Suche nach Titel, AutorIn, RezensentIn, Verlag, ISBN/EAN, Schlagwort
socialnet Logo

David Zimmermann: Pädagogische Beziehungen im Jugendstrafvollzug

Rezensiert von Prof. Dr. Carsten Rensinghoff, 09.09.2024

Cover David Zimmermann: Pädagogische Beziehungen im Jugendstrafvollzug ISBN 978-3-7815-2522-1

David Zimmermann: Pädagogische Beziehungen im Jugendstrafvollzug. Tiefenhermeneutische Perspektiven. Julius Klinkhardt Verlagsbuchhandlung (Bad Heilbrunn) 2023. 195 Seiten. ISBN 978-3-7815-2522-1. D: 21,90 EUR, A: 22,60 EUR.
Reihe: Dialog Erziehungshilfe.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.
Inhaltsverzeichnis bei der DNB.

Kaufen beim socialnet Buchversand

Thema

Pädagogische Beziehungen stellen im Jugendstrafvollzug eine besondere Herausforderung dar. Sie sind sehr anspruchsvoll. „Auf der Basis einer qualitativ-rekonstruktiven Studie sowie theoretischer Überlegungen werden Herausforderungen, Antinomien und Entwicklungschancen einer geschlossenen und dennoch pädagogisch ausgerichteten Institution (Goffman (vgl. 1973, 17) spricht in diesem Zusammenhang von einer totalen Institution – CR) herausgearbeitet“ (Klappentext).

Zentral werden in der Publikation aktuelle Fragen diskutiert, die sich mit der Pädagogik delinquent gewordener Jugendlicher und junger Erwachsener im Jugendstrafvollzug befassen.

Autor:

David Zimmermann ist Professor am Institut für Rehabilitationswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Hier widmet er sich der Pädagogik bei psychosozialen Beeinträchtigungen. U.a. forscht und lehrt der Autor zur Pädagogik im, Strafvollzug.

Aufbau

  1. Theoretische Aspekte einer Pädagogik im Jugendstrafvollzug
  2. Tiefenhermeneutische Perspektiven auf pädagogische Beziehungen im Jugendstrafvollzug
  3. Forschungsertrag und praxeologische Schlussfolgerungen

Inhalt

Zimmermann hebt die psychoanalytische Pädagogik für die Erforschung der pädagogischen Praxis im Jugendstrafvollzug hervor. Im Mittelpunkt ist hier die Praxeologie, nach welcher Theoriebildung und Empirie immer auf die pädagogische Praxis zu beziehen sind und ebenso aus derselben entspringen.

Adressatinnen und Adressaten auf dem Feld der Pädagogik bei psychosozialen Beeinträchtigungen sind „junge Menschen, deren Handeln durch intensive und sanktionierte Devianz gekennzeichnet ist, mit dem sie gegen strafrechtlich kodifizierte Normen verstoßen haben“ (S. 15) und die von einer freiheitsentziehenden Maßnahme betroffen sind.

Von pädagogischer Brisanz zeichnet sich die Identitätskonstruktion der – hier in Frage stehenden – Heranwachsenden aus, die durch erhebliche Unsicherheiten in körperlicher, emotionaler und sozialer Hinsicht gekennzeichnet ist.

Der pädagogische Blick auf dem Feld des Jugendstrafvollzugs kommt ins Spiel, weil davon auszugehen ist, „dass jugendliche Inhaftierte […] nicht umfassend Verantwortung für ihr Handeln übernehmen können“ (S. 21), was auch das Bundesverfassungsgericht 2006 in einem Urteil aussagt. Im Jugendstrafvollzug geschieht die pädagogische Beziehung zwischen den Gefangenen und den Bediensteten.

Im Jugendstrafvollzug ist die pädagogische Perspektive zwischen dem soziologischen Analyseraster und der psychologischen bzw. psychodynamischen Perspektive zu verorten. Diese Sandwich-Position ist einerseits durch den Fokus auf gesellschaftliche und institutionelle Dynamiken und andererseits durch den Blick auf die innerpsychische Entwicklung der gefangenen Personen begründet.

Diskutiert wird das Gegensatzpaar Erziehung vs. Strafe, wofür u.a. der Jugendgerichtstag 1912 den Begriff Erziehungsstrafe verwendet hat.

