Stephanie Meer-Walter: Schüler/innen im Autismus-Spektrum verstehen
Rezensiert von Prof. Dr. Georg Theunissen, 02.09.2024
Stephanie Meer-Walter: Schüler/innen im Autismus-Spektrum verstehen: Praxishilfe zu autistischen Besonderheiten in Schule und Unterricht. Beltz Verlag (Weinheim, Basel) 2024. 2. Auflage. 265 Seiten. ISBN 978-3-407-83239-9. D: 32,00 EUR, A: 32,90 EUR.
Thema
Das vorliegende Buch versteht sich als eine „Praxishilfe zu autistischen Besonderheiten in Schule und Unterricht“. Hierzu werden mit der 2. Auflage zunächst grundlegende Informationen zum Thema Autismus aufgegriffen, die sich auf dem aktuellen Forschungs- und Erkenntnisstand bewegen und angeeignet werden müssen, wenn es um eine ‚Best Practice‘ geht. Gemeint ist damit eine „autismussensible Pädagogik für Schule und Unterricht“. Auf dem Hintergrund der derzeitigen Erkenntnisse und Diskussion werden die Leserinnen und Leser der Schrift dazu eingeladen, sich in die schulische und unterrichtliche Situation von Schüler*innen im Autismus-Spektrum hineinzuversetzen, sodass eine verstehende Perspektive in Bezug auf autistische Besonderheiten generiert werden kann. Von hier aus eröffnen sich Chancen, eine angemessene Haltung und Unterstützungsmöglichkeiten zu entwickeln, durch die autistische Schülerinnen und Schüler profitieren und die zugleich auch für ihre Mitschüler*innen und Klassengemeinschaften ein Gewinn sein können. Angereichert werden die Grundlagen und Anregungen für den Unterricht durch eine umfassende Materialsammlung bestehend aus mehreren Frage- und Arbeitsbögen, die sich auf strukturelle und unterrichtspädagogische Maßnahmen beziehen.
Das Buch richtet sich in erster Linie an Lehrerinnen und Lehrer aller Schultypen sowie an pädagogische Mitarbeiter*innen und Schulbegleiter*innen, darüber hinaus bietet es ebenso Eltern autistischer Kinder grundlegende Informationen und Hilfen für die Praxis.
Autorin
Stephanie Meer-Walter ist Autistin und hat zwanzig Jahre im nordrhein-westfälischen Schuldienst als Lehrerin, Schulleiterin, Fachberaterin und Moderatorin in der Lehrer*innenfortbildung gearbeitet. Darüber hinaus ist sie als Expertin in eigener Sache Host des Podcasts »Autismus braucht Aufklärung« sowie als Autorin und Referentin tätig.
Entstehungshintergrund
Ein Blick in die Literatur zum Themenbereich Schule und Unterricht mit autistischen Schülerinnen und Schülern zeigt auf, dass sich nicht wenige Schriften insbesondere aus der Fachwelt traditionellen Vorstellungen über Autismus verschrieben haben, die größtenteils zu einseitigen, nicht selten an Defiziten orientierten Empfehlungen für den pädagogischen Umgang mit autistischen Schülerinnen und Schülern führen. Diese bislang unbefriedigende Situation dürfte wohl Stephanie Meer-Walter zu der vorliegenden Praxishilfe veranlasst haben, die sich durch eine Abkehr von der herkömmlichen Sicht auf Autismus und Hinwendung zu einer verstehenden Perspektive auszeichnet. Hierbei fließen eigene Wahrnehmungen und Einsichten als Expertin in eigener Sache, Innensichtweisen und Erfahrungen als Lehrkraft sowie wissenschaftlich gestützte Erkenntnisse ein, welche als eine Richtschnur für die Gestaltung schulpädagogischer Situationen und für unterrichtlichen Handelns aufbereitet werden. In der 2. Auflage sind neueste, themenrelevante Schriften, Befunde und Erkenntnisse aus der Autismusforschung eingearbeitet worden.
