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Eckardt Buchholz-Schuster: Rechtliches Monitoring und psychosozialer Sachverhalt

Rezensiert von Prof. Dr. Eckart Riehle, 17.09.2024

Cover Eckardt Buchholz-Schuster: Rechtliches Monitoring und psychosozialer Sachverhalt ISBN 978-3-7369-9757-8

Eckardt Buchholz-Schuster: Rechtliches Monitoring und psychosozialer Sachverhalt. Plädoyer für eine anwendungsbezogene interdisziplinäre Entscheidungstheorie. Cuvillier Verlag (Göttingen) 2018. 124 Seiten. ISBN 978-3-7369-9757-8. D: 34,90 EUR, A: 35,90 EUR.
Reihe: Zwischen den Welten - Band 15.

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Autor

Der Autor ist Professor an der Hochschule Coburg. Zu seinen Schwerpunkten gehört das Kinder- und Jugendhilferecht sowie die Klinische Sozialarbeit.

Entstehungshintergrund

Recht im Spannungsfeld zwischen sozialpädagogischer und juristischer Methodik, lautete die Überschrift eines zweiteiligen Aufsatz von Buchholz-Schuster in ZKJ 12/2009 und 1/2010. Thema war die „Charakteristisch psychosozial ausgerichteter Rechtsverwirklichung“, das „Anderssein einer sozialpädagogischen „Rechtsanwendung“. In ZKJ 9/10-2020, 344 ff. erschien ein weiterer Artikel von ihm mit der Überschrift, Zum Stellenwert sozialpädagogischer Fachlichkeit in einem reformierten SGB VIII. Zuvor hat Buchholz-Schuster seine Überlegungen in dem zu besprechenden Band niedergelegt.

Der Aufsatz in ZKJ führte zu einer scharfen Erwiderung etwa von Möller in ZKJ 2011, 4 ff. unter der Überschrift, „Rechtsverwirklichung ohne Recht? Wider die Auflösung juristischer Methodik in psychosozialen Gefilden“.

Inhalt

Teil A

Verbindet man den Titel des Buches mit dessen Entstehungsgeschichte, wird das Anliegen des Autors deutlich: Wie ist mit dem Recht im Bereich psychosozialer Sachverhalte umzugehen? Aus welcher Perspektive werden Entscheidungen in der Kinder- und Jugendhilfepraxis von Teilen der Rechtswissenshaft entwickelt. Psychosoziales Recht versteht der Autor, als Recht das auf individuelle Lebenssituationen mit problembelastenden Faktoren bezogen ist (S. 13). Das ist nicht nur materiell-rechtliches Leistungsrecht, sondern erfasst auch organisierte Mindeststandars, bei der Umsetzung psychosozialer Maßnahmen, etwa, §§ 8a,36vSGB VIII. Da die Methodik, so der Autor, nicht unabhängig von ihrem Gegenstand zu bestimmen ist, lautet die Frage auch, ob die Erfassung psychosozialen Rechts durch unbestimmte Rechtsbegriffe nicht zweifelhaft ist. Dem steht nach seiner Auffassung die Dynamik und Vielschichtigkeit des psychosozialen Rechts entgegen. Er stellt dies an einem Fallbeispiel dar, das er gegen Ende wieder aufgreift (S. 15).

Das Beispiel in Kurzfassung: G., Mitarbeiter des ASD ist für die Familie F zuständig. Tochter T 14 j. ist bereits mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Mutter M. ist häuslich verhält sich aber gegenüber T. auffallend passiv und lieblos. Vater T., die Eltern sind getrennt, übt extremen Druck auf T aus. M. ist überfordert, auch durch die schlechte schulische Situation von T. und fühlt sich auch durch den Kontakt zu G unter Druck gesetzt.Der Bruder B. hat keinen Freundeskreis und läuft aus Sicht der M. unproblematisch nebenher.

Welcher methodische Ratschlag ist G. zu geben. Soll er etwa aus dem SGB VIII und seinen §§ 27 ff. die geeignete im Gesetz beschriebene Hilfeart auswählen? Wie soll etwa die Fachkraft in den entsprechenden Fundstellen des SGB, diese voller unbestimmter Rechtsbegriffe, die geeignete Hilfeart auswählen. Die fachgerechte Leistung, die sozialpädagogische Ausführung und die rechtlichen Interpretationen sollen „in Eins gehen“ [1], so etwa Münder.

