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Volker Jörn Walpuski: Zwischen Restauration und inneren Reformen

Rezensiert von Prof. Dr. Christian Philipp Nixdorf, 14.10.2025

Cover Volker Jörn Walpuski: Zwischen Restauration und inneren Reformen ISBN 978-3-7799-7676-9

Volker Jörn Walpuski: Zwischen Restauration und inneren Reformen. Cora Baltussens transnational kontextualisiertes Leben und Wirken als Beitrag zur Entwicklung der Supervision in der Bundesrepublik Deutschland in den 1960er Jahren. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2024. 681 Seiten. ISBN 978-3-7799-7676-9. D: 78,00 EUR, A: 80,20 EUR.
Reihe: Edition Soziale Arbeit. In Beziehung stehende Ressource: ISBN: 9783779970767.

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Autor

Dr. Volker Jörn Walpuski ist Religionspädagoge, Supervisor und Organisationsberater sowie Professor für Supervision und Coaching an der Evangelischen Hochschule Freiburg. Er ist Mitherausgeber der Onlinezeitschrift Forum Supervision.

Thema

Im Buch wird die Geschichte der Supervision in der Bundesrepublik Deutschland von ihren frühen Wurzeln bis in die 1970er Jahre nachgezeichnet. Der Autor liefert dabei eine rekonstruktiven Geschichtsschreibung, die Archivquellen, biografische Materialien und organisationsgeschichtliche Dokumente kombiniert. Er stellt dies in den Kontext von Restauration und inneren Reformen und verbindet dabei ideen- und professionsgeschichtliche Ansätze mit biografischen Rekonstruktionen und institutionellen Analysen. Besondere Beachtung seitens Walpuski finden ethische Fragen im Umgang mit biografischem Material sowie die Chancen und Grenzen der Digitalisierung historischer Quellen.

Das Buch zeigt auf, dass Supervision als Produkt eines komplexen Zusammenspiels von Ideen, Institutionen und Persönlichkeiten zu verstehen ist. Sie wurzelt in humanistischen, psychoanalytischen und sozialwissenschaftlichen Traditionen und wurde in der Nachkriegs-Bundesrepublik sowohl von restaurativen Milieus wie auch von reformorientierten Kräften getragen. Das Werk korrigiert das Bild, Supervision sei ein bloßer Import aus den USA. Vielmehr war sie Ergebnis transnationaler Wissensproduktion, die schon in der Weimarer Zeit begann und nach 1945 wieder aufgenommen wurde. Supervision ist ein ethisch, politisch und kulturell aufgeladenes Feld. Sie entwickelte sich in der Spannung zwischen Kontinuitäten und Reformen, zwischen kirchlich geprägter Restauration und internationaler Modernisierung.

Aufbau und Inhalt

Das Buch ist 2024 bei Beltz-Juventa erschienen und hat 681 Seiten. Im ersten Kapitel widmet sich Walpuski dem Forschungsstand zur Geschichte der Supervision. Er schildert als Ziel, die bisherigen Erkenntnisse kritisch zu sichten, ihre Reichweite zu bewerten und bestehende Lücken in der Forschung und Rezeption der Supervision in Deutschland sichtbar zu machen. Ausgangspunkt seiner Auseinandersetzung damit ist, dass die Entwicklung der Supervision in Deutschland und im weiteren europäischen Kontext bisher nur in Ansätzen untersucht worden ist. Sie werde, so Walpuski, häufig nur als Begleiterscheinung der Sozialen Arbeit beschrieben, ohne dass ihre Rolle in der Professionalisierung systematisch rekonstruiert worden sei.

Um das zu leisten, entfaltet der Autor im 1. Kapitel zunächst den historischen Rahmen und ordnet die Nachkriegsentwicklung in der Bundesrepublik und im westlichen Kontext ein. Für die Bundesrepublik Deutschland sei die Spannung zwischen restaurativen Kräften und reformerischen Bewegungen ihm zufolge entscheidend. Nach 1945 dominierte zunächst der Wiederaufbau, nicht nur im materiellen Sinne, sondern auch in gesellschaftlicher und kultureller Hinsicht. Vieles wurde verdrängt oder beschwiegen, was die Verbrechen und die Verstrickung breiter Schichten in das NS-Regime betraf. Stattdessen knüpfte man in Teilen nahtlos an die Traditionen der Weimarer Republik an, etwa in autoritären Strukturen oder im Einfluss der katholischen Kirche.

