Wolfgang Milch: Tiergestützte psychodynamische Psychotherapie
Rezensiert von Dipl. Psych. Birgit Saßmannshausen, 24.01.2025

Wolfgang Milch: Tiergestützte psychodynamische Psychotherapie. Mensch-Tier-Beziehungen: Freunde fürs Leben.
Brandes & Apsel
(Frankfurt) 2024.
210 Seiten.
ISBN 978-3-95558-372-9.
D: 39,90 EUR,
A: 41,10 EUR.
Reihe: Jahrbuch Selbstpsychologie - Band 5.
Thema
Dem Jahrbuch „Selbstpsychologie“ entnimmt die Leserin verschiedene Abhandlungen zur Tiergestützten Psychodynamischen Psychotherapie; sämtliche Autorinnen und Autoren bringen ausführliche Praxiserfahrungen mit ein, aber auch Theorie und Forschung werden in einzelnen Artikeln mitberücksichtigt.
Trotz der großen Diversität der Beiträge ist allen Autor*innen die tiefenpsychologische Ausrichtung und ein psychodynamisches Konzept in dem therapeutischen Dreieck von Patient – Tier -Therapeut gemeinsam.
Der Leser wird eindrucksvolle autobiografische Berichte entdecken, welche therapeutische Erfahrungen und die Heilkraft von dem Therapieprozess unterstützenden Tierbegegnungen widerspiegeln; die Leserin wird darüber hinaus etliche Erfahrungsberichte von Therapeut*innen vorfinden, welche – tiefenpsychologisch orientiert durch den Einsatz von Tieren tiefgreifende Veränderungsprozesse beim Patienten/bei der Patientin auslösen konnten.
Herausgeber und Entstehungshintergrund
Beide Herausgeber sind Praktiker, führen selbst Hunde in ihrer jeweiligen psychotherapeutischen Praxis; im Rahmen einer Tagung stellten diese beiden Kontakte zu Kolleg*innen her, welche ebenso tiergestützt und psychotherapeutisch arbeiten oder als Patientin eine derartige Behandlungsform kennenlernen durften. Innerhalb dieses professionellen Netzwerkes entstand der Anstoß zu der vorliegenden fachlichen Zusammenstellung.
Aufbau und Inhalt
Die Einführung in das Thema der tiergestützten therapeutischen Arbeit wird von einem der beiden Herausgeber selbst gestaltet. Hier geht es um die Einbeziehung des Tieres „Hund“, um dessen spezielle genetisch determinierten Grundlagen, seine Motivationssysteme, seine individuelle Persönlichkeit. Der Autor beschreibt den durch die Anwesenheit des Hundes evozierten Katalysator-Effekt im Rahmen einer Therapie, die angestoßenen Affekte beim Patienten und die entstehende Dynamik im triadisch ausgerichteten therapeutischen Raum. Dieser prozedurale Prozess könne zu Mentalisierungsimpulsen und zu emotional tiefergreifenden Erlebnissen beim Patienten führen, welche produktiv therapeutisch aufgegriffen werden könnten, so beschreibt der Praktiker seine Erfahrungen.
Es folgt ein Artikel einer tiergestützt arbeitenden Fachkraft, welche hier sowohl den Esel als auch den Hund als Therapiebegleiter vorstellt; der Leser wird in diesem Artikel leider mit sprachlichen Schwächen und inhaltlicher Redundanz konfrontiert als auch mit einem diskutablen persönlichen Meinungsbild und einer Tendenz der Anthropomorphisierung des Hundes.
Es folgen weitere Artikel von der Arbeit mit Pferden und Traumabewältigung, von einer persönlich gehaltenen und theoretisch geprägten Abhandlung zum Thema „Hund“ als auch die Vorstellung und Entstehungsgeschichte des Wikkegard-Konzepts, ein Institut für Hundegestützte Psychotherapie. Der Leser erfährt Details der hochkomplexen sozialen Struktur des Menschen einerseits und des Hundes andererseits. Ebenso wird herausgearbeitet, dass das innerpsychische Erleben des Patienten in Anwesenheit eines Hundes sich im Hier – und-Jetzt – Beziehungserleben im intersubjektiven Feld niederschlägt und vom Psychotherapeuten als bedeutsam aufgegriffen werden kann.
