Ciani-Sophia Hoeder: Vom Tellerwäscher zum Tellerwäscher
Rezensiert von Dr. Franziska Sophie Proskawetz, 12.11.2024
Ciani-Sophia Hoeder: Vom Tellerwäscher zum Tellerwäscher. Die Lüge von der Chancengleichheit. hanserblau (München) 2024. 253 Seiten. ISBN 978-3-446-27742-7. D: 20,00 EUR, A: 20,60 EUR.
Thema
Der Titel „Vom Tellerwäscher zum Tellerwäscher“ entzaubert bereits den Mythos vom Tellerwäscher, der durch bloßen Fleiß zum Millionär aufsteigen kann. Er verweist damit auf die zentralen Themen des Buches: die strukturelle Chancenungleichheit in Deutschland, die sozialen Aufstieg erschwert, das mangelnde Klassenbewusstsein vieler Bevölkerungsgruppen sowie die enge Verflechtung von sozialer Ungleichheit mit Hautfarbe und Geschlecht. In Essayform analysiert Ciani-Sophie Hoeder nicht nur ihre eigenen Erfahrungen als Schwarze Frau aus einer einkommensschwachen Familie, sondern beleuchtet auch Gespräche mit Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten sowie mit Expert*innen und Aktivist*innen.
Autorin
Ciani-Sophia Hoeder (*1991)ist eine deutsche Autorin und Journalistin. Sie studierte Journalismus und Politik in London und Berlin und schreibt u.a. als freie Journalistin für die Süddeutsche Zeitung.
Entstehungshintergrund
Ciani-Sophia Hoeder ist selbst Bildungsaufsteigerin und Erstakademikerin. Ihre persönlichen Erfahrungen, insbesondere das Erleben von Armut während ihrer Kindheit, haben ihr Klassenbewusstsein geschärft und sie zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema Klassismus geführt. Diese Erfahrungen prägen ihre Wahrnehmung im Alltag, wo sie soziale Ungleichheiten und Diskriminierungen besonders sensibel wahrnimmt.
Aufbau und Inhalt
Das Buch umfasst drei Teile, deren Inhalte sehr umfassend sind und im Folgenden daher nur ausschnittartig dargestellt werden.
Wie alles begann
In diesem Kapitel beleuchtet die Autorin alltägliche Situationen, die sie selbst erlebt hat, und aus denen sie das weit verbreitete Klassenunbewusstsein großer Teile der Bevölkerung ableitet – besonders jedoch der höheren Schichten. Obwohl Klassendebatten „uralt und gleichzeitig brandaktuell“ (S. 19) sind, stellt Hoeder fest, dass sich viele Menschen nie tiefergehend mit dem Begriff der Klasse auseinandergesetzt haben und es schwer finden, sich selbst einer bestimmten sozialen Schicht zuzuordnen. Hoederberichtet von Menschen, die auf die Frage nach ihrer Klassenzugehörigkeit gut gemeint antworten: „Für mich gibt es keine Klassen“ (S. 27), damit aber die Existenz sozialer Klassen und die damit verbundenen gesellschaftlichen Ungleichheiten leugnen.
In ihren Gesprächen stellt Hoederzudem fest, dass viele Menschen dazu neigen, sich selbst der Mittelschicht zuzuordnen, unabhängig von ihrem tatsächlichen sozialen Status. Um das Verständnis von Klassen zu erweitern, stellt Hoeder unterschiedliche Definitionen und Ansätze vor, die sich teils stark voneinander unterscheiden, und verknüpft diese mit früheren Diskursen von Denkern wie Aristoteles, Karl Marx und Adam Smith. Sie zeigt auf, wie diese Denkweisen das heutige Verständnis von sozialen Schichten und Ungleichheit beeinflussen.
Klassenunbewusstsein
In diesem Abschnitt bietet Ciani-Sophia Hoeder einen persönlichen Einblick in die sozialen Umstände, die ihre eigene Erziehung und Kindheit geprägt haben, und beleuchtet zugleich größere gesellschaftliche Zusammenhänge. Die Autorin beschreibt, wie sich die unterschiedlichen Erziehungsstile der sozialen Schichten – die „concerted cultivation“ der oberen Schichten, und das „natural growth“ der unteren Schichten – auf die Chancen und Herausforderungen auswirken, mit denen Menschen im späteren Lebensverlauf konfrontiert sind. Sie beschreibt ein Gefühl der Entwurzelung, das häufig entsteht, wenn man – beispielweise als Bildungsaufsteiger*in – zwischen zwei sozialen Welten lebt und sich in keiner vollständig zugehörig fühlt.
