Holly K. Oxhandler: The Soul of the Helper
Rezensiert von Stefan van der Hoek, 18.09.2024
Holly K. Oxhandler: The Soul of the Helper. Seven Stages to Seeing the Sacred within Yourself So You Can See It in Others. Rutgers University Press (Piscataway, NJ 08854-8099) 2022. ISBN 978-1-9788-4287-8.
Thema
The Soul of the Helper richtet sich an Menschen in helfenden Berufen, mit einem besonderen Fokus auf professionelle Fachkräfte in der Sozialen Arbeit und Pflege. Das Buch bietet einen siebenstufigen Leitfaden, der die Verbindung zwischen Spiritualität, Religion und psychischer Gesundheit betont, um als Ressource für helfende Berufe eine Unterstützung zu bieten. Kernstück des Buches ist Oxhandlers Namaste-Theorie, die besagt, dass Menschen das Göttliche in sich selbst erkennen müssen, um es auch in anderen zu sehen und ihnen effektiv zu helfen. Der Leitfaden möchte Fachkräfte dabei unterstützen, durch Selbstfürsorge und spirituelle Achtsamkeit Burn-out zu vermeiden und bewusster zu handeln.
Autor:in
Holly K. Oxhandler ist Associate Dean für Forschung und Fakultätsentwicklung sowie Associate Professorin an der Diana R. Garland School of Social Work der Baylor University, einer privaten Universität in Texas, die den Baptisten nahesteht. Oxhandler hat ihren PhD und MSW an der University of Houston erworben und ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf der Integration von Religion und Spiritualität in die psychische Gesundheitsversorgung. Sie entwickelte die Religious/​Spiritually Integrated Practice Assessment Scale und ist Co-Moderatorin des Podcasts CXMH: Christianity & Mental Health.
Entstehungshintergrund
The Soul of the Helper entstand aus der intensiven persönlichen Auseinandersetzung Oxhandlers mit ihrer eigenen psychischen und spirituellen Gesundheit sowie ihren innigen Glaubensfragen. Viele ihrer Reflexionen und Erfahrungen, die im Buch erwähnt finden, gehen auf einen längeren biographischen Prozess zurück. Die Autorin teilt dabei mutig ihre eigenen Herausforderungen und Heilungswege, um anderen Fachkräften in helfenden Berufen zu zeigen, wie wichtig es ist, die eigene Spiritualität und das psychische Wohlbefinden zu pflegen.
Aufbau
Der Aufbau von Holly Oxhandlers Buch The Soul of the Helper gliedert sich in drei Teile. Zunächst wird das Zusammenspiel von Spiritualität und psychischer Gesundheit vorgestellt, untermauert durch persönliche Erfahrungen der Autorin. Im zweiten Teil beschreibt Oxhandler sieben Phasen der spirituellen Entwicklung, die aufeinander aufbauen und in den Dienst am Nächsten münden. Der dritte Teil fokussiert auf die praktische Umsetzung der Theorie mit Methoden zur Reflexion und Anwendung der Erkenntnisse im Alltag. Dieser praxisorientierte Aufbau lädt die Lesenden zur Integration in ihre berufliche Praxis ein.
Inhalt
Im ersten Teil wird das Themenfeld der Spiritualität und psychischen Gesundheit eingeführt, wobei gegenüber den Lesenden verdeutlicht wird, wie diese Bereiche sich gegenseitig ergänzen können. Oxhandler teilt in diesem Kapitel nicht nur den aktuellen Forschungsstand, der etwas verkürzt auf einige Theorien aus Religionswissenschaft und Religionssoziologie sowie Spiritual Care eingeht, sondern vor allem auch ihre persönlichen Erfahrungen bezüglich eigener psychischer Erkrankungen sowie Genesung mit. Dies begründet die Autorin damit, dass „When we create space for our spiritual journey and mental health journey to coexist, we’re better positioned to help those around us” (S. 35).
