Suche nach Titel, AutorIn, RezensentIn, Verlag, ISBN/EAN, Schlagwort
socialnet Logo

Cécile Loetz, Jakob Müller: Mein größtes Rätsel bin ich selbst

Rezensiert von Dr. Florian Weitkämper, 04.02.2025

Cover Cécile Loetz, Jakob Müller: Mein größtes Rätsel bin ich selbst ISBN 978-3-446-27608-6

Cécile Loetz, Jakob Müller: Mein größtes Rätsel bin ich selbst. Die Geheimnisse der Psyche verstehen. Hanser Verlag (München) 2023. 303 Seiten. ISBN 978-3-446-27608-6. D: 25,00 EUR, A: 25,70 EUR.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.
Inhaltsverzeichnis bei der DNB.

Kaufen beim socialnet Buchversand

Thema

Über den Podcast „Rätsel des Unbewussten“ haben die Autor*innen einen bemerkenswerte Sichtbarkeit erreicht. Im Rahmen des Buches geben sie anhand alltagsnaher Geschichten Einblicke in die Psychoanalyse.

Verstehen kann zur Veränderung führen. Unverstandenes wiederholt sich, bis es verstanden wird – so argumentieren Cécile Loetz und Jakob Müller, wenn sie Einblick in die Gedanken und Gefühle von Menschen in Therapie geben, die die unbewussten Rätsel von Schmerz, Angst, Trauma und Aggression erkennen. Mit Verständnis und Klarheit zeigen sie den oft schwer fassbaren Weg der Psychotherapie, der zu einem tieferen Verständnis der eigenen Geschichte führen kann.

Autor:innen

Cécile Loetz, geboren 1987, ist Psychoanalytikerin und arbeitet in eigener Praxis. Jakob Müller, geboren 1985, ist Psychoanalytiker, Forscher und tätig am Universitätsklinikum Heidelberg. Gemeinsam gründeten sie den besagten Podcast und erhielten dafür 2018 den Förderpreis der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung. Sie leben in Heidelberg.

Aufbau und Inhalt

Das Buch „Mein größtes Rätsel bin ich selbst“ beleuchtet die psychoanalytische und tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie hinsichtlich der menschlichen Suche nach Identität und Konfliktfähigkeit anhand von vier Fallgeschichten.

  • Einleitung: Die Autoren führen in die zentrale Frage ein: Wie können wir uns selbst besser verstehen und unser Leben verändern?
  • Konrad – Die Melancholie des Lichts: Eine Geschichte über Depression, die metaphorisch als „weiße Melancholie“ beschrieben wird.
  • Maike – Abschied von Nimmerland: Ein Blick auf die Dynamik der Prokrastination und den Schmerz, der hinter dem Vermeiden stecken kann.
  • Aliya und Shadi – Die verlorenen Worte: Eine Kindertherapie, die zeigt, wie Worte und Gefühle verlorene Verbindungen wiederherstellen können.
  • Tom – Therapie mit einem Narzissten: Die therapeutische Arbeit mit einer Person mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstruktur, die zeigt, wie komplex der Weg zu Verständnis und Veränderung sein kann.

Jedes Kapitel wirft spezifische Themen auf, die sowohl individuell, zur Auseinandersetzung mit psychoanalytischer und tiefenpsychologische fundierter Psychotherapie als auch für die Erziehungswissenschaft relevant sind. Vor diesem Hintergrund werde ich im anschließenden Diskussionskapitel einige Fragen und Anschlussmöglichkeiten präsentieren.

