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Georg Cremer, Nils Goldschmidt et al.: Soziale Dienstleistungen

Rezensiert von Prof. Dr. Paul Brandl, 30.08.2024

Cover Georg Cremer, Nils Goldschmidt et al.: Soziale Dienstleistungen ISBN 978-3-8252-6136-8

Georg Cremer, Nils Goldschmidt, Sven Höfer: Soziale Dienstleistungen. Marktgestaltung für hilfebedürftige Menschen. Mohr Siebeck (Tübingen) 2023. 2., überarbeitete und aktualisierte Auflage. 276 Seiten. ISBN 978-3-8252-6136-8. D: 25,00 EUR, A: 25,70 EUR, CH: 32,50 sFr.
Reihe: UTB - Band 3665. Wirtschaftswissenschaften, Rechtswissenschaft, Sozialwissenschaften.

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Die Autoren

Georg Cremer war bis 2017 Generalsekretär des Deutschen Caritasverbandes und ist außerplanmäßiger Professor für Volkswirtschaftslehre an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg i.Br.

Nils Goldschmidt ist Professor für Kontextuale Ökonomik und Ökonomische Bildung an der Universität Siegen und Vorsitzender der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft e.V.

Sven Höfer ist Professor für Sozialrecht an der Hochschule für Öffentliche Verwaltung Kehl

Aufbau

Dieses Lehrbuch gibt einen Überblick über die Erbringung sozialer Dienstleistungen. Die Besonderheiten und Optionen zur Gestaltung der Märkte sozialer Dienstleistungen sowie die Interaktion und Interessen der Akteure werden anhand von praktischen Beispielen dargestellt sowie aus ökonomischer, sozialrechtlicher und politischer Sicht bewertet. Das Buch zeigt Optionen zur Gestaltung der Märkte sozialer Dienstleistungen, dass sie im Interesse der Hilfe suchenden Menschen wirken können.

Der Teil A enthält die Grundlagen. Dazu zählen folgende Kapitel:

  • Einführung zu den sozialen Dienstleistungen
  • Entwicklungslinien: Dienstleistungsgesellschaft und historische Wandlungsprozesse
  • Ordnungspolitik und Recht: Gestaltung der Marktwirtschaft
  • Marktfähigkeit sozialer Dienstleistungen
  • Die Marktakteure

Im Teil B werden folgende Themen dargestellt:

  • Das sozialrechtliche Dreiecksverhältnis
  • Das persönliche Budget
  • Gutscheine
  • Ausschreibung sozialer Dienstleistungen nach Vergaberecht
  • Sozialraumbudgetierung
  • Zu wenig Markt? Zu viel Markt?

Im letzten Kapitel werden folgende drei Themen ausgeführt: Verflechtungen zwischen Leistungsträgern und -erbringern, Ökonomisierung von Nutzern und Mitarbeitenden sowie ein Abschnitt zu Mehr Markt? Weniger Markt? Die falsche Frage.

Inhalt

Im Teil A erfolgt zunächst eine Hinführung auf das Thema mit drei Annahmen:

  • Der Prozess der Dienstleistungserbringung lässt sich als ein Zusammenspiel von Nachfrage und Angebot analysieren.
  • Soziale Dienstleistungen sind eingebunden in ein politisches und rechtliches Institutionengefüge.
  • Die konkrete gesellschaftliche Gestaltung des sozialen Dienstleistungssektors beruht auf Wertentscheidungen.

Dienstleistungen sind ganz allgemein wirtschaftliche Güter, die menschliche Bedürfnisse befriedigen. Bedürfnisse sind das subjektive Empfinden von Mangel, der durch den Erwerb von Gütern beseitigt werden kann. Es können auch immaterielle Güter sein, die als Dienstleistungen bezeichnet werden. Diese werden in automatisierte und persönliche Dienstleistungen unterteilt. Jedenfalls letztere sind die sozialen Dienstleistungen. Diese beziehen sich im engeren Sinne auf Personen mit Unterstützungsbedarf in einer Reihe von Praxisfeldern – beginnend bei der Kinder- und Jugendhilfe über die Arbeitslosenhilfe bis hin zur Altenbetreuung und -pflege. Bei sozialen Dienstleistungen gilt auch das Ausschlussprinzip.