Der Gesetzestext scheint dies für die Rechtsanwenderperspektive eindeutig vorzugeben. „Wenn“ ein erzieherisches Defizit besteht, „dann“ ist die geeignete und notwendige Hilfe zu erbringen. Aber „wann“ besteht ein solches Defizit und wem gegenüber und welche Hilfe ist dann geeignet und notwendig. Damit ist das Problem der Fachkraft G. und des Buches skizziert. Wie sind solche gesetzlich eher vagen und orientierenden Beschreibungen mit dem jeweiligen Fall in Einklang zu bringen?

Der Autor betritt damit ein Terrain, das schon seit Jahren im Recht diskutiert wird, das Verhältnis von Recht und Sozialpädagogik ist, wenn schon nicht belastet, so zumindest stark berührt. In seinem Schlepptau führt es die Frage, wie kann es hier zu einer Entscheidungen kommen, die zielgenau ist. Münder formulierte dies einmal so, sozialpädagogische Fachkräfte würden gerne tun was sie als Fachkraft können, was sie aber rechtlich nicht dürfen. Nimmt man hier die Interdisziplinarität noch in den Blick, nimmt die Komplexität für die Fachkraft zu. Es geht dem Autor vorrangig darum, die methodische Situation sozialpädagogischer Akteure zu reflektieren. Er verbindet das mit der Frage: „“as kann man von psychosozialen Gesetzen erwarten, Determination oder bloße Orientierung?“ (19 f.). Münder verbindet das zutreffend mit einem Blick auf die ärztliche Profession, der das Gesetz in § 2 und 28 SGB V die Orientierung am Standard der ärztlichen Kunst vorgibt, aber nicht eine bestimmte ärztliche Leistung. Woher rührt die Ungleichbehandlung beider Professionen (im SGBV ein Standard, der von der Forderung an die psych. Profession entfernt ist) eine bestimmte Leistung zu erbringen? Der Autor will in seiner Schrift also nicht nur das alte Problem des knisternden Verhältnisses von Sozialpädagogik und Recht auffrischen, er zielt vielmehr auf eine psychosozial orientierte Entscheidungstheorie auf der Grundlage der Fachdiskussion seit dem Jahr 2010.

Das ist ein ambitioniertes Projekts, es geht nicht einfach um die immer gleiche Frage, wie mit unbestimmten Rechtsbegriffen im psych. Bereich umzugehen ist, gibt es dort einen Beurteilungsspielraum, welche Rolle spielt dabei die juristische Perspektive der subsumtionsorientierten Rechtsanwendung, gibt es nicht ein Alternative.

Im Hintergrund der Überlegungen des Autors befindet sich auch der Eindruck, dass die Gesetzgebung, vergleicht man diese etwa mit der im SGB V, eine, vorsichtig gesagt, Geringschätzung der Sozialpädagogische Fachlichkeit zugrunde liegt.

Teil B

Dazu entfaltet er in Teil B die Schwerpunkte der Methodendiskussion seit 2010. Den weiten Begriff der Rechtsverwirklichung wurde von ihm gegenüber dem der Rechtsanwendung bevorzugt (37). Er sieht aber seit 2010 erste Elemente erkennbar, aus denen eine Gesamtkonzeption auf derGrundlage einer kollektiven Gesamtanstrengung entstehen könnte (38).

Zu diesen Elementen gehören für ihn

  • Die Sachverhaltserschließung durch Maas
  • Die Offenheit der Rechtsverwirklichung durch Oberloskamp
  • Legitimation durch diskursive Verfahren (Burghardt/​Wiesner)
  • Die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzs (Sturm)
  • Ergänzungen durch den Gesetzgeber im materiellen und oder Verfahrensrecht 8a, 36 SGB VIII.

Positiv sieht er hierbei, dass es den Beteiligten nicht um Entweder-oder sondern um ein Sowohl-als-auch geht (S. 39)

Er hebt dabei drei Perspektiven hervor, denen in der weiteren methodischen Diskussion mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte (S. 39)

  • Insbes. Die Argumentationstheorie, dass kein geschlossener Katalog von Canones existiert, vielmehr zulässig ist jedes Argument, das im herrschaftsfreien Diskurs zulässig ist,
  • Die subsumtionsorientierte Brille in der Ausbildung bleibe gleichwohl sinnvoll, damit verbunden auch die Einnahme einer empirischen Beobachterperspektiv, zur Überprüfung der vorherrschenden reinen Anwenderperspektive (S. 39)
  • Die traditionelle juristische Methodenlehren mit dem Seitenblick auf empirische Untersuchungen fortzuentwickeln. Dabei geht der Autor davon aus, dass die Alternativen, Ersetzung der Subumtionslogik durch diskursiv angelegte, Entscheidungsfindung oder engere Verzahnung, juristischer Entscheidung mit sozialpädagogischer Fachlichkeit kombiniert werden können (41).

