Riccardo Bonfranchi: Bewunderung
Rezensiert von Dr. Claudia Schroth, 07.10.2024

Riccardo Bonfranchi: Bewunderung. Betrachtungen zu einem zeitlosen Phänomen.
wbv
(Bielefeld) 2024.
130 Seiten.
ISBN 978-3-7639-7765-9.
27,90 EUR.
Reihe: Diskurs Philosophie.
Thema
Bewunderung ist als Phänomen in der Forschung bisher randständig behandelt worden und trat gegenüber anderen Phänomenen, wie etwa Liebe, Gerechtigkeit oder Ekel, in den Hintergrund. Riccardo Bonfranchi versucht in seinem Essay von rund 129 Seiten diese Forschungslücke zu schließen. Er zeigt dabei unter anderem auf, was man in dem Bewunderten – sei es nun eine Person oder ein Objekt – „sehen“ muss, damit es den subjektiven oder kollektiven Status als bewundernswert erhält.
Autor
Riccardo Bonfranchi, geb. 1950, lehrte als promovierter Diplom-Pädagoge die Fächer Psychologie und Heilpädagogik in der Ausbildung für SonderschullehrerInnen, leitete viele Jahre eine heilpädagogische Sonderschule und erweiterte dieses Portfolio nochmals durch ein Masterstudium der Philosophie und Angewandten Ethik. Gegenwärtig ist Bonfranchi unter anderem in der Supervision und Fachberatung selbstständig tätig.
Entstehungshintergrund
Mit seinen thematischen Schwerpunkten auf den Feldern Integration (Dissertationsthema), Pränatale Diagnostik und Schwerst- und Mehrfachbehinderung, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, mag es auf den ersten Blick verwundern, dass ein Sozialpädagoge eine philosophisches Essay über die Bewunderung verfasst. Ein genauerer Blick zeigt jedoch rasch, dass sich Bewunderung. Betrachtungen zu einem zeitlosen Phänomen (wbv Verlag, publiziert 2024) von der wissenschaftlich, phänomenologischen Herangehensweise nahtlos an das vorherige Werk Stolz. Kulturanthropologische Betrachtungen (wbv Verlag, publiziert 2022) anschließt. Hierbei eröffnet Bonfranchi – gleichsam wie beim Stolz – einen Rundumblick der Bewunderung, die er als „grundlegende menschliche Verhaltensweise“ (S. 64) fasst. Erzieht jedoch gleichsam deutliche Abgrenzungen zwischen dem Stolz und der Bewunderung.
Aufbau
Bonfranchis Essay „Bewunderung. Betrachtungen zu einem zeitlosen Phänomen“ gliedert sich in 16. Kapitel sowie ein Resümee:
- Einleitung
- Was oder wer wird bewundert?
- Wie wird bewundert?
- Wo wird bewundert?
- Warum wird bewundert?
- Wer bewundert?
- Wann wird bewundert?
- Wie leiden wir, wenn wir nicht bewundert werden?
- Was treibt uns zur Bewunderung? (Oder: Ein Zwischenfazit)
- Darija bewundert Suleika
- Der >große Mann˂ als Gegenstand der Bewunderung
- Die ambivalente Bewunderung der Whistleblower
- Entwunderung
- Warum gibt es überhaupt: die Bewunderung?
- Können wir Menschen mit geistiger Behinderung bewundern?
- Was ist das Gegenteil von Bewunderung?
- Resümee oder: Eine persönliche Betrachtung
Inhalt
Bewunderung ist weit verbreitet: (Nahezu) Jeder Mensch hat in seinem beziehungsweise ihrem Leben bereits jemanden oder etwas bewundert. Es ist „ein Massenphänomen“ (S. 15). Bewundert wurde beziehungsweise wird in jeder Zeitepoche, in jeder Kultur und in jeder Gesellschaftsschicht. „Bewunderung kennt keine Grenzen […], jedes Objekt kann Gegenstand von Bewunderung werden“ (S. 20). Neben realen Personen können auch fiktive Personen, wie etwa Batman, Tiere, Landschaften, Gebäude (S. 22 ff.) etc. bewundert werden.