Im Rahmen dieser Studie verwendet der Autor die tiefenhermeneutische Forschung. Es handelt sich um Beobachtungen, die über einen Zeitraum von mehreren Monaten in einer Jugendstrafanstalt – in drei Bereichen – durchgeführt wurden. Bei den Bereichen handelt es sich um den Werkbereich, den Schulbereich und den Haftbereich. Den Beobachtungen schließen sich Interviews mit Gefangenen und Gruppendiskussionen mit Bediensteten an.

Forschungsleitende Fragen sind:

  • Welche Spezifika weisen die pädagogischen Beziehungen im Jugendstrafvollzug unter Beachtung des institutionellen Kontexts sowie der professionellen und habituellen Dynamiken im gegebenen Setting auf?
  • Welche Möglichkeiten und Grenzen hat pädagogische Beziehungsarbeit im Jugendstrafvollzug?

Die beobachteten Beziehungen im Jugendstrafvollzug werden – im Rahmen der tiefenhermeneutischen Forschung – u.a. als aufwühlend, emotional schwer auszuhalten beschrieben. Den Beobachtungsprotokollen ist z.B. zu entnehmen, dass „die spezifische Dynamik zwischen Pädagogik einerseits und der Logik der geschlossenen Institution andererseits […] zahlreiche und sehr spezifische Formen der Nähe“ (S. 84) erzeugt, die unaushaltbar ist.

Im Ergebnis lassen sich, im Zuge der tiefenhermeneutischen Interpretation „Konfliktgeschichten von konkreten Menschen und Gruppen lesen“ (S. 172). Dies sei, dem Verfasser folgend das Ergebnis fundierter Forschung, eben diese „Konflikte und Herausforderungen differenziert herauszuarbeiten“ (S. 173).

Diskussion

Auch wenn der Autor schreibt, dass in der Jugendstrafanstalt Hameln 9 % mit einem sonderpädagogischen Schulabschluss inhaftiert sind, ist scheinbar das heilpädagogische Interesse hier nicht von großer Bedeutung, was im Übrigen den Vorgaben von Artikel 14 Absatz 2 UN-Behindertenrechtskonvention widerspricht. Hier könnte man sich mehr dementsprechendes pädagogisches Engagement wünschen.

Fazit

Mit dieser Publikation widmet sich David Zimmermann über die qualitativ-rekonstruktive Forschung einem Themenfeld, welches in der Heilpädagogik und der ihr zugeordneten Disziplinen bisher zu wenig beachtet wird. Die besprochene pädagogische Studie nimmt die biografische Gewordenheit und „die relationale Dynamik von strafrechtlich relevanter Jugenddelinquenz in den Blick“ (S. 17). Scheinbar – und darauf weist die eigene Forschung hin – ist das heilpädagogische Interesse hier nicht vorhanden, was im Übrigen, wie im vorhergehenden Abschnitt ausgeführt, den Vorgaben von Artikel 14 Absatz 2 UN-Behindertenrechtskonvention widerspricht.

Literatur

Goffman, Erving: Asyle. Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen. Frankfurt/Main 1973.

Rezension von
Prof. Dr. Carsten Rensinghoff
Hochschullehrer für Heilpädagogik und Inklusive Pädagogik an der DIPLOMA Hochschule
Website
Mailformular

Es gibt 181 Rezensionen von Carsten Rensinghoff.

Besprochenes Werk kaufen
Sie fördern den Rezensionsdienst, wenn Sie diesen Titel – in Deutschland versandkostenfrei – über den socialnet Buchversand bestellen.


Zitiervorschlag
Carsten Rensinghoff. Rezension vom 09.09.2024 zu: David Zimmermann: Pädagogische Beziehungen im Jugendstrafvollzug. Tiefenhermeneutische Perspektiven. Julius Klinkhardt Verlagsbuchhandlung (Bad Heilbrunn) 2023. ISBN 978-3-7815-2522-1. Reihe: Dialog Erziehungshilfe. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32521.php, Datum des Zugriffs 06.10.2024.


Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt. Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns. Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.


socialnet Rezensionen durch Spenden unterstützen
Sie finden diese und andere Rezensionen für Ihre Arbeit hilfreich? Dann helfen Sie uns bitte mit einer Spende, die socialnet Rezensionen weiter auszubauen: Spenden Sie steuerlich absetzbar an unseren Partner Förderverein Fachinformation Sozialwesen e.V. mit dem Stichwort Rezensionen!

Zur Rezensionsübersicht