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Frithjof Zerger: Klassen, Milieus und Individualisierung

Rezensiert von Prof. Dr. Nicole Biedinger, 22.11.2024

Cover Frithjof Zerger: Klassen, Milieus und Individualisierung ISBN 978-3-593-36480-3

Frithjof Zerger: Klassen, Milieus und Individualisierung. Eine empirische Untersuchung zum Umbruch der Sozialstruktur. Campus Verlag (Frankfurt) 2024. 278 Seiten. ISBN 978-3-593-36480-3. 34,77 EUR.
Reihe: Campus Forschung - Band 811.

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Thema

Die Monografie beschäftigt sich mit dem wahrgenommenen Paradigmenwechsel von Klassen- und Schichtkonzepten hin zu Milieu- und Lebensstilkonzepten. Ziel dieses ursprünglich als Dissertation herausgegebenen Werkes ist es, die verschiedenen Sozialstrukturkonzepte empirisch zu beleuchten und deren jeweiligen Stärken und Schwächen herauszuarbeiten. Dabei wird auf Daten aus den Jahre 1992/93 zurückgegriffen und die Erklärungskraft von dem klassischen Klassenkonzept nach John Goldthorpe und den Sinus-Milieus analysiert.

Autor

Frithjof Zerger ist Soziologe, arbeitet freiberuflich als Markt- und Sozialforscher sowie als Berater für Unternehmens- und Organisationsentwicklung.

Inhalt

Das Buch gliedert sich in acht Kapitel, die im Folgenden jeweils kurz umrissen werden. Die ursprüngliche Dissertation aus dem Jahr 2000 entspricht dem klassischen Aufbau einer empirischen Forschungsarbeit.

Kapitel 1 beschäftigt sich mit der klassischen Ungleichheitsforschung und hinterfragt diese kritisch. Dabei liegt der Fokus vor allem auf Karl Marx und Max Weber. Davon ausgehend wird der Blick auf die Kritik dieser herkömmlichen Ungleichheitskonzepte gerichtet und der zunehmende Wunsch nach einer Neuorientierung der Sozialstrukturforschung beschrieben. Das Kapitel schließt mit der Feststellung, dass die Ungleichheitsforschung gegenwärtig (also im Jahr 2000!) zwischen dem Festhalten am Klassenparadigma und einer Neuorientierung hin zu Lebensstil- und Milieuansätzen schwankt. Kapitel 2 beschreibt dann genau diese beiden Hauptansätze. Besonders ausführlich wird hier auf das Klassenschema von John Goldthorpe und von Erik O. Wright eingegangen. Bei den Milieuansätzen liegt der Fokus auf die Einteilung nach dem Sinus-Institut, das sich vor allem an Werten orientiert. Es wird aber auch auf einen eher verhaltensorientierten Milieuansatz nach Gerhard Schulz eingegangen.

Im 3. Kapitel geht es dem Kern nach darum, auf das bevorstehende empirische Kapitel hinzuleiten, also die offenen empirischen Fragen darzustellen. „[…] es soll geklärt werden, ob die Konzepte über die reine Zugehörigkeit zu einer Klasse bzw. einem Milieu hinaus die Identifizierung einer Art »allgemeinen« Ungleichheitslage zulassen. Die zweite Frage zielt darauf, inwiefern sich auf Basis der Klassen- oder Milieuzugehörigkeit unterschiedliche gesellschaftlich-politische Einstellungen erklären lassen.“ (Zerger 2024: 14) Die Kapitel vier bis sechs umfassen dann die empirischen Analysen. Nach einer kurzen Einführung werden die beiden Ansätze anhand von zunächst deskriptiven Beschreibungen zur Verteilung nach Geschlecht, Alter und Bildung und im Anschluss durch verschiedene Regressionsanalysen zur Erklärung von verschiedenen Einstellungen und dem Wahlverhalten einem Test unterzogen. In Kapitel 7 werden die beiden Ansätzen dann in gemeinsamen Modellen miteinander verglichen. Die jeweiligen Kapitel schließen mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse an, die schließlich im abschließenden Kapitel 8 im Fazit zusammengeführt werden.

