Hartwig von Schubert, Jochen Hippler et al. (Hrsg.): Kohlhammer Trilogien - Paket "Von Krieg und Frieden"
Rezensiert von Wolfgang Schneider, 08.11.2024
Hartwig von Schubert, Jochen Hippler, Pascal Beucker, Jörg Armbruster (Hrsg.): Kohlhammer Trilogien - Paket "Von Krieg und Frieden".
Kohlhammer Verlag
(Stuttgart) 2024.
535 Seiten.
ISBN 978-3-17-044695-3.
45,00 EUR.
Reihe: Kohlhammer Trilogien. Von Krieg und Frieden.
Thema
Lange haben sich die Menschen in Mitteleuropa nicht mit Krieg beschäftigen müssen. Am 24. Februar 2022 überfällt Russland die Ukraine. Der erste Angriffskrieg gegen ein Nachbarland mitten in Europa seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Empörung ist groß. Die Sorge, in diesen militärischen Konflikt hineingezogen zu werden, aber auch. Schließlich ist der Aggressor eine Atommacht, die gleich zu Beginn des Krieges und seither immer wieder mit dem Einsatz der Bombe gedroht hat. Feststeht jedenfalls: Putin hat die in Europa inzwischen zur Selbstverständlichkeit daher vielleicht auch bequem gewordene Friedensordnung der vergangenen Jahrzehnte schlagartig zerstört. Wohin Europa nach diesem Tabubruch steuert? Auch heute weiß das niemand wirklich. Von Anfang an war klar: Die Ukraine wird nur dann nicht zur schnellen Beute Putins werden, wenn die NATO sie massiv unterstützt. Kriegspartei jedoch dürfe das Westbündnis nicht werden, das beeilten sich die Politiker der Mitgliedsländer sofort zu betonen. Nicht zuletzt der Ukrainekrieg und unser Umgang damit sind Anlass, in dieser Trilogie aus drei Perspektiven über Krieg und Frieden nachzudenken. Die drei Bücher können unabhängig voneinander gelesen werden, bilden aber zusammen eine Einheit.
Autoren
PD Dr. Hartwig von Schubert ist evangelischer Theologe und lehrt an der Universität Hamburg. PD Dr. Jochen Hippler ist Politikwissenschafter und Friedens- und Konfliktforscher. Pascal Beucker ist Journalist, Mitglied im taz-Parlamentsbüro und in der Bundespressekonferenz.
Inhalt
Im ersten Band Logik und Schrecken des Krieges geht Jochen Hippler der Frage nach, warum es überhaupt immer wieder Kriege gibt. Schließlich sollte allgemein bekannt sein, dass der Angreifer selbst bei einem Sieg als ein von Zerstörungswut und Habgier getriebener Barbar da steht, der auch über sein eigenes Volk mehr Elend und Leid gebracht hat als Nutzen. Aber stimmt das eigentlich? Wenn es keinen Nutzen gäbe, dann gäbe es auch keine Kriege, schreibt Hippler. Die allseits bekannten Schrecken des Krieges reichen nicht aus, um sie zu verhindern. Warum Kriege geführt werden, wie sie geführt werden und wann sie enden, folgt einer eigenen Logik. Vereinfacht lässt sich feststellen, dass die Größe der Truppen, ihre Feuerkraft und Mobilität entscheidende Faktoren bei der Führung eines Krieges sind, zumindest bei konventionellen Kriegen zwischen Staaten. Überlegenheit auf diesen Gebieten kann einen Krieg also militärisch entscheiden. Wer aber Kriege vermeiden oder mit diplomatischen Mitteln beenden möchte, wird an den politischen Interessen der Kriegführenden ansetzen und nach einem Ausgleich oder Kompromiss suchen müssen. Hippler zeigt dabei: Das wird allerdings nur gelingen, wenn beide Seite tatsächlich zu einem Friedensschluss bereit sind.