Doch obwohl Bewunderung einer subjektiven Einschätzung bedarf, sind kollektive Bewunderungen nicht ausgeschlossen (S. 39). Man denke nur an die kollektive Bewunderung von SporlerInnen, Musikstars oder InfluencerInnen. Bonfranchi nutzt das Beispiel der Bewunderung von Musikstars dazu, um deutlich zu machen, dass Bewunderung auch „sexuell motiviert, konnotiert sein [kann]. So ist bekannt, dass bei Konzerten [u.a.] von Tom Jones jeweils massenhaft für Frauen hergestellte Unterhosen auf die Bühne flogen“ (S. 39). InfluencerInnen greift er hingegen ausführlicher auf (vgl. u.a. Kapitel 10), um auch auf die negativen Folgen der Bewunderung – sowohl für die Person, die bewundert (aktives Bewundern (S. 7)) als auch für die Person, die bewundert wird (passives Bewundern) – einzugehen: Prinzipiell beinhaltet die Bewunderung, laut Bonfranchi, „etwas Unkritisches, Blindes, negative Elemente Ausblendendes“ (S. 20). Darüber hinaus kann in extremen Fällen die Bewunderung für die Person, die bewundert zum „Lebensinhalt“ (S. 48) werden, zur „blinden Verehrung“ (S. 75), zur Vergötterung (vgl. S. 9 ff.), zur Über-Identifikation (S. 31), zu Stalking (S. 32, S. 80, S. 114), zu religiösen Fanatismus (S. 50) oder ausgeprägtem Neid (S. 35 f.) führen – um nur einige wenige Beispiele der negativen Auswirkungen des aktiven Bewunderns zu nennen. Diese Folgen der Bewunderung sind dann allerdings, wie deutlich gesagt werden muss, keine Bewunderung mehr, sondern gehen weit über diese hinaus und finden nur in der Bewunderung ihren Anfang. Jene Person, die bewundert wird, muss nicht notwendigerweise mitbekommen, dass sie bewundert wird (S. 10). Wird man sich bewusst, dass man – gegebenenfalls sogar von sehr vielen Personen – bewundert wird, kann dies rasch etwa in überhebliches Verhalten (S. 40) mit Star-Allüren abdriften. Doch Phänomene wie Stolz (S. 14), Eitelkeit und insbesondere Narzissmus (S. 13, S. 38, S. 55) sind ebenso strikt von Bewunderung zu trennen. Neben den negativen Folgen des aktiven und passiven Bewunderns, macht Bonfranchi noch ein weiteres „nicht ganz einwandfreies Verhalten“ aus: Die „Schein-Bewunderung“, die „zur Erreichung eigener Ziele taktisch eingesetzt wird“ (S. 26; vgl. auch S. 52).
Doch was muss man überhaupt in einer Person, in einem Objekt „sehen“, damit es als bewundernswert eingestuft wird? Lässt sich Bewunderung provozieren? Und wie nennt man es eigentlich, wenn die Bewunderung verblasst oder ganz aufhört?
Bewunderung kann zwar einerseits als zeitloses Phänomen charakterisiert werden, da sie in jeder Gesellschaftsschicht zu jeder Zeit auftritt, gleichzeitig macht Bonfranchi jedoch verschiedentlich deutlich, dass es stark zeitabhängig ist was in welchem Umfang bewundernswert erscheint: Sie ist von Modeerscheinungen, von privaten sowie gesellschaftlichen Werten, „dem Zeitgeist“ (S. 63, vgl. u.a. S. 109) beeinflusst. So ist die Bewunderung der Schönheit einer Person womöglich davon abhängig, welche Schönheitsideale gerade gelten (S. 28), während ein und dieselben Aspekte, die gegenwärtig Bewunderung hervorrufen mögen zu einer anderen Epoche als verwerflich galten. Bonfranchi selbst belegt die Abhängigkeit der Bewunderung vom Zeitgeist mit seinem politischen Beispiel:
„Greta Thunberg wäre in früheren Jahren, Jahrzehnten nie zu einer bewunderten Führungsperson geworden und hätte nie verkünden können, dürfen, dass man am Freitag nicht zur Schule zu gehen brauche, weil man dann für das Klima demonstrieren müsse. Es wäre als absurd abgetan und sie verlacht worden.“ (S. 63).
Die Person oder das Objekt, das bewundert wird, entspricht den gegenwärtigen privaten beziehungsweise gesellschaftlichen Werten, gleichzeitig ragt die Person oder das Objekt über das Alltägliche hinaus und hebt sich von der Masse ab. Es ist überdurchschnittlich (S. 9). Es hat eine magische, wunderhafte Komponente, weshalb Bonfranchi ausdrücklich auf die Wortverwandtschaft des Begriffs „Bewunderung“ und „Wunder“ verweist (S. 11). Es kann allerdings auch Grausames, Böses (vgl. S. 82), wie Mörder, bewundert werden. Man denke nur an die Raffinesse mancher Gauner und wie lange sie die Polizei hinters Licht führen konnten. Ebenso ist es möglich sinnes- oder körperbehinderte Menschen zu bewundern (vgl. S. 119 ff.), etwa TeilnehmerInnen bei den Paralympics oder Stephen Hawking, der trotz ALS, einer der einflussreichsten Physiker des 20.Jahrhunderts wurde.