Hoeder hinterfragt, ob es möglich wäre, die Klassenschranken mit einem positiveren Menschenbild zu überwinden. Sie berichtet von ihren eigenen Erfahrungen bei der Berliner Tafel – als Kundin und Ehrenamtliche – und reflektiert darüber, wie soziale Nähe und Empathie zu einer gerechteren Gesellschaft beitragen könnten. Zugleich stellt sie jedoch auch die provokante Frage, ob soziale Schichtung nicht tief in der menschlichen Natur verwurzelt sein könnte. Sie bietet einen historischen Rückblick auf soziale Ungleichheit, der bis zu den frühen Zivilisationen vor etwa 7000 Jahren reicht. Dabei nimmt sie den Sozialismus kritisch in den Blick und diskutiert die moralische Fragwürdigkeit von Erbschaften.
Im Hinblick auf das Thema Partnerschaften analysiert Hoeder, wie stark das Prinzip der Klassenerhaltung und -reproduktion auch im Liebesleben verankert ist. Sie weist darauf hin, dass Menschen dazu neigen, sich mit Partner*innen derselben sozialen Klasse zu verbinden, was oft mit dem Wunsch nach einem gemeinsamen Lebensstil einhergeht, der finanzielle Kompatibilität voraussetzt. Dadurch entsteht in romantischen Beziehungen eine Art „lifestyle buddy“ – eine Person, mit der man konsumieren und genießen kann – statt eines traditionellen Seelenverwandten. Diese Dynamik prägt laut Hoeder moderne Partnerschaften zunehmend, da viele Menschen eine Beziehung suchen, die es ihnen ermöglicht, Freizeitaktivitäten und Konsum zu teilen.
Der Teil schließt mit einer Analyse der klassenbedingten Essgewohnheiten. Sie zeigt, wie tief verwurzelt die Verbindung zwischen Ernährung und sozialer Identität ist und wie stark Essensvorlieben und Ernährungsstile oft von der sozialen Schicht geprägt werden.
Schluss mit der Einseitigkeit
Im dritten Teil beschäftigt sich die Autorin mit Lösungsmöglichkeiten, die die soziale Gerechtigkeit in Deutschland erhöhen und Klassismus vorbeugen könnten. Sie diskutiert Vor- und Nachteile eines bedingungslosen Grundeinkommens, beschäftigt sich mit der Frage, wie es wäre, wenn es keine Erbschaften mehr geben würde und stellt Überlegungen dazu an, wie sich Reichtum auf Charakterzüge von Menschen auswirkt. Das Buch schließt mit Hoeders Wunsch, soziale Schichten gesellschaftlich zukünftig stärker zu thematisieren: „Ich möchte, dass wir anfangen, über soziale Schichten zu sprechen. Das Klassenunbewusstsein zu erkennen. Es aus der Unsichtbarkeit herauszuholen. Es zu betrachten, zu bemängeln und zu kritisieren (S. 240, Hervorhebung im Original).
Diskussion
Mittlerweile existieren zahlreiche Bücher zu Themen der sozialen Ungleichheit, die sich inhaltlich stark ähneln und immer wieder deutlich machen, wie sehr das Leben des*r Einzelnen von seiner*ihrer sozialen Herkunft geprägt ist. So auch das vorliegende Buch von Ciani-Sophia Hoeder, die sich – u.a. motiviert durch persönliche Erfahrungen – mit dem Thema auseinandersetzt. Im Vordergrund steht – im Gegensatz zu anderen Büchern dieser Art – das Klassenunbewusstsein, das die Autorin bei ihren Gesprächspartner*innen in Alltagssituation immer wieder feststellt.
Das Buch liest sich sehr flüssig und leicht und es fällt – speziell am Anfang – schwer, es wieder aus der Hand zu legen. Das Buch richtet sich an ein interessiertes Publikum, das sich einen ersten Einblick in die Thematik verschaffen möchte. Besonders interessant ist der Blick der Autorin auf Partnersuche im Zusammenhang mit Klassismus. Inhalte sind verständlich formuliert, sodass auch Lesende ohne Vorwissen die Inhalte leicht nachvollziehen können. Das Buch ist jedoch gespickt mit Anglizismen, neuen Genderformen, nimmt starken Bezug auf soziale Medien und könnte für eine Leser*innengruppe, die mit diesem Sprachgebrauch nicht geübt ist, nur schwer verständlich sein.
Fazit
Ciani-Sophia Hoeders Buch „Vom Tellerwäscher zum Tellerwäscher“ entlarvt den Mythos des sozialen Aufstiegs und beleuchtet die strukturellen Hürden, die in Deutschland Chancengleichheit behindern. Die Autorin schafft es, das Bewusstsein für Klassismus zu schärfen. Das Buch bietet einen zugänglichen Einstieg in das Thema und fordert dazu auf, gesellschaftliche Ungleichheiten offen zu thematisieren.
Rezension von
Dr. Franziska Sophie Proskawetz
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Es gibt 5 Rezensionen von Franziska Sophie Proskawetz.
Zitiervorschlag
Franziska Sophie Proskawetz. Rezension vom 12.11.2024 zu:
Ciani-Sophia Hoeder: Vom Tellerwäscher zum Tellerwäscher. Die Lüge von der Chancengleichheit. hanserblau
(München) 2024.
ISBN 978-3-446-27742-7.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32381.php, Datum des Zugriffs 13.12.2024.
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