Chris Argyris, Donald A. Schön: Die lernende Organisation
Rezensiert von Prof. Dr. Christian Philipp Nixdorf, 27.12.2024
Chris Argyris, Donald A. Schön: Die lernende Organisation. Grundlagen, Methode, Praxis.
Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft · Steuern · Recht GmbH
(Stuttgart) 2024.
3. Auflage.
313 Seiten.
ISBN 978-3-7910-6186-3.
D: 34,99 EUR,
A: 36,00 EUR.
Reihe: Systemisches Management. Management-Klassiker. In Beziehung stehende Ressource: ISBN: 9783791061696. In Beziehung stehende Ressource: ISBN: 9783791061825.
Autoren
Chris Argyris (1923 –2013) war ein US-amerikanischer Wirtschaftstheoretiker und Professor an der Yale School of Management und der Harvard Business School. Er gilt als wegweisender Autor auf dem Gebiet der Organisationsentwicklung und des organisationalen Lernens.
Donald A. Schön (1930-1997) war ein US-amerikanischer Philosoph und Professor für Stadtplanung am Massachusetts Institute of Technology. Er entwickelte u.a. das Konzept reflexiver Praxis und trug maßgeblich zur Entwicklung einer Theorie des organisationalen Lernens bei.
Thema
„Die Lernende Organisation“ von Chris Argyris und Donald Schön gilt als Klassiker der Management-Literatur, der auch heute, fast 30 Jahre nach dem erstmaligen Erscheinen (1996 im englischen Original) nichts an Relevanz eingebüßt hat. Das liegt vor allem daran, dass die Autoren keine modernen Trends beleuchten, wie sie im Management reichlich existieren. Argyris & Schön setzen sich sachlich und immer mit Blick auf den Anwendungsbezug damit auseinander, was Lernen von und in Organisationen bedeutet, wie es gelingen kann, welche Voraussetzungen dafür existieren und was das organisationale Lernen vom personalen, individuellen Lernen unterscheidet. Auch Fallstricke und mögliche Schwächen dieses Lernprozesses werden beleuchtet. Die Autoren haben ein grundlegendes Werk über Organisationsentwicklung und Lernen verfasst, in dem sie umfänglich beschreiben, wie Organisationen durch Lernen erfolgreich sein können.
Aufbau und Inhalt
Das Buch beginnt mit einer Einführung, in welcher die Autoren schildern, dass und warum ihnen zunächst mit Skepsis begegnet wurde, als sie ihre Theorie von der lernenden Organisation auszuarbeiten begannen. Viele ihrer Kritiker:innen hätten die These vertreten, dass nur Individuen lernen könnten, nicht jedoch Organisationen. Das allerdings sehen Argyris & Schön deutlich anders. Sie schildern diesbezüglich zunächst, was eine Organisation sei, warum auch diese lerne und was individuelles Lernen vom organisationalen unterscheide.
„Organisationales Lernen findet statt, wenn Einzelne in der Organisation eine problematische Situation erleben und sie im Namen der Organisation untersuchen“, erklären Argyris & Schön (S. 31). Organisationen, die lernen, erlebten „eine überraschende Nichtübereinstimmung zwischen erwarteten und tatsächlichen Aktionsergebnissen und reagieren darauf mit einem Prozess von Gedanken und weiteren Handlungen“, der sie dazu brächte „ihre Vorstellungen von der Organisation oder ihr Verständnis organisationaler Prozesse abzuändern und ihre Aktivitäten neu zu ordnen, damit Ergebnisse und Erwartungen übereinstimmen, womit sie die handlungsleitende Theorie von Organisationen ändern“ (ebd.).
Um organisational zu werden, müsste Lernen, welches sich aus Untersuchungen in der Organisation ergäbe, in den Bildern der Organisation verankert werden, die in den Köpfen ihrer Mitglieder existierten (S. 31 f.). Dabei sei es von Vorteil, drei Arten produktiven Lernens bei Organisationen zu unterscheiden, nämlich instrumentales Lernen, das zur Verbesserung der Aufgabenerbringung führe, Untersuchungen, mit denen die Organisation ihre Werte und Umwelt erkunde wie auch Untersuchungen, die das Erst- und Zweitgenannte Lernen förderten (S. 35).
