Julia Wegner: Ausbeutung von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten
Rezensiert von Dr. Karsten Lauber, 12.02.2025

Julia Wegner: Ausbeutung von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten. Eine qualitative Untersuchung zu Risikofaktoren und Prävention.
Duncker & Humblot GmbH
(Berlin) 2024.
313 Seiten.
ISBN 978-3-428-19026-3.
D: 99,90 EUR,
A: 102,70 EUR.
Reihe: Kriminologische und sanktionenrechtliche Forschungen - Band 27.
Thema
Im Zusammenhang mit der Zuwanderung ab 2015 rückten die unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten in den Fokus. In der veröffentlichten Dissertation wird untersucht, inwiefern es aus einer kriminologischen Perspektive einen Zusammenhang zwischen dem Merkmal des unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten und dem Risiko, Opfer einer Ausbeutungssituation zu werden, gibt.
Autorin
Die Autorin, Julia Wegner, studierte Rechtswissenschaften in Potsdam und Berlin und ist derzeit als Rechtsreferendarin am Kammergericht in Berlin tätig.
Entstehungshintergrund
Bei der hier vorliegenden Arbeit handelt es sich um die Promotion der Autorin, betreut durch Prof. Dr. Kirstin Drenkhahn, Freie Universität Berlin, und Prof. Dr. Frieder Dünkel. Die Monografie ist als Band 27 der Reihe „Kriminologische und sanktionsrechtliche Forschungen“ im Verlag Duncker & Humblot erschienen und ist sowohl als gedrucktes Buch als auch als E-Book erhältlich. Literatur und Rechtsprechung wurden bis einschließlich März 2022 eingearbeitet. Für die hier vorliegende Monografie wurde die Literatur auf den Stand Januar 2024 gebracht.
Aufbau
Die Arbeit ist in acht Kapitel gegliedert:
- Einführung
- Definition und rechtliche Einordnung – Unbegleitete minderjährige Geflüchtete
- Definition und rechtliche Einordnung – Menschenhandel und Ausbeutung
- Kriminologische Grundlagen
- Stand der Forschung
- Empirische Untersuchungen in Berlin und Brandenburg
- Auswertung
- Zusammenfassung und Fazit
Im Anhang 1 finden sich Daten zu unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten, während der Anhang 2 den Interviewleitfaden für die Gespräche mit den Expertinnen und Experten beinhaltet. Abbildungs-, Tabellen, Abkürzungs- und Stichwortverzeichnis rahmen diese Arbeit.
Inhalt
Die Einführung im Kapitel 1 beinhaltet die Begründung des Untersuchungsinteresses, die forschungsleitende Frage, das Ziel und den Aufbau der Arbeit sowie einen abschließenden Exkurs zur Terminologie (Flüchtlinge oder Geflüchtete). Es handelt sich um eine explorative Untersuchung mit der allgemeinen Forschungsfrage: Inwiefern gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Merkmal „unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter“ und dem Risiko, Opfer einer Ausbeutungssituation bzw. des Menschenhandels zu werden? (S. 24) Ziel der Arbeit ist es, mögliche Präventionsmaßnahmen und Empfehlungen zum Schutz der unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten vor Ausbeutungssituationen zu erarbeiten (S. 25). Die Arbeit stellt für die Autorin eine „Reaktion auf die Geflüchtetenbewegung“ (S. 19) dar, die in den Jahren 2015 bis 2017 ihren Höhepunkt hatte. Dabei ist von Bedeutung, dass die Autorin ehrenamtlich in einer Berliner Unterkunft für unbegleitete minderjährige Geflüchtete tätig war.
