Mira Parvin Jahani: Die Rechtsstellung minderjähriger Kinder im familiengerichtlichen Verfahren zwischen Beteiligung und Repräsentation
Rezensiert von Wolfgang Schneider, 11.12.2024
Mira Parvin Jahani: Die Rechtsstellung minderjähriger Kinder im familiengerichtlichen Verfahren zwischen Beteiligung und Repräsentation. Eine rechtsvergleichende Untersuchung zwischen Deutschland und der Schweiz insbesondere anhand der Verfahrensfähigkeit.
Duncker & Humblot GmbH
(Berlin) 2024.
288 Seiten.
ISBN 978-3-428-19034-8.
D: 89,90 EUR,
A: 92,50 EUR.
Reihe: Studien zum vergleichenden Privatrecht - Band 21.
Thema
Die Arbeit beschäftigt sich mit der Rechtsstellung Minderjähriger im familiengerichtlichen Verfahre und wirft einen umfassenden Blick auf die Beteiligung Minderjähriger und die Repräsentation ihrer Interessen im familiengerichtlichen Verfahren und analysiert die bestehenden Rechtsgarantien darauf aus verfassungs- und konventionsrechtlichen Quellen. In einem Binnenrechtsvergleich wird aufgezeigt, welche Regelungsmöglichkeiten zur Beteiligung Minderjähriger das deutsche Recht in wichtigen Verfahrensordnungen und im materiellen Recht kennt. Ein letzter Abschnitt präsentiert Erkenntnisse aus entwicklungspsychologischer und soziologischer Sicht und gibt Anstöße, wo in Bezug auf familienrechtliche Verfahren noch Untersuchungsbedarf besteht.
Autorin
Mira Parvin Jahani absolvierte ein Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Passau und der Shahid-Beheshti-Universität Teheran. Nach dem Juristischen Examen war sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der LMU München am Lehrstuhl von Professor Wolfgang Hau und am Institut für Internationales Privatrecht und Verfahrensrecht an der Universität Bern tätig. Das dieser Veröffentlichung zugrundeliegende Promotionsprojekt wurde mit mündlicher Prüfung im Februar 2023 abgeschlossen. Aktuell ist Mira Parvin Jahani Rechtsreferendarin am Kammergericht Berlin und absolviert derzeit ihre Verwaltungsstation am Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Aufbau und Inhalt
Im Fokus steht § 9 FamFG (Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit), der sich mit der Verfahrensfähigkeit auseinandersetzt. Kinder sind das nämlich nicht, sondern nur beschränkt geschäftsfähige Personen, die das 14. Lebensjahr vollendet haben. Die Autorin plädiert für eine Gesetzesänderung, die sich von starren Altersgrenzen löst und auf die individuellen Fähigkeiten abstellt. Der Vorschlag lehnt sich an Erkenntnisse aus einem Vergleich zum schweizerischen Recht an und wird aus der Darstellung der Ist-Situation in Deutschland und der Schweiz hergeleitet. Neben den insgesamt sieben Kapiteln runden Verzeichnisse zur genutzten Literatur, den berücksichtigten Gesetzesnormen und zu Stichworten das Buch ab.
Einleitung
Anhand der aktuell geltenden Regelungen zur Verfahrensbeteiligung von Kindern an familiengerichtlichen Verfahren wird dargestellt, welche Regelungen – siehe oben – es in Deutschland gibt. Die daraus resultierenden Problemfelder werden anhand von zwei Fragen in dieser Dissertation beleuchtet:
- Ist die Anknüpfung der ausnahmsweise zugestandenen Verfahrensfähigkeit für Minderjährige an die Vollendung des vierzehnten Lebensjahres geeignet und ausreichend oder ist eine Anpassung der Altersgrenze nach unten erforderlich, sodass der Zugang auch schon jüngeren Kindern gewährt wird?
- Ist die Verwendung einer starren Altersgrenze überhaupt geeignet oder ist nicht eine flexiblere Regelung angemessen, die den individuellen Fähigkeiten der Minderjährigen Rechnung trägt? (S. 20)
Beteiligung und Repräsentation Minderjähriger im familiengerichtlichen Verfahren nach deutscher Rechtslage
Zu unterscheiden ist zwischen der Unmittelbaren Beteiligung, ihren Voraussetzungen und zum Beispiel den Besonderheiten im Abstammungsverfahren sowie der mittelbaren Beteiligung. Hierunter fällt zum Beispiel die Vertretung durch die Eltern bei nicht verfahrensfähigen Kindern oder auch die Verfahrensbeistandschaft. Erklärt wird auch, inwieweit Jugendamt oder Sachverständige zur Sachverhaltsermittlung beteiligt werden (müssen). Außerdem werden in diesem Kapitel weitere Grundlagen aus dem Verfahrensrecht wie zum Beispiel das Prinzip der Amtsermittlungspflicht durch das Familiengericht, erklärt.