Diese restaurativen Tendenzen bestimmten laut Walpuski die 1950er Jahre, auch wenn es gleichzeitig Fortschritte gab, etwa beim Aufbau des Sozialstaates oder durch das sogenannte Wirtschaftswunder, das den Ausbau sozialstaatlicher Leistungen ermöglichte. Erst in den 1960er Jahren begannen die Konflikte um die unzureichende Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, sichtbar unter anderem in den Studentenprotesten. Diese Jahre bildeten eine Übergangsphase, in der sich die Bundesrepublik zwischen Restauration und beginnenden inneren Reformen bewegte. In dieser Zeit reifte auch die Supervision als neue professionelle Praxis heran.

Der internationale Kontext verdeutliche, dass die Entwicklungen der Supervision in Deutschland nicht isoliert betrachtet werden können. In den USA, aber auch in anderen westlichen Ländern, hatten sich schon seit den 1930er Jahren Methoden wie Casework, Groupwork und Supervision herausgebildet. Sie waren eng mit demokratischen und emanzipatorischen Leitideen verbunden und wurden durch Organisationen, internationale Austauschprogramme und durch Exilantinnen und Exilanten nach Europa getragen. Auch die Prozesse der Dekolonialisierung, die Blockkonfrontation zwischen Ost und West und die globalen Bildungs- und Reformbewegungen beeinflussten die Rahmenbedingungen, schildert der Autor. Es werde daher deutlich, so Walpuski, dass Supervision nicht aus einem „Nichts“ oder nach einer vermeintlichen „Stunde Null“ in Deutschland entstanden sei, sondern ein Ergebnis eines transnationalen Austausches von Ideen, Methoden und Personen war und ist.

Die erste größere Arbeit zur Geschichte der Supervision stammt Walpuski zufolge von Margarete Ringshausen-Krüger (1977), welche die Entwicklung in der Bundesrepublik ab 1954 rekonstruierte. Sie beschreibe die Entstehung kritisch-hermeneutisch, bleibe jedoch auf die Nachkriegszeit beschränkt und übersehe frühere ideengeschichtliche Verbindungen. Nando Belardi (1992) habe dies insofern korrigiert, als er auf die methodische Verwurzelung in den USA und die spätere Institutionalisierung in den 1970er Jahren hingewiesen habe. Er vertrete indes die bis heute weit verbreitete Auffassung, dass Supervision vor allem aus den Vereinigten Staaten importiert und in Deutschland erst in den 1950er Jahren eingeführt worden sei. Weitere Forschungen, etwa von Kersting, hätten an dieser Vorstellung festgehalten und Supervision als späte „Erfindung“ an den Fachschulen für Sozialarbeit gesehen.

Gegen diese Sichtweise aber hätten andere Autorinnen wie Manfred Neuffer (1990) wichtige Einwände erhoben. Neuffer habe die Geschichte der sozialen Einzelhilfe rekonstruiert und aufzeigen können, dass Casework bereits lange vor 1945 in Deutschland bekannt gewesen sei, insbesondere durch die Arbeit von Alice Salomon und ihre Kontakte ins Ausland. Einen besonders innovativen Zugang zur Supervision böte Katharina Gröning (2013), die diese als reflexive Institution beschreibe. Sie habe die ideengeschichtlichen Linien herausgearbeitet, die von der Psychoanalyse, der Gruppendynamik, der humanistischen Psychologie bis hin zu sozialtheoretischen Konzepten von John Dewey oder Jürgen Habermas reichten, erläutert Walpuski. Gröning hebe hervor, dass Supervision sowohl in emanzipatorische Projekte eingebunden gewesen sei als auch immer Gefahr gelaufen habe, funktionalisiert und zur Stabilisierung bestehender Machtverhältnisse eingesetzt zu werden. Mit diesem Zugang unterscheide sie sich deutlich von anderen Autor:innen, die eher in Phasenmodellen argumentieren, schreibt der Autor.

Jan Lohl (2019) schließlich habe mit seiner „Sozialgeschichte der Supervision“ die Alltagsperspektiven stärker ins Spiel gebracht. Er habe kritisiert, dass die Geschichte bisher vor allem von „Wissensbevollmächtigten“ erzählt worden sei. Er führte zahlreiche Interviews mit Praktiker:innen, um deren Erfahrungen sichtbar zu machen. Damit habe er den Blick für die sozialen Kontexte und die Subjektperspektiven, geöffnet, ist Walpuski überzeugt, auch wenn er in seinen Ergebnissen im Kern an den bekannten Entwicklungsphasen anschließe.

