Anna Erretkamps, Katharina Kufner et al.: Therapie-Tools Depression bei Menschen mit geistiger Behinderung
Rezensiert von Dipl.-Päd. Petra Steinborn, 12.12.2024
Anna Erretkamps, Katharina Kufner, Susanne Schmid, Jürgen Bengel: Therapie-Tools Depression bei Menschen mit geistiger Behinderung. Mit Online-Material und Arbeitmaterial in leichter Sprache.
Beltz Juventa
(Weinheim und Basel) 2024.
2. Auflage.
176 Seiten.
ISBN 978-3-621-29175-0.
D: 45,00 EUR,
A: 46,60 EUR.
Reihe: Therapie-Tools.
Thema
Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ist die Wahrscheinlichkeit für eine psychische Störung bei Menschen mit Intelligenzminderung drei- bis viermal so häufig. Eine Depression zählt auch hier zu den häufigsten Störungsbildern. Zurückzuführen ist diese höhere Rate auf mehr potenzielle biologische, soziale und auch psychische Risikofaktoren.
Unbestritten ist die Wirksamkeit von Psychotherapie bei Menschen mit geistiger Behinderung, dabei sind einige Besonderheiten und Herausforderungen im Hinblick auf die Anpassung an die Zielgruppe zu beachten. Zu nennen sind dabei der Einsatz von einfacher/leichter Sprache und das Einbeziehen von Bezugspersonen in die Therapie.
Entstehungshintergrund
Der hier vorgelegte Band ist im Beltz Verlag erschienen. Die Reihe „Therapie-Tools“ umfasst über 90 Titel. Die Reihe stellt ein vielfältiges Instrumentarium für die psychotherapeutische Arbeit zur Verfügung, ergänzt durch zusätzliches Online Material mit Fragebögen, Übungs- und Arbeitsblättern für Klientinnen und Klienten sowie Therapeutinnen und Therapeuten.
Aufbau und Inhalt
Das hier vorgelegte Buch ist in der 2. Auflage im DIN A 4 Softcoverformat erschienen und hat einen Umfang von 175 Seiten. Dieser Therapie-Tools-Band stellt erstmals Arbeitsblätter für die Psychotherapie depressiver Syndrome bei Menschen mit einer sog. geistigen Behinderung zusammen.
Neben Vorwort und Einführung zu Besonderheiten der Psychotherapie von Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung/geistigen Behinderung finden sich am Ende des Buches eine Übersicht zu Informations- und Arbeitsblättern sowie ein Literaturverzeichnis.
Das Manual selbst gliedert sich in sieben Kapitel. Alle Kapitel sind gleich aufgebaut: sie geben zuerst einen Überblick zum jeweiligen Thema, notwendiges Hintergrundwissen und auch einen Überblick über Arbeitsmaterialien.
Beleuchtet werden in Kapitel 1. die psychologische Diagnostik bei Menschen mit geistiger Behinderung und Depression, im 2.Kapitel der Beginn der Therapie, im 3. Kapitel der Aktivitäten Aufbau, im 4. Kapitel der Umgang mit alltäglichen Anforderungen und Tagesstrukturierung, im 5. Kapitel die Arbeit mit Emotionen, im 6. Kapitel die Steigerung von Selbstwirksamkeitserleben und das 7.Kapitel schließt mit dem Vorgehen zur Beendigung der Therapie ab.
Diskussion
Die Zahlen zur Häufigkeit einer psychischen Störung bei Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung erschrecken, sie sind drei- bis viermal so häufig wie in der Allgemeinbevölkerung. Auch bei diesem Personenkreis gehören Depressionen zu den häufigsten Störungsbildern. Ursächlich dafür ist eine Vielzahl potenzieller biologischer, sozialer und auch psychischer Risikofaktoren.
Es ist unbestritten, dass Psychotherapie bei Menschen mit geistiger Behinderung wirksam ist.
Leider gibt es noch viel zu wenig Angebote mit dem Ergebnis einer erheblichen Unterversorgung. Das hat vielerlei Gründe z.B. in einigen Besonderheiten und Herausforderungen im Hinblick auf die Anpassung an die Zielgruppe. Es braucht eine angepasste Kommunikation z.B. durch den Einsatz von einfacher/leichter Sprache. Auch das Einbeziehen von Bezugspersonen in die Therapie ist ein möglicher Weg.