Als relevant für das Verständnis organisationalen Lernen benennen die Autoren die Unterscheidung von Single-Loop-Lernen und Double-Loop-Lernen (S. 36 ff.). Single-Loop-Lernen geschieht Argyris & Schön zufolge, wenn eine Organisation Fehler erkenne und korrigiere, indem sie Anpassungen innerhalb des bestehenden Rahmens von Regeln und Normen vornehme. Die Organisation konzentriere sich auf Effizienz und Verbesserungen, ohne die zugrunde liegenden Annahmen in Frage zu stellen. Wenn der Umsatz eines Unternehmens sinke, reagiere es möglicherweise mit verstärkten Marketingbemühungen, ohne die eigentliche Strategie und den Kern des eigenen Tuns selbst in Frage zu stellen.
Single-Loop-Lernen (SLL) könne mit der Lösung eines Problems durch schrittweise Änderungen verglichen werden, z.B. durch Anpassen des Thermostats, wenn ein Raum zu heiß oder zu kalt ist. Der Fokus liege auf der Aufrechterhaltung des Status Quo durch die Korrektur von Abweichungen von einem festgelegten Standard. Während Single-Loop-Lernen die Effizienz steigern könne, sei die damit einhergehende Fähigkeit, tiefere, systemische Probleme anzugehen, begrenzt. SLL könne eine Kultur der schnellen Lösungen schaffen (quick and dirty), anstatt Innovationen oder langfristige Veränderungen zu fördern.
Beim Double-Loop-Lernen (DLL) hingegen erkenne die Organisation nicht nur Fehler, sondern hinterfrage und modifiziere auch ihre zugrunde liegenden Strategien oder Annahmen. Dies sei eine nachhaltigere, tiefere Form des Lernens, die zu transformativen Veränderungen führe. Wenn also – um in diesem Beispiel zu bleiben – der Umsatz eines Unternehmens sinke, könnte die Organisation, statt nur das Marketing zu erhöhen, prüfen, ob ihr Produkt für den Markt überhaupt noch in der bestehenden Form relevant ist oder ob sich die Bedürfnisse der Kund:innen geändert hätten.
Double-Loop-Lernen fördert also einen grundlegenden Wandel im Denken. Es handele sich um einen Untersuchungsprozess, bei dem etwa gefragt werde: „Warum befolgen wir diese Regel oder diesen Prozess?“ Ist das überhaupt noch aktuell? Gelten unsere Annahmen noch?“ Die Organisation überprüfe ihre Ziele, Strategien und Normen somit im DLL grundlegend und adaptiere diese bei Bedarf. Der Vorteil des DLL sei, dass es ein Umfeld fördere, in dem Mitarbeitende ihre Annahmen systematisch hinterfragten und achtsamer seien, was zu transformativen Veränderungen führen könne und die Organisation damit resilienter machen. DLL sei der Schlüssel für Unternehmen, die mit disruptiven Veränderungen konfrontiert sind oder Innovationen benötigten, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Wie essenziell das sei und was dabei herausfordern sein könne, wird von den Autoren an dem Beispiel der Mercury-Corporation, eines Chemieunternehmens, erläutert (S. 66 ff.)
Herausfordern sei Double-Loop-Lernen mitunter deshalb, weil in Organisationen oftmals Beharrungstendenzen und defensive Routinen existierten, die umfassende Neuerungen blockierten (S. 87 ff.). Unter solchen defensiven Routinen verstehen die Autoren Mechanismen, die Menschen und Organisationen nutzen, um Konflikte oder schwierige Probleme zu vermeiden, die mit Lernen unweigerlich einherginge. Defensive Routinen hielten die Organisation in einem Zustand des Single-Loop-Lernens und verhinderten so tiefergehende Reflexion und Veränderung, sind Argyris & Schön überzeugt.
Defensive Routinen betrachten sie als unbewusste oder bewusste Verhaltensweisen, die Einzelpersonen oder Gruppen nutzten, um sich vor Unbehagen, Peinlichkeit oder Bedrohung zu schützen. Dazu gehöre es, schwierige Gespräche zu vermeiden, externen Faktoren die Schuld zuzuschieben oder die Verantwortung für Fehler abzulehnen. Das habe negative Auswirkungen auf das Lernen, denn es verhindere kritische Reflexion, hemme Feedback und blockiere echtes organisatorisches Lernen. Wenn Unternehmen defensiv werden, blieben sie beim Lernen in einer einzigen Schleife und vermieden eine tiefere Reflexion, die zu sinnvollen Veränderungen führen könnte, erklären Argyris & Schön.
