Heinz Cornel, Thomas Trenczek: Strafrecht und Soziale Arbeit
Rezensiert von Prof. Dr. Claudio Domenig, 23.04.2025

Heinz Cornel, Thomas Trenczek: Strafrecht und Soziale Arbeit. Lehrbuch. Nomos Verlagsgesellschaft (Baden-Baden) 2024. 2., aktualisierte und erweiterte Auflage. 295 Seiten. ISBN 978-3-7560-1544-3. D: 26,00 EUR, A: 26,80 EUR.
Thema
Strafrecht ist ein für Professionelle der Sozialen Arbeit bedeutsames Fachgebiet. Zu den relevanten Arbeitsfeldern zählen namentlich die Gerichtshilfe, die Soziale Hilfe im Strafvollzug und die Bewährungshilfe wie auch die Jugendhilfe im Strafverfahren, die Suchtberatung und die Opferhilfe.
Das Zusammenwirken von Strafrecht und Sozialer Arbeit soll – wenn auch mit unterschiedlichen Funktionen und Handlungslogiken – der sozialen Integration der Betroffenen dienen.
Autoren
Prof. Dr. Heinz Cornel ist Jurist, Sozialpädagoge und Kriminologe und emeritierter Professor an der Alice Salomon Hochschule Berlin. Er war über 30 Jahre Vorstandsmitglied der DVJJ-Landesgruppe Berlin und 6 Jahre Präsident des DBH-Fachverbandes für Soziale Arbeit, Strafrecht und Kriminalpolitik.
Prof. Dr. iur. Thomas Trenczek, M.A. soz., ist Professor an der Ernst-Abbe-Hochschule Jena für Öffentliches, Jugend- und Strafrecht sowie Mediation und Konfliktmanagement. Er verfügt über Praxiserfahrungen u.a. in der Justiz, im Kreis- und Landesjugendamt und ist akkreditierter Mediator und Lehrtrainer.
Entstehungshintergrund
Das Werk versteht sich sowohl als Lehrbuch des Strafrechts wie auch als Buch für die Praxis. Es richtet sich insbesondere an Studierende und Fachkräfte der Sozialen Arbeit im weiten Sinne – letztlich an alle Fachpersonen, die im Rahmen der strafrechtlichen Sozialkontrolle betroffenen Menschen Unterstützung und Hilfe leisten. Das Lehrbuch soll diesen Fachpersonen dazu dienen, die Prozesse und Strukturen des Strafrechts zu verstehen, mit Strafrechtler*innen auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten und für ihre Klient*innen wirksam zu werden.
Die 2024 erschienene 2. Auflage des Lehrbuchs aktualisiert und erweitert die 2019 publizierte Erstauflage. Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur sowie statistische Daten sind bis März 2024 berücksichtigt.
Aufbau
Das Lehrbuch führt zunächst in die Grundlagen des Strafrechts ein und erläutert die strafrechtliche Dogmatik, um sodann das Strafverfahren und die Sanktionen zu behandeln. In weiteren Kapiteln werden das Jugendstrafrecht und die Restorative Justice beleuchtet. Das abschließende Kapitel ist dem Arbeitsfeld Delinquenz, Strafrecht und Soziale Arbeit gewidmet. Mit insgesamt 32 Abbildungen werden die Inhalte veranschaulicht. Konkret ist das Buch wie folgt strukturiert:
- Allgemeine Grundlagen
- Die Straftat
- Das Strafverfahren
- Strafrechtliche Sanktionen
- Jugendstrafrecht
- Restorative Justice
- Arbeitsfeld Delinquenz, Strafrecht und Soziale Arbeit
Abgerundet wird das Lehrbuch durch ein umfangreiches Literaturverzeichnis sowie ein der Orientierung dienliches Stichwortverzeichnis.
Inhalt
Allgemeine Grundlagen
Im einleitenden Kapitel werden zunächst die Bezüge von Strafrecht und Sozialer Arbeit beleuchtet sowie die Struktur und Bereiche des Strafrechts aufgezeigt.
Vertieft werden sodann die Funktion und die Grundsätze des Strafrechts diskutiert. Als Teil des Systems der sozialen Kontrolle knüpft das Strafrecht an die besondere Sozialschädlichkeit eines Verhaltens und bezweckt durch dessen Strafbarkeit den Rechtsgüterschutz. Hervorgehoben wird dabei das Gebot der Verhältnismäßigkeit als Wesensmerkmal der Rechtsstaatlichkeit. Nach einer kompakten Darlegung der Kritikpunkte am Strafrecht bzw. seiner Praxis werden einige zentrale Grundmaximen des Strafrechts aufgezeigt und exemplarisch anhand des Bestimmtheitsgebots erläutert.
