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Wolfgang Menz, Martin Seeliger (Hrsg.): Soziologie der Arbeit

Rezensiert von Prof. Dr. habil. Gisela Thiele, 11.02.2025

Cover Wolfgang Menz, Martin Seeliger (Hrsg.): Soziologie der Arbeit ISBN 978-3-518-30002-2

Wolfgang Menz, Martin Seeliger (Hrsg.): Soziologie der Arbeit. Ein Reader. Suhrkamp Verlag (Berlin) 2024. 676 Seiten. ISBN 978-3-518-30002-2. D: 26,00 EUR, A: 26,80 EUR, CH: 36,50 sFr.
Reihe: suhrkamp taschenbuch wissenschaft - 2402.

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Thema und Autoren

Was ist Arbeit? Wie ist sie organisiert? Wie verändert sie sich im Zuge kapitalistischer Entwicklung? Der Band bietet eine Auswahl klassischer und aktueller Texte der arbeitssoziologischen Debatte seit 1945 – u.a. von Regina Becker-Schmidt, Pierre Bourdieu, Harry Braverman, Michael Burawoy, Friedrich Fürstenberg, Arlie Russell Hochschild, Claus Offe und Marcel van der Linden. Das Spektrum der Themen reicht von der Strukturanalyse des Betriebsrats und der Frage nach dem Arbeiterbewusstsein über das Ende des Normalarbeitsverhältnisses und die Prekarisierung bis hin zu Care-Arbeit und aktuellen Formen der Digitalisierung von Arbeit. Eine kompakte Einführung in die arbeitssoziologische Forschung und Theorie.

Herausgeber sind Wolfgang Menz und Martin Seeliger, die beide im Autorenverzeichnis nicht mit aufgeführt sind.

Aufbau und Inhalt

Die Publikation ist neben einer Einleitung in zwanzig Kapiteln differenzierter Länge und unterschiedlichen Autoren untergliedert.

Im ersten Kapitel „Soziologie der Arbeit. Eine Einleitung“ wird zunächst der Begriff der Arbeit geklärt. Ziel der Arbeit bestehe aus einem äußerlich hergestellten Produkt, das auch eine Dienstleistung sein könne. Arbeit werde zumeist mit einem subjektiven Sinnanspruch verbunden, denn Menschen müssten nicht nur arbeiten, sondern in der Regel sollen und wollen sie es auch. Die Betrachtung der Arbeit beziehe sich auf die Arbeit im Kapitalismus, dessen Grundelement das Verwertungsprinzip sei. Es folgen lange Ausführungen über die Geschichte der deutschen Arbeits- und Industriesoziologie anhand der zentralen Debatten, die für jeweils bestimmte Entwicklungsphasen der Disziplin prägend waren mit den entsprechenden zeitlichen Einordnungen.

Das zweite Kapitel ist überschrieben mit dem Titel „Friedrich Fürstenberg. Der Betriebsrat“. Der Betriebsrat ist zu einem Bindeglied zwischen Belegschaft, Betriebsführung und Gewerkschaft geworden. Seine Kernfunktion als gewählte Interessenvertretung der Arbeitnehmer besteht darin, bisher unkontrollierbare Auseinandersetzungen zu vermeiden oder wenigstens auszutragen und möglichst zu schlichten. Jede Abteilung schickt ihren besten Fachmann in den Betriebsrat. Welche Probleme und Schwierigkeiten in der Arbeit der Betriebsräte auftreten, wird im Folgenden diskutiert.

Im vierten Kapitel wird sich mit der Problematik „Pierre Bourdieu. Die wirtschaftlichen Bedingungen des Wandels der Wirtschaftsgesinnungen“ auseinandergesetzt. Schlecht angepasst an eine städtische Welt, in der sie wie verloren sind ohne ein regelmäßiges Arbeitsleben, und ohne die Sicherheit, die damit verbunden ist, der Traditionen der dörflichen Verhältnisse verlustig gegangen, leben sie ihr Leben verbissen, das Glück zu erzwingen und eine Gegenwart in den Griff zu bekommen, welche ihnen weitgehend fremd ist. Es geht um das Proletariat, was auf die Arbeit hofft, aber wenn überhaupt nur Gelegenheitsjobs bekommt, die keine Aussicht haben, sich gut ernähren zu können und keine guten Wohnbedingungen vorfinden können.