Kapitel 1: Konrad – Weiße Depression und die Rolle der Beziehungen

Konrads Geschichte zeigt die tiefenpsychologische Dimension familiärer Konflikte und wie diese die Gegenwart prägen können. Die große Liebe von Konrad trennt sich von ihm, da er nicht in der Lage ist, ihr ein Gegenüber zu sein bzw. seine Gefühle mitzuteilen. Seine verinnerlichten Elternkonflikte und Beziehungslosigkeit zeichnen ein Bild, das durch den Kontakt mit seinem Therapeuten langsam aufgeschlüsselt wird. So legt dieser dar, dass Konrad keine innere Repräsentation [1] wohlwollender, interessierter Eltern entwickelt hätte, die dem Leben Bedeutung, in gewisser Weise seine Würze geben könne. „Aus jenem Mangel an äußerer Resonanz wird schließlich ein Mangel an innerer Resonanz: Was wir auch tun, es fühlt sich nicht sinnvoll an“ (66). In der Auseinandersetzung mit seiner weißen Depression wird Konrad nach und nach fähig, sich mit ‚vergangenen‘ Gefühlen zu beschäftigen und diese zu durchleben. Auf diese Weise entwickelt er im Verlauf der Therapie eine neue psychische Stabilität und kann sich schließlich für eine neue (Liebes-)Beziehung öffnen.

Kapitel 2: Maike – Prokrastination und Entscheidungslosigkeit

Maike prokrastiniert, sucht deshalb Beratungsangebote zum Thema Zeitmanagement auf und kommt gleichsam nicht zur Ruhe. In dieser Geschichte wird deutlich, dass es ihr an innerer Fokussierung und Aufmerksamkeit mangelt, die sich gerade im Aufschieben von Entscheidungen manifestiert. Sie ist Studentin und es zeichnet sich bereits in der Studienwahl ab, dass die Entscheidung für ihr Studium mehr an den Biografien der Eltern orientiert war, als mit wirklichem Eigeninteresse zu tun hatte, was während der Therapie immer deutlicher wird. Im Verlauf der Therapie zeigt sich, dass es sich um eine Übertragungsdynamik elterlicher Ängste handelt. Maike und ihre Eltern sind in täglichem Kontakt; Maike vermittelt häufig zwischen ihnen, wenn diese im Streit sind und wägt auch kleinste Entscheidungen mit ihnen ab. Maikes Prokrastination und Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen, spiegelt die Sorge ihrer Eltern wider, die mit dem „Leerwerden“ des Hauses zu kämpfen haben. Maike scheint – so die Therapeutin – ihr ungelebtes Leben leben zu sollen. In der Analyse ihrer Dynamik mit Maike bemerkt die Therapeutin, dass sie anfangs Maikes Muster stützt: „Es ist nicht verwunderlich, dass sich Maikes Beziehungsmuster auch in unserer therapeutischen Beziehung wiederholen – wir alle tragen unsere Beziehungserwartungen erst einmal in jede neue Beziehung hinein“ (126). Nebenbei – so die Therapeutin – würde sich dann aber nach und nach ein anderes Beziehungsmuster entwickeln: Maike schafft es einmal beispielsweise nicht zur Therapie zu erscheinen, traue sich nicht diese abzusagen und wird dann von der Therapeutin aber aufgrund der kurzfristigen nicht mehr möglichen Umplanung dazu verpflichtet, ein Ausfallhonorar zu tätigen. Die Therapie kann zwar – wie in dem Kapitel an späterer Stelle argumentiert wird – nicht gesellschaftliche oder generationale Konflikte lösen, aber immerhin die individuelle Konfliktfähigkeit stärken: Maike verlässt die Therapie nicht konfliktfrei, jedoch konfliktfähig mit anderen Konflikte (im Rahmen des Therapieprozesses vor allem mit ihren Eltern) auszuhandeln – ein Fortschritt, der ihre Lebensqualität wohl erheblich steigert. So engagiert sie sich schließlich bei Fridays for Future, findet dort auch freundschaftlichen Anklang und beginnt selbstbestimmt ein neues Studium.

