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Hannah Arendt, Thomas Meyer (Hrsg.): Über Palästina

Rezensiert von Prof. Dr. Gertrud Hardtmann, 04.09.2024

Cover Hannah Arendt, Thomas Meyer (Hrsg.): Über Palästina ISBN 978-3-492-07319-6

Hannah Arendt, Thomas Meyer (Hrsg.): Über Palästina. Zwei bisher unbekannte Texte – erstmals auf Deutsch. Piper Verlag GmbH (München) 2024. 272 Seiten. ISBN 978-3-492-07319-6. D: 22,00 EUR, A: 22,70 EUR, CH: 29,90 sFr.

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Herausgeber:innen

Hannah Arendt (1906-1975) studierte Philosophie bei Heidegger und Jaspers, emigrierte 1933 nach Paris und 1941 nach New York, arbeitete dort als Lektorin und freie Autorin und lehrte ab 1967 an der New School for Social Research in New York.

Thomas Meyer promovierte und habilitierte sich an der Universität München und lehrt dort Philosophie. Er ist Herausgeber der Schriften von Hannah Arendt bei einer Studienausgabe beim Piper Verlag und Verfasser einer Biografie von Hannah Arendt.

Entstehungshintergrund

Hintergrund des Titels ist der immer noch ausstehende Frieden zwischen Israel und Palästina.

Aufbau

Nach einem Vorwort des Herausgebers folgt ein Artikel von Hannah Arendt ‚Amerikanische Außenpolitik und Palästina‘ (1944) mit Anmerkungen des Herausgebers, danach von Abba P. Lerner ‚Das Problem der arabischen Flüchtlinge‘, vom Institute for Mediterranean Affairs ‚Das Palästinensische Flüchtlingsproblem und ein neuer Ansatz und Plan für eine Lösung‘ und von Lerner ‚Internationalismus, Integration und Trennung‘. Es folgen neun Anhänge und Kurzbiografien der Gremiumsmitglieder und ein Nachwort des Herausgebers.

Inhalt

Nach einem editorischen Vorwort, Hannah Arendt: Amerikanische Außenpolitik und Palästina

Die Palästina-Resolution unterließ Freiheit und Gleichheit nach den Prinzipien der amerikanischen Außenpolitik zu stärken. Sie wurden stattdessen opportunistischen Erwägungen geopfert. Nachdem viele Emigranten aus der Alten Welt in USA Bürgerrechte genießen, hängen Außen- und Innenpolitik zusammen, was Entschlüsse aufgrund von unterschiedlichen Interessen erschwert (Vertagung der Palästina-Resolution) und bedeutet ‚Freunde von den Kopf zu stoßen und Feinden Zugeständnisse zu machen‘ i.S. von eher proarabisch als projüdisch, u.a. durch das Interesse am Öl. Der ganze Osten und das Mittelmeergebiet könnten zum ‚Pulverfaß der Welt‘ werden. Jüdische Nationalisten in Palästina könnten Sympathie und Förderung, aber keine Protektion erwarten.

Abba P. Lerner: Das Problem der arabische Flüchtlinge (Zusammenfassung eines Berichts des Institute for Mediterranean Affairs).

An diesem Bericht haben viele Autoren, u.a. Hannah Arendt, mitgearbeitet.

Etwa eine halbe Million Menschen leben entwurzelt außerhalb von Israel, unterstützt durch die Vereinten Nationen und ohne einen umfassenden Plan für eine Rehabilitation oder Rückkehr in ihr Heimatland. Lösungen wären 1) Repatriierung nach Israel, 2) Niederlassung im arabischen Palästina, 3) Ansiedlung in mindestens zwei arabischen Ländern und Entschädigung ihres hinterlassenen Eigentums. Ein Schutz für Israel sind friedliche Absichten der Rückkehrer und eine begrenzte Dauer der Rückkehr (dazu konkrete Lösungsvorschläge).

Institute for Mediterranean Affairs: Das Palästinensische Flüchtlingsproblem. Ein neuer Ansatz und ein Plan für eine Lösung.

Vorschlag für eine internationale Rückführungs- und Umsiedlungsbehörde bei Ausklammerung der Schuldfrage und der historischen Ansprüche. Vielmehr gehe es um Gerechtigkeit für ‚echte Flüchtlinge‘. Ziel ist die wirtschaftliche Entwicklung und eine Analyse der Fakten (‚normales Leben‘ für eine Million Flüchtlinge), die Aufnahmefähigkeit von Israel als ‚jüdischer Staat‘, Sicherheitsgarantien für beide Seiten und konkrete Lösungen durch die UN-Sonderkommission (Rückführungs- und Umsiedlungsbehörde RRA).

Abba P. Lerner: Internationalismus, Integration und Trennung.

Wenn friedliches Zusammenleben nicht möglich ist, ist Trennung die Lösung. In einer Gemeinschaft müssen gleiche Rechte und Gleichheit vor dem Gesetz gelten. Trennung kann der erste, auch positive Schritt zu einer internationalen Integration sein.

Diskussion

Dieses kleine Buch (263 Seiten) bietet in sehr komprimierter Form eine Übersicht über den noch immer ungelösten Konflikt zwischen Israel und Palästina, die vielfältigen Anstrengungen für eine humane Lösung des Flüchtlingsproblems, die insbesondere von den USA unterstützt und propagiert wurden und deren Probleme Hannah Arendt klarsichtig bereits zu Beginn benannte. Dass die Bemühungen zur Beilegung des Konflikts seit inzwischen über 80 Jahren nicht zum Erfolg führten, liegt an der mangelnden Verhandlungsbereitschaft und Zustimmung zu Kompromissen. An die verschiedenen Interessen berücksichtigenden Lösungsvorschlägen – das Existenzrecht Israels und partielle Entschädigungen für erlittenes Unrecht (Vertreibungen) – hat es nicht gefehlt, wie die Beiträge eindrucksvoll zeigen, aber gleichzeitig auch die Ohnmacht der UNO, diese im Einvernehmen mit den Beteiligten durchzusetzen.

So ist auch der verheerende Angriff der Hamas auf Israel und der darauffolgende ebenso verheerende Gaza-Krieg das Ergebnis einer fehlenden politischen Lösung, die bis heute jeden Tag neue Opfern fordert. Dieses Buch stimmt einerseits hoffnungsvoll, dass die Probleme der Flüchtlinge von Anfang an ernst genommen und nach Lösungen gesucht wurde, andererseits aber auch pessimistisch, weil von beiden Seiten eine fundamentale – auch ideologisch begründete – Kompromisslosigkeit inzwischen in totalitärer Destruktion endete. Wenn Politik von Menschen gemacht wird, die für das Geschäft der Politik, das aus Kompromissen besteht, untauglich sind, ist das Ergebnis totaler Krieg und Zerstörung.

Fazit

Ein immer noch aktuelles, sehr lesenswertes Buch und zum kritischen Nachdenken anregendes Buch.

Rezension von
Prof. Dr. Gertrud Hardtmann
Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, Psychoanalytikerin
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Es gibt 120 Rezensionen von Gertrud Hardtmann.

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Zitiervorschlag
Gertrud Hardtmann. Rezension vom 04.09.2024 zu: Hannah Arendt, Thomas Meyer (Hrsg.): Über Palästina. Zwei bisher unbekannte Texte – erstmals auf Deutsch. Piper Verlag GmbH (München) 2024. ISBN 978-3-492-07319-6. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32377.php, Datum des Zugriffs 12.09.2024.


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