Während in Deutschland die Geschichte der Supervision überwiegend als Nachkriegserzählung konstruiert worden sei, hätten internationale Forschungen, etwa von Yelloly, Kadushin oder van Kessel, schon früher auf die Verflechtungen, Austauschprogramme und die Bedeutung von Organisationen wie den Vereinten Nationen hingewiesen. Gerade in den USA und den Niederlanden werde Supervision als zentraler Bestandteil der Professionalisierung der Sozialen Arbeit betrachtet, weshalb dort deutlich reichhaltigere Literatur dazu existiere. Für Deutschland hingegen sei die internationale Forschung lange kaum rezipiert worden, was den methodologischen Nationalismus des hiesigen Diskurses erkennen lasse.

Walpuski reflektiert, dass die Geschichte der Supervision bislang nur bruchstückhaft erzählt sei und dass sie vielfach auf bestimmte Phasen, Personen oder Methoden verengt worden sei. Wichtige Aspekte wie die transnationalen Austauschprozesse, die Rolle von Religion und Kirche, die Verbindung zur Frauenbewegung, die Einflüsse von Exil und Migration sowie die ethischen und philosophischen Grundlagen der Professionalisierung seien bisher nur unzureichend erforscht. Auch die Geschlechterperspektive werde in den meisten Arbeiten vernachlässigt, obwohl viele der frühen Akteur:innen Frauen gewesen seien, die in einem männlich dominierten Feld agiert hätten. Diese Leerstellen will der Autor schließen.

Walpuski ist überzeugt, dass eine umfassende Rekonstruktion der frühen Supervisionsgeschichte nur gelingen könne, wenn man den transnationalen Kontext ernst nehme, die Lebensgeschichten der handelnden Personen einbeziehe und die Spannung zwischen restaurativen und reformerischen Kräften als Hintergrund verstehe. Gerade in diesem Spannungsverhältnis sei Supervision in den 1950er und 1960er Jahren zu einem wichtigen Instrument geworden, das zugleich Ausbildung, Reflexion und Demokratisierung verbunden habe.

Im 2. Kapitel werden Forschungslücken in der bisherigen Auseinandersetzung mit der Geschichte der Supervision aufgezeigt. Deutlich werde, so Walpuski, dass viele Aspekte bislang nur unzureichend beleuchtet worden seien. Besonders der Zeitraum vor 1954 sei kaum erforscht, obwohl gerade hier wichtige Wurzeln und Kontinuitäten lägen. Auch die transnationale Dimension bleibe in den meisten Arbeiten unterbelichtet. So werde etwa der Austausch mit den USA, den Niederlanden oder Exilgemeinschaften in der Fachliteratur kaum oder nur am Rande erwähnt, obwohl er entscheidend für die Einführung und Ausgestaltung von Supervision in Deutschland gewesen sei. Auch die Verbindung von Supervision zu Religion und Kirche, zu Erfahrungen des Exils, insbesondere jüdischer Emigrant:innen, sowie zur Frauenbewegung der frühen Sozialarbeit sei bisher wenig erforscht. Diese Leerstellen in der historischen, transnationalen und biographischen Analyse müssten für die vollständige Rekonstruktion des Professionsbildungsprozesses dringend geschlossen werden, ist der Autor überzeugt.

Im 3. Kapitel widmet sich Walpuski den methodologischen Reflexionen. Er legt dar, wie die Untersuchung der frühen Supervisionsgeschichte wissenschaftlich begründet worden sei. Sei Ausgangspunkt ist eine professions­theoretische Verortung. Supervision werde als Teil des Professionalisierungsprozesses der Sozialen Arbeit verstanden, der stets auch Fragen nach Ethik, Macht und gesellschaftlicher Einbettung aufwerfe. Daran anknüpfend stellt der Autor die Verbindung zur Lebensverlaufs- und Biographieforschung her, was damit begründet wird, dass sich die Geschichte von Supervision nicht nur über Institutionen und Theorien, sondern auch über individuelle Lebenswege und Netzwerke rekonstruieren lasse.

Ein weiterer Schwerpunkt legt der Autor auf die Reflexion von Netzwerken und sozialen Bewegungen, die für den Wissenstransfer zwischen Ländern und Generationen entscheidend seien. Unterstützt durch Ansätze der Transnational Studies werden Migration, Exil und transnationale Mobilität als zentrale Analysekategorien eingeführt. Zusätzlich thematisiert Walpuski die Bedeutung von Sprache, Übersetzung und Mehrsprachigkeit, was bedeutend sei, da sich Ideen und Konzepte beim Transfer zwischen Kulturen oft veränderten. Besonders betont er die Rolle der Subjektivität und Forschungsethik. Die Arbeit mit biographischem Material erfordere Sensibilität im Umgang mit Quellen und Interviewpartner:innen. Auch die Chancen und Grenzen der Digitalisierung werden von Walpuski in den Blick genommen.