Kapitel 3: Aliya und Shadi – Zur Kraft des Spiels

Das dritte Kapitel gibt Einblick in den Nutzen von spielerischen Ansätzen, um der kindlichen Psyche näher zu kommen, welche sich insbesondere infolge von traumatischen Erfahrungen durch Mechanismen der Abkapselung und Unangreifbarkeit schützen kann: Bei dem sechs-jährigen Shadi, welcher mit seiner Familie aus Syrien nach Deutschland geflohen ist, führt dies u.a. dazu, dass er im Kindergarten aufhört zu sprechen und wenig Anklang bei Gleichaltrigen findet. Ein Zustand, den seine Mutter, Aliya, die sich sehr für eine gute Integration in Deutschland engagiert, dazu bringt, sich therapeutische Unterstützung zu suchen. Aliya, die alleinerziehende und alleinverantwortliche Mutter von drei Kindern, spricht gutes Deutsch und bewältigt die Anforderungen des Alltags mit Perfektion. Allerdings stellt sich heraus, dass es kaum bis keinen Platz für Gefühle in ihrem Leben – und dem ihrer Kinder – gibt. So legt sich Shadi einen Panzer wie seine Lieblingspuppe und Vorbild Iron Man zu, um den Tod seines Vaters nicht spüren, nicht betrauern zu müssen. Dieser Aspekt wird der Therapeutin im Spiel mit ihm und Gespräch mit seiner Mutter, Aliya, nach und nach deutlich: „Jeder Trauerprozess verlangt das, was man in der Psychoanalyse den ‚zweiten Tod‘ nennt. Nach dem realen Verlust muss der verlorene Angehörige auch psychisch losgelassen werden. Ein Vorgang, für den die Gesellschaft einen Ritus vorsieht, die Beerdigung, an der Aliya bezeichnenderweise nicht teilnehmen konnte.“ (208) Im Laufe der Therapie entwickelt die Therapeutin einen Zugang zu Shadis wie Aliyas Gefühlen. Shadi findet endlich seine Worte wieder. Durch die Trauerarbeit in der Eltern-Kind-Therapie wird auch eine neue Beziehung zwischen der Mutter und ihren Kindern möglich: Eine Integration des Syrischen und Deutschen entsteht; ob beim Einfließen der deutschen wie syrischen Sprache im Alltag oder auch beim verträumten Singen von arabischen Kinderliedern der Kinder während des Spielens.

Kapitel 4: Tom – Der lange Schatten der Scham

In diesem Kapitel wird die Geschichte eines Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstruktur – wie die Einleitung des Kapitels reflektiert – dargelegt. Tom kontrolliert gerne sein Umfeld, was sich gleich zu Beginn der Therapie in der Dynamik mit seinem Therapeuten zeigt. So will er zum Beispiel die Therapiesitzungen selbst bezahlen, was ihm wiederum eine Position der Kontrolle bzw. Überlegenheit einräumen könnte. Der Therapeut versucht daher in den ersten Sitzungen das Muster Übertragung und Gegenübertragung [2] zu verstehen. Diese Prozesse bieten wertvolle Einblicke; dem Therapeuten gelingt es so eine therapeutische Beziehung zu Tom zu etablieren, die durch die Mechanismen der Demütigung und Beschämung führen kann, auch wenn die etablierte Beziehung dauerhaft heikel bleibt. Letztlich gelingt es Tom zumindest einen bewussteren Umgang mit den Verletzungen und Gewaltanwendungen seiner Eltern in seiner Kindheit zu erlangen. In dieser Zeit wurde er – so wird während des Therapieprozesses deutlich – von seiner Mutter vergöttert, gleichsam hielt sie den Vater nicht auf, wenn dieser ihn verprügelte oder auch als „Ekelschleim“ (262) erniedrigte. Tom würde insgesamt an einer Depressivität wie gewissen Impulsivität (228) leiden. Die genannten Erfahrungen und seine Krankheitsstruktur, die – so zeigt der Therapeut auf – nur über lange Zeit bearbeitet werden könne, da die Psyche schützend agiere, damit keine Überforderung eintrete. Im Rahmen der Therapie könnten ansonsten Prozesse und Erkenntnisse in Gang gesetzt werden, die dann nicht mehr haltbar für das Bewusstsein seien; es geht Tom teils etwa so schlecht, dass er gelegentlich auch in den Therapiesitzungen Panikattacken erleidet und kurzzeitig unklar ist, ob die Auseinandersetzungen mit seinen Wunden insgesamt zu herausfordernd ist. Auch wenn sich nach und nach enge Kontakte, wie etwa seine Tochter oder auch seine Frau, die sich im Laufe der Therapie von ihm trennt, von ihm abwenden, entwickelt er dennoch langsam einen Kontakt zu sich selbst, der einen Kontakt zu anderen ermöglichen könne – so der Therapeut. Gerade in dieser Geschichte zeigt sich jedoch wie prekär innere Prozesse sein können.