Teil C

Unter C. ordnet der Autor die neueren Diskussionsbeiträge seit 2010 in die alte Diskussionslandkarte ein (S. 59 ff.). Unter 3. Widmet er sich der Frage der Entwicklung einer interdisziplinären Entscheidungstheorie (S. 70 ff.). Der Autor übernimmt hier den Versuch die wichtigen methodischen und empirischen Diskussionsbeiträge der vergangenen Jahre zu bündeln und zusammenzuführen (S. 70 f.). Dabei ist ihm wichtig die Frage, an welchem Punkt soll die juristische Perspektive unter Bezugnahme auf unbestimmte Rechtsbegriffe, Methodenelemente und Prinzipien eingenommen werden? Vorrangig sieht er hier die Möglichkeit in einem phasenorientierten Entscheidungsprozess, in dem die juristische Perspektive unter Bezugnahme auf unbestimmte Rechtsbegriffe und geeignete Methodenelement und Prinzipien eingenommen werden soll (S. 71).

Er bezieht sich hier auf die Phasen sozialer Einzelfallhilfe als Referenzrahmen, im Dreischritt Fallstudie/​Anamnese/​Diagnose und Behandlung (S. 78), geprägt durch Mindeststandards.

Ist die Einzelfallhilfe, durch diese Schritte phasiert, wird in der Phase der Diagnose, die Subsumtionstechnik durch ein dialogisch ausgestaltetes Verfahren teilweise ersetzt, also Legitimation durch Verfahren (S. 78). Das führt ihn zu der Frage „An welcher Stelle des Prozesses, findet bewusster Rechtsgebrauch statt in Form von Subsumtion statt“ (S. 82). Wo liegt er Schwerpunkt?

Das bezieht sich auf das rechtliche Monitoring, das nach sozialpädagogischer Anamnese und Diagnose, als sozialpädagogische Vorentscheidung 84, einem rechtlichen Qualitäts- oder Überprüfungschek unterworfen wird. Wesentlich ist dabei, dass die Subsumtionstechnik bereits in den Hintergrund gedrängt wird, da unterschiedlich fachliche Perspektiven berücksichtigt werden müssen. Der methodische Kern ist hier, dass die anstehende fachliche Entscheidung durch weitere Faktoren und Erfahrungswissen determiniert wird. Diese rechtliche Phase unterzieht die vorläufige sozialpäd. Entscheidung einer beschließenden rechtlichen materiellen Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Hilfeform (S. 85) nach Prüfung und Beantwortung etwa folgender Fragen:

  • Wurde der Sachverhallt im Einklang mit formalen ges. Mindeststandards ermittelt,
  • Wurden im Rahmen der sozialen Diagnose alle ges. Handlungsgrundlagen bereits in subsumtionsartiger Bezugnahme dialogisch geprüft und bewertet?
  • Ist das Ergebnis auch noch am Maßstab einschlägiger materieller Rechtsgrundlagen haltbar? (Siehe S. 80)

Das Fallbeispiel aus dem Eingang wird auf S. 102 erneut formuliert, die Fragen werden jetzt mit Blick auf das Koonzept des Monitorings umformuliert, die Frage von der reinen Rechtsanwendung entfernt, und im Monitoring Kontext reformuliert, also in einem Rechtsvollzug welcher der Bedeutung der Sozialpädagogik Rechnung trägt.

Hier die veränderten Fragen:

„Bitte gehen Sie von Ihnen potentiell einschlägig erscheinenden Bestimmungen des SGB VIII aus und nehmen Sie bei der Prüfung der Eignung der vorgeschlagenen Hilfeart zusätzlichen Bezug auf geeignet erscheinende rechtliche Methodenelemente. Wie beurteilen sie den fachlichen Vorschlag des ASD-Teams, aus der Perspektive des abschließenden rechtlichen Monitorings?“.