Wären passiver Widerstand, gewaltfreie Aktionen und Verhandlungen die besseren Antworten auf den russischen Angriff gewesen? Verhandlungen, koste es, was es wolle, statt Selbstverteidigung? Wem nützen solche Forderungen? Den Ukrainern oder gar Putin oder doch nur dem Wohlbefinden der „blauäugigen Träumer vom ewigen Frieden“? Pazifismus – ein Irrweg?, fragt daher der taz-Redakteur Pascal Beucker im zweiten Band der Trilogie. Zwar entsprach Pazifismus nie dem Zerrbild naiver Träumerei, aber kann er wirklich Kriege verhindern oder wenigstens beenden? Wie also muss Sicherheit in Zukunft gedacht werden, was verlangt das fraglos legitime Schutzbedürfnis der Bürger von jedem Einzelnen? Allerdings steht der Pazifismus stets vor einem Dilemma, wenn ein Krieg wie der in der Ukraine erst ausgebrochen ist. Die Angegriffenen haben dann zwar immer noch die Möglichkeit gewaltfreien Handelns, sind jedoch bereits der Gewalt des Angreifers ausgesetzt. Die Frage ist dann also nur noch, ob sich die Opfer wehren sollen oder nicht. Der Auffassung, unter allen Umständen die zweite Wange hinzuhalten, folgte und folgt jedoch stets nur ein Teil von ihnen – denn, so erarbeitet Beucker in seinem Text, der Pazifismus ist weitaus differenzierter – und dadurch auch spannender – als vielfach behauptet.
Eine 100 Milliarden teure Aufrüstung der Bundeswehr hat die Bundesregierung beschlossen. Frieden schaffen mit immer mehr Waffen? Ist es tatsächlich sinnvoll eine derartig gewaltige Summe in Sicherheit zu investieren? Zeit jedenfalls, grundsätzlich über die gesellschaftspolitischen und internationalen Grundlagen von Frieden und Sicherheit nachzudenken. Ist es möglich, eine friedliche Weltordnung zu schaffen? Ein weltweit geltendes Rechtssystem, dem sich die Staaten unterwerfen müssen, um miteinander in Frieden zu leben? Nach den beiden verheerendsten Kriegen des 20. Jahrhunderts versuchte es die Völkergemeinschaft: Sie gründete 1945 die Vereinten Nationen, um „den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren“, wie es in ihrer Charta heißt. Dennoch: Heute scheinen wir einem dritten Weltkrieg näher als einem ‚ewigen Frieden‘. Wie lässt sich das Miteinander auf dieser Erde künftig besser gestalten, das Völkerrecht in Zukunft besser durchsetzen? Hartwig von Schubert gibt Antworten im dritten Band Den Frieden verteidigen: Abschreckung mal Entspannung ist gleich Gemeinsame Sicherheit. Nach dieser Formel muss maximal in beide Faktoren investiert werden, um das Produkt zu bekommen, also sowohl in die Abschreckung als auch in die Entspannung.
Diskussion
In Krisenzeiten sucht der Mensch bekanntlich Orientierung – und braucht sie auch. Deshalb ist die Idee dieser Trilogie, deren Bände sich auch völlig unabhängig lesen lassen, besonders interessant. Denn den Autoren gelingt es, sich der Thematik Krieg und Frieden aus drei ganz unterschiedlichen aber unfassbar wichtigen Perspektiven zu nähern, die inhaltlich mit spannenden Überlegungen und einer überzeugenden Haltung zum Nachdenken und auch Diskutieren einladen. „Die Inhalte sind knapp formuliert, verständlich erklärt, journalistisch geschrieben, kurz: spannend. Denn nur wer Spaß am Lesen hat, informiert sich gerne. Und nur wer informiert ist, kann sich mit den wichtigen Fragen der Zeit souverän auseinandersetzen“, wirbt der Verlag – und verspricht damit nicht zu viel. Alle drei Bände lassen sich gut lesen und bieten trotzdem eine hohe Qualität. Der ‚Spaß‘ bleibt dabei zwar manchmal auf der Strecke, aber die Neugier auf die nächste Seite bleibt fortlaufend bestehen. Und so finden die Leser:innen am Ende Orientierung und im besten Fall sogar etwas Hoffnung in Zeiten mit komplexen Herausforderungen.
Fazit
Wider die populistischen Verführungen, dem Leben in Filterblasen und der Unwilligkeit zu sachlicher, ergebnisoffener Debatte: Auf diesen Nenner lässt sich diese Trilogie herunterbrechen und ist daher ein wichtiges Mittel gegen die alltägliche Überforderung im Dickicht der vielen Informationen, die auf die Menschen in diesen Zeiten einprasseln.
Rezension von
Wolfgang Schneider
Sozialarbeiter
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Zitiervorschlag
Wolfgang Schneider. Rezension vom 08.11.2024 zu:
Hartwig von Schubert, Jochen Hippler, Pascal Beucker, Jörg Armbruster (Hrsg.): Kohlhammer Trilogien - Paket "Von Krieg und Frieden". Kohlhammer Verlag
(Stuttgart) 2024.
ISBN 978-3-17-044695-3.
Reihe: Kohlhammer Trilogien. Von Krieg und Frieden.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32522.php, Datum des Zugriffs 13.12.2024.
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