Diskussion

Oder: Zum Verhältnis von Erziehungswissenschaft und Psychoanalyse

Insgesamt gibt das Buch einen interessanten und differenzierten Einblick in die Praxis der Psychoanalyse und die Herausforderungen einer Beziehungsgestaltung von Personen zu sich selbst und anderen. Das Buch stellt dabei kein Überblickswerk dar, sondern dient dem privaten oder veranschaulichenden Gebrauch. Es ist nicht so leicht einen Überblick über das Buch zu erhalten, wenn es nicht von vorne nach hinten gelesen wird. Dennoch lassen sich auch Geschichten einzeln lesen und geben einen guten Eindruck in die Praxis der Psychoanalyse sowie tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie, die auch Bewusstseinsprozesse beim Lesenden auslösen können. So konnte ich eigene (Trauer-)Erfahrungen oder auch den Umgang mit Menschen mit Depression nochmals anders betrachten, teils neu verstehen. Die Geschichten sind so verändert, dass kein Rückschluss auf die betroffenen Patent*innen möglich ist (12). Deutlich wird in den Geschichten, dass Menschen früh im Leben innere Kompromisse, Vorstellungen oder Schutzmechanismen etablieren, um sich psychisch zu schützen. Diese Muster begleiten Menschen oft ein Leben lang und zeigen sich später, wenn Krisen oder Konflikte so stark werden, dass sie nicht länger im Verborgenen bleiben können. Sie können dann in Form rätselhafter Symptome ans Licht treten – so die Argumentation des Buches. Psychoanalytische Praxis kann als ein Prozess des Entschlüsselns gefasst werden, um das, was sich im Verhalten wie eine fremde Sprache zeigt, verständlich zu machen. Sowohl der Rückgriff auf Begrifflichkeiten und Konzepte des Faches werden dabei plausibel und nachvollziehbar entwickelt, als auch mit einem Anregungspotenzial für Individuen wie andere Disziplinen vermittelt. In der Folge möchte ich vor allem das Verhältnis zur Erziehungswissenschaft thematisieren, da meines Erachtens auch hier viel davon abhängt, wie die (Selbst-)Beziehungen gestaltet werden: „No Education without Relation“ – wie es Bingham und Sidorkin (2004) auf den Punkt bringen: Ohne Beziehung keine Erziehung und Bildung, auch wenn pädagogische Settings sich stark unterscheiden können, was die Machtförmigkeit und Grade der Freiwilligkeit ausmacht. Eine wichtige Schnittstelle zwischen Erziehungswissenschaft und Psychoanalyse bildet dabei die Frage, wie dysfunktionale psychische Prozesse beziehungsweise als störend wahrgenommene Beziehungsdynamiken bearbeitet und bewältigt werden können, um Grade der Autonomie zu erhöhen.

