Dennis Eversberg, Martin Fritz et al.: Der neue sozial-ökologische Klassenkonflikt
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 17.07.2024
Dennis Eversberg, Martin Fritz, Linda von Faber, Matthias Schmelzer: Der neue sozial-ökologische Klassenkonflikt. Mentalitäts- und Interessengegensätze im Streit um Transformation. Campus Verlag (Frankfurt) 2024. 221 Seiten. ISBN 978-3-593-51995-1. D: 30,00 EUR, A: 30,90 EUR.
Mentale und sozialstrukturelle Gegensätze
Die zunehmenden, krisenhaften Entwicklungen in der Welt erzeugen Gleichgültigkeiten, Verquerdenken und Ängste. Wohin driftet die Menschheit? Gegenwartsanalysen und Zukunftsvisionen verdeutlichen positive und negative Einschätzungen. Sie führen zu Couch-Potatoes, zu Fake News, aber auch zu wissenschaftlichen Prognosen. An der Friedrich-Schiller-Universität in Jena hat sich eine Forschungsinitiative der Nachwuchsgruppe „Mentalitäten im Fluss“ damit auseinandergesetzt, wie in den Zeiten der Krisen, der Ungewissheiten, Unbeständigkeiten und Transformationsprozesse Menschen in Deutschland reagieren. Sie führten 2021eine repräsentative Befragung bei rund 4000 Bewohnern durch, um herauszufinden, welche „Sichtweisen und Gefühlslagen im Hinblick auf den anstehenden Wandel, ihre Alltagsgewohnheiten, ihr gesellschaftliches und politisches Engagement und ihre soziale Lage“ bestehen.
Aufbau und Inhalt
Die gesellschaftlichen Entwicklungen vollziehen sich diametral, sichtbar und unsichtbar, und sie wirken als Klassenkonflikte, von politischem Engagement und Aktivität, bis hin zur Negation von humaner, demokratischer Überzeugung. Die sich daraus entwickelnden ego-, ethnozentristischen, rassistischen, populistischen und rechtsradikalen Einstellungen und gesellschaftlichen Grundstimmungen bewirken Prozesse von Feindschaft und Unverständlichkeiten: Mit Andersdenkenden zu kommunizieren, scheitert daran, dass ich sie gar nicht mehr erreiche! Die These, es handele sich dabei um die „Gesamtheit der Auseinandersetzungen um Transformation als ein(es) neue(n) sozial-ökologische(n) Klassenkonflikt(s)“, wird mit den Forschungsergebnissen begründet, wie sie als „BioMentalitäten“ (2022/2023) erhoben wurden: „Mentalitäten sind Produkt der körperlichen, physischen Ablagerung von Erfahrungen mit der sozialen und natürlichen Umwelt… in Form von Wahrnehmungs- und Empfindungsneigungen (Dispositionen), durch die ihre (früheren) gesellschaftlichen Existenzbedingungen ihre Positionierung im gesellschaftlichen Konfliktgeschehen prägen“. Weil Konflikte sowohl als natürliche Erscheinungsformen, wie auch als menschengemachte Ereignisse auftreten, bedarf es des Bewusstseins, dass Konfliktgeschehen sich ungleich entwickelt: Ungleiche Verantwortung, ungleiche Betroffenheit, ungleiche Belastung, ungleiche Folgen.
Das Autorenteam Dennis Eversberg, Martin Fritz, Linda von Faber und Matthias Schmelzer gliedert die wissenschaftliche Analyse neben der Einleitung, der Zusammenfassung und der Nachbetrachtung, in dem sie klären, was sie mit der Metapher „Sozial-ökologischem Klassenkonflikt“ meinen; welche soziologischen Deutung dem Begriff „Konflikt“ zukommt; wie die Umfrage „BioMentalitäten“ (2022) zustande kam; welche Grundstimmungen sich im deutschen Diskurs über die Notwendigkeit zum Perspektivenwechsel und zu Wandlungsprozessen zeigen: und welche Mentalitätstypen und –spektren vorfindbar sind.
Diskussion
Die soziologischen Forschungen zu Mentalitätsfragen definieren drei Spektren und Anlässe: ökosoziale, konservativ-steigerungsorientierte und defensiv-reaktive. Es sind skandalöse, menschenunwürdige, ungerechte Entwicklungen bei der Verteilung des Volksvermögens und der Hierarchisierung, die vom Forschungsteam benannt werden: Der „Abstraktionskonflikt“, der sich als Macht-Ohnmacht-Konstrukt darstellt; der „Lebensweisekonflikt“ als ethische und moralische Herausforderung; der „Veränderungskonflikt“ als intellektuelle Anforderung; und der „Externalisierungskonflikt“ als politischer Anspruch. Das, was bereits mit der Warnung zum Ausdruck kommt (MIT,1972), dass die Grenzen des ökonomischen Wachstums erreicht seien; dass es im Denken und Handeln der Menschen „sustainable development“, einer tragfähigen Entwicklung bedarf (Brundtland-Bericht 1987); dass „mehr wird, wenn wir teilen“ (Ostrom 2011), wird als „lebensgeschichtlich erworbene(), regelrecht zur körperliche() Haltung verinnerlichte(s) Wahrnehmungs- und Empfindungsschemata“, als „Mentalität“ bezeichnet.
Fazit
Der Umgang der Menschen mit Krisen, die in ihrer Vielfalt und Wirkung als „Polykrise“ ausgewiesen werden, bedarf im intellektuellen, wissenschaftlichen, wie im alltäglichen Diskurs zur Frage – „Wie wollen wir Menschen in einer menschenwürdigen, guten (Einen) Welt leben?“ – Selbst- und Weltsicht. Nicht Rezepte, Parolen und Fake News können die richtigen Antworten darauf geben, sondern analytisches Fragen und demokratische Auseinandersetzung.
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 17.07.2024 zu:
Dennis Eversberg, Martin Fritz, Linda von Faber, Matthias Schmelzer: Der neue sozial-ökologische Klassenkonflikt. Mentalitäts- und Interessengegensätze im Streit um Transformation. Campus Verlag
(Frankfurt) 2024.
ISBN 978-3-593-51995-1.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32382.php, Datum des Zugriffs 24.01.2025.
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