Wie solche defensiven Routinen konkret aussehen können, wird anhand des Falls des Chief Information Officers eines großen Elektronikunternehmens beschrieben (S. 97 ff.). Unklarheiten, Mehrdeutigkeit, Unbeweisbarkeit, verstreute und zurückgehaltene Information, Undiskutierbarkeit, Unsicherheit und Widersprüchlichkeit seien einige der zentralen Aspekte, die Defensiven und Irrtümer hervorbringen könnten. Wie Unternehmen damit adäquat umgehen könnten, wird im Buch beschrieben (S. 103 ff.). Ebenso wird darauf eingegangen, wie der technisch-konkrete Bereich des Organisationslebens durch individuell-organisationales Abwehrverhalten erstickt werden könne und was das bedeute (S. 114 ff.).
Um mit solchen defensiven Routinen adäquat umgehen zu können bzw. um sie im Idealfall erst gar nicht entstehen zu lassen, betonen die Autoren die Wichtigkeit, die Organisation gezielt hin, auf Lernen auszurichten und Veränderungen positiv zu konnotieren (S. 121 ff.). Zwecks dessen stellen Sie ein „Modell eines Systems für das organisationale Lernen (O-II)“ (ebd.) vor, welches auf Double-Loop-Learning basiert. Sie beschrieben diverse begrenzte und umfassende Interventionsmöglichkeiten dieses O-II-Modells und halten die Bedingungen fest, unter denen diese jeweils genutzt werden können.
Im weiteren Textverlauf befassen sich Argyris & Schön damit, wie solche Interventionen geplant werden können. Zwecks dessen rekurrieren sie auf Protokolle aus zwei Seminaren mit 75 Führungskräften (S. 132 ff.), bevor sie am Beispiel eines Beratungsunternehmens im Detail ausführen, wie O-II-Lernen in einer Organisation gestaltet werden kann und welche Hürden dabei zu nehmen seien. Hierbei wird auch auf die Bedeutung von Gruppendynamiken für das Lernen (oder dessen Unterbleiben) in Organisationen eingegangen (S. 170 f.). Es bedürfe in der Organisation etablierte Systeme, die das Lernen unterstützen.
Dazu gehörten z.B. die Förderung einer offenen Kultur, in der Mitarbeiter:innen Annahmen hinterfragen und Wissen teilen können, ohne Angst vor Konsequenzen haben zu müssen. Auch eine offene Architektur, die Begegnungen fördere, sei hilfreich. Diese offene Kommunikation ermögliche es Organisationen, sich am Double-Loop-Lernen zu beteiligen. Dies zu leisten mag sich nicht allzu komplex anhören, es sei aber schon deshalb herausfordern, weil in Organisationen metaphorisch gesagt stets eine Art Vorderbühne und eine Hinterbühne existierten.
Argyris & Schön unterscheiden zwischen dem, was Organisationen sagen, was sie angeblich tun (vertretene Theorie) und dem, was sie tatsächlich in der Praxis tun (theoretische Anwendung). Oft bestehe zwischen beiden „Bühnen“ eine Lücke, die das Lernen behindere. Diese Lücke zu schließen sei für ein Unternehmen von entscheidender Bedeutung, um wirklich nachhaltig zu lernen und sich an schnell wandelnde Umwelten anzupassen bzw. die damit einhergehenden Herausforderungen und Chancen antizipieren zu können. Anpassungsfähigkeit und Innovation seien ebenso kennzeichnend für die lernende Organisation wie Offenheit und Transparenz.
Ebenso komme den Führungskräften eine entscheidende Bedeutung bei der Entwicklung einer lernenden Organisation zu. Diese müssten Double-Loop-Lernen modellieren, indem sie Offenheit für Feedback und die Bereitschaft zeigten, ihre eigenen Annahmen zu hinterfragen. Dies gäbe den Ton für die gesamte Organisation vor und ermutige andere, dasselbe zu tun. Damit Lernen in der Organisation gedeihe, müssten Führungskräfte ein sicheres Umfeld, eine angenehme Atmosphäre, schaffen, in dem sich Mitarbeitende wohl fühlten, Bedenken zu äußern, Feedback zu geben und neue Ideen vorzuschlagen, ohne Angst vor Strafe haben zu müssen.
