Stefanie Gandt: Spuren im Leben
Rezensiert von Wolfgang Schneider, 08.11.2024
Stefanie Gandt: Spuren im Leben. Wirkungen individueller Arbeitsstile in Jugendhilfeeinrichtungen.
Springer VS
(Wiesbaden) 2023.
290 Seiten.
ISBN 978-3-658-40851-0.
D: 65,41 EUR,
A: 71,95 EUR,
CH: 77,50 sFr.
Reihe: Research.
Thema
Das Erkenntnisinteresse der qualitativen Forschungsarbeit liegt im Praxisfeld der Kinder- und Jugendhilfe und fokussiert sich dort auf den Bereich der Hilfen zur Erziehung. Von Interesse sind die Spuren, die die individuelle Bearbeitung von Kernproblemen durch professionelle Akteur:innen im sonderpädagogischen Hort in den Biografien der Adressat:innen hinterlässt. Der multiperspektivischen Wirklichkeit wird im besonderen Rechnung getragen, in dem aus den drei Perspektiven Institution, Adressat:in und professionelle Akteur:innen auf die Wirkung der Hilfen zu Erziehung geblickt wird und die Ergebnisse mit Hilfe einer Mehrebenenanalyse miteinander in Beziehung gesetzt werden. Aus den Merkmalen wird ein Kontinuum entwickelt, welches den "charismatischen Arbeitsstil" beispielhaft skizziert. Betrachtet werden diese Aspekte anhand einer Tageseinrichtung für Kinder und Jugendliche.
Autor:in
Stefanie Gandt war nach ihrem Abschluss als Diplom Sozialwirtin als Ausbildungsleiterin tätig, bevor sie an der Otto-von-Guericke Universität ihr Promotionsstudium im Bereich der qualitativen Bildungsforschung abschloss. Während ihrer Promotion arbeitete sie als Dozentin für qualitative Sozialforschung unter anderem an der Technischen Hochschule Nürnberg, wo sie nun in der zentralen Einrichtung Lehr- und Kompetenzentwicklung als Projektleiterin tätig ist.
Entstehungshintergrund
Es handelt sich um die Dissertation der Autorin zur Erlangung des akademischen Grades Doktorin der Philosophie, die im April 2021 eingereicht wurde. Die Disputation erfolgte im Mai 2022.
Aufbau und Inhalt
Unter den Rahmenbedingungen einer Dissertation erfolgt zunächst klassisch die Verortung des Forschungskontextes im Umfeld der sozialpädagogischen Forschung und dort insbesondere mit Blick auf die Wirkungsforschung, woraus die Entwicklung der Forschungsfrage führt. Es folgen die Darstellung der Erhebungsmethode – im vorliegenden Fall sind das narrrative Interviews – sowie der Auswertungsmethodik, der Narrationsanalyse, die es möglich macht, Prozessstrukturen der Hervorbringung praktischen Handelns herauszuarbeiten.
Es lässt sich Erkenntnis gewinnen, dass die biografischen und sozialen Prozesse der Klient:innen mit den biografischen und sozialen Prozessen der Betreuer:innen verschränkt sind. Diese Prozesse laufen wiederum innerhalb eines institutionellen Rahmens ab, der wiederum selbst eine Geschichte, wenn man so möchte, eine ‚eigene Biografie‘ hat. Stefanie Gandt widmet sich diesen drei Aspekten im weiteren Verlauf.Entsprechend konkretisierte sich mein Interesse an der Verschränkung dieser drei Ebenen.
Zunächst steht die die Ebene der Institution im Fokus, indem die Geschichte der untersuchten Einrichtung anhand von Veröffentlichungen rekonstruiert wird. Danach geht es um die Ebene der Adressat:innen. Mit der Analyse dreier Biografien ausgewählter junger Erwachsener, die den Hort besucht haben, erarbeitet die Autorin ein erstes Bild der Spuren, die der Besuch des Hortes in deren Leben hinterlassen hat. Es folgen drei weitere Fallvignetten, bevor dann die individuellen Bedeutungen der Jugendhilfeeinrichtung in den biografischen Selbstpräsentationen der Interviewpartner:innen heraus. Dabei – das lässt sich an dieser Stelle verraten – kristallisierten sich bedeutende Merkmale der Institution und des Handelns der Professionellen heraus. Im nächsten Schritt betrachtet die Forscherin dann die Professionellen. Das passiert anhand einer Fallstudie einer Fachkraft, die wiederum um drei weiteren Fallvignetten ergänzt und kontrastiert wird. Die jeweiligen Erkenntnisse werden anschließend miteinander in Verbindung gesetzt, wodurch sich jeweils drei Kernprobleme auf der Ebene der Adressat:innen und der Institution identifizieren lassen.Diese Kernprobleme haben große Bedeutung in der Arbeit der Fachkräfte, da diese damit umgehen und sie letztlich individuell auflösen können. Aus diesem Ansatz entwickelt Stefanie Gandt am Ende ein Modell der individuellen Bearbeitung, welches, abhängig von der Ebene, auf einem Kontinuum wirkt.
Das Ende bilden entsprechend der Ansprüche an eine Dissertation die Diskussion der Relevanz der Erkenntnisse und die Anschlussfähigkeit der Forschungsergebnisse. Die Arbeit folgt über den gesamten Verlauf fünf handlungs- beziehungsweise forschungsleitenden Fragen: Was geht im Hort, jenseits der offiziellen Aufgabenzuweisung, vor? Welche Spuren hinterlässt der Hort im Leben der betroffenen Jugendlichen? Was sind die professionellen Arbeitsvollzüge und ihre Problemstellungen? Wie fügt sich diese Arbeit in die Biografie der Betreuer:innen ein? Wie ist die Arbeit mit der Geschichte der Einrichtung verknüpft?
Diskussion
Das Faszinierende an dieser Dissertation ist die Tatsache, dass sie etwas sichtbar macht, was viele Fachkräfte in der Sozialen Arbeit vermuten: Ihre Art zu arbeiten, kann Spuren bei den Klient:innen hinterlassen. Natürlich ist es schwierig, die Ergebnisse der vorliegenden Veröffentlichung auf die breite Masse der Arbeitsfelder zu übertragen, aber Mut machen sie trotzdem. Mut, dass die Arbeit und das Engagement, die viele Fachkräfte in die Arbeit mit den Klient:innen übertragen nicht vergeblich sind; dass es eben gelingen kann – ganz im Sinne des Buchtitels – Spuren im Leben zu hinterlassen. Und diese Erkenntnis macht die eigene Arbeit sinnhaft.
Fazit
Für Nicht-Forscher:innen ist es immer erst einmal langweilig sich durch die notwendigen Formalia einer Dissertation zu lesen, sicherlich. Aber gerade bei dieser Arbeit lohnt sich das, macht sie doch Hoffnung, dass die Mühen und der Einsatz in der sozialen Arbeit nicht vergebens sind.
Rezension von
Wolfgang Schneider
Sozialarbeiter
Mailformular
Es gibt 114 Rezensionen von Wolfgang Schneider.
Zitiervorschlag
Wolfgang Schneider. Rezension vom 08.11.2024 zu:
Stefanie Gandt: Spuren im Leben. Wirkungen individueller Arbeitsstile in Jugendhilfeeinrichtungen. Springer VS
(Wiesbaden) 2023.
ISBN 978-3-658-40851-0.
Reihe: Research.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32491.php, Datum des Zugriffs 13.12.2024.
Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt.
Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns.
Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen
für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.