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Maximilian Steinbeis: Die verwundbare Demokratie

Rezensiert von Ronny Noak, 11.04.2025

Cover Maximilian Steinbeis: Die verwundbare Demokratie ISBN 978-3-446-28129-5

Maximilian Steinbeis: Die verwundbare Demokratie. Strategien gegen die populistische Übernahme. Hanser Verlag (München) 2024. 304 Seiten. ISBN 978-3-446-28129-5. D: 23,00 EUR, A: 23,70 EUR.

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Thema

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hatte Karl R. Popper vom Toleranz-Paradoxon gesprochen. Wer eine allumfängliche Toleranz auch auf die Intoleranten ausweite, der müsse bald mit dem Ende der Toleranz rechnen. Besonders gilt dies natürlich in einer Demokratie. Wer die Möglichkeiten und Freiheiten der Demokratie auch den Feinden der Demokratie in die Hände gebe, steht vor der Frage, wie Freiheitsrechte gesichert werden können. Mit der Monographie von Maximilian Steinbeis werden nun aber Handlungsmöglichkeiten gezeigt, wie demokratische Errungenschaften auch vor ihren Gegnern geschützt werden können.

Autor:innen

Der Autor der Monographie ist Jurist und langjähriger Journalist. Er publizierte u.a. bereits über Strategien zur Argumentation gegen die extreme Rechte und Rechtspopulist*innen sowie die deutsche Verfassungsgeschichte. Seit 2009 betreibt Steinbeis den Verfassungsblog.

Bei der Verfassung der vorliegenden Arbeit wurde der Autor von weiteren Personen vor allem in der Recherche unterstützt. Dazu zählen beispielsweise Juliana Talg, Klaas Müller und Jannik Jaschinski.

Entstehungshintergrund

Grundlage für die Publikation des Bandes war die anderthalbjährige Arbeit am Thüringen-Projekt im Rahmen des Verfassungsblogs. Im Rahmen dessen ging es darum zu erforschen, wie eine resiliente Demokratie auf Bedrohungen von innen reagieren könnte. Dabei wurde ein Szenario entworfen und vorausgedacht, bei dem zur Prämisse gemacht wurde, dass eine autoritär-populistische agierende Partei bei einer Regierungsübernahme oder einer Regierungsbeteiligung wirkmächtig werde oder sie eine Sperrminorität besitze. Am Beispiel des Freistaates Thüringen wurde unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Bestimmungen projiziert, wie sich ein schleichender Abbau demokratischer Verfahren und Bestimmungen unterminieren ließe. Ausgangspunkt hierfür waren die Wahlprognosen vor der Landtagswahl im September 2024.

Aufbau

Der Band ist in fünf Kapitel unterteilt. Dabei steigert sich der Band von Kapitel zu Kapitel. Der erste Teil ist eine Beobachtung der Strategien der Rechtspopulisten. Kapitel zwei und drei sind ein Gedankenexperiment: Was passiert, wenn eine rechtspopulistische Partei die größte Fraktion im Landtag bzw. in Regierungsbeteiligung ist. Kapitel 4 behandelt den Begriff der Volksidentität, und der letzte Teil entwirft Strategien, die den Demokratieabbau durch rechte Strömungen zumindest behindern.

Inhalt

Im ersten Kapitel befasst sich der Autor mit zwei Ländern, in denen eine autoritär-populistische Partei an die Macht kam. Dabei muss weder in der Zeit noch in der Entfernung weit gereist werden, denn als gegenwärtige Beispiele dienen Polen und Ungarn. Beide Länder wurden in den letzten Jahren langsam aber stetig ihrer demokratischen Errungenschaft beraubt. Klar werden hier das etappenweise Vorgehen und die sukzessiven Änderungen in Verfassung und Recht benannt, die schließlich darauf abzielten, die Macht der herrschenden Parteien zu sichern.

Anschließend begibt sich der Autor in ein Gedankenexperiment. Er geht davon aus, dass in Thüringen eine rechtspopulistische oder rechtsextreme Partei die größte Fraktion stellt und eine sogenannte Sperrminorität im Landtag besitzt, sodass verfassungsändernde Vorhaben von dieser blockiert werden können. Dabei fokussiert er vor allem auf die Blockademöglichkeiten einer rechten Fraktion, die mehr als ein Drittel der Abgeordneten stellt. Demokratische Institutionen wie Landtagspräsident*in oder Verfassungsrichter*innen könnten dann für Zwecke der Rechtspopulisten missbraucht werden.

Im dritten Kapitel geht dieses Gedankenexperiment dann einen Schritt weiter: Die demokratiegefährdende Partei regiert nun. Hier zeigt Steinbeis was beispielsweise passieren könnte, sollte das Innenministerium oder das Justizministerium durch rechte Parteien regiert werden. Gerade in diesen Bereichen liegen schließlich grundlegende Fragen, wie unser gesellschaftliches Zusammenleben geregelt ist. Für Parteien die im Wesentlichen an „Law and Order“ interessiert sind, stehen hier große Spielräume zur Verfügung.

Im vorletzten Kapitel geht es um die Vorstellung der „Volksidentität“. Hierzeigt der Autor, wie es beispielsweise in Ungarn gelungen ist Grundrechte einzuschränken und was dies für den Fall Thüringen bedeuten würde.