Im 4. Kapitel beschreibt der Autor sein methodische Vorgehen. Er erklärt, wie die historische und biographische Rekonstruktion der Supervisionsgeschichte in Deutschland von ihm praktisch umgesetzt wurde. Zunächst erläutert er zwecks dessen sei methodische Konzept. Die Arbeit verstehe sich, so Walpuski, als rekonstruierende Forschung, die historische Quellen, biographische Materialien und transnationale Netzwerke zusammenführe. Der Autor betont, dass es ihm nicht um eine lineare Darstellung gehe, sondern um das Aufzeigen von Verflechtungen, Übersetzungsprozessen und Kontextabhängigkeiten. Dezidiert widmet er sich daher auch den ethischen Aspekten von Supervision.

Digitalisierungsprozesse, die neue Quellen zugänglich machen, zugleich aber methodische Fragen aufwerfen, sind ein weiteres Thema in diesem Kapitel. Hierzu werden Fragen wie die reflektiert, wie verlässlich Digitalisate im Vergleich zu Originaldokumenten sind und welche Fehler durch Technik eingeschleust werden können. Das Kapitel schließt mit der Überlegung, dass historische Forschung im digitalen Zeitalter stets eine kritische Reflexion der Materialbasis erfordere.

Das 5. Kapitel dient laut dem Autor der breiten Kontextualisierung der frühen Supervision, indem hier die Entwicklungslinien der Sozialen Arbeit vor 1970 an in den Blick genommen wird. Walpuski verfolgt die These, dass Supervision nicht als „Erfindung“ der Nachkriegszeit verstanden werden könne, sondern tief in die Professionalisierungsgeschichte der Sozialarbeit eingebettet sei. Um dies sichtbar zu machen, werden die unterschiedlichen Epochen vom Kaiserreich über die Weimarer Republik, den Nationalsozialismus und die unmittelbare Nachkriegszeit bis in die 1960er Jahre von ihm aufgearbeitet.

Zunächst richtet der Autor seinen Blick auf die Soziale Arbeit vor 1933, insbesondere in der Weimarer Republik. In dieser Phase habe eine Transformation von einer primär mildtätig geprägten Armenfürsorge hin zu einer zunehmend professionell strukturierten Sozialarbeit stattgefunden. Die Industrialisierung, die Urbanisierung und die sozialen Krisen hätten zu einer Ausweitung von Hilfsangeboten geführt, die nicht mehr nur auf karitativer Barmherzigkeit, sondern auf fachlichem Wissen beruhen sollten. Die erste Frauenbewegung hätte hierbei eine wichtige Rolle gespielt, schildert Walpuski. Sie habe maßgeblich zur Etablierung von Ausbildungsstätten für soziale Berufe beigetragen und dem Berufsfeld ein eigenes Profil ermöglicht. Frauen wie Alice Salomon hätten die soziale Praxis mit wissenschaftlicher Reflexion verbunden und sich für eine Professionalisierung eingesetzt, die über bloße Nächstenliebe hinausgeht.

Als eine weitere zentrale Figur neben Alice Salomon geht Walpuski auch auf das Wirken von Mary Richmond und ihr Werk „Social Diagnosis“ (1917) ein, das auch in Deutschland rezipiert worden sei. Diese Arbeit habe die Idee der Fallarbeit („Casework“) als methodisches Fundament der Sozialen Arbeit etabliert. Die individuelle Lebenslage von Klient:innen sollte systematisch analysiert werden, um passgenaue Hilfe leisten zu können. Beratung und Fallanalyse seien so zu methodischen Eckpfeilern der Sozialarbeit geworden, rekonstruiert Walpuski. In dieser Zeit seien auch die enge Verbindung zwischen Fallarbeit, Beratung und späterer Supervision entstanden. Die ersten Beratungsstellen hätten denn auch bereits eine aufsichtliche und ausbildende Funktion gehabt, die später zum Kern von Supervision werden sollte.