Nachdem Dienstleistungen bereits über 70 % der Wirtschaftsleistung umfassen, könnte man soziale Dienstleistungen als vierten Wirtschaftssektor bereits gesondert betrachten. Die Industrialisierung mit ihrer Produktionsweise brachte als „Nebenwirkungen“ eine Vielzahl von sozialen Dienstleistungen hervor, die anfangs häufig auf religiösen und kirchlichen Ursprung zurückgingen. In der Weimarer Zeit wurde der Wohlfahrtsstaat weiter ausgebaut und nach einer nationalsozialistischen „Delle“ nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland ausgebaut. Im Konzept der Sozialen Marktwirtschaft werden Markt und Wettbewerb qualitativ bestimmt durch wirtschafts- und sozialrechtliche Vorgaben. Das Grundanliegen der Sozialen Marktwirtschaft ist es, das Sozialstaatsprinzip, wirtschaftliche Freiheit und soziale Gerechtigkeit miteinander zu verbinden,

Es stellt sich die Frage, ob soziale Dienstleistungen „öffentliche“ oder „private Güter“ sind. Die Autoren gehen dabei auf die Frage ein, ob mit der Produktion der Güter positive oder/und negative Aspekte für die Klient:innen verbunden sind. Auch stellt sich die Frage nach Größenvorteilen und Unteilbarkeiten. Die Konsumentensouveränität kann in unterschiedlichem Ausmaß eingeschränkt sein. So wie bei allen Organisationen sind auch Informationsmängel festzustellen. Wenn eine hilfebedürftige Person sich durch einen Vertrag länger an eine Organisation bindet, kann auch eine LOCK-In-Problematik entstehen. Dabei ist festzuhalten, dass nicht alle Eventualitäten vertraglich im vorhinein geregelt werden können. Mit der jeweils konkreten Ausgestaltung können somit vertragliche und personenbezogene Schwierigkeiten verbunden sein.

Die Prinzipien der Marktgestaltung nach Le Grand sind: Vertrauen, Kontrolle, Nutzerrückmeldungen und Wahloptionen. Dabei wird auch auf die Komplexität der Steuerung eines schwer steuerbaren Systems eingegangen.

Im letzten Kapitel des Kapitels „Grundlagen“ wird auf drei Aspekte der Marktakteure eingegangen: Erstens auf den Nutzen, die Leistungserbringer und Kostenträger, zweitens die Interessen der Marktakteure und die Rechtsbeziehungen zwischen den Marktakteuren. Mit Ausnahme der Geldleistungen erbringt der Leistungsträger die Leistung nicht selbst, stattdessen schließt er Verträge mit den Leistungserbringern ab.

Im Teil B steht zu oberst das sozialrechtliche Dreiecksverhältnis. Der Grundgedanke ist, dass der Leistungsnutzer einen Rechtsanspruch auf Leistung hat gegenüber dem Leistungs- und Kostenträger hat. Dieser hat wiederum eine vertragliche Regelung gegenüber dem Leistungserbringer (im Sinne des Öffentlichen Rechts) und eine privatrechtliche Beziehung zum Leistungsnutzer.

Das persönliche Budget ist ein Modell im Rahmen des sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses. Diese Verträge regeln die Art und Umfang der Leistung sowie die Vergütung der Leistungserbringung. Dazu folgen Ausführungen zur Ausgestaltung des sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis sowie Bewertungen aus Sicht der Nutzer:innen, der Leistungserbringer und der Kostenträger.

Eben sind die Gutscheine für Sachleistungen ein Modell im Rahmen des sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses. Nach Prüfung des Anspruchs werden den Nutzer:innen Gutscheine ausgefolgt, die bei Leistungserbringern eingelöst werden. Dahinter steht eine dem Anspruch entsprechende Leistung. Auch hier folgen wiederum Ausführungen zur Ausgestaltung des sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis sowie Bewertungen aus Sicht der Nutzer:innen, der Leistungserbringer und der Kostenträger.

Im Sinne des Wettbewerbs werden Leistungen im Sinne des Vergaberechts ausgeschrieben und von den potenziellen Leistungserbringern entsprechende Angebote gelegt. Die Leistungsträger beauftragen entsprechend den geforderten Kriterien die ausgewählten Leistungserbringer. Diese haben die Dienstleistungen entsprechend dem Vergaberecht für die Nutzer:innen zu erbringen. Wiederum folgen Ausführungen zur Ausgestaltung des sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses sowie Bewertungen aus Sicht der Nutzer:innen, der Leistungserbringer und der Kostenträger.