Das erste Kapitel schließt mit der Vorstellung der Namaste-Theorie (S. 42), die die zentrale Verklammerung der verschiedenen Kapitel bildet und von der Autorin bereits 2017 in einem Artikel eingeführt wurde (Oxhandler 2017). Der Begriff „Namaste“ (नमस्ते), ein Gruß im Sanskrit, die in hinduistischen Texten und als liturgische Sprache des Hinduismus, Buddhismus und Jainismus verwendet wird, wird sowohl als Begrüßung als auch als Abschiedsgruß verwendet und hat eine tiefe spirituelle Bedeutung. Denn Namaste drückt mehr als nur Respekt, Höflichkeit, Ehre und Dankbarkeit gegenüber einer Person aus; es bedeutet, nach der Interpretation von Krishna A. K. Namibia, die Oxhandler aufgreift: „Ich erkenne Gott in dir“ (Nambira 1979, S. 20). Namaste symbolisiert die Gleichheit aller und dient als Erinnerung daran, dass alle Menschen in ihrem inneren tief miteinander verbunden sind. In der hinduistischen Tradition, die tief von spirituellen und philosophischen Konzepten durchdrungen ist, drückt Namaste eine tiefe Anerkennung des Göttlichen im anderen aus, basierend auf der Idee, dass jedes Wesen einen Funken des Göttlichen in sich trägt. Das Heilige in sich selbst zu erkennen ist somit Voraussetzung, um es auch im Gegenüber wahrzunehmen.
Der zweite Teil des Buches beschreibt die sieben Stufen der Suche nach dem Heiligen. Diese Stufen sind eher als Wahrnehmungsübungen zu verstehen und bauen aufeinander auf, um ein spirituelles Bewusstsein zum Dienen aus einer respektvollen und wohlwollenden Haltung gegenüber dem anderen zu schaffen, welches für helfende Berufe als Ressource der Selbstwirksamkeit verstanden wird (S. 144). Oxhandler betont, dass das Erwachen zur inneren Spiritualität Impulse zum Dienst an anderen weckt, indem sie schreibt: “As we awaken to the Sacred within and see it in others, it’s as though we’re naturally drawn to serve the image of God within and all around us” (S. 162).
In dem dritten Teil stellt Oxhandler die praktische Umsetzung der Namaste-Theorie in den Fokus und es werden verschiedene Methoden zur Reflexion und Anwendung des Gelernten im Alltag vorgestellt. Dieser praxisorientierte Teil lädt die Lesenden dazu ein, das Gelernte in ihre tägliche Arbeit zu integrieren.
Diskussion
Die Auseinandersetzung mit Holly Oxhandlers The Soul of the Helper und insbesondere die von ihr formulierte Namaste-Theorie birgt sowohl Chancen als auch Herausforderungen für deutschsprachige Sozial- und Pflegeberufe, insbesondere aufgrund des unterschiedlichen religiösen und kulturellen Kontextes in den USA und Deutschland. Grundsätzlich kann die Verbindung eines religiösen Weltbildes und die Motivation dazu dienen, Menschen sowohl ehrenamtlich als auch professionell zu helfen, andere mit mehr Respekt, Wertschätzung und Anerkennung zu begegnen. Zudem können die Kenntnisse über die Spiritualität von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen, worüber noch immer zu wenig interdisziplinäre Forschung existiert, den Fachkräften in Sozialarbeit und Pflege dabei helfen, eine ganzheitliche Betreuung zu bieten, indem sie nicht nur auf die physischen und psychischen, sondern vor allem auch auf die spirituellen Bedürfnisse ihrer Klienten eingehen. Jedoch geht der von Oxhandler entwickelte Ansatz darüber hinaus und betont mindestens ebenso stark die Möglichkeit der Selbstfürsorge und der spirituellen Achtsamkeit der Fachkräfte selbst, die ihrer Aussage nach dazu helfen soll, Burn-out vorzubeugen und gegenüber psychischen Beeinträchtigungen widerstandsfähiger in ihrem Berufsalltag zu werden. Da dies jedoch nicht mit empirischen Ergebnissen getragen wird und schwerlich in der von Oxhandler postulierten breite gestützt werden kann, ließe sich ebenso Gegenteiliges behaupten und biografische Erzählungen finden, die religiöse Wert- und Normmaßstäbe als überbordend in ihrer professionellen Arbeit empfinden.