Giesecke (1997) argumentiert etwa, dass Pädagogik nicht direkt ins Unbewusste eingreifen sollte, sondern sich auf sprachlich benennbare Prozesse konzentrieren sollte: „Pädagogisches Handeln ist also nur dort möglich, wo der wechselseitig verstehbare Austausch von sprachlich erschlossenen Erfahrungen stattfinden kann.“ (ebd.: 25) Helsper (2000) entwickelt demgegenüber einen Begriff von typischen Widersprüchen resp. Antinomien wie Nähe und Distanz, die das pädagogische Handeln prägen und zur Ausgestaltung eines spezifischen Arbeitsbündnisses nötig seien. Zur Professionalisierung benötige es eine Fallkompetenz, die als pädagogische Kasuistik bezeichnet werden kann und dafür etwa das Verhältnis von Nähe und Distanz in konkreten Situationen analysiert und reflektiert (Beck et al. 2000, Helsper 2001). Dieser methodische Zugang fördert ein vertieftes Verständnis der Komplexität pädagogischer Situationen und kann eine Verbindung in die Psychoanalyse schlagen: Wie Felten (2020) im Anschluss an Adler feststellt: „Man kommt weiter, wenn man nicht mit den Kindern kämpft, sondern ihre Muster wohlwollend durchschaut – und ihre Energie in nützliche Bahnen lenkt.“ (ebd.: 11) Dies macht deutlich, dass pädagogische Praxis nicht allein auf die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen ausgerichtet sein kann, sie diese aber auch nicht ignorieren darf. Stattdessen ist es zentral, die Gründe für ihr Handeln wohlwollend zu ergründen und mit pädagogischen Zielen in Einklang zu bringen. Damit kann sich pädagogisches Handeln in einer vergleichbaren Logik wie psychoanalytische Praxis bewegen, die von einem Wissensvorsprung und Zielorientierung geprägt ist. Es stellt sich daher die Frage, wie ein selbstbestimmter und nicht-autoritärer Umgang mit dem jeweiligen Gegenüber stattfinden kann. Das Buch gibt hierzu interessante Einblicke in Dynamiken der bewusst haltenden, containenden Arbeit von Therapeut*innen, die Prozesse und Emotionen mit den Klient*innen durchleben bzw. durchleiden, ihnen aber nicht die Verantwortung für ihre Entscheidungen abnehmen (zum containing siehe auch Loetz & Müller 2019).

Psychoanalytische Praxis kann pädagogisches Unterscheidungswissen beireichern, indem sie Einblicke in die unbewussten Dynamiken von Verhalten und Interaktion liefert. Sie sensibilisiert pädagogische Fachkräfte dafür, wie Übertragungen, unbewusste Konflikte oder emotionale Muster pädagogische Beziehungen beeinflussen können (vgl. auch Eggert-Schmid Noerr et al. 2018). So ließe sich etwa das problematisch wahrgenommene Verhalten eines Kindes oder Jugendlichen nicht als Affront rahmen, sondern als ein noch nicht verstandenes Rätsel, das mittels prozesshaftem Verstehen und einem sich-einlassenden Blick längerfristig entschlüsselt werden könnte. Fragen könnten dann lauten: Was löst das besagte Verhalten bei mir aus? Welche Dynamiken beobachte ich im Kontext dieses Verhaltens? Wo sehe ich Optionen eines gelingenden Umgangs? Dies bedeutet jedoch nicht, dass Pädagogik zur Therapie wird, sondern vielmehr, dass sie die Bedeutung innerer Prozesse oder auch Krisen anerkennt, ohne ihre eigene Zielsetzung – den Sachbezug und die Förderung von Erziehung, Bildung, Entwicklung und Lernen – aus den Augen zu verlieren. Dafür kann ein Bewusstsein über die Verstrickungen des eigenen Denkens ein plausibler Einstieg zur Entwirrung von pädagogischen, oft ungleichheitsrelevanten Interaktionsmustern sein (auch Rutter/Weitkämper 2023; King 2022).

Durch die Verbindung dieser Perspektiven kann ein fruchtbares Spannungsfeld entstehen, das es erlaubt, sowohl psychische als auch soziale beziehungsweise pädagogische Prozesse besser zu verstehen und praxisrelevante Impulse für eine professionelle und reflektierte Pädagogik bereithält.

Fazit

„Mein größtes Rätsel bist ich selbst“ ist eine eindringliche und interessante Analyse der komplexen Wechselwirkungen zwischen individueller Psyche und Therapie. Die differenzierte Darstellung von Scham, Konfliktfähigkeit und Beziehungsgestaltung macht das Buch zu einer wertvollen Lektüre für Therapeut*innen, Pädagog*innenen und alle, die Interesse am Verstehen von sich und anderen haben. Es gibt Einblick, wie Veränderung im Selbst sprießen kann und macht Mut vertraute Strukturen zu hinterfragen sowie neue Ansätze der Beziehungsgestaltung zu wagen.

