Barbara Bergmann, Denis Köhler et al. (Hrsg.): Rechtspsychologie
Rezensiert von Wolfgang Schneider, 28.10.2024

Barbara Bergmann, Denis Köhler, Bernd Leplow, Maria von Salisch (Hrsg.): Rechtspsychologie.
Kohlhammer Verlag
(Stuttgart) 2024.
2., erweiterte und überarbeitete Auflage.
310 Seiten.
ISBN 978-3-17-042350-3.
36,00 EUR.
Reihe: Grundriss der Psychologie - 17.
Thema
Dieses Lehrbuch bietet einen anwendungsorientierten Einblick in die wesentlichen Tätigkeits- und Aufgabenfelder der Rechtspsychologie. Insbesondere werden die Themen Schuldfähigkeit, Gefährlichkeitseinschätzung/Prognosebeurteilung, die strafrechtliche Verantwortlichkeit und die Aussagepsychologie – beziehungsweise die Glaubhaftigkeit von Zeugen – sowie familienrechtspsychologische Fragestellungen betrachtet. Darüber hinaus geben die Autorin und der Autor einen umfassenden Überblick über die gängigsten Methoden der rechtspsychologischen Diagnostik, gehen auf grundlegende Aspekte der rechtspsychologischen Begutachtung ein und erläutern die Kriminalprävention wie auch die Straftäterbehandlung. In der Neuauflage berücksichtigen sie den aktuellen Stand der Forschung, verweisen auf neuere Literatur zur Themenvertiefung und geben einen ausführlichen Einblick in Glaubhaftigkeitsbeurteilung und Identifizierung von Tatverdächtigen.
Herausgeber:innen
Dr. Barbara Bergmann ist Diplom-Psychologin und arbeitet als Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung für Sozial- und Rechtspsychologie an der Universität Bonn. Prof. Dr. Denis Köhler, ebenfalls Diplom-Psychologe, lehrt unter anderem Rechtspsychologie und Differentielle Psychologie an der Hochschule Düsseldorf.
Entstehungshintergrund
Es handelt sich um die aktualisierte und erweiterte zweite Auflage des Buches, das in der Verlagsreihe Grundriss der Psychologie erschienen ist.
Aufbau und Inhalt
Das Buch startet mit dem Kapitel Rechtspsychologie gestern und heute, indem zunächst eine Begriffsdefinition erfolgt und die Geschichte des Fachgebiets dargestellt wird. Den Abschluss des Kapitels bilden ein kurzer Blick auf die Rechtspsychologie im Studium und in der Weiterbildung sowie rechtliche und ethische Grundlagen.
Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit der Kriminalpsychologie und definiert den Begriff zunächst, bevor eine Abgrenzung zu Nebenthemen erfolgt. Deutlich wird, dass zwischen der tatsächlichen und der gefühlten entwicklung der Kriminalität erhebliche Unterschiede vorliegen. So negativ, wie dies in vielen Medien immer wieder dargestellt wird, ist die Lage nämlich nicht, weshalb differenzierte Betrachtungen erforderlich sind. In der Folge geht es in diesem Kapitel dann um
- Häufigkeit und Entwicklung von straffälligem Verhalten,
- die Entstehung von straffälligem Verhalten und Delinquenz sowie
- Kriminalitätstheorien,
- Prototypische Entwicklungspfade,
- Aggression und Gewalt,
- Sexualdelinquenz und
- die Frage, ob es die kriminelle Persönlichkeit überhaupt gibt.
Hierbei wird klar heraus gestellt, dass es nicht lineare Zusammenhänge sind, die zu Delinquenz führen, sondern es immer eine Kette von Einflüssen ist, die für die Entwicklung einer delinquenten Persönlichkeit erforderlich ist: Die Entwicklung ist „im Sinne eines biopsychosozial eingebetteten und vielschichtigen Entwicklungsprozesses zu verstehen“ (S, 78). Einteilungen in gute und böse Menschen seien daher viel zu eindimensional, ebenso die Erzählung vom kriminellen Menschen an sich.
Das dritte Kapitel widmet sich dem Thema Forensische Psychologie: Definition, Fragestellungen und juristische Aspekte. Das Kapitel untergliedert sich in die Abschnitte
- Definition und Abgrenzungen,
- Forensisch-psychologische Fragestellungen und Begutachtungsanlässe,
- Juristische Aspekte,
- Strafverfahren,
- Gerichtsverfahren sowie
- die Unterschiede von Jugend- und Erwachsenenstraf- und Maßregelvollzug.