Mit „Industriearbeit und Arbeiterbewusstsein“ ist Kapitel fünf überschrieben. Eine zentrale Frage ist: Befreit Technik uns von der Mühsal der Arbeit oder unterwirft die Maschine die Arbeiter unter ihre Zwänge. In der vorliegenden Untersuchung geht es um typische Erscheinungsformen industrieller Arbeit und deren Veränderungen unter dem Einfluss des technischen Wandels. Sie geht dabei von der Annahme heterogener Arbeitssituationen in der industriellen Produktion aus und versucht empirisch zu belegen, dass in der modernen Industrie unterschiedliche technische Systeme mit jeweils spezifischen Arbeitertätigkeiten existieren. Des Weiteren fragt die Studie nach dem Verhältnis von technischem Wandel und Arbeiterbewusstsein.

„Arbeit als soziologische Schlüsselkategorie“ ist der Titel des siebenten Kapitels. 1982 proklamierten Offe und Dahrendorf eine Krise der Arbeitsgesellschaft. Angesichts dauerhafter Arbeitslosigkeit, eines sinkenden Arbeitsvolumens, eines subjektiven Bedeutungsverlustes der Arbeit sowie immer längerer Ausbildungszeiten verliere die Erwerbsarbeit ihre tragende Rolle in der sozialen Ordnungsbildung. Diese Prognosen haben sich nicht erfüllt. Die Symptome einer tiefer liegenden Krisendynamik hat die Arbeitsgesellschaft bis heute erfolgreich absorbieren oder zumindest überlagern können.

Wir kommen zu Kapitel neun, „Das gekaufte Herz“. In diesem Kapitel geht es um Gefühle, die man im Arbeitsleben teils auch aufgezwungen bekommt, wie beispielsweise bei Stewardessen. Denn menschliche Arbeit ist nicht allein zweckrationales Handeln, sie ist immer auch mit Emotionen verbunden.

Im zehnten Kapitel wird sich mit dem Thema „Widersprüchliche Realität und Ambivalenz“ auseinandergesetzt. Die Frauen sind in zwei gesellschaftliche Praxisbereiche eingebunden, in denen sie benachteiligt werden. Frauen werden zur unbezahlten Hausarbeit verpflichtet, was zugleich ihre gleichberechtigte Integration in das Beschäftigungssystem erschwert. Und die marktvermittelnde Arbeit wird schlechter bewertet als die von Männern. Es folgen einige Fallvignetten, wo Frauen über Industriearbeit berichten. Zentraler Kritikpunkt an der Fabrikarbeit sei die Akkordhetze und die Anonymität, die Entfremdung von Produkt und Verbraucher.

In Kapitel elf wird „Die Krise des Normalarbeitsverhältnisses“ diskutiert. Das Normalarbeitsverhältnis, das schon immer herrschende Fiktion gewesen ist, werde nun als rechtskonstruktiver Bezugspunkt aufgegeben. Die Arbeitsformen werden heterogener und ungleicher, haben aber gemein, dass sie neuen Kontroll- und Herrschaftsmechanismen unterworfen werden.

„Arbeit an der Kette“ nennt sich Kapitel zwölf. Die ökonomische Entwicklung des Kapitalismus lässt sich als fortschreitende Rationalisierung begreifen. Der neue Rationalisierungstyp geht über den einzelnen Arbeitsplatz und zudem auch über die betrieblichen Grenzen hinaus. Eine zentrale Bedeutung dafür hat die Technik.

Als Nächstes folgt Kapitel dreizehn, „Der Arbeitskraftunternehmer“. Der Arbeitskraftunternehmer ist geprägt durch ein unternehmerisches Verhältnis zu seiner eigenen Arbeitskraft – der abhängige Arbeitnehmer werde zum Akteur seiner eigenen Rationalisierung ähnlich einem Selbstständigen. Kennzeichen dieses Typs ist eine systematisch erweiterte Selbstkontrolle, ein Zwang zur Ökonomisierung sowie eine entsprechende Verbetrieblichung der alltäglichen Lebensführung.

Das nächste Kapitel ist „Die 24-Stunden-Polin“ gewidmet. Der Privathaushalt stellt mit dem höchsten Anteil unregulierter Beschäftigungsverhältnisse einen besonderen Ort dar, der die Ungleichheit am Arbeitsmarkt reproduziert. Unter Bedingungen des demografischen Wandels wird die Arbeitskräfteknappheit in immer größeren Maßen von irregulär beschäftigten Arbeitskräften aus dem Ausland gedeckt.