Einbeziehung minderjähriger Kinder in anderen Rechtsgebieten
Welche verfahrensrechtlichen Regelungen zur Beteiligung minderjähriger Kinder gibt es eigentlich in anderen Rechtsgebieten? Dieser Frage geht die Autorin unter anderem mit Blick auf Zivilprozesse, Sozialgerichtsverfahren oder auch Asylverfahren und Strafprozesse nach.
Rechtsvergleich zu den verfahrensrechtlichen Regelungen der Schweiz
Um den Vergleich zur Schweiz herstellen zu können, führt Mira Parvin Jahani in die wichtigsten Begriffe des schweizerischen Familienrechts ein. Elementar ist dabei die „Fähigkeit, vernunftgemäss zu handeln“ (S. 147 ff.), was an Praxisbeispielen dargestellt wird. Außerdem wird die Möglichkeit der Beteiligung durch Repräsentation in der Schweiz beschrieben, durch die gesetzliche Vertretung des Kindes sowie durch Beistandschaft oder Kindesvertretung.
Interdisziplinäre Erkenntnisse zur Beurteilung der Beteiligung von Kindern in gerichtlichen Verfahren
Einen Blick über den juristischen Tellerrand wirft Mira Parvin Jahani in diesem Kapitel und berücksichtigt dabei Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie und Erfahrungen aus Zeugenaussagen im Strafprozess und verknüpft diese mit Erkenntnissen aus familiengerichtlichen Verfahren unter den Aspekten der Fähigkeit von Minderjährigen zur selbstständigen Verfahrensfähigkeit, ihrem Beteiligungsinteresse und -willen sowie der -notwendigkeit. Auch Grenzen der Beteiligung werden beleuchtet.
Verfassungs- und konventionsrechtliche Rechtsgarantien
Das deutsche Familienrecht offenbart ein Dilemma, denn in bestimmten Konstellationen stehen sich Kindeswohl und die grundgesetzlich manifestierte Rechtsposition der Eltern entgegen. Das führt dazu, dass offenbar entgegen den Bestimmungen des Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes eben doch nicht alle Menschen vor Gericht gleich sind?
Schlussbetrachtung und Schlussfolgerungen für (Rechts-)Änderungen in Deutschland
Dem Recht von Kindern auf Beteiligung könnte auch in Deutschland wesentlich mehr Rechnung getragen werden. In familiengerichtlichen Verfahren wäre das zum Beispiel möglich, nicht auf das Alter abzuzielen bei der Feststellung der Verfahrensfähigkeit, sondern auf die Fähigkeiten des individuellen Kindes.
Diskussion
Kinder und ihre Rechte sind nicht nur in Fachkreisen ein heiß diskutiertes Thema, sind doch die Kinderrechte in Deutschland immer noch nicht verfassungsrechtlich verankert. Und genau an dieser Stelle setzt dieses Buch an, indem es die (nicht nur) im familiengerichtlichen Verfahren schwache Stellung der Minderjährigen ins Auge nimmt. Dabei wird – wenig überraschend, aber dennoch nachdenklich stimmend – gerade durch den Vergleich mit der Schweiz deutlich, dass hierzulande immenser Nachholbedarf besteht. Ein großes Plus an dieser Stelle: Die Thematik ist komplex, juristisch anspruchsvoll – und dennoch schafft es die Autorin mit einer für eine Dissertation nachvollziehbaren Sprache, wichtige Informationen aus der gesetzlichen Theorie und der familiengerichtlichen Praxis zu vermitteln. So entsteht quasi eine Einladung, am eigenen Erleben in familiengerichtlichen Verfahren zu reflektieren, wie weit Soll und Ist bezüglich der Rechtsstellung von Kindern doch eigentlich auseinander liegen und dass hier dringender Handlungsbedarf besteht.
Fazit
Auch wenn es anspruchsvolle, bisweilen komplexe juristische Fachliteratur ist, lohnt es sich für all jene Fachkräfte, die in ihrer Arbeit mit Kindern als Beteiligte im familiengerichtlichen Verfahren zu tun haben.
Rezension von
Wolfgang Schneider
Sozialarbeiter
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Zitiervorschlag
Wolfgang Schneider. Rezension vom 11.12.2024 zu:
Mira Parvin Jahani: Die Rechtsstellung minderjähriger Kinder im familiengerichtlichen Verfahren zwischen Beteiligung und Repräsentation. Eine rechtsvergleichende Untersuchung zwischen Deutschland und der Schweiz insbesondere anhand der Verfahrensfähigkeit. Duncker & Humblot GmbH
(Berlin) 2024.
ISBN 978-3-428-19034-8.
Reihe: Studien zum vergleichenden Privatrecht - Band 21.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32487.php, Datum des Zugriffs 24.01.2025.
Urheberrecht
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