Aufbau und Inhalt
Das Buch „Schüler/innen im Autismus-Spektrum verstehen“ ist in vier Hauptkapitel gegliedert.
Das erste Kapitel „Das Autismus-Spektrum verstehen“ (S. 15–59) bietet grundlegende Informationen, die einleitend die schulische Situation von autistischen Kindern und Jugendlichen im gegenwärtigen deutschen Bildungssystem skizzieren. Diesbezüglich werden derzeitige Probleme herausgestellt (z.B. nicht zufriedenstellende Beschulungssituation; veraltete Erziehungs- und Unterrichtsempfehlungen; medizinisches Autismusbild, das zu einer bloßen defizitär ausgerichteten Anpassungspraxis verleitet; Ignoranz eines eigenständigen sonderpädagogischen Förderschwerpunkts Autismus in dem meisten Bundesländern; fehlende Passung der Lernumgebung an die autistischen Besonderheiten; hohe Zahl von Ausschlüssen autistischer Schüler*innen im Regelschulsystem; hohe Überweisungsquote autistischer Schüler*innen in eine Förderschule, unzureichende Unterstützung autistischer Schüler*innen). Nachfolgend wird auf das Thema Autismus Bezug genommen, indem zunächst Fragen zu Ursachen, Prävalenz, Geschlechterverteilung und Intelligenz aufgegriffen werden, bevor auf neurowissenschaftliche Erklärungsansätze und autistische Merkmale eingegangen wird. Hierbei werden wichtige Erkenntnisse aus der Autismusforschung berücksichtigt, die sich insbesondere auf sensorische Besonderheiten und auf eine von Natur aus andere Wahrnehmung und Informationsverarbeitung autistischer Menschen beziehen. Diese Informationen signalisieren eine Abkehr vom herkömmlichen klinischen Autismusbild. Stattdessen wird eine moderne Sicht auf Autismus vor Augen geführt, die zu einer verstehenden Perspektive führt. Diese wird neben der Beschreibung autistischer Merkmale und Verhaltensweisen durch Beispiele eines „typischen“ Schulalltags aus der Innensicht vertieft.
Im zweiten Kapitel „ Autismus Erleben: ein Parcours“ (S. 65–72) werden auf der Grundlage der vorausgegangenen Ausführungen die Leser*innen des Buches dazu eingeladen, „die Welt wie eine Autistin oder ein Autist“ (Meer-Walter 2024, S. 11) wahrzunehmen, um „eine Ahnung vom autistischen Erleben und Fühlen“ (ebd.) zu gewinnen. Stationen dieser Reise sind autistische Merkmale (z.B. soziale Interaktion und Kommunikation, veränderte Wahrnehmungsmodalität, sensorische Wahrnehmung, Routinen und Rituale), intensive Welterfahrungen, Bewältigungs- oder spezifische Reaktionsmuster (Stimming, Overload, Shutdown, Meltdown) sowie eine „verkehrte“ Welt, bei der sich Leser*innen einmal vorstellen sollen, dass die Menschen grundsätzlich und mehrheitlich autistisch sind (ebd., S. 72). Ein solches Gedankenexperiment stammt aus einem ‚Methodenkoffer‘ mit einer facettenreichen Fülle an Anregungen, unterschiedlichen Instrumenten und praktischen Übungen (z.B. Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen, Begrüßungsspiele, Rollenspiele, Video-Tipps, Impuls- oder Reflexionsfragen, Übungen mit Kopfhörer), die allesamt zum besseren Verstehen des Verhaltens und Erlebens autistischer Schülerinnen und Schüler beitragen sollen.