Einen vertieften Blick auf die Forensische Psychologie im Familienrecht wirft das vierte Kapitel. Hier werden die Berührungspunkte des Fachgebietes mit Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung und die Rolle von Sachverständigen im Familienrecht näher betrachtet, bevor es im fünften Kapitel um die Forensische Psychologie der Aussage und der Glaubhaftigkeitsbeurteilung von Zeugenaussagen geht. Nach einer ersten Einführung in diesen Themenkomplex wird beschrieben, wie eine Begutachtung der Glaubhaftigkeit vonstatten geht. Dabei spielt besonders der Begriff der Aussagetüchtigkeit eine wichtige Rolle, worunter die „grundsätzliche Fähigkeit (…), Situationen zuverlässig wahrzunehmen, über einen längeren Zeitraum zu speichern und weitgehend selbständig [sic] abzurufen“ (S. 105). Zeugen können dahingehend begutachtet werden, wobei die Teilnahme daran grundsätzlich freiwillig ist. Sollten sich Personen weigern, die Begutachtung einer Glaubwürdigkeit untersuchen zulassen, muss nach Aktenlage beurteilt werden. Interessant: Das Erfinden von Ereignissen, ohne sich bei Wiederholungen in Widersprüche zu verwickeln, setzt hohe kognitive Fähigkeiten voraus. Aussagen „ohne Erlebnishintergrund [sind] kürzer und weniger komplex“ (S. 105). Seit mehr als einem Jahrhundert ist die Psychologie auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage, ob Lügen erkennbar sind. Rechtspsycholog:innen sind die einzigen Personen, die Glaubhaftigkeitsbeurteilungen vornehmen dürfen.
Im weiteren Verlauf steht die Identifizierung von Tatverdächtigen im Fokus: Was sind eigentlich Situations-, Zeugen- und Täterfaktoren und wie läuft der Prozess der Identifizierung ab.
Im siebten Kapitel betrachten die Autor:in die Forensische Psychologie im Jugendgerichtsverfahren, bevor sie sich der Frage der Schuldfähigkeit im Rahmen der Forensische[n] Psychologie im Strafverfahren widmen, bei der es in der Regel um eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus beziehungsweise einer Entziehungsanstalt geht.
Ein sehr komplexer Bereich der Rechtspsychologie steht im folgenden Kapitel im Mittelpunkt: Im Kapitel Forensische Psychologie der Gefährlichkeitseinschätzung und der Prognosebeurteilung von Straftäterinnen sind nach einer kurzen Einführung die rechtlichen Grundlagen und (historische) Hintergründe Thema. Im Folgenden werden Grundlagen der Prognosebegutachtung sowie das ‚klassische‘ prognostische Vorgehen und die aktuelle Praxis der Prognosebegutachtung beleuchtet.
Rechtspsychologische Diagnostik ist das zehnte Kapitel überschrieben, das in folgende Blöcke untergliedert ist und die entsprechenden Methoden erläutert: Definition und psychologische Grundlagen, Aktenanalyse und Fremdbefunde, Exploration und Interviewverfahren, Verhaltensbeobachtung und psychischer Eindruck, Leistungs- bzw. Intelligenzdiagnostik, Persönlichkeitsdiagnostik unter besonderer Berücksichtigung psychometrischer Testverfahren, Interaktions- und Beziehungsdiagnostik, Psychophysiologische und objektive Verfahren, Polygraphie oder ‚Lügendetektor‘, Messung zentralnervöser Aktivierung, Objektive diagnostische Methoden, Rechtspsychologische Checklisten und Instrumente sowie Tathergangsanalyse.
Wie nun genau eine Rechtspsychologische Begutachtung abläuft, ist Inhalt des elften Kapitels, bevor dem Thema Kriminalprävention Raum eingeräumt wird. Dabei geht es zunächst um Grundlagen von Prävention und Intervention sowie Modelle der Prävention und verschiedene Präventionsprogramme und deren Wirksamkeit.
Im Kapitel Interventionen und Straftäterinnenbehandlung werden verschiedene Methoden und Vorgehensweise wie psychodynamische beziehungsweisepsychoanalytische Ansätze oder das Good-Lives-Modell vorgestellt, bevor es zum Beispiel um die Frage „Krank und/oder kriminell oder beides?“ oder die Wirksamkeit der Straftäterinnenbehandlung geht. Das Abschlusskapitel bietet dann ein Schlusswort und beschäftigt sich mit den beruflichen Perspektiven von Rechtspsychologen und Rechtspsychologinnen.
Diskussion
Auch wenn eine Synopse der Veränderung von der ersten zur zweiten Auflage schön gewesen wäre, handelt es sich um ein vollumfänglich zu empfehlendes Lehrbuch, das über eine klare und durchdachte Gliederung verfolgt. Unterschiedliche grafische Elemente und griffige Formulierungen helfen, mit diesem Buch zu lernen und – auch für Fachkräfte – bereits vorhandenes Wissen aufzufrischen. Ein Plus sind die Literaturempfehlungen am Ende der jeweiligen Kapitel sowie deren kurze Zusammenfassungen, die einen prägnanten Überblick über das zuvor Gelesene vermitteln.
Fazit
Dieses Buch verschafft Studierende aber auch Fachkräften ein fundiertes Grundwissen über die Rechtspsychologie.
Rezension von
Wolfgang Schneider
Sozialarbeiter
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