Nicht zu Letzt kann der von Oxhandler formulierte Zugang Fachkräfte dabei unterstützen, interreligiöse Sensibilität zu entwickeln, was in pluralistischen Gesellschaften wie Deutschland zunehmend relevant wird, jedoch von gewissen Voraussetzungen abhängig ist, die vielerorts erst noch geschaffen werden müssen. In vielen Bereichen der Sozial- und Gesundheitsfürsorge herrscht in Deutschland eine gewisse Skepsis gegenüber religiös konnotierter Sprache im professionellen Kontext vor. Insbesondere der Begriff Namaste würde aller Wahrscheinlichkeit nach sowohl bei Fachkräften als auch Klienten*innen Miss- wenn nicht sogar Unverständnisse hervorrufen oder gar als unangemessene spirituelle oder gar esoterische Vereinnahmung wahrgenommen werden.
Das Buch und speziell die darin entworfene Namaste-Theorie sind somit stark im US-amerikanischen Kontext verwurzelt, in dem religiöse Vielfalt und der Einfluss spiritueller Konzepte aus unterschiedlichen Traditionen breiter akzeptiert und in der Gesellschaft verbreitet sind und in Deutschland nicht dieselbe Resonanz finden dürfte. Insgesamt kann Oxhandlers Ansatz wertvolle Impulse liefern, die einer kritischen Anpassung bedürfen, um in den stärker säkularen und religiös sensiblen deutschsprachigen Sozial- und Pflegeberufen angewendet zu werden.
Oxhandlers Buch bietet eine tiefgründige und praxisorientierte Auseinandersetzung, die Fachkräften in helfenden Berufen wertvolle Einblicke in die Verbindung von Spiritualität und psychischer Gesundheit bereitstellt. Oxhandler zeigt dadurch auf eindrucksvolle Weise auf, wie Selbstfürsorge und die bewusste Anerkennung des Göttlichen im anderen (man könnte auch von der Ebenbildlichkeit Gottes sprechen, um in jüdisch-christlichen Traditionen zu bleiben) zentrale Voraussetzungen sind, um andere empathisch und nachhaltig unterstützen zu können. Das Buch überzeugt durch seine persönliche Note, die aus der langjährigen Auseinandersetzung der Autorin mit den Themen resultiert, und bietet praktische Hilfestellungen für die berufliche Praxis. Für den deutschsprachigen Raum sind jedoch sowohl Form als auch Inhalt gewöhnungsbedürftig, wenn nicht gar zu voraussetzungsreich, um breiter rezipiert und angewandt zu werden. Für diejenigen, die bereit sind, sich auf etwas grundlegend Neues einzulassen, ist das Buch möglicherweise eine wertvolle Ressource. Für die Forschung wäre es hingegen vor allem interessant, nach weiteren internationalen Standards und Anhaltspunkte im Ethik-Kodex zu fragen, die einen internationalen Vergleich des Umgangs mit spirituellen Konzepten in der Sozialen Arbeit bietet, um international an der blühenden Landschaft rund um das Thema Spiritualität und Soziale Arbeit anschlussfähig zu bleiben.
Fazit
Abschließend lässt sich sagen, dass The Soul of the Helper einen tiefen Einblick in die Verbindung von Spiritualität, psychischer Gesundheit und helfenden Berufen bietet. Ihre Namaste-Theorie betont, dass die Anerkennung des Heiligen in sich selbst der als Schlüssel verstanden werden kann, um dies auch in anderen zu sehen, und ermöglicht so einen achtsamen und effektiven Dienst am Nächsten. Besonders in der Sozialarbeit und Pflege kann dieses Buch als wertvolle Ressource zur Stärkung der Selbstfürsorge und Resilienz betrachtet werden, dessen Inhalte jedoch nicht unreflektiert übernommen werden sollten.
Literatur
Nambiar, K. A. K. (1979). Namaste: Its philosophy and significance in Indian culture. Spiritual India Publishing House.
Oxhandler, H. K. (2017). Namaste theory: A quantitative grounded theory on religion and spirituality in mental health treatment. Religions, 8(9), 168. https://doi.org/10.3390/rel8090168
Rezension von
Stefan van der Hoek
Forschungsreferent an der Evangelischen Hochschule RWL, Bochum
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Es gibt 2 Rezensionen von Stefan van der Hoek.
Zitiervorschlag
Stefan van der Hoek. Rezension vom 18.09.2024 zu:
Holly K. Oxhandler: The Soul of the Helper. Seven Stages to Seeing the Sacred within Yourself So You Can See It in Others. Rutgers University Press
(Piscataway, NJ 08854-8099) 2022.
ISBN 978-1-9788-4287-8.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32588.php, Datum des Zugriffs 06.10.2024.
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