Ganz in Anlehnung an den Fakt, dass in Bewunderung das Wort „Wunder“ steckt, wählt Bonfranchi die Wortneuschöpfung „Entwunderung“, um den Prozess zu betiteln, wenn die Bewunderung nachlässt (S. 103 ff.) und man gar über sich selbst ver-wundert sein kann, warum man ausgerechnet diese Person bewundern konnte (S. 106). Bewunderung kann plötzlich auftreten oder sich aufbauen, sie kann sich plötzlich oder schleichend abbauen. Sie kann von unterschiedlicher Intensität sein und (zumindest in den Grenzen des Zeitgeistes) ganz bewusst erzielt werden: Man kann sich oder etwas aktiv in Szene setzen – im ganz wörtlich gemeinten Sinne: zur Schau stellen –, um Bewunderung zu wecken (S. 7). Bewunderung kann also, heutzutage insbesondere mittels sozialer Medien, initiiert oder verstärkt werden (S. 40).
Bonfranchi streift dabei die empirische Frage, welcher Personenkreis besonders für Bewunderung anfällig ist: Bewundern Frauen generell mehr als Männer, weil sie emotionaler agieren? Nimmt die Affinität zur Bewunderung in verschiedenen Lebensstadien ein anderes Ausmaß an? Sind Kinder oder Pubertierende eher für Bewunderung empfänglich? Bei Bonfranchi heißt es etwa: „Junge Menschen neigen eher zum Bewundern als alte. Möglich, dass alte Menschen eher das Bedürfnis haben, bewundert zu werden, je nach Charakter“ (S. 65). Junge Menschen bedürfen, so kann man es deuten, eher ein Vorbild, dem sie in ihrer Lebensweise nacheifern und verfallen eher in Verklärung, während ältere Menschen erfahrener sind, ihre Umwelt ohne Leichtsinn realistischer einschätzen und ihre eigenen Emotionen – worunter auch die Bewunderung fällt – eher zurückhaltender äußern (S. 103). Bonfranchi macht hierbei wiedermals deutlich, dass eine begrifflich sehr trennscharfe Linie nötig ist, um beispielsweise (pubertäre) Schwärmerei, die vor allem Mädchen zugeschrieben wird, von Bewunderung abzugrenzen (vgl. S. 65). Personen, die aktiv bewundern, sind damit zumindest der intuitiven Tendenz nach, eher Frauen. Personen, die passiv bewundert werden, sind hingegen eher Männer, da es – besonders mit Blick auf die zurückliegenden Epochen – allen voran Männer waren, die gesellschaftlich aufsehenerregende Taten vollbrachten (vgl. Kapitel 11), sei es als Denker, Erfinder oder Politiker.
Diskussion
Die Forschungslücke der wissenschaftlichen Betrachtung der Bewunderung füllt Bonfranchi in dem er zwischen Wissenschaft und persönlichem Bericht changiert, wodurch das Buch eindeutig als Essay gewertet werden kann. Nicht nur die „Belegstellen aus Romanen jeglicher Art“ (S. 17) machen „Bewunderung. Betrachtungen zu einem zeitlosen Phänomen“ leserfreundlich für ein breites Publikum. Auch die eingängige Gliederung mit leitenden, prägnanten Fragen gibt der Leserschaft stets die Möglichkeit in einzelne Kapitel hineinzuspringen. Bonfranchi gelingt es eine grundlegende Charakterisierung der Bewunderung – unter anderem definitorische Abgrenzungen sowie die Erläuterung deren Voraussetzungen und Folgen – auf knappen Raum. Nicht zu verleugnen ist dabei sein heilpädagogischer Hintergrund, der an einigen Stellen stark hervortritt. Beispielweise fragt er nach den kognitiven Voraussetzungen der aktiven Bewunderung, was sich plakativ auf die Frage zuspitzen lässt, ob Menschen mit geistiger Behinderung selbst aktiv bewundern können. Auch fragt er ausdrücklich: Können wir Menschen mit geistiger Behinderung bewundern? (Kapitel 15). Können sie in anderen Worten passiv bewundert werden, das heißt Objekt der Bewunderung sein? Obwohl dies, wie er selbst schildert, „eine etwas merkwürdige Fragestellung“ (S. 119) gegen Ende des Buches ist, gelingt Bonfranchi gerade aufgrund des persönlichen Berichts ein gelungener Bogen zum Anfang des Werkes: Vermittelte er zu Beginn des Buches, dass jedes Subjekt und jedes Objekt bewundert werden kann (Kapitel 2, S. 20), so schreibt er nun, dass auch geistig- und schwerstbehinderte Menschen bewundert werden können. Und sei es nur aufgrund ihres Überlebenswillens und ihrem tagtäglichen Kampf mit Schmerzen (S. 122).
Fazit
Durch die Einbettung vieler Beispiele aus seiner heilpädagogischen Praxis, den literarischen Gedichten und Romanpassagen, aber auch durch die philosophische Einbettung empfiehlt sich die kurzweilige Lektüre zu einem bisher in weiten Teilen der Wissenschaft unbeachteten Phänomen.
Rezension von
Dr. Claudia Schroth
Koordinatorin der Exzellenzcluster-Initiative „Imaginamics: Practices and Dynamics of Social Imagining“, Friedrich-Schiller-Universität Jena
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