Es habe aber auch Spannungen gegeben, macht der Autor deutlich. Während einige Strömungen die Professionalisierung an medizinisch-psychiatrischen Modellen ausgerichtet hätten, haben andere stärker gemeinwesenorientierte, sozialpolitische Wege gesucht, schildert Walpuski. Die Settlements-Bewegung in den USA habe auch in Europa inspirierend gewirkt und den Gedanken verbreitet, dass Soziale Arbeit nicht nur individuell, sondern auch kollektiv und politisch ansetzen müsse. Dieser Dualismus zwischen medizinisch-individuumsorientiert und sozialreformerisch-gemeinwesenorientiert habe sich seither wie ein roter Faden durch die gesamte weitere Entwicklung der Sozialen Arbeit gezogen.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 erlebte die Soziale Arbeit eine einschneidende Zäsur. Die Professionalisierung, die in den 1920er Jahren begonnen hatte, sei so unterbrochen oder in ideologisch pervertierte Bahnen gelenkt worden. Gleichzeitig aber hätten internationale Strömungen fort bestanden, wenn auch unter erschwerten Bedingungen. In den 1930er und 1940er Jahren habe sich die Sozialarbeit in den USA dann methodisch weiterentwickelt. Dort seien die modernen Formen des Casework, der Gruppenarbeit und der Supervision entstanden, die später für Deutschland von zentraler Bedeutung werden sollten. Viele europäische Exilant:innen, darunter auch einige jüdische Sozialarbeiter:innen, hätten in den USA dazu beigetragen, Wissen aufzubauen und weiterzugeben. Damit hätten sie indirekt die Grundlagen für den späteren Wissenstransfer nach Europa gelegt.

Die 1950er Jahre seien in Deutschland dann von Restauration geprägt gewesen. Traditionelle Strukturen, insbesondere die katholische Kirche, hätten großen Einfluss in Bildung und Sozialarbeit beansprucht, gleichzeitig jedoch hätte eine Verwissenschaftlichung und Akademisierung der Sozialarbeit eingesetzt, schreibt der Autor. Sozialforschung, empirische Methoden und das Streben nach wissenschaftlicher Legitimation hätten nun an Gewicht gewonnen. Daraus sei ein Spannungsverhältnis resultiert. Einerseits sollten professionelle Standards entwickelt werden, andererseits habe es gegolten, sich mit den moralischen und politischen Verstrickungen der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Die katholische Kirche habe in dieser Zeit eine ambivalente Rolle eingenommen. Einerseits habe sie auf Restauration, Rekonfessionalisierung und die Betonung traditioneller Werte gesetzt, andererseits hätten auch kirchliche Akteur:innen Reformideen aufgegriffen und sich an Modernisierungsprozessen beteiligt.

Walpuski beschreibt die Kirche als ein restauratives Milieu und zeitgleich als einen Ort innerer Reformen, der für die Entwicklung von Supervision besonders relevant gewesen sei. Viele frühe Ausbildungsstätten für Supervision, wie die Akademie für Jugendfragen in Münster, hätten einen katholischen Hintergrund, erklärt er. In den 1960er Jahren habe sich dann eine neue Entwicklungsphase abgezeichnet. Die gesellschaftlichen Umbrüche, die Student:innenbewegung, die beginnende Frauenbewegung und die Konfrontation mit der NS-Vergangenheit hätten einen Boden geschaffen, auf dem sich auch die Supervision neu habe verankern können. Entstanden seien damals die ersten systematischen Supervisionsausbildungen in Deutschland.

Im 6. Kapitel bündelt Walpuski die Ergebnisse seiner Analyse der Geschichte der Supervision in der BRD zwischen Restauration und inneren Reformen. Er reflektiert zunächst den Forschungsprozess selbst. Durch die intensive Erschließung neuer Quellen, insbesondere aus der Zwischenkriegszeit und den 1950er/60er Jahren, hätten bestehende Bibliographien ergänzt und zahlreiche Fehler der bisherigen Forschung korrigiert werden können. Die fortschreitende Digitalisierung spiele dabei eine Schlüsselrolle, da sie den Zugang zu Archivalien erleichtert und damit neue Perspektiven eröffne. Der Autor zeigt, dass Supervision auf Ideen und Wissensbeständen fußt, die transnational transportiert wurden. Walpuski betont, dass Supervision nicht linear entstanden sei, sondern das Ergebnis von Übersetzungs- und Aushandlungsprozessen gewesen sei. Sprache, kulturelle Kontexte und soziale Bedingungen hätten die Rezeption von Wissen dazu entscheidend beeinflusst. Dadurch erkläre sich auch, warum bestimmte Impulse aufgenommen, andere aber verworfen oder verändert worden seien.

