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Stella Schaller, Lino Zeddies et al.: Zukunftsbilder 2045

Rezensiert von Prof. Stefan Müller-Teusler, 06.08.2024

Cover Stella Schaller, Lino Zeddies et al.: Zukunftsbilder 2045 ISBN 978-3-96238-386-2

Stella Schaller, Lino Zeddies, Ute Scheub, Sebastian Vollmar: Zukunftsbilder 2045. Eine Reise in die Welt von morgen. oekom Verlag (München) 2023. 174 Seiten. ISBN 978-3-96238-386-2. D: 33,00 EUR, A: 34,00 EUR.

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Autorinnen und Autoren

Stella Schaller arbeitet als systemische Transformationsbegleiterin in Berlin.

Lino Zeddies ist Berater für Transformation, Selbstorganisation und Utopieentwicklung bei Reinventing Society

Ute Scheub, Dr. rer. pol., war Mitbegründerin der taz. Sie ist Politikwissenschaftlerin und arbeitet als freie Journalistin in Berlin

Sebastian Vollmar ist seit 2010 Artdirector und Founder von Vollmar & Vision und Artdirector und Fellow bei Reinventing Society

Hinführung

Die Idee zu diesem Buch ist ein Gegenentwurf zu den vielen dystopischen Befunden, Szenarien und Beschreibungen, die infolge des Klimawandels und einer nicht erfolgten Transformation zu Nachhaltigkeit bereits existieren. Dabei geht es nicht um Schönfärberei, sondern der Gedanke dahinter lautet: „Was wir brauchen, ist Begeisterung und Tatkraft für das Neue. Wir müssen Lust bekommen auf die Zukunft, die wir mitgestalten sollen. und dafür brauchen wir ein Bild dieser Zukunft.“ (S. 9). Dazu werden tatsächlich Bilder entwickelt, die zeigen, wie eine Zukunft im Jahr 2045 aussehen könnte.

Aufbau des Buches

Das Buch ist als Recherche einer fiktiven Journalistin angelegt, die nach 21 Jahren Auslandstätigkeit in den deutschsprachigen Raum zurückkehrt. Dazu besucht sie verschiedene Städte und trifft dort fiktive Menschen, die für bestimmte Projekte verantwortlich sind bzw. Maßnahmen koordinieren. Jede Stadt ist einem bestimmten Thema zugeordnet. Fast immer beginnt das jeweilige Kapitel mit einem aktuellen Foto einer Stadtansicht (Doppelseite und in Farbe!) und auf der nachfolgenden Seite dann die Vision, wie diese Stadtansicht 2045 aussehen könnte (ebenso doppelseitig und in Farbe).

Das Buch beginnt in Berlin. Dort trifft die Journalistin die europäische Wildnisbeauftragte. Inhaltlich geht es in dem Gespräch um die Begrünung der Stadt, um den Einzug von Wildtieren und diversen Pflanzen und vor allen Dingen um das Verhältnis des Menschen zur Natur. Dazu werden einige Setzungen getroffen: Der Ukrainekrieg ist beendet (es bleibt unklar wie) und es hat einen Umschwung zu erneuerbaren Energien gegeben. Das Gespräch beschränkt sich nicht nur auf Berlin, sondern nimmt auch globale Perspektiven auf: Regenwaldregeneration, Permafrostboden und anderes.

Die Reise geht weiter nach Wiesenburg (in Brandenburg). Hier geht es um Genossenschaften bzw. Kollektive, um Ernährung (-swende) und regenerative Landwirtschaft. Auch sind Besiedelung und Wohnen ein Thema.

Hamburg ist die nächste Station. Eine ehemalige Bürgermeisterin berichtet in dem Gespräch über den Wandel der Stadt, über Begrünung, über Schutz vor Überhitzung, Entsiegelung von Flächen, Regeneration und dem Konzept einer Schwammstadt. Das wird ergänzt durch ein weiteres Gespräch mit einer Wasser- und Naturschützerin, die über Renaturierung von Flüssen berichtet.

Nicht weit von Hamburg entfernt ist Lüneburg die nächste Station. Auch hier ist die Innenstadt botanisch sehr vielfältig geworden. In dem Gespräch mit einem Autor geht es um eine positive Grundstimmung, um den Wandel zu gestalten und Ängste und Pessimismus zu überwinden. Dabei werden auf Impulse der Utopie-Konferenzen der Leuphana Universität zurückgegriffen.

Quer durch Niedersachsen geht die Reise nach Emden. Hier ist das zentrale Thema das Lebenslange Lernen (mit einem Schulleiter einer Margret-Rasfeld-Schule!). Dabei geht es auch um die Gestaltung des Lernortes, die Art des Lernens und vor allen Dingen das generationenübergreifende Lernen.

In fast unmittelbarer Nachbarschaft liegt Bremerhaven. Die Werft als Produktionsstandort gibt es nicht mehr, sondern ist in ein urbanes Viertel verwandelt worden, in dem es Gewerbe und Wohnungen gibt, aber auch Kultur, Freizeitangebote und einiges mehr. Wie so ein Wandel gelinden kann, ist Inhalt des Gespräches mit einer Transformationsforscherin.