Diskussion

Das Ergebnis fällt für S. ermutigend aus. Plädiert wird für eine stärkere Berücksichtigung sozialwissenschaftlicher Ansätze unter Bezug auf Rotthleutner, die Einnahme einer empirisch fundierten Beobachterperspektive gegenüber der rechtsdogmatischen Anwenderperspektive scheint ihm unabdingbar (S. 103). Er weist auch auf Verständigungsprobleme zwischen unterschiedlich involvierten Professionen hin mit dem zutreffenden Hinweis, dass das psychosoziale Recht in vielfältige Rahmenbedingungen auf theoretischer und empirischer Ebene, also auch auf sprachlicher eingebettet ist (S. 104).

Aber eine solche Reflektion auf die Sprache ist in der herrschenden Sozialpädagogik, wie auch bei Buchholz-Schuster kaum ein Thema, geschweige denn ein Problem. Da es Buchholz-Schuster um eine interdisziplinäre Entscheidungstheorie geht, muss dies im Konzept des rechtlichen Monitorings berücksichtigt werden. Welti beschreibt das Verhältnis des Sozialrechts … zu Nachbardisziplinen als Multikulturell, „die dem Recht Verständnis und Übersetzungsleistungen abverlangen“. Für die Familienrechtswissenschaft beschreibt dies etwa Anne Röthel in Festschrift für D.C.E Waltjen anschaulich, wie unterschiedlich erfolgreich und wie unterschiedlich die Bemühungen des Rechts sind, die Sprache der Nachbardisziplinen zu verstehen, die zugleich zu Hilfswissenshaften herabgestuft werden. Was die Verständigungs- und Übersetzungsprobleme betrifft, gilt dies nicht nur für das Recht, sondern auch für die Pädagogik. Die Wanderung von Worten zwischen zwei (Fach-)Sprachen bezeichnet Fleck als eine Wanderung von Denkstilen.

Die Forderung von Münder, bei der sprachlichen Wanderung zwischen Recht und Sozialpädagogik solle die fachgerechte Leistung und die rechtliche Interpretation „Eins in Eins gehen“, ist also konfliktträchtig und auch ein Problem des rechtlichen Monitorings.

Der Grundgedanke geht für Buchholz-Schuster dahin, in einer interdisziplinären Entscheidungstheorie sozialpädagogische Handlungsschritte ungestört durchführen zu können, ohne dass in dieser Phase verinnerlichte Appelle an den Gebrauch rechtlicher Perspektiven und Subsumtionsmechanismen zu methodischen Unklarheiten und Interferenzen führt (S. 105).

Die vorgängige Sozialpäd. Anamnese und Diagnose, mag für den Juristen ungewöhnlich sein, aber dies nur, da er sich in der Gewohnheit der subsumierenden Rechtsanwendung immer schon eingerichtet hat.

Das erfordert eine genau und detaillierte Darstellung der Phasen des Rechtsvollzugs, eine klare Markierung der empirischen Ergebnisse zu dieser Methode und der Verbindungen der subsumierenden Rechtsanwendung mit und in den Phasen des Monitorings. Das erfordert für den Autor noch einer erheblichen kollektiven Anstrengung im rechtstheoretischen und empirischen Bereich.

Fazit

Blick man zurück auf die Entwicklung des SGB VIII in diesem Jahrhundert, die gekennzeichnet ist durch vielfältige Debatten zum unbestimmten Rechtsbegriff, zum Beurteilungsspielraum im SGB VIII, zur Rolle der Sozialpädagogik und des Verhältnisses der Sozialpädagogik zum Recht, Debatten, welche sich vielfach im Kreise drehen, dann ist dieses Projekt allemal zu unterstützen, da es neue methodische und rechtspolitische Türen öffnet, Erfolg ungewiss, das Buch ist damit für jedem interessierten zu empfehlen mit der Versicherung, dass es in jedem Fall neue Ideen generiert.


[1] Münder, Leistungsbeziehungen im Kinder- und Jugendhilferecht, in Schuler Harms (71-74)

Rezension von
Prof. Dr. Eckart Riehle
em. Professor für öffentliches Recht und Sozialrecht an der Fachhochschule Erfurt. Rechtsanwalt, Karlsruhe
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Zitiervorschlag
Eckart Riehle. Rezension vom 17.09.2024 zu: Eckardt Buchholz-Schuster: Rechtliches Monitoring und psychosozialer Sachverhalt. Plädoyer für eine anwendungsbezogene interdisziplinäre Entscheidungstheorie. Cuvillier Verlag (Göttingen) 2018. ISBN 978-3-7369-9757-8. Reihe: Zwischen den Welten - Band 15. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32583.php, Datum des Zugriffs 14.10.2024.


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