Der letzte Teil befasst sich schließlich mit Gegenmaßnahmen und Präventionsmethoden, um einen legalen Staatsumbau im Sinne einer rechtspopulistischen Partei zu verhindern. Hier weitet sich der Blick noch einmal. Denn Steinbeis geht es nicht nur um die Politiker*innen und ihre Handlungsoptionen, sondern um die Einbeziehung der gesamten Gesellschaft – und dies nicht nur zu Wahlzeiten.

Diskussion

Wenn man sich die Ergebnisse der Landtagswahl in Thüringen 2024 anschaut, scheint Steinbeis nicht daneben gelegen zu haben. Die rechtsextreme AfD erreichte die Sperrminorität und stellte den Alterspräsidenten. In der sich der Landtagswahl anschließenden Wahl des Landtagspräsidenten zeigte sich, welche Strategien die AfD hier verfolgte – und diese liegen erstaunlich nah an den Prophezeiungen Steinbeis‘. Es ist dem Autor hoch anzurechnen, dass er bereits vor der Wahl Szenarien entwickelte, was nach der Landtagswahl auf Thüringen zukommen könnte. Dabei zeigt sich: im internationalen Vergleich verwenden die rechtspopulistischen und -extremen Parteien überall nahezu die gleichen Instrumente, um die Demokratie von innen zu untergraben. Steinbeis nimmt daher akribisch und detailgetreu eine Untersuchung der demokratischen Institutionen vor und überzeugt mit seinem juristischen Wissen, welches dann aber in konkrete Handlungsempfehlungen überführt wird. Dabei betrachtet er nicht nur die Verfassungsordnung – auch wenn er dies sehr gründlich tut – sondern geht gerade jenen Punkten nach, die noch nicht verfassungsrechtlich dekliniert sind. Zudem weiter er immer wieder den Blick, sodass auch Felder wie Bildung, Medien und Sprachgebrauch immer wieder einbezogen werden. Wer sich daher mit der Strategie der Neuen Rechten in Europa und den Gefahren einer unvorbereiteten Politik auf die anstehenden Angriffe auf unsere Demokratie auseinandersetzen will, der kommt um dieses Buch nicht herum. Es ist daher auch dem aus dem Thüringen-Projekt hervorgehenden Justiz-Projekt des Verfassungsblocks zu wünschen, dass es breite Kenntnisnahme in Justiz, Politik und Gesellschaft erfährt.

Dystopie? Playbook? Selbsterfüllende Prophezeiung? Viele eher negativ konnotierte Beschreibungen würden sich für das Buch finden lassen. Diese werden dem Band aber keinesfalls gerecht. Gerade wer eine „wehrhafte Demokratie“ wünscht, muss sich mit den Gefahren auseinandersetzen, die das Freiheitsversprechen bietet. Sowohl in Geschichte als auch Gegenwart gibt es genügend Beispiele, die zeigen, dass es den Feinden der Demokratie – trotz Vorkehrungen – immer wieder gelingt, diese für die eigenen autoritären Vorstellungen zu missbrauchen. Dafür benötigt es nicht immer einen offensichtlichen militärischen oder verfassungsbrechenden Putsch, ein schleichender „Staatsstreich auf Raten“ kann ebenso zum Ziel führen. Wer denkt im deutschen Kontext dabei nicht direkt an die Weimarer Republik? Umso wichtiger sind aber Beiträge wie der von Maximilan Steinbeis, denn er benennt offen potenzielle Einflussmöglichkeiten, gibt Hinweise zu ihrer Anpassung und sorgt so dafür, dass die Demokratie ein Stück resilienter wird.

Was aber besonders wichtig ist: trotz seines juristischen Hintergrunds zielt der Band nicht nur auf Verfassungsrechtler*innen. Er adressiert demokratische Politiker*innen ebenso wie die Zivilgesellschaft. Hier sieht Steinbeis die eigentlichen Verteidiger*innen der Demokratie. Solange ein „Ziviler Verfassungsschutz“ (228) existiere und für Öffentlichkeit und Verteidigung der Demokratie sorge, haben es Antagonist*innen schwer, Spielräume der Verfassung zu ihren Zwecken zu missbrauchen. Dabei gilt „die Verfassung wird uns nicht schützen können. Umgekehrt vielleicht schon“ (234).

Fazit

Das Buch "Verwundbare Demokratie" zeigt eindringlich, wo Schwachstellen demokratischer Strukturen für Aushöhlung und Missbrauch liegen. Steinbeis zeigt präzise die Mechanismen, durch die demokratische Institutionen unter Druck geraten, und warnt vor einer schleichenden Erosion demokratischer Errungenschaften. Sein Werk ist ein eindringlicher Appell, Demokratie nicht als Selbstverständlichkeit zu begreifen, sondern sie als ein ständig zu schützendes und zu gestaltendes Gut zu bewahren.

Rezension von
Ronny Noak
Doktorand am Lehrstuhl für politische Theorie und Ideengeschichte der Friedrich-Schiller-Universität Jena
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Es gibt 20 Rezensionen von Ronny Noak.

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ISSN 2190-9245