Die lernende Organisation begreifen die Autoren als eine, die sich kontinuierlich weiterentwickelt und anpasst, indem sie aus ihren Erfahrungen lernt. Um das Lernen zu fördern, müsse eine solche Organisation einen offenen Dialog fördern und es Einzelpersonen ermöglichen, den Status quo in Frage zu stellen. Die Praxis in so manchen Unternehmen sei, dass Mitarbeitende eher abgestraft und gemaßregelt würden, wenn sie Risiken eingingen oder Fehler machten, aus denen gelernt werden könne. Diese Kluft zwischen vertretenen und angewandten Theorien zu überbrücken, sei für die Förderung einer authentischen Lernkultur von entscheidender Bedeutung.
Führungskräfte und Mitarbeiter müssten ihr Handeln an den erklärten Werten und Strategien der Organisation ausrichten und Systeme schaffen, die kontinuierliches Lernen tatsächlich ermutigten und wertschätzten. Organisationen müssten zwecks dessen Prozesse festlegen und klare Feedbackschleifen sowie Strukturen etablieren, die es ermöglichen, Fehler zu erkennen, Annahmen zu hinterfragen und neues Wissen zu generieren. Feedback-Mechanismen, die es den Mitarbeitenden ermöglichen, ehrliche, konstruktive Kritik zu geben und anzunehmen, trügen zur Förderung einer Lernkultur bei. Effektive Feedbacksysteme müssten dabei über Korrekturen auf oberflächlicher Ebene hinausgehen und tiefere Fragen der Organisationskultur und -strategie untersuchen.
Ebenso käme dem kollaborativen Lernen eine hohe Bedeutung in Organisationen zu. Effektive organisatorische Lernsysteme förderten die Zusammenarbeit zwischen Teams und Abteilungen, schildern Argyris & Schön. Sie förderten, eine Kultur, in der Wissen frei geteilt und unterschiedliche Perspektiven geschätzt werden. Organisationen, die die Konzepte des Single-Loop- und Double-Loop-Lernens übernähmen, seien besser für die Anpassung an Veränderungen gerüstet. Indem sie langjährige Richtlinien, Strategien oder Annahmen in Frage stellten, bleibe es wahrscheinlich(er), dass sie Innovation hervorbrächten. Gerade in solchen Umgebungen, in denen Innovation von entscheidender Bedeutung sei, spiele das Double-Loop-Lernen eine entscheidende Rolle.
Als Beispiel dafür nennen Argyris & Schön Technologieunternehmen, die Teams dazu ermutigten, systematisch und regelmäßig bisherige Annahmen zu hinterfragen, mit völlig neuen Ideen zu experimentieren und aus Fehlern zu lernen. Überdies werde in lernenden Organisationen der Wert disruptiver Innovation erkannt und gefördert, anstatt sich nur auf die Verbesserung bereits bestehender Technologien und Methoden zu konzentrieren. Zwecks dessen konzentrierten sich lernende Organisationen auf die Entwicklung der Fähigkeit ihrer Mitarbeitenden, kritisch zu denken und ihr Handeln zu reflektieren. Mitarbeitende seien engagierter, wenn sie das Gefühl hätten, dass ihre Einsichten und Beiträge wichtig sind und wenn sie sähen, dass sich die Führung für eine kontinuierliche Verbesserung einsetze.
Im letzten Teil des Buches befassen sich Argyris & Schön mit Stärken und Schwächen der Beratung und Forschung beim organisationalen Lernen. Neben einem Rekurs auf Fachliteratur zum organisationalen Lernen werden hier diverse Begrifflichkeiten wie Systemdynamik, Organisationskultur, Humankapitel usw. definiert (S. 193 ff.). Auch beschreiben die Autoren, warum organisationales Lernen als Paradoxon anzusehen sei, zumal Individuen die einzigen zum Lernen fähigen Subjekte sind, was manche Kritiker:innen zum Schluss brächte, dass so etwas wie organisationales Lernen nicht möglich sei. Ein Modell für organisationales Lernen müsse das Dilemma auflösen, Lernvermögen auch einem nicht menschlichen Gebilde zuzusprechen, ohne es mit menschlichen Eigenschaften auszustatten.