Das nachfolgende dritte Kapitel „Autistische Besonderheiten in Schule und Unterricht gerecht werden“ (S. 75–124) konkretisiert die in Kapitel 1 und 2 aufgegriffenen Grundlagen zum Verständnis von Autismus für die schulische und unterrichtliche Praxis. Hierzu werden fünf zentrale Handlungsebenen aufbereitet:
Zunächst geht es um die Schulebene. Neben einschlägigen Fortbildungen für das gesamte Personal einer Schule wird ein „Autismus-Schul-TÜV“ (Meer-Walter 2024, S. 77) empfohlen, indem sich Lehrkräfte die „‘autistische Brille‘“ aufsetzen sollen, um Situationen, Abläufe, Hindernisse, Stolpersteine o.Ä. aus der Sicht autistischer Schüler*innen zu erfassen. Ferner werden Gestaltungs- und Unterstützungsmöglichkeiten sowie Handlungsempfehlungen im Hinblick auf Systemübergänge (von der Grundschule in die Sekundarstufe; von der Schule in die Ausbildung) und Rahmenbedingungen (u.a. schulbezogene Autismus-Beauftragte; Mentoring; Autismus-Fachberatung; Schülerpatin/Schülerpate; Begleitung ins Berufsleben; individuell angepasste Schulwoche) aufgegriffen.
Anschließend nimmt Stephanie Meer-Walter richtungsweisende Anregungen für die Klassenebene in den Blick, die sich auf Unterstützungsmöglichkeiten in Bezug auf soziale Interaktion und Kommunikation (z.B. Buddy-System; Klassenraum-Management, Klassenrat, Klassenfahren, Pausen an einem ruhigen Ort, Sozialtraining, respektvolles Miteinander), auf die Berücksichtigung sensorischer Besonderheiten (z.B. ‚strukturierter‘ Klassenraum; Rückzugsmöglichkeiten in der Klasse), auf die Beachtung und gemeinsame Erarbeitung klarer und nachvollziehbarer Klassenregeln und Abläufe sowie auf Fragen einer geeigneten Aufklärung der Mitschüler*innen wie auch ihrer Eltern über das autistische Sein beziehen. Ziel sollte „eine sich gegenseitig unterstützende Klassengemeinschaft“ (ebd., S. 91) sein.
Der Klassenebene folgt die Unterrichtsebene, auf der weitreichende Handlungsempfehlungen und Anregungen in Bezug auf das atypische Denken und Lernverhalten autistischer Schüler*innen, den Umgang mit Hausaufgaben, Fragen im Hinblick auf Zeitdruck, Perfektionismus, Beteiligung am Unterrichtsgeschehen, geeignete Lehrmethoden, Berücksichtigung von Spezialinteressen, Förderung hochbegabter autistischer Schüler*innen (z.B. ergänzende Angebote außerhalb des Regelunterrichts) sowie in Bezug auf den Umgang mit motorischen und sprachlichen Besonderheiten, Meltdowns und herausforderndem Verhalten (z.B. präventive, nicht-aversive positive Verhaltensunterstützung) gegeben werden. Darüber hinaus wirft Stephanie Meer-Walter einen Blick auf einzelne Unterrichtsfächer (Deutsch, Fremdsprachen, Mathematik, Naturwissenschaften, Gesellschaftswissenschaften, Sport, Kunst, Musik), um potentielle Schwierigkeiten wie auch Chancen einer ‚Best Practice‘ für autistische Schüler*innen zu eruieren. Grundsätzlich ist es der Autorin um die größtmögliche Teilhabe autistischer Schüler*innen an einem gemeinsamen Unterricht zu tun.
Die vierte sogenannte Leistungs- und Prüfungsebene thematisiert vor allem Fragen des Nachteilsausgleichs, bei denen es nicht um ein Patentrezept, sondern um individuelle Gestaltungsmaßnahmen geht, durch die autistische Schüler*innen gegenüber ihren nichtautistischen Peers nicht bevorzugt werden sollten.