Das 7. Kapitel, die Lebensverlaufsforschung zu Cora Baltussen (1912–2005), bildet den eigentlichen Abschluss von Walpuskis Studie. Hier werden die zentralen Ergebnisse der historischen Untersuchung zur Supervision in der Bundesrepublik Deutschland im Zeitraum zwischen Restauration und inneren Reformen zusammengefasst. Wenngleich es hier manche Redundanzen gibt, geschieht dies aber nicht als bloße Wiederholung, sondern in Form einer dichten Reflexion, die den roten Faden der gesamten Arbeit noch einmal klar macht. Dabei stehen für Walpuski vor allem drei Aspekte im Vordergrund: Die Einbettung in transnationale Wissens- und Ideengeschichte, die Bedeutung individueller Biographien und institutioneller Netzwerke sowie die Frage nach der Professionalisierung und Eigenlogik der Supervision.

Zunächst blickt der Autor auf den Forschungsprozess selbst zurück. Im Verlauf der Arbeit sei es notwendig, gewesen, eine Vielzahl an neuen Quellen, insbesondere aus der Zwischenkriegszeit sowie den 1950er- und 1960er-Jahren, zu erschließen. Die Digitalisierung von Archiven habe dabei eine Schlüsselrolle gespielt. Sie hätte nicht nur den Zugang zu verstreuten Dokumenten ermöglicht, sondern auch dazu geführt, dass zahlreiche Fehler in bisherigen Darstellungen der Supervisionsgeschichte hätten korrigiert werden können. Gleichwohl macht der Autor deutlich, dass die Quellenbasis trotz seiner Bemühungen fragmentarisch bleibe und dass mit jeder neuen Entdeckung zugleich neue Unsicherheiten und mögliche Fehlstellen entstünden. Vollständigkeit sei eine Illusion und historische Forschung bleibe notwendigerweise vorläufig.

Ein wesentlicher Befund Walpuskis in diesem Kapitel ist, dass Supervision nicht nur auf einem methodischen Fundament stehe, sondern auf einem breiten ideen- und philosophiegeschichtlichen Unterbau. Humanistische, psychoanalytische und sozialwissenschaftliche Theorien hätten ebenso Eingang gefunden wie religiöse und ethische Traditionen. Damit werde deutlich, dass Supervision nicht nur eine Technik oder Methode der Praxisanleitung ist, sondern ein ethisch und weltanschaulich aufgeladenes Feld, in dem Fragen nach Demokratie, Emanzipation und Menschenbild eine zentrale Rolle spielen. Seine Untersuchung zeige zudem die Bedeutung von Akteur:innenen und Netzwerken.

Supervision habe sich nur entwickeln können, weil bestimmte Persönlichkeiten, wie eben Cora Baltussen, an der Schnittstelle von Ländern, Sprachen und Institutionen gewirkt hätten. Diese Akteur:innen seien nicht bloße „Übermittler:innen“ gewesen, sondern hätten den Wissenstransfer aktiviert, gefiltert, übersetzt und angepasst. Baltussens Biographie sei nicht nur individuelle Lebensgeschichten, sondern Ausdruck größerer transnationaler Verflechtungen. Baltussen stellt der Autor in diesem Kapitel somit exemplarisch als Transmigrantin vor, die zwischen verschiedenen Welten gelebt und gerade dadurch Brücken habe schlagen können. Ihr katholischer Hintergrund habe es ihr ermöglicht, Zugang zu Milieus in der Bundesrepublik zu finden, die vielen anderen, etwa säkularen oder sozialistischen Exilant:innen, verschlossen geblieben seien. Zugehörigkeit, religiöse Bindung und kulturelle Identität seien entscheidend dafür gewesen, welche Ideen in welchem Umfeld Resonanz fanden. Das macht Walpuski am Beispiel Cora Baltussens deutlich.

Darüber hinaus macht der Autor auch Institutionen wie die Akademie für Jugendfragen als Kristallisationspunkte aus, an denen internationale Impulse zur Supervision aufgegriffen, transformiert und institutionalisiert worden seien. Solche Orte hätten als Knotenpunkte für Netzwerke von Fachkräfte, Lehrende und Studierende gewirkt, die gemeinsam an einer neuen, professionellen Identität der Sozialarbeit und Supervision arbeiteten. Es habe dabei restaurative Kräfte gegeben, die traditionelle Muster und kirchlich geprägte Orientierungen hochgehalten hätten. Genauso aber seien auch reformorientierte Akteur:innen auf den Plan getreten, die Supervision als Instrument für Demokratisierung, Selbstreflexion und Modernisierung verstanden hätten. In diesem Spannungsfeld von Restauration und Reform habe sich der Professionsbildungsprozess in der Supervision vollzogen.