Literatur

Bingham, C. & Sidorkin, M. A. (2004): No Education Without Relation. New York: Peter Lang.

Beck, C., Helsper, W., Heuer, B., Stelmaszyk, B., & Ullrich, H. (2000). Fallarbeit in der universitären LehrerInnenbildung. Professionalisierung durch fallrekonstruktive Seminare? Eine Evaluation. Opladen: Leske + Budrich. https://doi.org/10.1007/978-3-663-10029-4.

Felten, M. (2020). Unterricht ist Beziehungssache. Stuttgart: Reclam.

King, V. (2022): Sozioanalyse. Gießen: Psychosozial.

Helsper, W. (2000): Antinomien des Lehrerhandelns und die Bedeutung der Fallrekonstruktion. Überlegungen zu einer Professionalisierung im Rahmen universitärer Lehrerbildung. In: E. Cloer, D. Klika & H. Kunert (Hrsg.): Welche Lehrer braucht das Land? Notwendige und mögliche Reformen der Lehrerbildung. Weinheim: Juventa, 141–178.

Helsper, W. (2001). Praxis und Reflexion. Die Notwendigkeit einer „doppelten Professionalisierung“ des Lehrers. Journal für Lehrerinnenbildung, 1 (3), 7–15.

Loetz, C. & Müller, J. (2019, 14. Juni). Folge 33: Containing. Oder: Wie psychische Bedeutung entsteht – Rätsel des Unbewußten: Podcast zur Psychoanalyse und Psychotherapie. https://psy-cast.org/de/folge-33-containing-oder-wie-psychische-bedeutung-entsteht/.

Oevermann, U. (1996). Theoretische Skizze einer revidierten Theorie professionalisierten Handelns. In A. Combe & W. Helsper (Hrsg.): Pädagogische Professionalität. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag, 70–82.

Rutter, S. & Weitkämper, F. (2023): Die (Re-)Produktion sozialer Ungleichheit in der Schule. www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/die-re-produktion-sozialer-ungleichheit-in-der-schule (Abfrage: 29.10.2024).


[1] Mit dem Begriff der inneren Repräsentation werden in der Psychoanalyse mentalen Bilder, Vorstellungen und Gefühle, die Menschen von sich selbst, anderen Personen und deren Beziehungen zueinander entwickeln, beschrieben. Diese unbewussten Muster basieren auf frühen Beziehungserfahrungen und beeinflussen, wie jemand spätere soziale Interaktionen wahrnimmt und gestaltet.

[2] Der psychoanalytische Begriff der Übertragung beschreibt dabei das Phänomen, dass unbewusste Gefühle oder Erwartungen aus früheren Beziehungen meist auf die Therapeutin oder den Therapeuten projiziert werden, etwa wenn diese*r als Elternfigur wahrgenommen wird. Die Gegenübertragung bezeichnet die emotionale Reaktion des Therapeuten auf diese Übertragung, die sowohl durch die Persönlichkeit des Patienten als auch durch eigene unbewusste Konflikte beeinflusst sein kann.

Rezension von
Dr. Florian Weitkämper
Mailformular

Es gibt 1 Rezension von Florian Weitkämper.

Zitiervorschlag anzeigen Besprochenes Werk kaufen

Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt. Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns. Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.


socialnet Rezensionen durch Spenden unterstützen
Sie finden diese und andere Rezensionen für Ihre Arbeit hilfreich? Dann helfen Sie uns bitte mit einer Spende, die socialnet Rezensionen weiter auszubauen: Spenden Sie steuerlich absetzbar an unseren Partner Förderverein Fachinformation Sozialwesen e.V. mit dem Stichwort Rezensionen!

Zur Rezensionsübersicht

Sponsoren

Wir danken unseren Sponsoren. Sie ermöglichen dieses umfassende Angebot.

Über die socialnet Rezensionen
Hinweise für Rezensent:innen | Verlage | Autor:innen | Leser:innen sowie zur Verlinkung

Bitte lesen Sie die Hinweise, bevor Sie Kontakt zur Redaktion aufnehmen.
rezensionen@socialnet.de

ISSN 2190-9245