Abgerundet wird das dritte Kapitel mit der Individualebene, welche sich auf spezifische Themen (Umgang mit Stress und Ängsten; Selbstbild autistischer Schüler*innen; die Situation autistischer Mädchen, Pubertät) erstreckt. Ferner werden Fragen aufgenommen, die auf eine positive Beziehungsgestaltung der Lehrkräfte zu autistischen Schüler*innen (z.B. durch Entwicklung einer förderlichen Haltung, Authentizität, empathisches Verstehen; durch Unterstützung von Empowermentprozessen, vor allem von autismusspezifischen Stärken), die Zusammenarbeit mit Eltern sowie die Rolle einer Schulbegleitung Bezug nehmen.
Im vierten Kapitel „Individuelle Passung durch Förder- und Forderplanung: Praxismaterialien“ (S. 127 – 260) werden Materialien (Frage- und Arbeitsbogen) vorgestellt, die zur Erstellung eines individuellen „Förder- und Forderplans“ sowie für eine Prozessbegleitung hilfreich sind. Bei der Planung sollte schrittweise vorgegangen werden.
Im ersten Schritt sollen die aktuelle schulische Situation eines autistischen Schülers oder einer autistischen Schülerin, die individuellen Merkmale, Ressourcen sowie spezifische Probleme erfasst und analysiert werden. Hierzu gibt es einen Fragebogen für die betroffenen Schüler*innen, für ihre Lehrkräfte (Klassen- und ggf. Fachlehrer*innen) und für ihre Eltern. Im Einzelfall kann es notwendig sein, dem Schüler oder der Schülerin beim Ausfüllen des Bogens behilflich zu sein. Die Fragen orientieren sich an den in den vorausgegangenen Kapiteln herausgestellten autistischen Besonderheiten sowie an den relevanten Aspekten, die Schule und Unterricht betreffen. Ferner gibt es einen Auswertungsbogen, in dem die verschiedenen Perspektiven abgeglichen, zusammengefasst und miteinander verbunden werden. Diese Aufgabe sollte möglichst durch eine Person erfolgen, die selbst keinen Fragebogen ausgefüllt hat. Die Ergebnisse der Fragebogen sollen durch eine Analyse des schulinternen pädagogischen Konzepts zur inklusiven Bildung mit Blick auf autistische Besonderheiten (Schul-, Klassen-, Unterrichts-, Leistungs-/Prüfungs- und Individualebene) ergänzt und in dem „Förder- und Forderplan“ zusammengeführt werden. Dieser sollte möglichst „von allen beteiligten Akteuren gemeinsam geschrieben werden“ (Meer-Walter 2024, S. 128), weil sich dadurch die Chance erhöht, dass „er von allen Akteuren getragen wird“ (ebd., S. 128).
In einem zweiten Schritt gilt es konkrete Vereinbarungen zu treffen, sodass die im „Förder- und Forderplan“ festgelegten Ziele und Maßnahmen für Schule und Unterricht implementiert werden können. Auch für die Planung und Durchführung solcher Maßnahmen gibt es einen Frage- und Arbeitsbogen (fokussiert auf die Schul-, Klassen-, Unterrichts-, Leistungs-/Prüfungs- und Individualebene). Halbjährlich sollte ein „runder Tisch“ zusammenkommen, um die Umsetzung der Maßnahmen und Ziele sowie den Entwicklungsverlauf auszuwerten und zu reflektieren.
Abgeschlossen wird das Buch mit einem Literaturverzeichnis, das neueste Schriften (u.a. aus dem Jahr 2024) enthält.