Anschließend findet die Leserin ausführliche Fallbeschreibungen: hier werden Therapieverläufe von Patienten dargestellt, welche mit Pferd, Hund oder Katze arbeiten. Bei dem einen Patienten werden heilsame innerpsychische Konflikte ausgelöst, bei einer anderen Person werden aktuelle Defizite oder auch Schmerzpunkte über eine körperbezogene Arbeit mit dem Tier geheilt. Es wird anhand der Praxisbeispiele beschrieben, dass der therapeutische Einsatz eines Tieres unterschiedliche Funktionen erfüllen kann: mal als Bindungspartner, mal als Stellvertreter für hilfreiche Narrative, mal als Hilfs-Ich für den Psychotherapeuten.
In zwei weiteren Artikeln geht es um den Einsatz des Pferdes: Es wird ein fachlicher Bogen gespannt von dem Jung’schen Komplexkonzept hin zu den Merkmalen der intersubjektiven Bezogenheit. Innerhalb dieser Objektbeziehungstheorie kann das Pferd im Rahmen der Psychotherapie als Selbstobjekt dienen, – erste wissenschaftliche Ergebnisse im Rahmen einer Pilotstudie werden hier vorgestellt.
Den Abschluss bilden zwei Fachartikel zum Thema: heilsamer Umgang mit Bienen; einmal aus der therapeutischen Perspektive innerhalb einzelner Gefängnisse („Knast – Bienen“ in den USA), ein anderes Mal aus der Sicht eines Hobby – Imkers.
Das Fachbuch wird mit einem Nachwort vom Herausgeberteam versehen, welche auf die massive Zunahme von depressiven Erkrankungen und einem „Sich – nicht – verbunden-fühlen – mit der Welt“ hinweisen; eine vorgeschlagene lösungsorientierte Methode, um psychische Stabilität wiederzuerlangen, so betonen die Herausgeber, könnte der verstärkte Umgang mit Tieren sein, nicht nur im Rahmen eines psychotherapeutischen Kontaktes.
Diskussion
Der Markt an Fachliteratur zur tiergestützten Arbeit ist zwar in den letzten Jahren deutlich angestiegen, rein psychotherapeutisch fundierte Fachliteratur jedoch noch rar.
Die psychotherapeutisch ausgerichtete Interessentin wird hier sehr wertvolle Anregungen finden, mal wissenschaftlich geprägte Arbeitsbeschreibungen, mal detaillierte Fallberichte.
Die tiefenpsychologische Basis, hier mit den psychodynamischen Ergänzungen und Erweiterungen durch das Konzept der Selbstpsychologie, findet sich in fast allen Ausführungen wieder und stellt eine längst überfällige und bereichernde Ergänzung zu verhaltenstherapeutischen und pädagogisch ausgerichteten tiergestützten Interventionen dar.
Sehr berührend und authentisch ist der Artikel einer Therapeutin, welche aufgrund etlicher Traumatisierungen ihre eigene Therapie als Patientin im heilsamen Kontakt mit Hund und Pferd beschreibt.
Fazit
Ein inhaltlich abwechslungsreich gestaltetes und äußerst lesenswertes Fachbuch für Psychotherapeuten, welche sich über den tiergestützten Einsatz im therapeutischen Kontext informieren und bereichern lassen wollen!
Rezension von
Dipl. Psych. Birgit Saßmannshausen
Dipl. Psych., Psychotherapeutin, Gestalttherapeutin, tiergestützte Psychotherapie; Fortbildnerin, Coach und Supervisorin
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