Seine Studie habe zwar viele Lücken schließen und neue Quellen erschließen können, die Geschichte der der Supervision bleibe aber ein offenes Forschungsfeld, betont der Autor erneut. Weitere Untersuchungen, insbesondere zu Biographien, zur Rolle von Religion, Exil und Frauenbewegung sowie zu internationalen Verflechtungen, seien nötig, um ein noch vollständigeres Bild zu gewinnen. Supervision erweise sich kurzum als dynamisches Feld, das nicht nur für die Sozialarbeit, sondern auch für Fragen der Demokratieforschung, der Bildungs- und Kulturgeschichte relevant sei.

Das 8. Kapitel bildet den abschließenden Teil des Buches und dient dazu, die gewonnenen Ergebnisse auf die übergeordnete Leitfrage zurückzuführen, wie sich der Professionsbildungsprozess der Supervision in der Bundesrepublik Deutschland vollzogen habe. Der Autor resümiert, dass die Arbeit in mehreren Schritten verfahren sei. Zunächst wurden in drei chronologisch angelegten Kapiteln die Ideengeschichte von Casework und Supervision transnational rekonstruiert. Daran schlossen sich eine organisationsanalytische Untersuchung der Akademie für Jugendfragen sowie eine biographische Rekonstruktion des Lebens von Cora Baltussen an.

Diskussion

In Zwischen Restauration und Inneren Reformen widmet sich Volker Walpuski einem Gegenstand, der in der deutschen Sozialarbeits- und Supervisionsforschung bislang nur in Ansätzen aufgearbeitet wurde: Der frühen Geschichte der Supervision in der BRD und ihrer ideellen, biographischen und institutionellen Voraussetzungen. Die Studie bewegt sich dabei im Spannungsfeld von Restauration und Reform, was eine Konstellation ist, die für die Bundesrepublik der Nachkriegszeit paradigmatisch erscheint. Der Autor versucht, diesen doppelten Kontext aus restaurativen Tendenzen und Modernisierungs- und Demokratisierungsimpulsen als Rahmenbedingung für die Entwicklung der Supervision zu fassen.

Die Arbeit reiht sich ein in die wachsende Zahl von Studien zur Geschichte der Sozialen Arbeit, geht aber in mehrfacher Hinsicht über die bisherige Forschung hinaus. Während viele frühere Beiträge die Entstehung der Supervision nationalstaatlich verengten, liegt hier ein dezidiert transnationaler Zugang vor, der Wissenstransfers, Übersetzungsprozesse und Netzwerke zwischen Deutschland, den Niederlanden, den USA und anderen Ländern in den Blick nimmt. Hinzu kommt eine biographische Perspektive, die exemplarisch anhand von Cora Baltussen verdeutlicht, wie individuelle Lebensläufe Brücken zwischen Kontexten schlagen können.

Walpuski arbeitet in seinem umfassenden Buch gut verständlich heraus, dass Supervision im deutschsprachigen Raum meist als „Import“ aus den USA betrachtet wurde, der in den 1950er Jahren seinen Anfang nahm. Diese Sichtweise vernachlässigt jedoch sowohl die Vorläufer in der Weimarer Republik als auch die Bedeutung transnationaler Transfers. Wichtige Arbeiten wie die von Neuffer, Schumann, Gröning oder Lohl werden von Walpuski gewürdigt, aber auch kritisch daraufhin befragt, welche Leerstellen sie hinterlassen haben.

Aus Sicht des Rezensenten schließt die Arbeit gleich mehrere Forschungslücken. Zum einen erweitert sie die stark nationalstaatlich verengte Perspektive der bisherigen Supervisionsforschung. Indem sie transnationale Transfers systematisch untersucht, korrigiert sie das Bild einer „reinen US-Importgeschichte“. Zum anderen betont Walpuskis Studie die Rolle von Religion, Exil und Migration. Das sind Aspekte, die in der Forschung bisher nur am Rande vorkamen. Der Autor eröffnet durch die biographische Rekonstruktion von Cora Baltussen zudem einen Zugang, der die Bedeutung individueller Lebensläufe für Wissenstransfers im Kontext der Supervisionsgeschichte deutlich macht.