Das Kapitel 2 eröffnet mit Erläuterungen zu den Begriffen „unbegleitet“ und „minderjährig“ sowie einer Abgrenzung der Begriffe Asylbewerber, Migrant/-in und Geflüchtete/-r. Bezug genommen wird auf das Aufenthaltsgesetz (AufenthG), das Asylgesetz (AsylG), das SGB XIII sowie auf einschlägige EU-Richtlinien. Daran schließt eine rechtliche Beschreibung der Rechtsstellung der zu untersuchenden Personengruppe an, beginnend mit der Genfer Flüchtlingskommission und einschlägigen supranationalen Abkommen. Ausführlich behandelt wird danach das Asylverfahren auf der Grundlage des AsylG und unter Einbeziehung des AufenthG. Ausgehend von der gesetzlichen Prüfungsreihenfolge sind dies das Grundrecht auf Asyl gem. Art. 16a GG, die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. §§ 3 ff. AsylG, der subsidiäre Schutz gem. § 4 AsylG, die Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5, 7 AufenthG und der Aufenthalt aus humanitären Gründen gem. § 25 Abs. 4a AufenthG. Ergänzt werden diese Ausführungen insbesondere um den Aspekt der Familienzusammenführung, dazu wird der Geltungsbereich des SGB VIII beschrieben, einschließlich der Fragen nach der Handlungs- und Verfahrensfähigkeit der Minderjährigen und der Verteilung der Flüchtlinge im Bundesgebiet.
Begriffliche und rechtliche Klärungen zum Menschenhandel sind dann Inhalt des Kapitels 3. Neben der Analyse der Untersuchungsergebnisse (Kapitel 7) handelt es sich um das umfangreichste Kapitel (S. 64 - 123). Es werden die Begriffe Ausbeutung, Menschenhandel und Schleusung(skriminalität) behandelt sowie die umfangreiche Regelungslage. Im Fokus stehen inter- bzw. supranationales Recht, §§ 232 ff. Strafgesetzbuch (StGB) und weitere einschlägige nationale Normen (AufenthG, ProstG, ProstSchG). Bei den internationalen Regelungen geht die Autorin auf das Palermo-Protokoll, das Übereinkommen des Europarates zur Bekämpfung des Menschenhandels (2005) und die EU-Menschenhandelsrichtlinie (2011) ein und vergleicht diese Normen, sodass Lücken bzw. Ergänzungen deutlich werden. Bei den Tatbestandsmerkmalen des § 232 StGB greift die Autorin auf die Begriffe der vorausgehenden internationalen Normen zurück, was zu einem guten Verständnis beiträgt. Die allgemeinen Regelungen werden ergänzt durch spezielle nationale und internationale Normen zum Schutz vor der Ausbeutung minderjähriger Personen.
Das Kapitel 4 beinhaltet die kriminologischen Grundlagen mit den Schwerpunkten Viktimologie und Kriminalitätstheorien. Die ca. 7,5-seitigen Ausführungen zur Viktimologie beinhalten die Begriffsklärung „Opfer“ und die Beschreibung der Opfertypen bzw. Stufen der Viktimisierung (primär, sekundär, tertiär) – auch hier wieder unter Bezugnahme auf den Untersuchungsgegenstand. Bei den Theorien legt die Autorin ihre Schwerpunkte auf situationsorientierte und kontrolltheoretische Ansätze. Mit dem Routine-Activity-Approach und der Lebensstil-Theorie werden bei den situationsbezogenen Erklärungsansätzen eher einfache Theorien herangezogen. Anspruchsvoller sind demgegenüber die Kontrolltheorien, konkret die Halttheorie nach Reiss/​Reckless, die Bindungstheorie nach Hirschi und die Theorie der Kontrollbalance nach Tittle.
Die Kriminologie bietet einen geeigneten Übergang zum Kapitel 5, in dem der Stand der Forschung wiedergegeben sollte. Die Autorin beginnt mit der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) und geht dabei auch auf die erforderlichen grundlegenden Rahmenbedingungen im Zusammenhang mit dieser Statistik ein. Daran schließen Daten des Bundeskriminalamtes aus dem Bundeslagebild zum Menschenhandel und des U.S. Departments of State aus dem Trafficking in Persons-Report an. Informationen von Europol und des BKA zu vermissten unbegleiteten Flüchtlingen schließen die deskriptiven Statistiken ab. Im weiteren Verlauf nimmt die Autorin Bezug auf weitere Statistiken und Literatur, ehe die erste Forschungsarbeit wiedergegeben wird (S. 160 f.).
Das Kapitel 6 beinhaltet die Methodik der vorgestellten Untersuchung – einschließlich persönlicher Anmerkungen und einem Exkurs über die Forschungsfreiheit. Der Feldzugang zu einem unbegleiteten minderjährigen Flüchtling gelang lediglich in einem Fall, sodass die Datenbasis durch Interviews mit Expertinnen und Experten gelegt wird.
