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Matthias Widmer: Teilhabe wirksam gestalten

Rezensiert von Katharina Klockgether, 13.11.2024

Cover Matthias Widmer: Teilhabe wirksam gestalten ISBN 978-3-17-043247-5

Matthias Widmer: Teilhabe wirksam gestalten. Soziale Dienstleistungen mit Wirkmodellen entwickeln und steuern. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2024. 140 Seiten. ISBN 978-3-17-043247-5. 19,00 EUR.
Reihe: Soziale Arbeit - kompakt & direkt.

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Thema

Das Handbuch beschäftigt sich praxisorientiert mit Wirkmodellen im Bereich von Sozialen Dienstleistungen in der Behindertenhilfe. Es liefert damit eine Hilfestellung für Dienstleistungsorganisationen der Sozialen Arbeit, um die Wirksamkeit und Qualität ihrer Leistungen nachweisen zu können. Hierzu sind sie gegenüber Leistungsträgern, politischen Trägern und Kund*innen verpflichtet. Das Buch vermittelt Grundlagen und zentrale Bausteine zur Entwicklung von Wirkmodellen sowie von daran ausgerichteten Datenerhebungen. Es enthält übersichtliche Grafiken sowie Praxisbeispiele, Erhebungsinstrumente und Auswertungsmöglichkeiten und bietet so einen praktischen Einstieg in die Arbeit mit Wirkmodellen.

Autor

Matthias Widmer ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Professionsforschung und -entwicklung an der Hochschule für Soziale Arbeit (Fachhochschule Nordwestschweiz, FHNW). 2017 hat er seinen Master of Arts in Sozialer Arbeit FH mit dem Schwerpunkt Soziale Innovation abgeschlossen. Seine thematischen Schwerpunkte sind Selbstbestimmung, Inklusion und Organisationsentwicklung. Er verfügt über mehrjährige Erfahrung als Sozialpädagoge in der Behindertenhilfe.

Aufbau und Inhalt

Das handliche Buch im <A5 Format erscheint in der Reihe „Soziale Arbeit – kompakt & direkt“. Auf ein Vorwort der Reihenherausgeber*innen, in dem Zielgruppen und Zweck der Reihe erläutert werden, folgt eine Einführung in das Thema des Buches.

Kapitel 1 widmet sich dem Wirkungsbegriff und Wirkungszielen im Kontext Sozialer Dienstleistungen. Es wird aufgezeigt, dass die Beschäftigung mit Wirkungen von Angeboten in Dienstleistungsorganisationen wichtig und lohnenswert ist. Denn nachweisbar qualitativ hochwertige Angebote können sich auf dem Markt positiv abheben. Das zweite Kapitel führt in Wirkmodelle ein und präsentiert vier Fallbeispiele aus der Behindertenhilfe in Textform. Der Autor weist darauf hin, dass Wirkmodelle in der Sozialen Arbeit bisher noch nicht weit verbreitet sind, dass sie aber zur Komplexitätsreduktion beim Reflektieren der Angebote beitragen können. Im dritten Kapitel werden die Bestandteile von Wirkmodellen anhand eines Fallbeispiels detailliert beschrieben. Der Autor betont, dass man die Arbeit mit den Wirkmodellen als „grafisches Hilfsmittel“ verstehen solle, die „komplexe Zusammenhänge plausibel erklären“.

Kapitel 4 erklärt, wie Wirkmodelle inhaltlich entwickelt werden können und visualisiert zwei der Fallbeispiele aus Kap. 2, ergänzt um beschreibenden Text. Der Autor erklärt, wie aus bestehenden oder neu erschlossenen Wissensbeständen „hypothetische Zusammenhänge“ identifiziert werden können, die dann visuell in einem Wirkmodell abgebildet werden.

Das umfangreichste Kapitel 5 (37 Seiten) beleuchtet, wie ausgehend von Wirkmodellen „gemessen“ werden kann. Es bietet unter anderem eine Einführung in Skalenniveaus sowie in Datenerhebung und -auswertung. Zentral wird in diesem Kapitel dargestellt, wie das theoretische Konstrukt, was bereits im Wirkmodell abgebildet ist, in der Praxis überprüft werden kann. Dazu müssen die Wirkfaktoren und das Wirkungsziel operationalisiert und dadurch „messbar“ gemacht werden.