Ihr Ansatz zur Lösung der Paradoxie des organisationalen Lernens sei es, „die Verzahnung von Denken und Handeln, die Individuen bei der Interaktion zugunsten oder im Namen der Organisation praktizieren“, zu untersuchen, zumal dies sich in „Artefakten der Organisation wie Diagrammen, Speichern und Programmen niederschlagen“ (S. 200 f.). Argyris & Schön betonen, dass sie organisationales Lernen neutral betrachten und dass es nicht per se etwas Positives sei, sondern zunächst nur ein Anpassungsprozess, der gute oder schlechte Entwicklungen nach sich ziehen könne (schließlich könne die Organisation auch das „Falsche“ lernen).
Dies beleuchten die Autoren am Beispiel des Organisationsapparates der Nationalsozialisten, den Adolf Eichmann geschickt gelenkt und verwaltungstechnisch optimiert habe, was nicht anderes als ein organisationales Lernen sei und katastrophale Folgen nach sich zog. Im weiteren Textverlauf rekurrieren die Autoren auf Forschungsstudien über Anpassung und Lernen bei Organisationen (S. 211 ff.), die sie hinsichtlich ihrer Relevanz für das eigene Lernmodell kommentieren. Das Buch endet mit einem Nachwort, in dem nochmals zusammengefasst wird, wie sich das Lernparadox in Organisationen überwinden lasse und welche Ziele für Forschung zum organisationalen Lernen die Autoren als relevant erachten.
Diskussion
Was lässt sich zu dem Werk nun festhalten? Kann es empfohlen werden? Und wenn ja, für wen? Dazu kann der Rezensent Folgendes sagen: Das Werk richtet sich an Manager:innen im strategischen und operativen Bereich, an Unternehmensberater:innen und Lehrende sowie Studierende von Fächern wie BWL und Organisationspsychologie. Von Nutzen ist die Lektüre auch für Organisationsentwickler:innen die in der Planung, Umsetzung und Evaluation von arbeitsplatzbezogenem Lernen tätig sind. Das Buch ist in einem wissenschaftlichen Jargon verfasst, ohne dabei überkompliziert daherzukommen, was sicher auch ein Verdienst der guten deutschen Übersetzung ist.
Nichtsdestotrotz kann die Lektüre für Menschen, die sich mit Organisationsentwicklung und Change-Management noch nie befasst haben, herausfordernd sein. Die Autoren bieten ihren Leser:innen im Werk zahlreiche Tools an, die helfen können, organisationales Lernen zu initiieren, zu strukturieren und zu evaluieren, sie liefern allerdings keine Universallösungen bereithalten. Wer sich einen Handlungsleitfaden wünscht, wie genau vorgegangen werden kann, um eine Organisation zu einer reflektiert lernenden im Sinne des Double-Loop-Lernens zu machen, könnte enttäuscht werden. Übervereinfachung und Einheitlichkeit sind eindeutig nicht die Sache der Autoren. Argyris & Schön stellen einer konkreten Systematik ihr relativ offenes O-II-Lernsystem gegenüber, welches keine zu gehenden Schritte spezifiziert. Ein Patentrezept für organisationales Lernen findet sich im Buch daher nicht.
Ein solches kann es ob der Komplexität und der Unterschiedlichkeit von Lernerfahrungen und -erfordernissen von Organisationen zwar auch nicht geben, wohl aber hätten einige Darlegungen dazu, wie Führungskräfte ganz konkret vorgehen können (nicht müssen), um nachhaltiges Lernen in und von ihrer Organisation zu befördern, dem Buch gutgetan. Wer daran interessiert ist, dem kann Peter Senges ebenfalls bei Schäfer & Poeschel erschienenes Werk „Die fünfte Disziplin: Kunst und Praxis der lernenden Organisation“ (2011) empfohlen werden, welches deutlich handlungspraktischer und weniger wissenschaftlich daherkommt.
„Die Lernende Organisation“ ist mit über 300 Seiten ziemlich umfangreich und an manchen Stellen redundant, zumal auf die Charakteristika des Single- und Double-Loop-Lernens an vielen Stellen im Buch eingegangen wird. Das ist aber nicht negativ zu sehen, zumal Redundanz dem Lernen ja durchaus zuträglich ist. Die Lektüre des Buches macht denn auch schnell deutlich, warum das Werk zurecht als zeitloser Management-Klassiker gilt, der seit seiner ersten Veröffentlichung vor bald 30 Jahren international einen enormen Einfluss auf Organisationsentwicklung, Unternehmensberatung, Wissens- und Change-Management sowie modernes Führungsverhalten hatte und weiterhin hat.