Die Gliederung des Buches spiegelt die zentralen Elemente der Bearbeitung von Depressionen wider: die Kapitel 3–6 geben Hinweise zum Aktivitäten-Aufbau, zum Umgang mit alltäglichen Anforderungen und Tagesstrukturierung, zur Arbeit mit Emotionen und zur Steigerung von Selbstwirksamkeitserleben. Alle diese Themen sind auch in meinen professionellen Angeboten an Beratung und Fortbildung zentrale Lernfelder für Mitarbeitende in diesem Handlungsfeld. Es ist von enormer Bedeutung, dass Mitarbeitende verstehen, dass sie die Aufgabe haben, mit den Betroffenen eine sichere und nachhaltige Basis zur Entwicklung einer verlässlichen Tagesstruktur und dem Erleben von Selbstwirksamkeit zu erarbeiten bzw. bereit zu halten. Gerade dieser Personenkreis verfügt über weniger Kompensationsstrategien, diese sind fortlaufend zu üben und zu verfestigen. Die Haltung darf nicht sein, sich darauf zurückzuziehen, das sei jedem Menschen selbstbestimmt zu überlassen. Wenn die Person ablehne oder nicht zum Ergebnis komme, dann sei das eben ihre Sache. So eine Haltung ist eine falsch verstandene Interpretation von Selbstbestimmung, sie wirft den Menschen auf sich zurück und lässt ihn mit den Folgen alleine.
Auch ist zu beachten, dass Merkmale einer psychischen Erkrankung nicht selten der Behinderungsdisposition zugeschrieben werden statt sie als komorbide Störung zu erkennen und dementsprechend zu behandeln.
Problematisch ist zudem, dass es insgesamt zu wenig Therapieangebote gibt.
Erst seit 2023 gibt es eine bundesweit einzige Universitätsprofessur für Medizin für Menschen mit Behinderung in Bielefeld, besetzt durch Tanja Sappok, Fachärztin für Neurologie, Nervenheilkunde, Psychiatrie und Psychotherapie, Schwerpunkt psychische Gesundheit.
Tanja Sappok bringt vielfältige Erfahrungen in der psychiatrische Diagnostik und Behandlung von Erwachsenen mit Intelligenzminderung und psychischer Erkrankung bzw. schweren Verhaltensstörungen aus ihrer Zeit am Ev. Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge in Berlin mit.
Insgesamt gibt es auch wenig Literatur zum Thema. 2017 erschien das Buch von Veronika Herres mit dem Titel „Beratung und Therapie bei Erwachsenen mit geistiger Behinderung“, darin bewertet sie Vorgehensweisen hinsichtlich der Verwendbarkeit bei Klientinnen und Klienten mit kognitiven Einschränkungen, ergänzt wird die Methodensammlung durch einen kurzen Einblick in die systemische Theorie und Arbeitsweise, Zielgruppe sind Mitarbeitende in der Behindertenhilfe.
Fazit
Die hier vorgelegten Therapie-Tools erweitern das psychotherapeutische Spektrum für Berufsanfänger*innen und erfahrene Therapeut*innen. Es ist wünschenswert, das mehr niedergelassene Fachmenschen Hemmschwellen abbauen und sich auch diesem Personenkreis gegenüber öffnen. Das Buch gibt fundierte Hilfestellung.
Rezension von
Dipl.-Päd. Petra Steinborn
Tätig im Personal- und Qualitätsmanagement in einer großen Ev. Stiftung in Hamburg-Horn. Freiberuflich in eigener Praxis (Heilpraktikerin für Psychotherapie). Leitung von ABC Autismus (Akademie-Beratung-Coaching), Schwerpunkte: Autismus, TEACCH, herausforderndes Verhalten, Strategien der Deeskalation (systemisch), erworbene Hirnschädigungen
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Zitiervorschlag
Petra Steinborn. Rezension vom 12.12.2024 zu:
Anna Erretkamps, Katharina Kufner, Susanne Schmid, Jürgen Bengel: Therapie-Tools Depression bei Menschen mit geistiger Behinderung. Mit Online-Material und Arbeitmaterial in leichter Sprache. Beltz Juventa
(Weinheim und Basel) 2024. 2. Auflage.
ISBN 978-3-621-29175-0.
Reihe: Therapie-Tools.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32590.php, Datum des Zugriffs 19.01.2025.
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