.
Rezension von
Dr. phil. Hubert Kolling
Krankenpfleger, Diplom-Pädagoge und Diplom-Politologe
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