Die Untersuchungsergebnisse im Kapitel 7 sind in die Kategorien Risikofaktoren, Rekrutierung, Risikoerkennung, Verdachtsmomente, Ausbeutungserfahrungen, Dunkelfeld, Grenzen der Unterstützung, Handlungsempfehlungen für Präventions- und Schutzkonzepte, Unterbringung und Zugang zu Beratungsstellen, Qualifizierung und Sensibilisierung von Personal und Vernetzung sowie Straffreiheit für Betroffene von Menschenhandel und Ausbeutung gegliedert.
Im abschließenden Kapitel 8 werden die Ergebnisse zusammengefasst und ein Fazit gezogen.
Diskussion
Die Untersuchung widmet sich mit den unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten einem kriminologisch relevanten Gebiet. Eine explorative Untersuchung bietet sich an dieser Stelle an, wobei es weniger überzeugt, wenn die Autorin argumentiert, die hieraus abgeleiteten Untersuchungsfragen „recht offen“ (S. 24) zu formulieren. Der Aufbau der Arbeit ist schlüssig. Weniger überzeugend ist der einleitende 3-seitige sprachliche Exkurs, ob nun der Begriff Flüchtling oder Geflüchtete/-r zu verwenden ist. Für die Untersuchung spielt dies keine Rolle. Ebenso unnötig ist es, wenn sich die Autorin als „privilegierte weiße Frau“ (S. 26, Hervorhebung im Original) präsentiert und ihre Argumentation im Wesentlichen auf einen Missbrauch durch Rechtspopulisten stützt.
Die ehrenamtliche Tätigkeit der Autorin in einer Berliner Unterkunft für unbegleitete minderjährige Geflüchtete (S. 23) ist für die Kenntnis des Untersuchungsgegenstandes von Vorteil, birgt allerdings auch die Gefahr, nicht immer werturteilsfrei zu agieren. Die fehlende Distanz zum Untersuchungsgegenstand schlägt dann auch immer wieder durch.
Dahingehend ist in einer wissenschaftlichen Arbeit auch mit eigenen praktischen Erfahrungen sorgsam umzugehen. Auf Seite 42 stellt die Autorin fest, dass die Duldung „von den jungen Menschen oftmals fälschlicherweise als Ausweisdokument verstanden wird“; erklärt wird diese Feststellung mit eigenen Beobachtungen aus der Begleitung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge. Welche Aussagekraft sich in einer wissenschaftlichen Arbeit hiervon ableitend lässt, sei dahingestellt.
Untersuchungen zu Migrationsthemen leiden nicht selten darunter, dass die Ausführungen zum Aufenthalts- und Asylrecht zu beanstanden sind. Dieses Manko ist auch in dieser Arbeit festzustellen. Soweit die „Aufgabe“ (S. 35) (besser: Ziel, Zweck) des Aufenthalts- und Asylrechts „vor allem im Schutz staatlicher Interessen und der Gemeinschaft“ (S. 35) wird, ist dies eine unzutreffend verkürzte Darstellung. § 1 Abs. 1 AufenthG nennt ebenso individuelle Zwecke, denn es „dient zugleich der Erfüllung der humanitären Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland. Es regelt hierzu die Einreise, den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern“. In eine ähnliche Richtung zielt eine Aussage im 3. Kapitel ab. Dort wird die Begründung der Strafbarkeit einer Einreise von Drittstaatsangehörigen ohne Aufenthaltstitel explizit als „politisch ungewollt“ (S. 107) bezeichnet. Es ist unklar, weshalb nicht auch alle anderen Normen, über die in dieser Arbeit referiert wird, als politisch gewollt oder ungewollt bewertet werden. Sofern generalisiernd in einem Zwischenfazit des Kap. 7 konstatiert wird, die ausländerrechtlichen Bestimmungen hätten sich „fortlaufend verschärft“ (S. 247) ist dies falsch. Das Aufenthaltsgesetz hat in den letzten Jahren auch etliche Liberalisierungen mit sich gebracht.