In einem Exkurs zum Polizeirecht wird dessen Zweck der Gefahrenabwehr benannt und zugleich auf die Problematik verwiesen, dass Prävention uferlos werden kann, weshalb das Vorliegen nicht nur einer abstrakten, sondern einer konkreten Gefahr erforderlich ist.
Die Straftat
In diesem Kapitel werden zunächst die Grundvoraussetzungen der Strafbarkeit (Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld) aufgezeigt. Dabei werden jeweils spezifische Bezüge zur Sozialen Arbeit hergestellt. So erfolgt bei der Erörterung des Rechtfertigungsgrunds der Notwehr eine kritische Auseinandersetzung mit allfälligen Einschränkungen des Notwehrrechts bei engen persönlichen Beziehungen. Der Rechtfertigungsgrund des Notstands wird im für die Praxis der Sozialen Arbeit wichtigen Kontext der Schweigepflicht diskutiert und dabei die Bedeutung von Vertraulichkeit und Vertrauensschutz verdeutlicht. Bei der Schuld, verstanden als strafrechtliche Verantwortungsfähigkeit, werden die Richtwerte der Rechtsprechung bezüglich der Auswirkungen des alkoholbedingten Rausches auf die Schuldfähigkeit benannt.
Sodann werden die Deliktsformen (Versuch und Vollendung, aktives Tun und Unterlassen, Täterschaft und Teilnahme) aufgezeigt. Erhellend ist dabei – im Bereich der Garantenpflicht – der Konnex zum Schutzauftrag der Fachkräfte (namentlich der Jugendämter) und den hierfür notwendigen personellen Ressourcen: Ein dem Bedarf angemessenes Hilfeangebot impliziert hier auch eine politische Verantwortung.
Der dritte Teil des Kapitels ist den Deliktsbereichen gewidmet. Nach einer Darstellung der vor allem im medialen Interesse stehenden Gewaltkriminalität, der Sexualstraftaten und des Schwangerschaftsabbruchs werden die Diebstahls- und Vermögensdelikte behandelt, die etwa 2/3 aller registrierten Straftaten ausmachen und denen somit eine große Praxisrelevanz zukommt. Im Rahmen der Darstellung des Drogenstrafrechts wird das per 01.04.2024 in Kraft getretene Cannabisgesetz kritisch diskutiert. Spezifisch für Fachkräfte der Sozialen Arbeit sind sodann die Ausführungen zum strafrechtlichen Daten- und Vertrauensschutz relevant, wobei namentlich deren bislang fehlendes allgemeines Zeugnisverweigerungsrecht im Strafverfahren kritisch beleuchtet wird. Abschließend wird der strafrechtliche Kinder- und Jugendschutz dargestellt und dabei u.a. das im 2021 verabschiedete Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder thematisiert.
Das Strafverfahren
Nach den bisherigen Ausführungen zum materiellen Strafrecht wendet sich das Lehrbuch in diesem Kapitel dem formellen Strafrecht zu. Dabei werden zunächst die Verfahrensbeteiligten benannt und die Prozessmaximen (etwa die Unschuldsvermutung) beschrieben. Sodann wird der Ablauf des Strafverfahrens – vom Ermittlungsverfahren über das Zwischen- und Hauptverfahren bis zum Strafvollstreckungsverfahren – spezifisch aufgezeigt und mittels Abbildungen veranschaulicht. Vertieft wird sodann auf die Besonderheiten bei Festnahme und Untersuchungshaft (wie auch auf den Europäischen Haftbefehl) eingegangen. Dabei werden die rechtsstaatlich heiklen wie auch die potenziell sozialschädlichen Aspekte der Untersuchungshaft kritisch benannt. Empirische Daten zur U-Haft(-Vollstreckung) runden das Kapitel ab.
Strafrechtliche Sanktionen
In diesem Kapitel wird zunächst strafrechtsphilosophisch der Sinn und Zweck der staatlichen Strafe diskutiert. Von den absoluten Straftheorien nach Kant und Hegel zu den relativen, auf General- bzw. Spezialprävention ausgerichteten Theorien werden zunächst die „klassischen“ Legitimationen dargelegt und kritisch hinterfragt, bevor auf neuere, expressive Begründungen und alternative Denkansätze wie die Restorative Justice eingegangen wird.
