Suche nach Titel, AutorIn, RezensentIn, Verlag, ISBN/EAN, Schlagwort
socialnet Logo

Tobias Rothmund, Eva Walther (Hrsg.): Psychologie der Rechtsradikalisierung

Rezensiert von Wolfgang Schneider, 21.08.2024

Cover Tobias Rothmund, Eva Walther (Hrsg.): Psychologie der Rechtsradikalisierung ISBN 978-3-17-043997-9

Tobias Rothmund, Eva Walther (Hrsg.): Psychologie der Rechtsradikalisierung. Theorien, Perspektiven, Prävention. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2024. 237 Seiten. ISBN 978-3-17-043997-9. 39,00 EUR.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.
Inhaltsverzeichnis bei der DNB.

Kaufen beim socialnet Buchversand
Kaufen beim Verlag

Thema

Wie radikalisieren sich Menschen und warum ist die Empfänglichkeit für rechte Radikalisierungsdynamiken aktuell besonders hoch? Antwortversuche auf diese Fragen und Einblicke in die zugehörige psychologische Forschung zu diesen Fragen liefert dieses Buch. Wissenschaftler:innen stellen in prägnanter und verständlicher Weise Erkenntnisse und Forschungslücken dar. Die Beiträge diskutieren insbesondere die motivationale Bedeutung von Verlust- und Benachteiligungserfahrungen, das Deutungs- und Bewältigungspotenzial rechter Ideologien und die Logik der Rechtfertigung politischer Gewalt. Zudem werden mögliche Präventionsansätze und deren Wirksamkeit diskutiert.

Herausgeber:innen

Prof. Dr. Tobias Rothmund leitet das Zentrum für Rechtsextremismusforschung, Demokratiebildung und gesellschaftliche Integration (KomRex) der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er forscht im Bereich der politischen Psychologie zu individuellen Prozessen der Radikalisierung und zum Umgang mit politischen Informationen und Evidenz. Prof. Dr. Eva Walther ist Sozialpsychologin an der Universität Trier. Sie forscht zu den Themen (rechte) Radikalisierung und Vertrauen in Staat und Politik. Aktuell untersucht sie besonders den „Menschen im Krisenmodus“.

Aufbau und Inhalt

Die Ergebnisse der zurückliegenden Europawahl haben deutlich gezeigt, dass rechte Parteien auf dem Vormarsch sind. In zahlreichen EU-Mitgliedstaaten gab es für sie Zugewinne. Auch für die anstehenden Landtagswahlen in einigen deutschen Bundesländern werden hohe Stimmenanteile für rechte Parteien erwartet. Diese Zahlen deuten darauf hin, dass immer mehr Menschen rechtspopulistische und rechtsradikale Gedanken nicht nur tolerieren, sondern auch teilen und unterstützen. Den Gründen dafür gehen der Psychologe Prof. Dr. Tobias Rothmund von der Uni Jena und die Psychologin Prof. Dr. Eva Walther von der Uni Trier in ihrem Buch nach. Gemeinsam mit einer Vielzahl wissenschaftlicher Expert:innen analysieren sie die Dynamik individueller Radikalisierung als Zusammenspiel motivationaler, ideologischer und verhaltensbezogener Faktoren. Dass populistische und rechtsextreme Positionen immer leichter Gehör finden, resultiere unter anderem aus wachsender ökonomischer Ungleichheit, Ressourcenknappheit und sich überlagernder internationaler Krisen, die von vielen Menschen als Bedrohung empfunden werden, so die Autoren.

Doch die einfachen Lösungen wie das ‚Weiter so wie immer‘ bieten nur scheinbar Entlastung zur Bewältigung solcher Verlust- und Benachteiligungsfaktoren – dass ‚früher alles besser war‘ und eine Abwendung von modernen sich verändernden Lebensweisen somit dafür sorgen würde, dass die Probleme verschwinden, ist eben nur ein Trugschluss. Im Buch wird deutlich, dass solche Deutungen das Individuum entlasten Einzelnen, indem sie die Verantwortung anderen zum Beispiel Politiker:innen oder Migrant:innen zuschreiben und gleichzeitig die eigene Selbstwirksamkeit stärken. Insofern handelt es sich bei der Hinwendung zu solchen Ideologien um eine Art Prozess der Selbstermächtigung.