Im Kapitel 2 trägt eine Tabelle (S. 52 f.) dazu bei, einen besseren Überblick über die verschiedenen Normen des Migrationsrechts zu gewähren. Auch der Verfahrensablauf bei der Unterbringung/​Verteilung (S. 58 ) wurde anhand einer gesonderten Abbildung veranschaulicht. Im Zwischenfazit weist die Autorin darauf hin, dass das „Ausländerrecht vor allem die Einreise und den Aufenthalt eines Menschen regelt […] und vor allem auf Ausschluss setzt“ (S. 62). Diese Aussage ist kritisch zu bewerten und verkennt die vielfältigen Änderungen im Aufenthaltsgesetz (sic!), die neue Möglichkeiten eröffneten, den Aufenthalts zu verfestigen (z.B. Aufenthalts-/​Beschäftigungsduldung, Chancen-Aufenthaltsrecht), insbesondere auch die hier einschlägigen §§ 25a und 25b AufenthG (Aufenthaltsgewährung bei gut integrierten Jugendlichen und jungen Volljährigen, Aufenthaltsgewährung bei nachhaltiger Integration).
Im Kapitel 3 gelingt es der Autorin gut, die internationalen Normen wiederkehrend miteinander zu vergleichen, sodass Regelungslücken bzw. Ergänzungen deutlich werden.
Eine zu große Erwartungshaltung darf an das Kapitel 4 nicht gestellt werden. Die Viktimologie beinhaltet die Definition des Opfer-Begriffs für diese Untersuchung und eine kurze Beschreibung der drei Stufen der Viktimisierung (primär, sekundär, tertiär). Kriminologische Opfertypen im Sinne von beispielsweise disponierten, prädisponierten oder Beziehungsopfern fehlen. Etwas zu weit gegriffen ist die Aussage, wonach die Viktimologie erst seit den 1970er Jahren eine Rolle in der Kriminologie spielt (S. 125). Zutreffend ist, dass sich die Kriminologie bzw. die Kriminalpolitik seit den 1970er Jahren verstärkt auch mit dem Opfer beschäftigt. Weniger gelungen sind die Ausführungen zu den Kriminalitätstheorien. Bei der Halt- und der Bindungstheorie wird der Bezug zum Untersuchungsgegenstand nicht deutlich. Bei der Bindungstheorie entsteht der Eindruck, als würde der Text mittendrin abbrechen (S. 139). Dahingehend bietet auch die Zusammenfassung (S. 142 f.) keine Lösung. Insgesamt entsteht der Eindruck, als würden täterorientierte Kriminalitätstheorien zu Viktimisierungstheorien umgedeutet werden. Allerdings finden sich die von der Autorin herangezogenen Theorien auch in kriminologischen Lehrbüchern als Erklärungsansatz für Viktimisierungen. Nach der Rezeption dieses Kapitels wird nicht deutlich, welchen Stellenwert die Kriminalitätstheorien für die Untersuchung haben; spätestens hier zeigt sich das Manko fehlender Hypothesen bzw. präziser Forschungsfragen.
Demgegenüber kann das Kapitel 5, das sich dem Forschungsstand widmet, mehr überzeugen. Nicht selten mangelt es bei wissenschaftlichen Qualifikationsarbeiten an einer soliden Darstellung des Forschungsstandes; dies ist insofern von Bedeutung, als dass sich hieraus der Bedarf für die eigene Forschung ergibt. Julia Wegner gibt in ihrer Arbeit einen guten Überblick über den Stand der Forschung und beendet das Kapitel konsequent mit dem aus ihrer Sicht bestehenden Forschungsbedarf. Bis die erste Forschungsarbeit reflektiert wird (S. 160 f.) dauert es allerdings, da die Autorin zunächst im größeren Umfang polizeiliche Statistiken wiedergibt sowie ausgewählte Fachinformationen heranzieht.
Etwas ratlos lässt das Kapitel 6 (Empirische Untersuchung in Berlin und Brandenburg) die Leserschaft zurück. Ungewöhnlich für eine Dissertation ist die folgende Aussage der Autorin: „Daher konnte vorab weder ein theoretisches Konzept aufgestellt noch Vorannahmen und Hypothesen aus dem bisherigen Forschungsstand generiert werden“ (S. 179). Wäre das tatsächlich so, würde das die Dissertation an sich in Frage stellen. Spätestens bei der Inhaltsanalyse nach Mayring und der dort genannten theoriegeleiteten Differenzierung der Fragestellung (S. 191) hätte das Theoriedefizit auffallen müssen. Ein exploratives Vorgehen rechtfertigt nicht fehlende theoretische Annahmen. Ebenso wenig überzeugt die kurze Begründung, weshalb quantitative Methoden nicht zur Anwendung kamen; dies wird mit lediglich zwei Sätzen abgetan, die methodisch kaum tragfähig sind. Die Kritik an den fehlenden Feldzugängen (S. 181 ff.) gehören eher in einen Werkstattbericht; vielmehr ist zu problematisieren, dass erst während der Untersuchung der fehlende Feldzugang in einem nennenswerten Umfang festgestellt wird, zumal dies erhebliche Auswirkungen auf die Arbeit hat. Weshalb wurden die Feldzugänge bei einer Dissertation nicht vorab geklärt?