Inhaltlich kommt der Autor zu dem Schluss, dass beide Konzepte im Vergleich zur Erklärungskraft von Einzelindikatoren wie z.B. Geschlecht, Erwerbsstatus, Familien enorm schwach sind und keinen nennenswerten Beitrag zur Erklärung von Einkommensungleichheit, gesellschaftlich-politischen Einstellungen oder Wahlverhalten leisten können. Es scheint, als eignen sich beide Ansätze vor allem zur Deskription. Ursachen sieht der Autor teilweise in der empirischen Umsetzbarkeit und im Falle der Sinus-Milieus auch bereits in deren theoretischen Fundierung der Ansätze. Im Fazit wird daher eine Reformierung des Klassenkonzepts gefordert, jedoch wird kein Versuch unternommen dies umzusetzen oder konkrete Ideen dazu zu liefern. Der Fokus liegt auf der Benennung der Herausforderungen, die zu lösen sind. Dabei werden klare Anforderungen an ein neues Konzept gestellt, das vor allem geschlechtsspezifische Unterschiede berücksichtigen sollte, aber auch unterschiedliche Formen des Zusammenlebens oder auch Kohorteneffekte stärker mit einbinden sollte.

Diskussion

Das Werk widmet sich einem soziologischen Hauptthema, nämlich der Sozialstrukturanalysen und hinterfragt die Aktualität und Angemessenheit von klassischen soziologischen Ansätzen. Hierbei stellt sich mir die Frage, warum dieses Werk in einer unbearbeiteten neuen Auflage herausgebracht wurde. Auch wenn die Arbeit ursprünglich ein aktuelles und relevantes Thema behandelte, so stellt sich mir 24 Jahre später die Frage, ob man die Arbeit nicht einer kompletten Aktualisierung hätte unterziehen müssen. Beispielhaft sei hier erwähnt, dass die verwendeten Daten noch mit der Deutschen Mark arbeiten, was u.a. ein Aspekt ist, der in dieser langen Zeitspanne eine enorme Veränderung darstellt. Aber auch Wahlverhalten und andere Einstellung oder auch neuere Operationalisierungen wurden nicht eingebunden. Gerade die neue Forschung im Bereich der Sozialstrukturanalyse hat zahlreiche andere Konzeptualisierungen und auch Neuerungen der genannten Konzepte hervorgebracht, die in der neuen Auflage nicht berücksichtigt werden (z.B. EGP-Schema).

Fazit

Die Dissertation umschreibt die klassischen Klassenschemata und Milieuansätzen mit einem Fokus auf John Goldthorpe und die Sinus-Milieus. Diese beiden Ansätze werden auch bezogen auf deren Erklärungskraft gegenübergestellt. Dabei zeigt sich zwar, dass die Milieuansätze besser in der Lage sind, die gesellschaftspolitischen Einstellungen und das Wahlverhalten zu erklären, dass in Summe jedoch beide Ansätze eher zur Beschreibung von Sozialstrukturen geeignet sind. Leider handelt es sich um eine unbearbeitete Neuauflage aus dem Jahr 2000, sodass keine neueren Ansätze bzw. Überarbeitungen von den genannten Ansätzen oder neuere Forschungsergebnisse berücksichtigt werden.

Rezension von
Prof. Dr. Nicole Biedinger
Empirische Sozialforschung und Soziologie
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Es gibt 4 Rezensionen von Nicole Biedinger.

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Zitiervorschlag
Nicole Biedinger. Rezension vom 22.11.2024 zu: Frithjof Zerger: Klassen, Milieus und Individualisierung. Eine empirische Untersuchung zum Umbruch der Sozialstruktur. Campus Verlag (Frankfurt) 2024. ISBN 978-3-593-36480-3. Reihe: Campus Forschung - Band 811. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32555.php, Datum des Zugriffs 13.12.2024.


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