Im ebenfalls umfangreichen Kapitel 6 wird der „Einsatz von Wirkmodellen im Organisationsprozess“ beschrieben, unterstützt durch systematische Ablaufmodelle und Fallbeispiele. Die Wirkmodelle dienen hier entweder als Grundlage für eine systematische Evaluation von geplanten Interventionen oder als Unterstützung zur Entwicklung neuer und innovativer Interventionen. Im kurz gehaltenen Kapitel 7 wird beschrieben, wie Organisationsentwicklung mit Wirkmodellen gesteuert werden kann. Dabei hebt der Autor hervor, dass aus „kleinen Lernprojekten“ mehr und schneller Erkenntnisse generiert werden können als aus „großen Entwicklungsprojekten“. Das gemeinsame Lernen in Organisationen werde durch den Einsatz von Wirkmodellen gefördert. Das abschließende Kapitel mit dem Titel „Ausblick“ betont motivierende Aspekte der Arbeit mit Wirkmodellen in der Praxis. Hier wird deutlich gemacht, dass ein Wirkmodell nie die Realität komplett abbilden kann, aber auch nicht muss, oder, dass Lernprojekte in Kombination mit Wirkmodellen effizienter sind, als eine ausführliche konzeptionelle Ausarbeitung eines Projekts vor seinem Start.

Diskussion

Das von den Reihenherausgeber*innen im „innovativen Buchformat“ gestaltete Werk überzeugt durch eine klare Struktur und ansprechende Gestaltung. Für jedes Kapitels findet sich zu Beginn ein grau hinterlegter Kasten mit einer kurzen Beschreibung. Die Unterkapitel sind prägnant gehalten. Fallbeispiele werden durch seitliche graue Balken hervorgehoben. Am Ende jedes Kapitels finden sich eine ebenfalls grau hinterlegte Zusammenfassung sowie Reflexionsfragen für Praktiker*innen aus Organisationen Sozialer Dienstleistungen und weiterführende Literaturangaben. Begriffsdefinitionen sind ebenso visuell gekennzeichnet. Die Abbildungen, etwa die der Wirkmodelle und ihrer Elemente, sind klar und leicht erfassbar. Diese gestalterischen Elemente tragen zur Lesbarkeit und Benutzungsfreundlichkeit des Buches bei. Ein Glossar zentraler Begriffe hätte das Werk zusätzlich bereichert.

Das Buch ist systematisch aufgebaut und bietet klare schrittweise Anleitungen, wie Dienstleistungsorganisationen ihre Angebote für ihre Kund*innen planen, reflektieren und optimieren können. Eine wesentliche Herausforderung in der Erstellung von Wirkmodellen besteht darin, passende Wirkfaktoren zu identifizieren, die (wahrscheinlich) auf ein angestrebtes Wirkungsziel Einfluss nehmen. In dieser Hinsicht gelingt dem Buch eine zufriedenstellende Annäherung. Es wird angeregt, aufbereitetet vorliegendes Wissen von Dritten (z.B. Studien), bestehendes Wissen vor Ort (z.B. interne Dokumentationen, Konzepte, Gespräche mit Praktiker*innen und Nutzenden) sowie eigens generiertes Wissen (z.B. Veränderungen von Interventionen und Befragungen, sog. „kleine Experimente“) zu nutzen. Dies ermöglicht es, vorhandenes Wissen sinnvoll einzubeziehen und partizipative Prozesse anzuregen.

In einem der Fallbeispiele wird Selbstbestimmung von Bewohner*innen als Wirkungsziel definiert. Neben den genannten Wirkfaktoren, die Einfluss auf dieses Resultat haben, fehlt aus meiner Sicht die Zufriedenheit der Bewohner*innen als vorgelagertes Wirkungsziel oder als moderierende Variable. Eine erhöhte Selbstbestimmung der Bewohner*innen beim Lebensmitteleinkauf könnte durch künstliche Verknappung von Lebensmitteln in einer Wohngruppe erzwungen werden – auch wenn dies Unzufriedenheit bei den Bewohner*innen auslöst. Ein solches Ergebnis wäre aus meiner Sicht jedoch nicht wünschenswert und zeigt, dass die Realität oft komplexer ist, als sie in einem einfachen Wirkmodell abgebildet werden kann.

Im Kapitel 4 wird auf alternative Darstellungs- und Aufbauvarianten von Wirkmodellen verzichtet, was den Zugang zum Thema erleichtert. Das knapp gehaltene Methodenkapitel (Kap. 5) zeigt Schwächen (s.u.). Besonders positiv hervorzuheben ist die Verzahnung von Wirkmodellen mit der Organisationsentwicklung in Kapitel 6. Die dargestellten Ablaufmodelle verdeutlichen, wie Wirkungsorientierung in Organisationen verankert werden kann, sodass die Arbeit mit Wirkmodellen nicht als „Zusatzprojekt“ empfunden, sondern als immanentes Werkzeug zur Neuausrichtung der Organisation wahrgenommen wird. Die anschaulich beschriebenen „kleinen Experimente“ im Alltag von Dienstleistungsorganisationen werden anschaulich beschrieben und laden zum Nachmachen ein.