Die nächste Station ist Düsseldorf. Auch diese Stadt hat sich regenerativ gewandelt und entwickelt. Hier geht es um Demokratie (-entwicklung), Bürgerräte und Bürgerbeteiligung und generell um die Einbindung der Menschen bei der Gestaltung von Zukunft. Insbesondere Quartiersmanagement und Quartiersentwicklung bekommen hier einen besonderen Stellenwert.

Ganz in der Nähe liegt Haan. Die einstmals „nüchterne“ Stadt ist zu einer Gartenstadt geworden. In Haan ist eine regenerative Bürgergenossenschaft entstanden, die mittels Pyrolyse Wärme und Strom erzeugt, wie die Geschäftsführerin der Bürgergenossenschaft erläutert.

Wenn man sich schon in der Region aufhält, dann ist der Weg nach Köln nicht weit. Zum Transformationswandel gehören nicht nur aktive Bürger:innen, sondern auch Unternehmen, die aktiv mitgestalten und sich selbst transformieren. Davon berichtet der Innovationsbeauftragte eines großen Energieversorgers.

Das Thema Demokratie spielt eine große Rolle und wird exemplarisch in Ludwigsburg noch einmal besonders aufgegriffen. Hier lässt sich viel über Bürgerwerkstätten erfahren.

Auch wenn es bisher nur deutsche Städte waren, so sind die Themen global. Daher gibt es eine virtuelle Verbindung nach Hawaii, wo sich ein Jugendlicher als Teil des Zukunftsparlaments der UNO gerade aufhält. Inhalt des Gespräches ist Biokratie, eine Demokratie für alle Lebewesen und Ökosysteme. Im Text versteckt ist auch die Aussage, dass alle Supermächte der Welt keine hegemonialen Gelüste mehr haben, weil sie durch Klimaereignisse in der bisherigen Form gar nicht mehr existent sind.

Im Umfeld von Ludwigsburg liegt Stuttgart. Die dicht bebaute Stadt mit viel Beton ist durch Regeneration zu einem Leitbild der Architektur und der Städteplanung geworden. Das Besondere daran ist, dass die vielen Dachflächen einbezogen und miteinander verbunden wurden, man kann durch Stuttgart über den Dächern spazieren, die natürlich alle grüne Oasen geworden sind.

München darf auf einer solchen Reise nicht fehlen. Ein (vergessener) Begriff von Erich Fromm bekommt hier wieder Leben: Biophilie (die leidenschaftliche Liebe zum Leben und allem Lebendigen, der Wunsch, die Lebenskraft zu fördern – ob es sich nun um Menschen, Ideen, soziale Gruppen, Pflanzen oder andere Lebewesen handelt). Inhalt des Gespräches mit einem Unternehmer ist die Stadtbegrünung. Außerdem trifft die Journalistin einen Mobilitätsfachmann, der das neue Verkehrskonzept erläutert, das fast ohne Individualverkehr per Auto auskommt.

Geld spielt nach wie vor eine Rolle, daher muss Frankfurt/M. auch besucht werden. Da wird das Thema Gemeinwohlorientierung in den Vordergrund gerückt, aber auch neue Unternehmensformen bzw. eine andere Verantwortung der Mitarbeitenden mittels Soziokratie (basierend auf Ideen von Frederic Laloux).

Die Route führt weiter nach Zürich, wo es auch noch einmal um das Thema Geld geht. Die Bank für Gemeinwirtschaft steht hier im Zentrum des Berichtes als Beispiel dafür, wie Geld als sinnvolle Unterstützung für die Realisierung von Ideen eingesetzt werden kann, anstelle von Kreditvergabe als Profitvermehrung.

Auch in Österreich ist vieles gewandelt, daher lohnt auch der Besuch in Wien. Auch diese Stadt hat ein schönes grünes Bild entwickelt. Im Mittelpunkt des Gespräches steht die Frage nach der Funktion und Bedeutung von Ökonomie.

Transformation ist ein lebendiger Prozess und betrifft Menschen direkt. In Leipzig trifft die Journalistin daher eine Sozialpsychologin, die sich mit dieser Frage beschäftigt. Hier geht es um Ideen von Otto Scharmer, nämlich um die Überwindung von drei Trennungen: die Verbindung zu uns selbst, die Verbindung zu anderen Menschen und die Verbindung zu anderen Lebewesen und dem Planeten.

Die Reise endet, wo sie auch begonnen hat: in Berlin. Dort gibt es ein Bundesministerium für integrale Gesellschaftsentwicklung und in diesem ein Gespräch mit der Ministerin. Inhalt ist ein neues Miteinander in der Gesellschaft. „Nebenbei“ geht es auch um neue (dezentrale) Arbeitsformen und Kollaborationen.