Ein Exkurs zur Kriminalprävention beleuchtet die ambivalenten Facetten dieses schillernden und vagen Begriffs, welcher mit einer zunehmenden Betonung der Sicherheitsinteressen der Gesellschaft im derzeitigen fachlichen und politischen Diskurs hohe Bedeutung hat. Betont wird die Bedeutung einer langfristigen Perspektive kriminalpräventiver Programme im Sinne einer sozialpolitischen Verbesserung der Lebensverhältnisse.
In der Folge werden die Sanktionsarten (Freiheitsstrafe, Geldstrafe, Auflagen, Nebenstrafen und Nebenfolgen sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung) dargestellt. Ausführungen zur Strafzumessung (bzw. Möglichkeiten der Strafmilderung) und zum Gnadenrecht beschliessen dieses Kapitel.
Jugendstrafrecht
Den Besonderheiten des Jugendstrafrechts ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Einleitend werden Grundsätze und das Ziel des Jugendstrafrechts benannt, namentlich der Erziehungsgedanke als Begrenzung der strafrechtlichen Orientierung. Hingewiesen wird auch auf die Zweispurigkeit der jugendrechtlichen Sozialkontrolle, welche einerseits das Jugendstrafrecht, andererseits das Jugendhilferecht umfasst.
Sodann werden die Besonderheiten des Verfahrens im Jugendstrafrecht dargelegt und illustriert. Ein weiterer Abschnitt ist den Besonderheiten der Sanktionen im Jugendstrafrecht gewidmet. Dabei erfolgt nebst den jugendstrafrechtlichen Rechtsfolgen auch eine Bezugnahme auf die Leistungen der Jugendhilfe (nach SGB VIII), bezüglich welcher dem Jugendamt die Entscheid- und Steuerungsverantwortung zukommt. Vertieft und kritisch (namentlich in Bezug auf das Kriterium der „schädlichen Neigungen“ des Jugendlichen) wird sodann die Jugendstrafe thematisiert.
Restorative Justice
Auf den Täter-Opfer-Ausgleich (TOA) als den im deutschsprachigen Raum vorherrschenden Anwendungsbereich der Restorative Justice wird in dem Lehrbuch an diversen Stellen hingewiesen. In diesem Kapitel wird Restorative Justice (RJ) als Gerechtigkeitskonzept weiter erläutert. Dabei werden die Wesenselemente der RJ erkundet, namentlich die Wiederbelebung der Opferperspektive durch Partizipation und Wiedergutmachung, der Gemeinwesenansatz („Community“ als soziale Gemeinschaft von persönlichen Beziehungen, Einbezug von Freiwilligen) und das teils vertretene Verständnis von RJ als neues Paradigma einer ganzheitlichen Konfliktregelung.
Hinsichtlich der Implementierung von RJ in Deutschland wird die Regelung und Praxis des TOA diskutiert. Erhellend ist dabei die Differenzierung zwischen den Begriffen der Mediation und des TOA, bzw. des Vermittlungsverfahrens und der strafrechtlichen Bewertung der erfolgten Ausgleichs- und Wiedergutmachungsbemühungen. Auch für letztere ist allerdings ein kommunikativer Prozess erforderlich.
Weiter wird auf die Vorgaben der Europäischen Opferschutzrichtlinie (EOR) eingegangen und kritisch bemerkt, dass die darin geforderten Qualitätsanforderungen für die Durchführung der Wiedergutmachungsdienste bislang strafrechtlich nicht hinreichend normiert sind. Stattdessen wird dargelegt, wie das Mediationsgesetz betreffend Mindeststandards in der Vermittlung strafrechtlich relevanter Konflikte beigezogen werden kann. Abschließend wird auf empirische Befunde zur Nutzung und Wirksamkeit von RJ-Ansätze hingewiesen, wobei die festgestellten positiven Effekte mit der seltenen Nutzung von RJ in der Praxis kontrastieren.