Diskussion
Bereits im ersten Kapitel setzt Stephanie Meer-Walter ein wichtiges Zeichen, indem sie sich mit der herkömmlichen Sicht auf Autismus, der Pathologisierung autistischer Besonderheiten sowie einer an Defiziten ausgerichteten ‚Anpassungspädagogik‘ bei Schüler*innen aus dem Autismus-Spektrum kritisch auseinandersetzt – wohl wissend, dass eine am traditionellen medizinischen Autismusbild orientierte Praxis betroffenen Personen mehr schadet als nutzt. Denn die Auffassung, dass sich Autismus durch Defizite definiert, führt zu der Vorstellung, das Verhalten autistischer Kinder durch Therapie korrigieren zu müssen, um dadurch eine größtmögliche Anpassung an die Welt der nichtautistischen Menschen zu erzielen. Diesem Ziel der sogenannten Behandlungsperspektive (dazu Theunissen & Sagrauske 2025) wird heutzutage die Erkenntnis gegenübergestellt, dass Autismus ähnlich wie die Größe, Augen- oder Hautfarbe eines Menschen als eine „Struktureigenschaft“ (Tebartz van Elst 2023) betrachtet werden sollte, die „man nicht verändern (kann) bzw. nur, indem dem Menschen Gewalt angetan würde“ (Meer-Walter 2024, S. 27). Daher sei es auch nicht „Aufgabe von Schule, autistische Schülerinnen und Schüler derart zu verbiegen, dass sie in das vorgegebene System passen. Das funktioniert nicht“ (ebd., S. 28). Vielmehr haben wir es bei Autismus um eine von Natur aus andere Form der Wahrnehmung und Informationsverarbeitung zu tun, die es nicht zu pathologisieren, sondern im Sinne von Neurodiversität anzuerkennen gilt. Dieses autistische ‚Anderssein‘ zeigt sich in einer atypischen neuronalen Entwicklung und in charakteristischen Eigenschaften, die jedoch nicht bei allen Autist*innen in gleicher Weise ausgeprägt sein müssen. „Das heißt: Kennst du einen Autisten, kennst du einen Autisten“ (S. 28). Daran anknüpfend gelingt es Stephanie Meer-Walter deutlich zu machen, wie wichtig es ist, Kernmerkmale von Autismus und damit verknüpfte Verhaltensreaktionen durch eine verstehende Perspektive als Ausgangspunkt für die schulische und unterrichtliche Praxis zu erschließen. Hierbei bedient sie sich Innen- und Außensichtweisen, um zu profunden Empfehlungen für Schule und Unterricht zu gelangen.
Wenngleich sie diesbezüglich eine Stärken-Perspektive (z.B. autistisches Denken, atypisches Lernverhalten, kompensatorische Ressourcen und Fähigkeiten) betont und damit dem ‚Doppelcharakter‘ von Autismus Rechnung trägt, übergeht sie keineswegs Probleme, die nicht selten bei autistischen Menschen zu beobachten und im Bereich von Schule und Unterricht zu beachten sind. Das betrifft zum Beispiel sensorische Überlastung, Reizüberflutung, Overload, Stress, Ängste, Kontrollverlust, Meltdown oder Shutdown, ein rigides Festhalten an Routine, Regeln oder Rituale sowie einen fehlenden oder unzureichend ausgebildeten „sozialen Autopiloten“ (ein bei nichtautistischen Kindern intuitives, beiläufiges soziales Lernen). Hierzu hat Stephanie Meer-Walter wissenschaftlich gestützte Vorschläge geeigneter Maßnahmen und Hilfen zur Problembewältigung parat, die sich auf Unterstützung und Entwicklungsförderung der autistischen Schüler*innen und Schüler beziehen. Zugleich unterbreitet sie aber auch konkrete Angebote (Lernhilfen zu einem empathisch-verstehenden Umgang mit autistischen Besonderheiten) für die nichtautistische Bezugswelt (v.a. für Lehrkräfte). Gerade das vermisse ich in vielen auch aus der sonderpädagogischen Fachwelt stammenden Schriften über Schule und Unterricht bei Autismus, die sich am traditionellen klinischen Autismusbild orientieren und ‚doppelte‘ soziale Kommunikations-, Interaktions- und Empathieprobleme (Theunissen 2024) kaum berücksichtigen. So weist Stephanie Meer-Walter (2024, S. 32) zurecht darauf hin, dass den „neurotypischen Menschen“ zumeist der soziale Autopilot für die Begegnungen mit autistischen Menschen fehlt, weshalb es sehr oft zu Missverständnissen in der sozialen Kommunikation und Interaktion kommt. Umso wichtiger sind soziale Lernangebote und Kommunikationstrainings nicht nur für autistische Schüler*innen, sondern ebenso für nichtautistische Menschen (z.B. Lehrkräfte). Auch wenn mir ein autismusrelevanter Aspekt, nämlich motorische Besonderheiten in Bezug auf schulische Hänseleien und Mobbingerfahrungen etwas zu kurz kommt, schmälert dies nicht den Gesamtwert der rezensierten Schrift.
