Cornelie Dietrich, Niels Uhlendorf et al. (Hrsg.): Sorge – Bildung – Erziehung
Rezensiert von Wolfgang Schneider, 22.05.2025

Cornelie Dietrich, Niels Uhlendorf, Jeanette Windheuser (Hrsg.): Sorge – Bildung – Erziehung. Velbrück GmbH Bücher & Medien (Weilerswist) 2024. 270 Seiten. ISBN 978-3-95832-370-4. D: 49,90 EUR, A: 51,30 EUR, CH: 64,90 sFr.
Thema
Sorge – ein Begriff, dessen (pädagogische) Bedeutung hinlänglich bekannt ist. Oder vielleicht doch nicht? Ist die Verwendung des Begriffs zu eindimensional? Unzweifelhaft ist an dieser Stelle, dass Sorge ein grundlegender Baustein pädagogischer Beziehungen ist, was sich in der Betrachtung des Wortkonstrukts Fürsorge zeigt. An dieser Stelle setzt dieses Buch an und möchte den klassischen Fürsorgebegriff erweitern. Dazu steht zunächst eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Theoriediskursen zum Thema Sorge im Fokus. Im weiteren Verlauf entwickeln die Texte ein Konstrukt, das sich von der Trennung von Sorgendem/r und Umsorgtem/r – im Englischen treffender als care giver und care receiver benannt – abhebt und neue Dimensionen aufzeigt, aus denen sich das pädagogische Verhältnis zusammensetzt: das Kind, das Lernen und die Sache.
Herausgeber:innen
Cornelie Dietrich ist Inhaberin einer Professur für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Allgemeine Grundschulpädagogik an der Berliner Humboldt-Universität. Hier ist Niels Uhlendorf Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Erziehungswissenschaften. Jeannette Windheuser ist dort Professorin für Erziehungswissenschaft mit den Schwerpunkten Gender und Diversität.
Aufbau und Inhalt
Der erste Teil des Buches widmet sich unter der Überschrift Begriffe und Voraussetzungen dem Verhältnis von Sorge, Erziehung und Bildung in den Blick genommen. Zuerst wird die Verbindung erziehungswissenschaftlicher Thematisierungen von Sorge mit der Geschlechtergeschichte und feministischen Theoriebildung beleuchtet, wobei aus unterschiedlichen Blickwinkeln die philosophisch-begriffliche, die gesellschaftlich-strukturelle und die symbolische Gestalt von Sorge im Generationen- und Geschlechterverhältnis und die darin enthaltenen Widersprüchen untersucht werden. Das Phänomen des generationalen Sorgeverhältnisses aus einer erziehungsphilosophischen Perspektive unter Berücksichtigung von antiken Autoren im Fokus, bevor die herausforder den theoretischen Bedingungen der auf Meritokratie hin orientierten Institution Schule, die sich insbesondere durch Ganztag und Inklusion mehr denn je mit Sorgeprozessen zu befassen hat, thematisiert werden.
Sorge um das Kind ist der zweite Teil betitelt. Hier geht es um Ansätze, die sich mit der Sorge um das Kind auseinandersetzen. Hier fragen die Autor:innen nach der Verwirklichung von Sorge in Praktiken, nach der diskursiven Wissensproduktion zu ‚mütterlicher Sorge‘ in Präventionsmaßnahmen sowie nach der Perspektive von Schulkindern auf Sorgebeziehungen im Rahmen eines Schulversuchs. Im dritten Teil – Sorge um das Lernen – wird das Wesen von Sorge in der Schule für die Reproduktion und Erneuerung der Gesellschaft diskutiert. Kernpunkte sind dabei Ungleichheitsdimensionen, die Implikationen von Ungleichheit und Macht sowie der geschichtliche Blick auf an Elementarschullehrer:innen gerichtete Rollenerwartungen des ‚sorgenden Pastorats‘. In der anschließenden Analyse eines zeitgenössischen Schulromans wird die fragile Struktur der Beziehung von Lehrer:in und Schüler:in nachvollziehbar, in der pädagogisch-didaktische Gegenstände mit solchen des Sorgens und Begehrens unauflösbar miteinander verbunden sind. Einen ganz anderen Blickwinkel nimmt ein weiterer Beitrag dieses Teiles anhand eines Forschungsprojektes ein: Welche Sorgen treiben eigentlich eine Lehrerin am Schulanfang um das Schüler:in-Werden des Kindes um?
Der vierte Teil Sorge um Natur und Dinge beschreibt die Sorgebeziehung in pädagogischen Kontexten. Hier wird zum Beispiel beleuchtet wie sich durch bestimmte Rituale in Kitas Prozesse der Sorge in der und für die Welt entwickeln, die eben nicht nur über das rationale Verstehen menschlicher Angewiesenheit entwickelt werden. Der Schlussakkord des Buches fokussiert, wie in einem partizipativen Kunstprojekt einer Künstlerin an einer Schule gemeinsame Sorge um den geteilten Schulraum entwickelt wird.
Diskussion
Wenn auch nicht unbedingt zum ‚mal eben zwischendurch Lesen‘ gedacht, entfalten die Beiträge dieses Buches eine gänzlich andere Sichtweise auf Sorge, weg von der wohlfahrtstaatlichen Organisation hin zur Bildungs- und Erziehungsdimension. Was auf den ersten Blick verwirrend wirken mag, wird Dank der vielfältigen Betrachtungsweisen im Verlauf des Buches klarer. Wer sich gerne mit der Weiterentwicklung theoretischer Diskurse auseinandersetzt, dem sei dieses Buch empfohlen.
Fazit
Ein von viel Fachkenntnis geprägtes Buch, das sich – bisweilen sehr abstrakt – auf durchweg hohem Niveau dem Begriff der Sorge nähert und diesen viel weiter ausdefiniert als seine alltägliche Verwendung.
Rezension von
Wolfgang Schneider
Sozialarbeiter
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