Obgleich das Buch erstmals in einer Zeit erschienen ist, in der um das Konzept der lernenden Organisation in Management-Kreisen ein gewisser „Hype“ herrschte (zu nennen sind hier u.a. Autoren wie James March, Ikujiro Nonaka, Peter Senge, Thomas H. Davenport, Laurence Prusak und Edgar Schein), springen Argyris & Schön nicht auf den Hype-Zug auf. Ihre Analyse ist weitgehend zeitlos. Ihre Vorstellung vom organisationalen Lernen ist kein Management-Modetrend, der immer mal wieder aufkommt und verschwindet (wie aktuell etwa Holokratie und Agilität). Vielmehr befassen sie sich ganz grundsätzlich mit der Frage, ob und wie Organisationen lernen, wie das aussehen kann, was es bringen kann, wo die Gefahren lauern und was erforderlich ist, um Lernen zu befördern und aufrechtzuerhalten.
Die Lektüre macht deutlich, was individuelles Lernen von Menschen von organisationalem Lernen unterscheidet, wobei Ersteres dennoch maßgeblich für den Erfolg des Letzteren ist. Positiv ist dabei, dass die Autoren unaufgeregt sachlich auch auf Kritik an ihrer Vorstellung des organisationalen Lernens eingehen, sich mit dieser auseinandersetzen und sie kritisch kontextualisieren. Summa summarum zeigt die Lektüre von „Die Lernende Organisation“ überdeutlich, dass Organisationen ein fundiertes, reflektiertes Lernen (Double-Loop-Lernen) betreiben müssen, um in dynamischen Umgebungen zu überleben und zu prosperieren. Oberflächliche Anpassungen (Single-Loop-Lernen) reichen selten aus, da es gerade in einer sich schnell verändernden Welt oft kaum nachhaltig ist.
Organisationen kommen gerade heute oftmals nicht herum, ihre Grundannahmen systematisch zu hinterfragen und offen für – auch radikale, bisweilen schmerzhafte – Veränderungen zu sein. Unternehmen wie Volkswagen, BMW, Continental und Thyssen-Krupp zeugen ebenso davon wie viele Einzelhändler und mittelständische „Hidden Champions“, die sich mitunter neu erfinden müssen, um ihren USP zu bewahren und konkurrenzfähig zu bleiben. Die Bedeutung lernender Organisationen in der heutigen Welt lässt sich vor allem mit zwei Aspekten zu erklären: Erstens der schnelle Wandel unserer digitalisierten, vernetzten und doch singulär konstruierten Risikogesellschaft sowie zweitens die Interdependenz und Komplexität von Prozessen in modernen Organisationen.
In der schnelllebigen, globalisierten Welt müssen Organisationen agil und anpassungsfähig sein. Die Fähigkeit, nachhaltig zu lernen, zu verlernen, neu zu lernen und mögliche Zukünfte zu antizipieren, ist entscheidend für das Überleben inmitten technologischer Umwälzungen, Marktveränderungen und sich ändernder Kund:innenpräferenzen. Weil es sich bei Organisationen um komplexe soziale Systeme handelt, ist ein systemisches Denken vonnöten, das sich im Double-Loop-Lernen zeigt. Zudem ist organisationales Double-Loop-Lernen essenziell, da so lernende Organisationen tendenziell widerstandsfähiger sind. Sie sind besser für den Umgang mit Unsicherheit gerüstet, da sie ihre Prozesse und Strategien kontinuierlich reflektieren und optimieren (können) sowie offen für Veränderungen sind.
Lernende Organisationen sind bereit und fähig, aus ihren Erfahrungen zu lernen, aber auch, sich z.B. via Corporate Foresight für etwaige Zukünfte zu wappnen, mit denen noch keine oder kaum Erfahrung besteht, wodurch sie sich besser von Rückschlägen erholen können. Als Kritikpunkt anzumerken, ist aus Sicht des Rezensenten nur, dass das Buch weitgehend ohne Abbildungen und Schaubilder daherkommt. Einige sind im Werk durchaus vorhanden, allerdings hätten manche Erklärungen helfen können, einige der beschriebenen Sachverhalte besser zu veranschaulichen und nachvollziehbar(er) zu machen. Überdies ist es dem Werk, trotz dessen, dass die Inhalte weitgehend zeitlos sind, doch anzumerken, dass seit seiner Erstveröffentlichung fast 30 Jahre vergangen sind.