Das Buch endet mit einem Nachwort, in dem die Autor:innen zum Ausdruck bringen, dass es gar nicht so einfach ist, angesichts der vielen Krisen um einen herum so positive Ideen zu entwickeln, aber andererseits gibt es auch viel Kraft und ist sinnstiftend.

Diskussion

Das Buch ist unheimlich facettenreich. Die hier angesprochenen Themen sind längst nicht alle, viele weitere sind in den vielen fiktiven Gesprächen enthalten, manches ist auch nur angetippt (z.B. Grundeinkommen), andere sind nicht enthalten (z.B. demografischer Wandel). Insofern ließe sich auch immer etwas dagegen einwenden und damit auf vermeintliche Unvollständigkeit verweisen. Aber darum geht es eben nicht. Es ist kein Konzept der Zukunft, sondern eine Vision. Vieles davon hat schon reale Grundlagen, was bei dem jeweiligen Thema noch vertieft werden kann, indem es QR-Codes gibt, wo Quellen, weiterführende Informationen, Organisationen, Filme etc. aufgeführt sind. Es ist eine Anstiftung, es soll inspirieren, vielleicht auch irritieren, aber auf jeden Fall mal das Denken auf neue (pragmatische) Pfade führen. Es ist auch kein Unterhaltungsbuch zum Durchblättern, sondern bezieht aktuelle Erkenntnis- und Wissensstände ein und führt diese ideell weiter.

Besonders zu betonen und hervorzuheben sind die tollen Grafiken. Die Fotos der jeweiligen Städte und deren gewandelten Abbildungen sind hervorragend gemacht. Teilweise hat es nach Ansicht der Autor:innen bauliche Veränderungen gegeben, vieles ist aber erhalten geblieben, sodass es kein völlig neues „Gesicht“ ist, sondern altbekanntes bekommt einen neuen schönen Ausdruck. Dazu gibt es kurze Erläuterungen. Gerade die neuen Stadtbilder gleichen fast ein wenig den Wimmelbildern, man kann ganz lange hinsehen und entdeckt immer noch weitere Aspekte. Dazu kommt, dass das Format des Buches (26,5 x 20 cm) es auch erlaubt, diese Grafiken gut abzubilden und vom Format und Gestaltung eher in Richtung Kunst- oder Fotobuch tendiert.

Warum hat ein solches Buch hier seinen Platz zur Rezension? Weil es um unsere Lebensweisen geht, um das Zusammenleben, um das Verhältnis zum Planeten, zur Natur, zu allen Lebewesen und die Einstellung zum Leben. Insofern ist das hier der richtige Platz, denn es geht um Lebensbedingungen von Menschen und um das Miteinander in der Gesellschaft. Es lässt sich als Inspiration für sich selbst lesen, aber auch als Impuls für konstruktive Nachhaltigkeitsdebatten, beginnend bei Jugendlichen bis hin zum hohen Lebensalter.

Fazit

Es ist ohne Frage ein tolles Buch, das Mut macht, das anregt, das zum Mitmachen auffordert und inspiriert und vorwiegend gegen Dystopie wirkt. Das Buch drückt eine schöne Gelassenheit im Sinne von nicht überstürzter Hektik aus, auch wenn so manche Beschreibungen der Entwicklungen im Buch Zeugnis sind, wie brutal manche Erfahrungen sein mussten, damit es zu Transformationen kommt. Ein Leitsatz dieses Buches lautet: „In diesem wunderschönen, sich selbst organisierenden Universum lebendig zu sein -am Tanz des Lebens teilzunehmen, mit Sinnen, um es wahrzunehmen- ist ein unbeschreibliches Wunder“ (Joanna Macy). Zumindest als Inspiration dazu trägt dieses Buch dazu bei und das ist wirklich viel, was ein Buch leisten kann.

Literaturhinweise

Margret Rasfeld, Stephan Breidenbach: Schulen im Aufbruch – Eine Anstiftung. Kösel-Verlag (München) 2014 (https://www.socialnet.de/rezensionen/17434.php)

Claus Otto Scharmer: Theorie U. Von der Zukunft her führen. Carl Auer Verlag GmbH (Heidelberg) 2009 (https://www.socialnet.de/rezensionen/8328.php; https://www.socialnet.de/rezensionen/8060.php)

Frederic Laloux: Reinventing Organisations. Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit. Vahlen (München) 2015 (https://www.socialnet.de/rezensionen/20242.php; https://www.socialnet.de/rezensionen/19625.php)

Rezension von
Prof. Stefan Müller-Teusler
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Es gibt 96 Rezensionen von Stefan Müller-Teusler.

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Zitiervorschlag
Stefan Müller-Teusler. Rezension vom 06.08.2024 zu: Stella Schaller, Lino Zeddies, Ute Scheub, Sebastian Vollmar: Zukunftsbilder 2045. Eine Reise in die Welt von morgen. oekom Verlag (München) 2023. ISBN 978-3-96238-386-2. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32486.php, Datum des Zugriffs 15.09.2024.


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