Wieso nicht alle Menschen gleichermaßen anfällig für Radikalisierungsprozesse sind, wird deutlich, wenn die Autor:innen die Persönlichkeitsunterschiede analysieren, die dabei eine Rolle spielen: Personen mit autoritärer Persönlichkeit sind besonders anfällig für Bedrohungsempfindungen und neigen dazu, rechtsgerichtete politische Einstellungen zu entwickeln, macht etwa Herausgeberin Eva Walther deutlich in ihrem Beitrag, der Einblick in ihre eigene Forschung gibt. Dazu kommt, dass diese Personen besonders feindselig Personen gegenüber sind, die ihre Normen und Werte infrage stellen.

Auch mögliche Präventionsansätze und deren Wirksamkeit werden diskutiert: Entscheidend – und das wird in den entsprechenden Beiträgen deutlich – ist es, dass die Bedürfnisse und Befindlichkeiten der Menschen, die sich antidemokratischen Ideologien zuwenden, in den Blick genommen werden. Zugleich müssen die normativen Grenzen des Grundgesetzes verteidigt und Verletzungen geahndet werden, um der schleichenden Normalisierung demokratiefeindlicher Ideologie entgegenzuwirken.

Diskussion

Es ist einfach zu leicht, sich zurückzulehnen und jene Menschen am rechten Rand der Gesellschaft zu verteufeln. Das wird mit jeder Zeile dieses faszinierenden Buches deutlich. Denn es liefert gute Erklärungen für den Rechtsruck in Teilen der Gesellschaft, ohne diese Hinwendung zu entschuldigen. Besonders spannend sind dabei die verschiedenen Blickwinkel der einzelnen Kapitel wie zum Beispiel bezüglich der Persönlichkeitsstrukturen, die anfällig für Rechtsradikalisierung machen. Und auch wenn es in diesem Buch eben um genau jene politische Richtung geht, wird an vielen Stellen klar, dass die meisten Mechanismen auch in andere Radikalisierungsrichtungen greifen könn(t)en. Die Präventionsansätze machen Hoffnung, dass eben noch nicht alles verloren ist. Aber dafür sind zwei Dinge nötig: Der Wille, radikale Kräfte mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln des Rechtsstaates zu sanktionieren, und auch der Mut, verstehen zu wollen, was dazu führt, dass manche Menschen offensichtlich für die Demokratie und die Vielfalt nichts anderes als Hass zu empfinden.

Fazit

Gerade in diesen besonderen Zeiten sind die Erkenntnisse dieses Buches enorm wichtig. Es bringt eben nichts, nur mit den Fingern auf Menschen am rechten Rand der Gesellschaft zu zeigen. Es muss darum gehen, dass die Mehrheit versteht, wie es dazu kommen kann, dass diese faschistoiden Ideologien offenbar begeistern. Denn nur versteht, kann handeln. Und dafür bildet dieses Buch ein hervorragendes Fundament – von daher: absolute Leseempfehlung.

Rezension von
Wolfgang Schneider
Sozialarbeiter
Mailformular

Es gibt 84 Rezensionen von Wolfgang Schneider.

Besprochenes Werk kaufen
Sie fördern den Rezensionsdienst, wenn Sie diesen Titel – in Deutschland versandkostenfrei – über den socialnet Buchversand bestellen.


Zitiervorschlag
Wolfgang Schneider. Rezension vom 21.08.2024 zu: Tobias Rothmund, Eva Walther (Hrsg.): Psychologie der Rechtsradikalisierung. Theorien, Perspektiven, Prävention. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2024. ISBN 978-3-17-043997-9. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32479.php, Datum des Zugriffs 15.09.2024.


Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt. Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns. Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.


socialnet Rezensionen durch Spenden unterstützen
Sie finden diese und andere Rezensionen für Ihre Arbeit hilfreich? Dann helfen Sie uns bitte mit einer Spende, die socialnet Rezensionen weiter auszubauen: Spenden Sie steuerlich absetzbar an unseren Partner Förderverein Fachinformation Sozialwesen e.V. mit dem Stichwort Rezensionen!

Zur Rezensionsübersicht