Die obigen Modelle sind im Rahmen des sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses und werden – je nach den Werten der Leistungsträger – mit mehr oder minder großem Erfolg angewandt. Den Abschluss bildet ein Abschnitt zur Sozialraumbudgetierung, der sich noch in der Phase der Erprobung befindet. Damit soll eine stärker wettbewerblich orientierte Leistungserbringung erreicht und die Stellung der Leistungsberechtigten gestärkt werden. Das bisher nur in geringem Ausmaß angewandte Modell ist eher lokal verbreitet, eröffnet allerdings interessante Perspektiven. Es folgen Ausführungen zur Ausgestaltung des sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses sowie Bewertungen aus Sicht der Nutzer:innen, der Leistungserbringer und der Kostenträger. Auch eine Sozialraumorientierung ohne Sozialraumbudget wird diskutiert.

Den Abschluss der Publikation bilden drei kritische Diskussionspunkt unter dem Thema „Zu wenig Markt, zuviel Markt“ ausgebreitet::

  1. Kritik: Enge Verflechtungen zwischen Leistungsträgern und -erbringern behindern den Wettbewerb. Hier werden drei Problembereiche bearbeitet: Abschottung statt Wettbewerb? Wettbewerbsbeschränkung durch Kooperation? Diskriminiert Gemeinnützigkeit privat-gewerbliche Leistungserbringer?
  2. Kritik: Ökonomisierung zu Lasten von Nutzern und Mitarbeitenden? Schwerpunkte sind „Vermarktlichung als Irrweg“ und Arbeitsbedingungen.
  3. Diskussion: Mehr Markt? Weniger Markt? Falsche Frage – zur Aktualität der vier Steuerungsprinzipien und die dauernde Frage der Marktgestaltung.

Diskussion

Das Buch stellt eine gute Zusammenfassung des bisherigen Standes der Praxis samt Diskussion rund um das Thema Sozialwirtschaft dar. Effizienz und Effektivität finden sich als heiß diskutierte Themen allerdings nur in geringem Ausmaß. Eine Steigerung von Effizienz und Effektivität bei der Erstellung der sozialen Dienstleistungen ist in der funktionalen Organisation auch nur in geringem Ausmaß möglich. Erst die Integration der Prozessorganisation würde neue Diskussionsräume eröffnen. Ein großer Ansatzpunkt wäre die prozessbasierte Ausschreibung der Vergabe sozialer Dienstleistungen als Beitrag zu einer größeren Kostentransparenz der Stakeholder. Die Prozesskostenrechnung würde so zur Versachlichung der Diskussionen durch mehr Transparenz beitragen. Die Entwicklung von Dienstleistungen aus Klient:innensicht wäre ein zweiter Weg von der Problemorientierung zum lösungsorientierten Handeln. Damit könnte sowohl der Kritikpunk „Ökonomisierung zu Lasten von Nutzern und Mitarbeitenden“ als auch die Frage rund um die Marktgestaltung weitergetrieben werden.

Fazit

Man kann auf gut gesicherte Erkenntnisse zu den sozialen Dienstleistungen recht gut aufbauen. Probleme und somit auch die am Schluss diskutierten Problembereiche sind im Sinne der Lösungsorientierung Vorboten von weiteren Lösungen. Manchmal sind die Problembereiche um die Ecke weiterzudenken – sowohl von den Themen her als auch von den Leserinnen, darunter auch innovationsfreudige Wissenschafter.

Rezension von
Prof. Dr. Paul Brandl
war Professor für Organisationsentwicklung und Prozessmanagement an der FH Oberösterreich, Department für Sozial- und Verwaltungsmanagement und ist Berater insbesondere für die prozessbasierte Optimierung und Neugestaltung von sozialen Dienstleistern
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Es gibt 121 Rezensionen von Paul Brandl.

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Zitiervorschlag
Paul Brandl. Rezension vom 30.08.2024 zu: Georg Cremer, Nils Goldschmidt, Sven Höfer: Soziale Dienstleistungen. Marktgestaltung für hilfebedürftige Menschen. Mohr Siebeck (Tübingen) 2023. 2., überarbeitete und aktualisierte Auflage. ISBN 978-3-8252-6136-8. Reihe: UTB - Band 3665. Wirtschaftswissenschaften, Rechtswissenschaft, Sozialwissenschaften. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32451.php, Datum des Zugriffs 15.09.2024.


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