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Andrea Trost, Stefan Rogge et al.: Menschen im Maßregelvollzug begleiten

Rezensiert von Dr. phil. Gernot Hahn, 10.02.2025

Cover Andrea Trost, Stefan Rogge et al.: Menschen im Maßregelvollzug begleiten ISBN 978-3-96605-259-7

Andrea Trost, Stefan Rogge, Susanne Schoppmann: Menschen im Maßregelvollzug begleiten. Psychiatrie Verlag GmbH (Köln) 2024. 160 Seiten. ISBN 978-3-96605-259-7. D: 22,00 EUR, A: 22,70 EUR.
Reihe: Praxiswissen. .

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Thema

Der Band ist in der Reihe „PraxisWissen“ des Psychiatrie Verlags erschienen. Die Reihe bietet in konzentrierter Form einen Überblick über zentrale psychiatrische Versorgungsaufgaben und vermittelt dazu auch praktische Hinweise. Thema dieses Reihenbandes ist der Maßregelvollzug, dessen Rahmenbedingungen sowie verschiedene Behandlungsansätze vorgestellt werden.

Autor*innen

Die Autor*innen des Buches arbeiten langjährig als ausgebildete Pflegekräfte mit Bachelor- bzw. Masterabschluss bzw. als Pflegewissenschaftler*innen in unterschiedlichen Leitungs- und Funktionsstellen im Bereich des Maßregelvollzugs, sowie in der (hochschulischen) Bildungsarbeit.

Aufbau und Inhalt

Der 154 Seiten schmale Band ist in acht Kapitel zu juristischen Grundlagen und Behandlungsauftrag, zur Gestaltung des Behandlungssettings, professioneller Behandlungsbeziehungen, sowie Vertiefungsthemen (z.B. zur Sexualität im Maßregelvollzug, zum Umgang mit Gewalt und Aggression oder zur Einbeziehung von Angehörigen) gegliedert und wird durch eine Schlussbemerkung abgeschlossen. Am Ende des Bandes findet sich das umfangreiche, achtseitige Literaturverzeichnis.

Die einzelnen Unterkapitel greifen in kurzer, dabei meist differenzierter Form die Bereiche juristische Grundlagen des Maßregelvollzugs, Setting und therapeutisches Milieu, Haltung und Beziehungsgestaltung, Sexualität im Maßregelvollzug, Umgang mit Gewalt und Aggression, der multiprofessionelle Behandlungsprozess, Gruppenarbeit, sowie Angebote für Angehörige auf. Schwerpunkte bilden neben den Rahmenbedingungen des Arbeitsfeldes, das durch den Grundwiderspruch von Hilfe und Kontrolle (juristisch: Besserung und Sicherung) geprägt ist, die sich daraus ergebenden Herausforderungen für Therapieplanung, Beziehungsgestaltung, Therapeutisches Milieu und konkrete Therapieangebote. Letztere werden in einer Auswahl konkreter Interventionen (Morgenrunde, Stationsversammlungen, Therapiepläne, Sprecherrat), sozialtherapeutische Elemente und Themen (u.a. Emotionsregulation, Selbstwahrnehmung) und Interventionsansätze (u.a. Recoveryorientierung, Good-Lives-Modell), sowie Möglichkeiten zur Verbesserung der Compliance (auf Basis der Beiträge der Adhärenz-Therapie nach Richard Gray) überblicksartig vorgestellt.

Vier ausgewählte Themenbereiche gehen auf die Aspekte Sexualität im Maßregelvollzug, Umgang mit Gewalt und Aggression (insbesondere Gewaltprävention und Selbstschutz), den multiprofessionellen Behandlungsprozess, vorwiegend bezogen auf Überlegungen zum Pflegeprozess, die Möglichkeiten therapeutischer Gruppenarbeit und die Arbeit mit Angehörigen.

In der Schlussbemerkung geben die Autor*innen einen zusammenfassenden Überblick zu den zuvor bearbeiteten Inhalten und appellieren an eine therapeutische Zuversicht, bzw. an die Vermeidung eines therapeutischen Negativismus, welche aufgrundlage von „Hoffnung und Perspektive“ (145) zur Verwirklichung von Entwicklung (der Patient*innen) in einem schwierigen Behandlungsumfeld beitragen soll, bzw. kann.