Das vorgestellte Buch „Schüler/innen im Autismus-Spektrum verstehen“ von Stephanie Meer-Walter hebt sich wohltuend von herkömmlichen Auffassungen über Autismus und entsprechenden Empfehlungen für Schule und Unterricht ab, indem es auf der Grundlage wissenschaftlich fundierter Erkenntnisse nicht nur Basiswissen vermittelt und zugleich mit einer einfühlsamen, wertschätzenden Haltung imponiert, sondern ebenso wertvolle Anregungen für die konkrete schulische und unterrichtliche Arbeit mit autistischen Schülerinnen und Schülern bietet. Die Schrift ist übersichtlich und ansprechend gegliedert sowie leicht zugänglich, sodass sich Lehrkräfte, Eltern sowie pädagogische Mitarbeiter*innen oder Schulbegleiter*innen, die sich grundlegende Kenntnisse und Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit autistischen Schülerinnen und Schülern wünschen, gut zurechtfinden können.
Fazit
Alles in allem kann ich das Buch bestens als Praxishilfe für Schule und Unterricht empfehlen.
Zitierte Literatur
Meer-Walter, S. (2024): Schüler/innen im Autismus-Spektrum verstehen, Weinheim, 2. Auflage
Tebartz van Elst, L. (2023): Leben mit Autismus – zwischen Struktur-, Problem- und Zustandsdiagnosen: Das SPZ-Modell, in autismus, Nr. 95, S. 6–14
Theunissen, G. (2024): Kontroversen um die Theorie der sozialen Motivation zum Verständnis sozialer Defizite autistischer Menschen, in: Heuer, I.; Seng, H.; Theunissen, G.: Autismus – über vernachlässigte Themen. Beiträge aus der Innen- und Außensicht, Freiburg (i.E.)
Theunissen, G.; Sagrauske, M. (2025): Pädagogik bei Autismus. Eine Einführung, Stuttgart (2. überarbeitete und erweiterte Auflage) (i.E.)
Rezension von
Prof. Dr. Georg Theunissen
Prof. em. Dr., Diplom-Pädagoge, Heil- und Sonderpädagoge, acht Jahre leitend tätig in einer großen Behinderteneinrichtung, seit 1989 Professor für Heilpädagogik, 25 Jahre tätig an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Philosophische Fakultät III Erziehungswissenschaften, 1994 – 2019 Ordinarius für Geistigbehindertenpädagogik und 2012 – 2019 für Pädagogik bei Autismus, damit Gründer des 1. Lehrstuhls für Pädagogik bei Autismus im deutschsprachigen Raum. Autor von gut 70 Fachbüchern (Monografien, Handbücher, Herausgerberschriften, Neuauflagen) und über 600 Fachbeiträgen in Fachzeitschriften und Büchern. Anfragen für Praxisberatung, Fort- und Weiterbildungen in Bezug auf Autismus und herausforderndes Verhalten (Positive Verhaltensunterstützung):
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Zitiervorschlag
Georg Theunissen. Rezension vom 02.09.2024 zu:
Stephanie Meer-Walter: Schüler/innen im Autismus-Spektrum verstehen: Praxishilfe zu autistischen Besonderheiten in Schule und Unterricht. Beltz Verlag
(Weinheim, Basel) 2024. 2. Auflage.
ISBN 978-3-407-83239-9.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32463.php, Datum des Zugriffs 13.09.2024.
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