Arbeitsfeld Delinquenz, Strafrecht und Soziale Arbeit
In diesem umfangreichen letzten Kapitel werden die zentralen Arbeitsfelder der Sozialen Arbeit im Kontext des Strafrechts vertieft dargelegt. Unter dem zusammenfassenden Begriff „Soziale Dienste der Justiz“ werden zunächst die Gerichtshilfe und sodann die Bewährungshilfe sowie die Führungsaufsicht behandelt. Dabei werden auch Herausforderungen wie das Doppelmandat von Hilfe und Kontrolle, die problematisch hohe Fallbelastung der Bewährungshilfe und der Umgang mit der im kriminalpolitischen und fachlichen Diskurs verstärkten Risikoorientierung thematisiert.
Ein weiterer Abschnitt ist der Jugendhilfe im Strafverfahren gewidmet. Dabei wird die Zweispurigkeit der öffentlichen Sozialkontrolle gegenüber jungen Menschen mittels Jugendhilferecht und Jugendstrafrecht veranschaulicht und das Verhältnis dieser Systeme und Institutionen in ihren Spannungen wie auch ihrer Kooperation aufgezeigt. Spezifisch werden die Aufgaben des Jugendamts bezüglich der Erforschung der Persönlichkeit, der Hilfeplanung und der Mitwirkung in Form von Stellungnahmen beleuchtet.
Sodann wird die Soziale Hilfe im Strafvollzug in ihren strukturellen Bedingungen behandelt, und die zu leistenden sozialarbeiterischen Hilfen werden im Einzelnen ausgeführt. Weiter werden die Freien Träger der Straffälligenhilfe, deren Bedeutung namentlich im Übergangsmanagement, sowie deren Vielfalt an Organisationsformen und an Hilfeangeboten dargestellt. Last but not least werden die Opferhilfe und Opferberatung als bedeutsame Arbeitsfelder vorgestellt.
Diskussion
Das Lehrbuch überzeugt durch seinen – trotz des kompakten Umfangs – hohen Informationsgehalt, wobei auch komplexe strafrechtliche Konzepte anschaulich und gut verständlich vermittelt werden. Der Aufbau des Buches und die Systematik der Darstellung ist schlüssig und sinnvoll. Das Werk bietet breites Grundlagenwissen wie auch exemplarische Vertiefungen, es zeigt historische Bezüge ebenso wie aktuelle gesetzliche und praktische Entwicklungen auf. Über die juristische Perspektive hinaus erfolgt jeweils eine sozialwissenschaftliche Darstellung mit empirischen Bezügen und eine Diskussion der kriminalpolitischen Entwicklungen. Die vielfältigen Bezüge zur Sozialen Arbeit werden klar herausgearbeitet, was für die damit angesprochene Leserschaft auch die Zugänglichkeit der juristischen Inhalte erhöht.
Die Autoren nehmen wiederholt auch eine kritische Position gegenüber strafrechtlichen Praktiken und kriminalpolitischen Forderungen ein. Sie tun dies differenziert und umsichtig und leisten damit auch einen Beitrag zu einem reflektierten professionellen Diskurs. Das Lehrbuch gibt somit nicht nur angehenden und praktizierenden Fachkräften der Sozialen Arbeit ein hilfreiches Instrument zur Hand. Es dient auch Jura-Studierenden und strafrechtlichen Praktiker*innen, einerseits als Einführung in das Fachgebiet oder als entsprechende Repetition, und andererseits zur Förderung des gegenseitigen professionellen Verständnisses in diesem interdisziplinären Feld.
Zu begrüßen ist namentlich die fundierte Darlegung der Restorative Justice als einem zwar in der Praxis noch vernachlässigten, aber hinsichtlich der empirischen Befundlage bemerkenswerten und daher stärker zu fokussierenden Ansatz. Während darauf hingewiesen wird, dass Restorative Justice mehr ist als TOA (oder was unter diesem Begriff praktiziert wird), könnten die möglichen Anwendungen noch weiter ergründet werden – etwa im Stadium des Strafvollzugs. Bei dieser Implementierung könnte auch Fachpersonen der Sozialen Arbeit eine Schlüsselrolle zukommen.
Fazit
Das Buch öffnet Türen, wo zuweilen Mauern und Gitter bestehen: Es schafft Verständnis für das System des Strafrechts und für die zentralen Arbeitsfelder der Sozialen Arbeit im Kontext des Strafrechts. Damit empfiehlt sich das Lehrbuch gleichermaßen für Studierende der Sozialen Arbeit wie für Praktizierende im Strafrecht.
Rezension von
Prof. Dr. Claudio Domenig
Executive MPA, Mediator FSM, Dozent an der Berner Fachhochschule Soziale Arbeit
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