Diskussion

Die Autor*innen wollen mit dem in der Reihe „PraxisWissen“ erschienenen Band den „Blick auf die forensische Psychiatrie und die Praxis des Maßregelvollzugs“ neu ausrichten (144). Ein hoher Anspruch. Zur Umsetzung dieses neuen Blicks setzen Trost, Rogge und Schoppmann an den Rahmenbedingungen der Forensischen Psychiatrie an, welche das Spannungsfeld Maßregelvollzug, zwischen Hilfe und Kontrolle konstruieren. Um einen Behandlungszugang finden zu können, orientieren sich die Autor*innen an ressourcenorientierten Therapie- und Beratungsansätzen, welche im Überblick kurz vorgestellt, in der konkreten Umsetzung allerdings nicht vertieft ausgearbeitet oder diskutiert werden. Der Blick erfolgt dabei konsequent aus der Berufsgruppe der Pflege(wissenschaft), sodass zwar der Anspruch der Multiprofessionalität im Behandlungsprozess formuliert wird („Alle an der Behandlung beteiligten Berufsgruppen bringen ihr jeweiliges Fachwissen und ihre Kompetenzen in diesen Behandlungsprozess ein. Und der gesamte Prozess wird auch von allen beteiligten Berufsgruppen gemeinsam besprochen, geplant und abgestimmt“ [117]), dessen Umsetzung aber nicht weiter ausgeführt wird (stattdessen erfolgt der Hinweis auf aktuelle Basics psychiatrischer Fachpflege). Überhaupt liegt in der Kürze der Darstellung das Problem des vorliegenden Bandes (in anderen Publikationen der Reihe erscheint das angemessener gelöst): wichtige Themen werden zwar aufgegriffen, dann aber deutlich an der Oberfläche belassen und nicht vertieft. Dazu zwei Beispiele:

  • Das wichtige Thema Sexualität im Maßregelvollzug geht auf die Einrichtung sog. Begegnungszimmer ein. Solche Räume für intime Begegnungen werden als überlegenswert eingestuft (Das Schaffen … sogenannter Begegnungszimmer sollte geprüft werden), allerdings nur für die „Untergebrachten mit ihren Lebenspartnern“ [99], die Bedeutung eines solchen Ansatzes, grundlegende Überlegungen zum Thema Sexualität, die konzeptionelle Einbettung finden sich nicht.
  • Die besondere Situation von Angehörigen, deren Rolle und Bedarfe werden in einem eigenen Abschnitt aufgegriffen. Die Zuschreibung dieser wichtigen sozialen Bezugsgruppe wird auf der Ebene von Belastungs- und Schutzfaktoren abgehandelt: „Zugehörige sind immer beides: ‚erlebter Störfaktor‘ und Ressource“ (140). Abgesehen davon, dass eine solche Dualität deutlich unangemessen ist, sind Angehörige zunächst Menschen mit eigenen Bedürfnissen und Bedarfen, jenseits von Maßregelvollzug, Delinquenz, deren Position in einer totalen Institution schwer zu integrieren ist, zumal Ansätze der Sozialraumorientierung oder der integrativen Sozialtherapie (beide Aspekte werden im entsprechenden Kapitel nicht benannt) im Maßregelvollzug deutlich unterrepräsentiert sind.

Dennoch: das Bändchen zur Begleitung von Menschen im Maßregelvollzug ist wichtig. Es erschließt einen ersten Zugang zum Arbeitsfeld und seinen Herausforderungen. Es vermittelt zwar keinen neuen Blick auf die Thematik, gibt aber einige brauchbare Hinweise, wie sich Fachkräfte in der Forensischen Psychiatrie orientieren und positionieren können. Für eine Neuauflage sollten weitere zentrale Themen (Macht, Migration, Motivation, Risikoorientierung und -management etc.) aufgegriffen, bzw. vertieft werden.

Fazit 

Das Buch gibt einen knappen Überblick zu den Rahmenbedingungen des Maßregelvollzugs, den zentralen Herausforderungen und ausgewählten Behandlungsansätzen und Aufgabenstellungen. Eine erste Orientierungshilfe für Neueinsteiger*innen im Arbeitsfeld Maßregelvollzug.

Rezension von
Dr. phil. Gernot Hahn
Diplom Sozialpädagoge (Univ.), Diplom Sozialtherapeut
Leiter der Forensischen Ambulanz der Klinik für Forensische Psychiatrie Erlangen
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Es gibt 180 Rezensionen von Gernot Hahn.

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ISSN 2190-9245