Aus evaluationswissenschaftlicher Sicht sei folgendes zur Kritik zur Darstellung der sozialwissenschaftlichen Methoden angemerkt:

In Kapitel 3 wird das anspruchsvolle Konstrukt „Wirkung“ thematisiert. Es wird deutlich, dass das Buch eine Komplexitätsreduktion anstrebt, was grundsätzlich positiv zu bewerten ist. Allerdings wird nicht erwähnt, dass ein Kausalzusammenhang zwischen Wirkungsfaktor und Wirkungsziel im strengen Sinne nur nachgewiesen werden kann, wenn bei Erhebungen auch eine Vergleichsgruppe eingesetzt wird (Balzer/​Beywl 2018). Das gegenüber dem strengen Wirkungsnachweis alternative Konzept der „Wirkungsplausibilisierung“ (Balzer 2012) hätte an dieser Stelle bereichert. Methodisch nicht korrekt ist zudem die Empfehlung, Mittelwerte aus Befragungsergebnissen auf Ordinalskalenniveau zu berechnen (stattdessen: Median).

Ein Beispiel auf S. 81 zeigt eine „metrische Zielscheibe“, auf der mit Klebepunkten eine Zielerreichung bewertet werden soll. Zwar lassen sich die Abstände zwischen den Punkten in Zentimetern messen, doch diese Messbarkeit ist nicht auf die Antworten der Befragten übertragbar: nicht alle verstehen 2 cm von der Mitte der Zielscheibe als dasselbe Ausmaß der Zielerreichung. Daher liegt hier kein metrisches Skalenniveau vor.

Ein weiterer Kritikpunkt betrifft Abbildung 11 auf Seite 93. Hier fehlen die wichtigen Angaben der Stichprobengröße (n) und der Zeitpunkt der Befragung (z.B. T0). Eine vollständige Ergebnisdarstellung wäre in diesem Fall für ein gutes Beispiel unerlässlich.

Als Zielgruppe des Buchs sehe ich in erster Linie Praktiker*innen oder Berufseinsteiger*innen aus Dienstleistungsorganisationen der Behindertenhilfe, zweitrangig Studierende der Sozialen Arbeit oder verwandter Studiengängen. Das Buch eignet sich hervorragend für den praktischen Einsatz. Besonders angesprochen fühlen dürften sich Personen, die Freude daran haben, ihre eigene Arbeit im Bereich Sozialer Dienstleistungen kritisch zu reflektieren und die gerne mit Daten arbeiten.

Fazit

Abgesehen von einigen methodischen Einschränkungen, halte ich das Buch für sehr geeignet, um Berührungsängste gegenüber Wirkmodellen abzubauen. Es regt dazu an, den Dialog mit Beteiligten und Betroffenen in Organisationen oder Projekten zu suchen und neue Ansätze auszuprobieren.

Literaturangaben

Balzer, Lars (2012). Der Wirkungsbegriff in der Evaluation – eine besondere Herausforderung. In G. Niedermair (Hrsg.), Evaluation als Herausforderung der Berufsbildung und Personalentwicklung (1. Auflage, S. 125–141). Linz: Trauner.

Balzer, Lars/Beywl, Wolfgang (2018): evaluiert: Planungsbuch für Evaluationen im Bildungsbereich. 2. Auflage. Bern: hep Verlag.

Literaturhinweise

Sammlung von Software, mit der Wirkmodelle erstellt werden können: https://www.betterevaluation.org/tools-resources/​theory-change-software (Zugriff: 22.10.2024)

Logisches Programmmodell zur Unterstützung von Gegenstandsbeschreibung, Kontextanalyse, Designentwicklung und Kommunikation in Programm- und Projekt-Evaluationen: https://www.univation.org/programmbaum (Zugriff: 22.10.2024)

Rezension von
Katharina Klockgether
Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Gesellschafterin bei Univation - Institut für Evaluation - Dr. Beywl & Associates GmbH, Redakteurin des Portals www.selbstevaluation.de, Veranstalterin des Evaluationsstammtisches im Rheinland
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Es gibt 4 Rezensionen von Katharina Klockgether.

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Zitiervorschlag
Katharina Klockgether. Rezension vom 13.11.2024 zu: Matthias Widmer: Teilhabe wirksam gestalten. Soziale Dienstleistungen mit Wirkmodellen entwickeln und steuern. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2024. ISBN 978-3-17-043247-5. Reihe: Soziale Arbeit - kompakt & direkt. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32412.php, Datum des Zugriffs 13.12.2024.


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