Durch das Internet und durch neuere Entwicklungen wie die Verbreitung von Künstlicher Intelligenz, die Schnelllebigkeit und Volatilität von Märkten, die Pluralisierung von Vertriebskanälen und die immer dichtere internationale Verflechtung von Unternehmen gewinnt organisationales Lernen heute wieder enorm an Bedeutung, wobei heute insbesondere das disruptive Lernen im Fokus steht. Die Bedeutung des Lernens speziell im digitalen KI-Zeitalter wird im Buch ob dessen Alter kaum thematisiert. Auch die Herausforderungen des mobilen Arbeitens und die Anforderungen und Erwartungen, die gerade junge Menschen heute oft an ihren Arbeitsplatz stellen (Stichwort: New Work) werden im Buch nicht thematisiert, da diese Aspekte eben noch weitgehend unbekannt waren, als das Buch 1996 erstmals publiziert wurde.
Das ist schade, denn mobiles Arbeiten, generationsspezifische Unterschiede im Lernen und disruptive Innovation sind Themen, die für Unternehmen heute besonders relevant sind. Gerade in Deutschland kommt dem organisationalen Lernen insofern eine überragende Bedeutung zu, als das Land weltweit zwar noch immer die meisten „Hidden Champions“ hervorbringt, also mittelständische Unternehmen, die kaum bekannt sind, aber in Ihrem Segment die Weltmarkführerschaft innehaben, allerdings zeichnen sich viele dieser Unternehmen vor allem durch ihre Fähigkeit zur inkrementellen Innovation aus (Bestehendes noch besser machen). Disruptive Innovationen (völlig neues schaffen) sind – gerade im KI-Sektor – selten mit Deutschland verknüpft.
Eine Fokussierung darauf, wie gerade dieses gefördert werden kann, hätte dem Buch gutgetan. Trotz dessen, dass dies unterblieben ist, bleibt festzuhalten, dass die Autoren im Werk auf gut verständliche Weise die Wichtigkeit dessen aufzeigen, Lernen von und in Organisationen als kontinuierlichen, systemischen Prozess zu begreifen, der tiefe Reflexion, das Hinterfragen von Annahmen und die Transformation organisatorischer Normen und Strategien beinhaltet. Eine positive Lernkultur, Offenheit, Feedback und das Lernen aus Erfolgen und Misserfolgen können Unternehmen anpassungsfähiger, innovativ und wettbewerbsfähiger machen, was in der VUKA-Welt essenzielle Vorteile für Unternehmen sind. Wie das gelingen kann, wird im Buch gut verständlich aufgezeigt.
Fazit
Chris Argyris & Donald A. Schön legen mit „Die Lernende Organisation“ einen Management-Klassiker vor, der in keiner Hochschulbibliothek fehlen und von vielen Führungskräften gelesen werden sollte. Das Werk ist zeitlos und zeigt auf gut verständliche Weise die hohe Bedeutung auf, die organisationalem Lernen zukommt. Wenn es gelingt, steigert es die Innovationskraft und kann zu einer positiven Arbeitskultur beitragen.
Rezension von
Prof. Dr. Christian Philipp Nixdorf
Sozialwissenschaftler, Diplom-Sozialarbeiter/-pädagoge (FH), Sozial- und Organisationspädagoge M. A., Case Management-Ausbilder (DGCC), Systemischer Berater (DGSF), zertifizierter Mediator, lehrt Soziale Arbeit und Integrationsmanagement an der Hochschule der Wirtschaft für Management (HdWM) in Mannheim.
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Zitiervorschlag
Christian Philipp Nixdorf. Rezension vom 27.12.2024 zu:
Chris Argyris, Donald A. Schön: Die lernende Organisation. Grundlagen, Methode, Praxis. Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft · Steuern · Recht GmbH
(Stuttgart) 2024. 3. Auflage.
ISBN 978-3-7910-6186-3.
Reihe: Systemisches Management. Management-Klassiker. In Beziehung stehende Ressource: ISBN: 9783791061696. In Beziehung stehende Ressource: ISBN: 9783791061825.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32568.php, Datum des Zugriffs 24.01.2025.
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