Besonders hervorzuheben ist aus Sicht des Rezensenten die Verbindung von Ideengeschichte, Institutionengeschichte und Biographieforschung. Dieser Dreischritt ermöglicht eine breitere und tiefere Rekonstruktion der Supervisionsgeschichte, als sie in bisherigen Arbeiten vollzogen wurde. Für die Sozialarbeitsgeschichte liefert Walpuski damit eine grundlegende Korrektur bisheriger Narrative. Supervision erscheint nun nicht mehr als „späte Erfindung“ der Nachkriegszeit, sondern als Ergebnis langfristiger, internationaler und biographisch vermittelter Entwicklungen. Für die Supervisionspraxis bietet der Autor somit eine historisch fundierte Reflexion. Auch seine Betonung von Übersetzung, Mehrsprachigkeit und Digitalisierung ist anschlussfähig für viele andere Forschungsfelder. Für Menschen, die sich für die Entwicklung der Supervision interessieren, ist das Werk außerordentlich lesenswert. Dies gilt nicht nur für Supervisor:innen, sondern auch für Historiker:innen und Sozialarbeiter:innen.

Trotz der vielen Stärken gibt es aus Sicht des Rezensenten aber einige Punkte, die kritisch anzumerken sind. So betont der Autor selbst, dass die Quellenlage fragmentarisch bleibt. Viele Aussagen beruhen auf verstreuten Dokumenten, deren Kontext nur schwer zu rekonstruieren ist. Dies führt dazu, dass manche Argumente eher plausibel als zwingend wirken. In Folge des wissenschaftlichen Hintergrundes des Autors als Religionspädagoge ist es nachvollziehbar, dass er die Rolle der katholischen Kirche umfassend (und überzeugend) herausgearbeitet hat. Andere Milieus, die zur Entwicklung der Supervision ebenfalls beitrugen, werden im Werk zwar angesprochen, etwa protestantische, gewerkschaftliche oder sozialistische, sie treten aber doch vergleichsweise in den Hintergrund. Hier wäre eine breitere Differenzierung wünschenswert gewesen.

Die exemplarische Rekonstruktion der Biografie Cora Baltussens ist ein großer Gewinn, zugleich bleibt ihr Leben, so wie es im Buch rekonstruiert wird, aber stellenweise doch arg skizzenhaft. Eine noch dichtere biografische Kontextualisierung hätte die transnationale Dimension noch plastischer machen können. Zu guter Letzt ist kritisch anzumerken, dass sich im Buch zahlreiche Redundanzen finden und dass das Werk an einigen Stellen arg ins Theoretische „abschweift“. Die Bezugnahme auf Transnational Studies und Übersetzungstheorien ist zwar theoretisch überzeugend und nachvollziehbar, aber nicht immer eng an die empirischen Befunde rückgekoppelt.

Diese Kritikpunkte mindern aber in keiner Weise den großen Wert, der dieser Studie zukommt. Sie markieren vielmehr Ansatzpunkte für weitere Forschungen, die auf dieser Arbeit aufbauen können. Insgesamt bleibt zu konstatieren, dass es ein großes Verdienst des Autors ist, eine so dichte und Umfassende Analyse der Ideen- und Entwicklungsgeschichte der Supervision in Deutschland nachgezeichnet zu haben. Er hat damit eine Forschungslücke geschlossen. Das Buch überzeugt durch seine Breite, Reflexivität und den Mut des Autors, eingefahrene Narrative in Frage zu stellen.

Kurzum legt Volker Walpuski mit seinem Werk eine fundamentale Neubewertung der frühen Supervision in Deutschland vor. Es zeigt auf, dass Professionalisierungsprozesse im Kontext der Supervision immer im Spannungsfeld von Macht, Kultur, Religion und Politik stehen und dass Biographien und Netzwerke entscheidende Träger dieser Prozesse sind. Das Buch kann als neues Standardwerk für die künftige Supervisionsforschung gesehen werden, das zugleich einen inspirierender Beitrag zur transnationalen Geschichtsschreibung der Supervision leistet.

Fazit

Zwischen Restauration und Inneren Reformen ist eine wegweisende Studie, die die Geschichte der Supervision in der Bundesrepublik neu schreibt. Das Verdienst des Autors ist es, die Erzählung von Supervision als amerikanischen „Import“ zu korrigieren und ein deutlich komplexeres Bild von transnationalen Transfers, kulturellen Übersetzungen und biographischen Aushandlungsprozessen zu zeichnen, welche die Entwicklung der Supervision in Deutschland beeinflusst haben.

Rezension von
Prof. Dr. Christian Philipp Nixdorf
Sozialwissenschaftler, Diplom-Sozialarbeiter/-pädagoge (FH), Sozial- und Organisationspädagoge M. A., Case Management-Ausbilder (DGCC), Systemischer Berater (DGSF), zertifizierter Mediator, lehrt Soziale Arbeit an der IU Internationale Hochschule in Braunschweig.
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ISSN 2190-9245