Marina Weisband: Die neue Schule der Demokratie
Rezensiert von Wolfgang Schneider, 21.10.2024

Marina Weisband: Die neue Schule der Demokratie. Wilder denken, wirksam handeln. S. Fischer Verlag (Frankfurt am Main) 2024. 174 Seiten. ISBN 978-3-10-397592-5. D: 22,00 EUR, A: 22,70 EUR.
Thema
Dass Deomkratie und das Leben in dieser Staats- und Gesellschaftsform nicht so ohne Weiteres gelingen kann, ist die Überzeugung der Psychologin Marina Weisband. Demokratie will gelernt sein. Und da das im System Schule nur bedingt funktionieren kann, geht sie deshalb mit verschiedenen Projekten genau dorthin, um mit Kindern und Jugendlichen daran zu arbeiten, die Demokratie zu fördern, zu bewahren und dafür entsprechendes Engagement zu zeigen. Denn unsere Schulen sind derzeit nicht gut aufgestellt. Viel zu selten bieten sie Gestaltungsspielraum. Statt selbständig zu werden, geraten Jugendliche in einen Zustand erlernter Hilflosigkeit – den sie auch als Erwachsene nicht mehr loswerden. Das wiederum ist ein ideales Einfallstor für Extremismus und Populismus.
Autorin
Marina Weisband, geboren 1987 in der Ukraine, ist Diplom-Psychologin. Von einer unpolitischen Schülerin ist sie zu einer politisch engagierten Studentin geworden. Sie weiß daher, wie wichtig es ist, jungen Menschen politische Partizipation nahezubringen und zu ermöglichen. Sie war politische Geschäftsführerin der Piratenpartei und engagiert sich mittlerweile bei den Grünen in den Bereichen Digitalisierung und Bildung. Seit 2014 leitet sie hauptberuflich das Schülerbeteiligungsprojekt aula. Sie lebt mit ihrer Familie in Münster.
Aufbau und Inhalt
„Demokratie darf kein Luxus sein. Sie muss Grundlage von allem sein – in unseren Schulen und in unserer Gesellschaft. Dafür werde ich kämpfen wie eine Löwin“, heißt es im Klappentext. Die Psychologin Marina Weisband ist davon überzeugt, dass Demokratie gelernt werden muss. Sie nur zu wollen, reicht definitiv nicht aus. Mit Demokratieförderung kann gar nicht früh genug begonnen werden, deshalb geht Marina Weisband in Schulen und arbeitet in verschiedenen Projekten mit Kindern und Jugendlichen. Denn unsere Schulen sind derzeit nicht gut aufgestellt. Viel zu selten bieten sie Gestaltungsspielraum. Statt selbstständig zu werden, geraten Jugendliche in einen Zustand erlernter Hilflosigkeit – den sie auch als Erwachsene nicht mehr loswerden. Das wiederum ist ein ideales Einfallstor für Extremismus und Populismus. Die Autorin macht deutlich, dass Demokratie will immer wieder neu erkämpft und gelebt werden, sie ist kein Naturzustand. Nur wenn wir das begreifen, können wir Jugendliche befähigen, als mündige Bürgerinnen und Bürger unsere Gesellschaft zu gestalten.
Wie das gelingen kann, stellt Maria Weisband anhand ihres eigenen Projektes aula dar, wobei diese Kurzform für „ausdiskutieren und live abstimmen“. Dieses hauptsächlich von der Autorin vor knapp zehn Jahre entwickelte Konzept setzt im Kern auf eine Onlineplattform, in der Klassengruppen Ideen einbringen, diskutieren und entwickeln können, ohne dass Erwachsene die Organisation an sich reißen. Das wird gerahmt durch eine Art Vertrag, die die Schulkonferenzen schließen, in dem klar geregelt ist, welche Ideen umgesetzt werden können. Die jungen Menschen dürfen keine Personalentscheidungen treffen, kein nicht vorhandenes Geld ausgeben und auch nichts beschließen, was gesetzeswidrig ist. Im Gegenzug werden die Ideen, die beschlossen werden unter didaktischer Begleitung auch umgesetzt. Und zwar jene Ideen, die mehrheitlich beschlossen werden – sofern die Ideengeber:innen das dann auch in die Wege leiten. Die Folge: Die jungen Menschen erleben recht schnell, dass sie teilhaben können, Gestaltungs- und Entscheidungsmöglichkeiten haben, gehört werden und ganz klassisch ins Handeln kommen. Denn wer als junger Mensch verinnerlicht, dass auch eine einzelne Meinung zählt, der wird letztlich im besten Fall auch im späteren Leben darauf vertrauen können, dass Demokratie zwar bisweilen sperrig und langsam ist, aber trotzdem jede:r beteiligt und nicht bevormundet wird. Und dazu finden sich sehr praxisnahe Beispiele in dem Buch.
Diskussion
Es könnte so einfach sein, denkt man beim Lesen dieses Buches. Anstatt junge Menschen in ein System – Schule – zu pressen, dass an vielen Stellen alles andere als gelebte Mitbestimmung ist, sollte man mit kleinen Interventionen einen Weg finden, die Schülerinnen und Schüler auf ein Leben als mündige Bürger:innen in einem demokratischen Staat vorzubereiten. Dass so etwas am besten durch ‚Machen‘ und nicht durch bloßes ‚Zuhören‘ am besten zu einer verinnerlichten Haltung werden kann, sollte einleuchtend sein. Aber trotzdem scheinen die Bedenkenträger:innen noch in der Mehrzahl zu sein. Es gelingt der Autorin, das ohne in Lehrer-Bashing zu verfallen, gut aufzuzeigen. Dass aus ein Konzept ist, das Hand und Fuß hat, wird mit jeder Seite dieses Buches deutlich – ebenso die Tatsache, dass die Grundidee dahinter so enorm wichtig und richtig ist, um jungen Menschen zu zeigen, wie die Demokratie als die beste aller Staatsformen aktiv mitgestaltet werden kann. Dass sich das an manchen Stellen wie eine Werbebroschüre für aula für liest, ist wahrscheinlich nicht vermeidbar, tut der guten Sache aber keinen Abbruch. Es wäre wünschenswert, wenn sich viele Schulen – und auch andere Institutionen – dazu aufraffen können, ein solches Projekt anzugehen. Es ist eine Investition in die Zukunft – und zwar in die der jungen Menschen und in die der Demokratie.
Fazit
Auch wenn es sich an manchen Stellen wie eine Werbebroschüre für das Projekt der Autorin liest, ist dieses Buch ein Wegweiser, wie kleine Veränderungen große Wirkungen erzielen könn(t)en. Bleibt zu hoffen, dass das starre System Schule in der Gesamtheit dafür auch bereit ist.
Rezension von
Wolfgang Schneider
Sozialarbeiter
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