Kapitel fünfzehn „Auf neuer Stufe vergesellschafteter Care und sozialer Reproduktion im Gegenwartskapitalismus“ beschreibt die neue Bedeutung der Care-Arbeit, weil die immer stärker hervorgetretene krisenhafte Gefährdung von Sorge- und Sorgearbeit anzutreffen ist. Care ist ein gesellschaftliches Konzept der Selbst- und Fürsorge. Der Mensch als Wesen in seiner körperlichen Existenz ist aufgrund der Kontingenz des Lebens bedürftig, verletzlich, angewiesen, abhängig.

In Kapitel 16 geht es um „Wohlfahrtsstaat und Gewerkschaftsmacht“. Der marktorientierte Rückbau des Wohlfahrtsstaates geht einher mit der Erosion gewerkschaftlicher Macht. Eine gewerkschaftliche Revitalisierung durch die Steigerung der Organisationsgrade in traditionell starken Branchen sowie die Erschließung neuer Wirtschaftssektoren wird angestrebt.

Interessant verspricht auch das nächste Kapitel zu werden, „Eine Forschungsagenda zur sozial-ökologischen Transformation der Arbeitsgesellschaft“. In diesem Beitrag handelt es sich um Herausforderungen für die Gestaltung nachhaltiger Arbeit sowie ihre Erforschung in der sozial-ökologischen Transformation. Im Folgenden werden zunächst die Grundzüge des integrativen Leitbildes der nachhaltigen Arbeit dargestellt und anschließend die für die arbeitssoziologische Forschung zentralen Themen näher erläutert.

„Arbeiten in der Plattformökonomie: „Grundlagen und Grenzen von Cloudwork und Gigwork“ heißt Kapitel achtzehn. Während der Kern der Plattformökonomie in den nicht betrieblichen Umwelten digitaler Marktplätze besteht, setzen sich traditonelle Muster der Arbeitsorganisation als vorherrschende Strukturmuster fort. Gleichzeitig wirken im Feld der Wirtschaft wesentliche Akteure auf die Ausweitung der Plattformlogik auf weitere Segmente des Arbeitsmarktes hin.

Im neunzehnten Kapitel wird die Frage diskutiert: „Der Wandel von Citizenship im Zuge der europäischen Integration“. Auf der anderen Seite betonen die politischen Linken die Möglichkeit der Etablierung eines europäischen Sozialmodells. Hier spiegelt die grundlegende Ambivalenz des Europäischen Einigungsprojektes. Seine räumliche Ausweitung geht einher mit einer substanziellen Aufweichung,

Es schließt sich das zwanzigste und damit letzte Kapitel an „Vorläufiges zur Krise der Weltarbeiterbewegung“. Ein weiterer Arbeitsbegriff berücksichtigt Care-Tätigkeiten sowie die arbeitspolitische Rolle von sozialen Bewegungen und anderen zivilgesellschaftlichen Initiativen. Die Stärke der traditionellen Arbeiterbewegung ist fast überall rückläufig. Ihr Kern besteht hauptsächlich aus Genossenschaften, Gewerkschaften und Arbeiterparteien.

Diskussion

Es ist ein Mammutwerk der soziologischen Bemühungen der Arbeit. Ein Grundlagenwerk, das tiefgründig die Bewegungen der Arbeitsökonomie beleuchtet und sehr strukturiert aufgebaut ist. Am Anfang jedes Kapitels gibt es eine Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse, die der Leser in den diskutierten Fachartikeln erwartet, und entsprechende Literaturhinweise der Autoren, deren Ergebnisse im Nachhinein vorgestellt werden.

Fazit

Ein empfehlenswertes Buch, das nicht nur speziell an Soziologen gerichtet ist, wenn auch soziologisch stark argumentiert. Es dürfte das Standardwerk sein, das die Aspekte der Soziologie der Arbeit diskutiert. Jeder, der sich diesem spezifischen Themenfeld zugehörig fühlt, sollte nicht verpassen, es zu studieren.

Rezension von
Prof. Dr. habil. Gisela Thiele
Hochschule Zittau/Görlitz (FH)
Berufungsgebiete Soziologie, Empirische Sozialforschung und Gerontologie
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Es gibt 205 Rezensionen von Gisela Thiele.

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ISSN 2190-9245