Kapitel 7 eröffnet mit einem nochmaligen Rekurs über methodische Einschränkungen der Untersuchung. Dieser gehört entweder in den Methodenteil oder in eine abschließende Diskussion, jedoch nicht in den Ergebnisteil. Bei der Beschreibung der mit Interviewpassagen hinterlegten Risikofaktoren ist die Grenze zwischen eigenen Wahrnehmungen und gehörten „Geschichten“ (S. 225) nicht immer trennscharf; aus empirischer Perspektive ist das fatal. Wiederkehrend wird auf im Heimatland angeworbene junge Menschen Bezug genommen, die nur schwerlich unter die Kategorie der minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge zu fassen sind. Hier gelingt es der Autorin kaum, eine analytische Trennschärfe herzustellen zwischen diesen Kategorien sowie dem Menschenhandel als Straftat und darunter liegender Ausbeutung. Abermals werden die Defizite in Bezug auf die diffuse Forschungsfrage und den Theoriemangel offensichtlich. Die Autorin versucht, diese Vorgehensweise mit dem explorativen Charakter der Untersuchung zu erklären.
Das abschließende Kapitel 8 beinhaltet die Zusammenfassung der Ergebnisse und ein Fazit. Im Kern lassen sich hieraus keine neuen Entdeckungen machen, wenn es um bessere Zugänge zu Arbeit, Bildung und Wohnen geht und insgesamt mehr Geld für Integrationsmaßnahmen gefordert wird. Ein Ausreißer in diesem Kapitel ist die Formulierung „Menschenhandel ist ein krasser Tatbestand und es ist am Ende Aufgabe der Ermittlungsbehörden und des Gerichts darüber zu entscheiden“.
Der Autorin gelingt es durchwegs, die Leser/​-innen durch sachangemessene Wiederholungen, Vergleiche oder Tabellen/​Abbildungen eine Orientierung zu geben.
Es ist nicht unüblich für Dissertationen aus Deutschland, dass mit der Analyse der Daten erst in der zweiten Hälfte der Arbeit begonnen wird. So auch hier. Erst auf Seite 193 (von insgesamt 313 Seiten) beginnt die Analyse der Interviewergebnisse. Insofern ist die Gewichtung der Kapitel nicht stimmig. Vor allem das Kapitel 3, das sich der Definition und der rechtlichen Einordnung des Menschenhandels widmet, ist mit knapp 60 Seiten überdimensioniert – gerade mit Blick auf den Untersuchungsteil, der einen vergleichbaren Umfang aufweist.
Prüfungswürdig sind die Transkriptionsregeln; einige Textpassagen aus den Interviews sind nur mit Mühe zu verstehen. Die Übernahme aller „ähm“ bringt für die Untersuchung zudem keinen Mehrwert.
Üblich, aber nicht minder zu diskutieren ist das nicht rechtschreibkonforme gendern. Der Genderstern ist nicht Teil der amtlichen Rechtschreibung. Zu erwarten ist jedoch, dass sich eine Dissertation an das amtliche Regelwerk hält.
Positiv hervorzuheben sind die gelungenen Tabellen und Abbildungen, die sowohl inhaltlich überzeugen als auch grafisch sehr gut aufbereitet sind.
Fazit
Die Ausbeutung von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten beinhaltet ein interessantes und aktuelles Thema, das theoriearm analysiert wird. Auch in der Anwendung der Methoden kann die Untersuchung kaum überzeugen. Für einen allgemeinen Einstieg in das Thema ist die Monografie mit 99,00 € als Buch bzw. E-Book zu teuer und für eine wissenschaftliche Arbeit zu wenig werturteilsfrei.
Rezension von
Dr. Karsten Lauber
M.A. (Kriminologie, Kriminalistik, Polizeiwissenschaft), M.A. (Public Administration)
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